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SPRUCH DES JAHRES

Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andre packt sie an und handelt.

Dante Alighieri

SPRUCH DER WOCHE

Je näher der Zusammenbruch eines Imperiums rückt, desto verrückter sind seine Gesetze.

 

Cicero

 

LUSTIGES

Quelle: Aus dem umgestülpten Papierkorb der Weltpresse (1977)

New York - Um einen schmerzhaften Zahn loszuwerden, band Rangiermeister Roy Floyd einen festen Zwirnsfaden an den letzten Wagen eines Zuges. Als die Lokomotive anfuhr, wurde Floyd zu Boden gerissen. Dabei brach er sich den Arm und büßte drei Zähne ein. Der schmerzende Zahn blieb allerdings unbeschädigt.

Die Lehmänner
Die Lehmänner

Thüringer Monatsblätter

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, 1913, Heft 2, Seite 11

Eintägige Autoomnibusfahrten nach den schönsten Punkten Thüringens.

Wer die freundliche Gartenstadt Gotha morgens 8 Uhr fahrplanmäßig mit den eleganten und bequemen Wagen der Thüringer Wald-Motorwagen-Gesellschaft verläßt,kann jetzt in einem Tage den Inselsberg, Tabarz, Reihardsbrunn, Friedrichroda, Finsterbergen, Georgenthal und Oberhof besuchen, während eine Wanderung fast eine Woche erfordert.

Schon die Fahrt nach dem Walde in der Frühe des Morgens ist ein Genuß. Sobald die Stadt mit ihren freundlichen, mit Vorgärten geschmückten Häusern verlassen ist, begleiten uns links und rechts zunächst üppige Fluren, vor unseren Augen lagert das langgestreckte Gebirge. Mächtig erhebt der Inselsberg sein gewaltiges Haupt, links grüßen nach kurzer Fahrt die tiefblauen, mit Burgen gekrönten Drei Gleichen, im zartblauen Duft verschwindet der südöstliche Gebirgskamm. Nach etwa halbstündiger Fahrt winkt rechts das sich malerisch am Burgberg aufbauende Waltershausen mit dem alten Schloß Tenneberg, ehemals Sitz der Landgrafen von Thüringen. In der Ferne weiter rechts grüßt der scharfrückige Hörselberg, einer der seltsamsten Wunder- und Sagenberge der Thüringer Lande, die Erinnerung an Tannhäuser in uns wachrufen. Wir sind inzwischen auf schnurgerader Straße an den Wald heran, nach Rödichen und Schnepfenthal, gelangt. In dem nahen Eichenwald linker Hand, die Hardt genannt, spielt ein Teil von Gustav Freytags "Ingo". Hier gründete Guths-Muths den ersten Turnplatz Deutschlands. An der Berglehne zur Rechten baut sich Schnepfenthal, die von dem berühmten Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann begründete Erziehungsanstalt, mit schlichten Gebäuden hinter Hecken und Baumgruppen auf. Von nun an ist der Wald fast auf der ganzen Fahrt unser ständiger Begleiter. Wir kommen bald nach Reinhardsbrunn, dem Sommersitz des Herzogs von Sachsen-Coburg-Gotha. Malerische Teiche, uralte Baumriesen, von Laubwald eingesäumte bunte Wiesengründe haben reizvolle Stimmungsbilder hervorgezaubert. Weiter geht es durch den herrlichen Naturpark nach Friedrichroda, dem gefeierten Badeorte.

Wer den Inselsberg besuchen will, hat hier eine zweistündige Rast, während der er die Stadt und die nähere Umgebung besichtigen kann. Die Fahrt nach dem Inselsberg führt über die beliebten Sommerfrischen Tabarz und Cabarzmit dem Lauchagrund als Glanzstück jener Gegend. Das angestrengte Arbeiten des Motors weist uns darauf hin, daß eine gewaltige Höhe zu erklimmen ist. Um 12 Uhr wird die Höhe des Inselsberges, der "Thüringer Rigi" (916 Meter) erreicht. Eine wunderbare Aussicht erschließt sich dem Auge. Man ist nicht imstande, alles auf einmal zu erfassen. Der Blick reicht vom Harze bis zur Rhön von den Hessenbergen bis zu den Höhen des Saaletales. Wie gesäet liegen Schlösser, Burgen, Städte, Dörfer, einzelne Mühlen oder Weiler vor uns ausgebreitet. Bei günstigem Wetter gehört ein Aufenthalt auf diresem Gipfel unzweifelhaft zu den höchsten Genüssen einer Thüringer Reise. Um 2.30 kann man die Rückfahrt nach Friedrichroda oder Finsterbergen antreten, von wo aus man nach 2-3 stündiger Rast mit einem Motorwagen derselben Gesellschaft gegen Abend noch Oberhof erreichen kann. Wer vormittags Friedrichroda besichtigt hat, wird gut tun, bis Finsterbergen durchzufahren und einige Stunden auf diesen beliebten Luftkurort zu verwenden. Er hat auch von hier aus Anschluß nach Oberhof.

Wer von Gotha aus Oberhof schon am Vormittag erreichen will, findet in Friedrichroda einen Kraftwagen, der sofort nach Oberhof weiterfährt. Auf dieser Fahrt berühren wir zunächst die Sommerfrischen Engelsbach und Finsterbergen und genießen herrliche Aussichten nordwärts, von wo uns die Türme des Schlosses Frieddenstein (Gotha) winken. Von Osten grüßen die garten- und waldumsäumten Dