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Durchs Trusenthal über Brotterode nach dem Inselsberg
Teil III
Auf wohlgepflegtem Promenadenwege beginnen wir hinter Brotterode unseren Aufstieg, und nach einer guten Stunde sind wir auf dem Gipfel des großen Inselsberges angelangt. Wer sich die Mühe des Aufstiegs möglichst erleichtern will, der wandert auf der Chaussee nach dem kleinen Inselsberg und setze dann nach einer Ruhepause auf Chaussee oder Fußweg seine Wanderung nach dem großen Inselsberge fort. Für die Anstrengungen der Besteigung wird der Wanderer jederzeit reichlich belohnt. Ein herrliches Panorama, köstliche Wald- und Bergluft, ein unvergleichlich schöner Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und das wechselvolle und farbenreiche Spiel der Landschaft in den verschiedenen Jahreszeiten – das ist es, was diese gefeierte Höhe so besuchenswert macht. Der Inselsberg nimmt mit seiner Höhe von 916 m zwar erst die 13. Stelle in der Reihe der Thüringer Berge ein, ist jedoch der höchste, auch im Winter bewohnte Punkt des Thüringer Waldes. Seine beraste Kuppe krönen zwei Gasthöfe, ein preußischer und ein gothaischer, und zwei Aussichtstürme. Auf dem Wege vom preußischen Gasthof nach den Aussichtstürmen kommt man an dem Denkmal des verdienstvollen Pädagogen Prof. Dr. Stoy vorüber, der alljährlich mit seinen Zöglingen zum Inselsberg wallfahrte. Ein einfacher, 60 Centner schwerer Porphyrblock trägt auf einer eingelassenen Marmortafel die Inschrift: „I. B. Stoy. Seine Jenaer Schulgemeinde auf der Reise 1885.“ Zu Zeiten des alten Wirtes Langlotz prangte in dem Garten hinter dem preußischen Gasthofe eine Fülle der seltensten Alpenpflanzen, und wenn sich am Sommermorgen der Wanderer zum Weitergehen anschickte, überreichte ihm Vater Langlotz nicht selten ein duftiges Alpensträußchen. Über den Scheitel des Berges läuft der Rennstieg, der zugleich die Grenze zwischen der preußischen Provinz Hessen-Nassau und dem Herzogtum Gotha bildet. Der verdienstvolle und vielgepriesene Herzog Ernst der Fromme ließ zuerst im Jahre 1649 ein Häuslein auf dem Berg errichten, ein turmartiges achteckiges steinernes Gebäude als Unterkunftshaus für sich und seine Jagdgesellschaft. Dieser steinerne Salon, in dem auch einst Goethe auf Tannenreisern eine Juninacht verbrachte, hat längst dem jetzigen Domänengasthaus weichen müssen, das 1895 ums doppelte vergrößert wurde. Die herrliche Aussicht zu schildern, würde unserer Feder nur in unvollkommener Weise gelingen. Das muß man selbst sehen und genießen. Jedermann wünscht sich freilich hellen Sonnenschein, wenn er den Rigi des Thüringer Waldes besteigen will. Allein auch bei Wind und Wetter kann man die Großartigkeit der Naturerscheinungen bewundern, die sich dort nach und nach vor den staunenden Augen des Zuschauers aufrollen. Eben hat der Sturm noch die schweren Tropfen und Eiskörner gegen die Fenster geschleudert, so daß man meinen möchte, das Ende der Welt stehe bevor – da zerreißen die fliegenden Wolken, und in herrliche Beleuchtung tauchen hinter dunklen Wäldern grüne Wiesen und schmucke Dörfer auf. Ein Regenbogen schillert in seltener Pracht, und nur entferntes Sausen im dunklen Walde läßt noch ahnen, daß soeben ein heftiges Unwetter gewütet hat. Unsere Zeit gestattet uns jedoch kein längeres Verweilen auf dieser gastlichen Höhe, und über Brotterode treten wir wieder unsere Heimkehr an. Ehe wir aber dem vielbesuchten Bergriesen den Rücken kehren, werfen wir noch einen Scheideblick auf die schöne Landschaft, und weithin in die Lüfte klingt unser Gruß:
„Thüringen, mit deinen Wäldern,
Deinen Bergen, deinen Höh’n,
Und mit deinen Wogenfeldern,
Herrlich Land, wie bist du schön!
Sei gegrüßt mit Herz und Hand,
Thüringen, mein Vaterland!“
Durchs Trusenthal über Brotterode nach dem Inselsberg
Teil II
Die Großartigkeit dieser Kaskade hat so nachhaltig auf uns gewirkt, daß uns die thalaufwärts folgenden Partieen kaum noch zu fesseln vermögen. Die Felswände treten nunmehr zurück, und ein anmutiges, von Buchenwald umrahmtes Wiesenthal nimmt uns auf. Zwei Punkte sind es noch, die unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Burgruine Wallenburg und der vielbesuchte Mommelstein. Auf einem bequemen Promenadenwege erreicht man in etwa 40 Minuten die Wallenburg. In ihrer Blütezeit mag sie für die Umwohnenden mit Recht eine „Wallburg“ gewesen sein; denn eine große Ringmauer – ein alter Steinwall umgürtet noch heute den Gipfel des kegelförmigen Berges – gewährte den benachbarten Bauern Schutz gegen feindliche Angriffe. Die Entstehung der alten Bergfeste fällt in das Jahr 1247, wo sie von dem Grafen Ludwig VI. von Frankenstein erbaut wurde. Ihre Besitzer wechselten sehr oft. Von den Herren von Frankenstein ging die Burg an den Abt von Fulda über. Später war sie zeitweise im Besitz der Henneberger und des Erzbistums Würzburg. Im Jahre 1589 kam mit dem Aussterben des Hennebrgischen Grafengeschlechts die Burg an Hessen, und Philipp der Großmütige verlieh sie dem Sohne seines an seiner Seite gefallenen Vasallen Fuchs von Arnschwang. Die Füchse auf Wallenburg blieben nun Herren der Burg bis zu deren Zerstörung. Sie zeichneten sich nicht allein durch Rührigkeit, Treue und Tapferkeit, sondern auch durch vortreffliche Leistungen auf wissenschaftlichem und künstlerischem Gebiete aus. Aus der bewegten Geschichte der Burg mag noch erwähnt sein, daß im April 1516 Götz von Berlichingen auf mehrere Tage in Wallenburg Einkehr hielt, nachdem er dem Grafen Philipp II. von Waldeck "eins ausgewischt hatte.“ Über den Verfall der Burg ist nichts Bestimmtes bekannt. Nach einer Chronik des Müllers Chr. Schmidt in Schmalkalden soll sie 1640 von holländischen Kriegsvölkern zerstört worden sein. Der noch vorhandene Spitzturm bietet von seiner steinumkränzten Plattform eine herrliche Aussicht ins Werrathal und auf die dahinter liegenden Rhönberge. Eine fast noch großartigere Rundsicht bietet der etwas nördlicher gelegene Mommelstein, Der das Ziel vieler Ausflügler aus Schmalkalden, Brotterode und den umliegenden Orten ist. Nach diesem Abstecher setzen wir unsere Wanderung durch das waldumsäumte Wiesenthal fort und gelangen bald, immer höher steigend, nach Brotterode.
Dieser durch die erschütternde Brandkatastrophe vom 10. Juli 1895 in aller Welt bekannt gewordene preußische Marktflecken verdient alle Beachtung, und da wir vor Besteigung des Inselsberges erst noch der Ruhe bedürfen, so widmen wir diesem denkwürdigen Ort auf einige Zeit unsere Aufmerksamkeit. Brotterode erfreut sich einer durch einen Kranz von Bergen geschützten Lage. Eingebettet in das von O. nach W. ziehende Thal des Inselswassers, 564-604 m über dem Meeresspiegel, wird es im N. vom hohen Beerberg, im S. vom Seimberg, im W. vom Gehege, im O. von der hohen Scharte und im NO. vom Inselsberg vor kalten Zugwinden geschützt. Wie von übermäßiger Kälte bleibt Brotterode aber auch durch seine Höhenlage und seinen Waldreichtum von allzu großer Wärme verschont. Die geschützte Höhenlage, verbunden mit gleichmäßigem Klima, geringen Temperaturschwankungen, gutem Trinkwasser und vielen, allen Ansprüchen genügenden Wohnungen machen Brotterode zu einem klimatischen Kurorte, dem im Interesse seiner vor Jahren so schwer geprüften Bewohnerschaft ein lebhafter Fremdenverkehr wohl zu gönnen ist. Wie an vielen anderen Orten ist auch die Entstehung Brotterodes in sagenhaftes Dunkel gehüllt, daß nur durch spärliche historische Nachrichten etwas geklärt erscheint. Eine Überlieferung berichtet, daß Graf Ludwig der Bärtige, der Stammvater des Thüringer Landgrafenhauses, der Gründer von Brotterode gewesen sein soll. Doch ist auch die Annahme nicht unwahrscheinlich, daß der Ort so alt ist, wie der Bergbau im Thüringer Wald und seine Gründung in eine frühere Zeit fällt. Auf dem Burgberge, am westlichen Ende des Fleckens, hat jedenfalls die Brunoburg, eine alte Steinfeste, gestanden. Einer aus der Reihe ihrer Besitzer, Namens Bruno, soll zur Ausbeutung des Erzreichtums in der Umgebung von Brotterode eine Anzahl Bergleute aus dem Harz berufen und dadurch einen lohnenden Bergbau begründet haben. Als die Berge nicht mehr genügend Ausbeute an Eisenstein boten, ist das Bergwerkswesen in Brotterode allmählich verfallen. Aus den Bergleuten wurden Messer-, Ringen- und Schnallenschmiede. Im Jahr 1521 soll Kaiser Karl V. mit seiner erkrankten Gemahlin längeren Aufenthalt in Brotterode genommen haben. Aus Dankbarkeit für die gute Pflege, die die Frauen des Ortes der hohen Dame angedeihen ließen, schenkte der Kaiser dem Orte große Waldungen, das Fischereirecht und eine Fahne. Sie heißt im Volksmund die „Kaiser Karle Quinte Funn“ und ist nach dem Brand durch eine neue ersetzt worden. Sie ist aus schwarzem Tuch gefertigt, und unter einer Krone ist mit gelben Garn die Inschrift „Vivat Carolus V.“ eingestickt. Der echte Brotteroder hält noch große Stücke auf die Fahne. Als man einmal diese Kleinod entreißen wollte, sollen sich Weiber gewehrt haben. Am Kirmesmontag wurde morgens 6 Uhr unter Glockengeläute die Fahne Karls V. unter Vorantritt einer Musikkapelle aus der Pfarrei abgeholt, zur Kirche gebracht und hoch oben im Turme aufgesteckt. Damit war die Kirmes eröffnet, die 7 Tage währte. „Weiß nicht, ob’s anders worden in dieser neuen Zeit.“ Brotterode hat unter den Folgen des Dreißigjährigen und Siebenjährigen Krieges zu leiden gehabt, und als der Druck des korsischen Welteroberers auch auf diesem Bergvolk lastete, da machte sich der trotzige Sinn und die patriotische Haltung der Brotteroder bald geltend. Nach der Schlacht bei Jena zogen die heldenmütigen Brotteroder im Verein mit einer Anzahl Gleichgesinnter aus den benachbarten Orten nach Schmalkalden, griffen die französische Garnison an und führten 18 Kanonen frohlockend über die Berge heimwärts. Die französische Revanche blieb freilich nicht aus. Obgleich gewaltige Kriegsstürme und mannigfache Schicksale den Ort oft schwer heimsuchten, so hat doch kein Ereignis so erschütternd gewirkt, als die große Brandkatastrophe vom 10. Juli 1895, wodurch 282 Wohngebäude mit ungefähr 350 Nebengebäuden, das ganze Zentrum des Ortes mit den besten Häusern, in Asche gelegt wurden. Die von allen Seiten reichlich gewährten Hilfe ermöglichte es, den Ort nach einem neuen Bebauungsplane schöner wieder aufzubauen, und heute macht „Neu-Brotterode“ mit seinen geraden Straßen, freien und mit Anpflanzungen geschmückten Plätzen und stattlichen Häusern einen äußerst vorteilhaften Eindruck. – Jedoch der Bergriese dort hinten mahnt uns zum Aufbruch, und mit dem Wunsche, daß eine glückliche Zukunft dem wie ein Phönix aus der Asche erstandenen Marktflecken beschieden sein möge, wenden wir uns nunmehr dem Endziel unserer Wanderung, dem Inselsberg, zu.
Fortsetzung folgt!
Durchs Trusenthal über Brotterode nach dem Inselsberg
Teil I
Eins der reizvollsten Thäler Thüringens ist das im Keise Schmalkalden gelegene Trusenthal. Um ihm einen Besuch abzustatten, benutzen wir von Schmalkalden aus die hochinteressante Gebirgsbahn Schmalkalden-Brotterode bis zur Haltestelle Herges-Vogtei und sind nun in dem lieblichsten und besuchtesten Teil des Trusenthals. Ehe wir die landschaftlichen Reize genießen, wollen wir zuvor dem Ort Herges-Vogtei selbst einige Aufmerksamkeit schenken. Herges und Auwallenburg bilden einen Ort, der aber aus zwei verschiedenen Gemeinden besteht, die durch die Truse geschieden sind. Am rechten Ufer liegt Herges, am linken Auwallenburg. Herges-Vogtei verdankt seine Entstehung dem Bergbau und den damit verbundenen Eisen-, Hütten- und Hammerwerken, die in früheren Zeiten sich eines lebhaften Betriebes erfreuten. Das Terrain dieser ausgedehnten industriellen Anlagen befand sich auf dem Grundstück einer Mahl- und Schneidemühle, die infolge ihrer Baufälligkeit abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wurde. Der dem Ortsnamen Herges beigefügte Zusatz „Vogtei“ findet seine Erklärung darin, daß sich in der Nähe der Mühle die Wohnung des Hüttenvogts befand, der die Lieferung der Kohlen zu kontrollieren und den ganzen Betrieb zu beaufsichtigen hatte. Spuren dieses Betriebes sind so gut wie nicht mehr vorhanden. Dagegen hat sich in unserer Zeit eine lebhafte Industrie entwickelt, die sich in Gewinnung und Verarbeitung der mannigfachsten Bergprodukte bethätigt. Schwerspatgruben befinden sich an der Mommel, am Eichberg und am Michelsberg. Alabaster und Gips wird am Heues in der Richtung nach Liebenstein gewonnen, und Eisenstein- und Flußspatgruben treffen wir ebenfalls an der Mommel bei Liebenstein an.
Als wertvolle Produkte sind auch noch Melaphyr und Granit zu erwähnen, die größtenteils in den Felswänden des Trusenthals gewonnen werden. Am bedeutendsten ist die Gewinnung und Verarbeitung von Schwerspat. Was nicht direkt in rohen Stücken versandt wird, das wird in den vielen Schwerspatmühlen in und um Herges zu feinstem Mehl verarbeitet. Nachdem die rohen Stücke unter dem Stampfwerk zerkleinert sind , werden sie unter Rädern aufs feinste zermahlen. Der jährliche Versand beträgt annähernd 100 000 Centner.
Wie leicht erklärlich, ist ein großer Teil der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung im Bergbau beschäftigt.
Außer anderen industriellen Anlagen verdient noch besonders die mechanische Schlauchfabrik genannt zu werden, die vielfach größere Lieferungen für die Armee auszuführen hat. Manchem früheren Besucher des Trusenthals dürfte auch noch die originelle Figur des ehemaligen Gänsehirten aus Herges-Vogtei in Erinnerung sein, wie er sich in seiner malerischen Uniform den Ausflüglern präsentierte und sie mit seinen Späßen belustigte. Wir beginnen nun unsere Fußwanderung. Gleich oberhalb Herges treten uns links mächtige Granitfelsen entgegen. Wir befinden uns in dem reizvollsten und besuchtesten Teil des Trusenthals, der auf verhältnismäßig kurzer Strecke die hervorragendsten Schönheiten des ganzen Thales entfaltet. Immer näher treten die wild übereinander getürmten Felsmassen an die Straße heran. In ihrer Mannigfaltigkeit und ihren wechselreichen Formen gehören sie zu den schönsten Steingebilden des Thüringer Waldes. Manche zeigen eine solche Regelmäßigkeit, als wären sie künstlich aufgemauert; manche stehen senkrecht und sind zum Teil säulenförmig abgeteilt; andere hängen über und treten dem Wanderer beängstigend nahe. Mächtige Felsblöcke haben sich losgerissen und sind in die Tiefe bis in das Bett des Baches gerollt. Trotz dieser wilden Natur wuchert auf den Absätzen und Felsenvorsprüngen und zwischen den Klüften die schönste Waldvegetation. Mit Entzücken atmet man hier die reine und unverfälschte Wald- und Bergluft. Unser Auge wird auf jedem Schritt durch neue Reize gefesselt, unser Ohr aber vernimmt schon von fern das Getöse des Wasserfalls, das von dem Brausen der wildschäumenden Truse deutlich zu unterscheiden ist. Endlich haben wir den Glanzpunkt des Thales, den Trusen-Wasserfall, erreicht. Dreifach gebrochen donnern die entfesselten Wassermengen in gewaltigen, blendend-weißen Strahlen aus einer Höhe von 50 m den hochragenden Porphyrfelsen hernieder. Schäumend und zischend erfüllen sie die Atmosphäre mit Milliarden kleiner Wassertröpfchen und begießen den Beschauer mit feinem Regen. Unten im Sammelbecken beruhigen sich die aufgeregten Wasser und ziehen dann ihres Weges weiter, als wüßten sie nichts mehr von den gewaltigen Sprüngen, die sie eben in tollem Übermut gewagt haben. Wer Luft hat, mag die 208 Stufen hinaufsteigen und sich das Schauspiel von dem Platze aus betrachten, der über dem Wasserfalle gelegen und mit einem Schutzgitter versehen ist. Wenn auch die Natur hilfreiche Hand geleistet hat, so ist doch der Wasserfall das Kunstwerk eines Naturfreundes. Baumeister Reuße war es, der im Jahre 1865 eine halbe Stunde unterhalb Brotterode einen Kunstgraben anlegen und das Wasser der Truse durch denselben bis zu den Felsen leiten ließ. Ehre diesem verdienstvollen Förderer Thüringer Naturschönheiten.
Fortsetzung folgt!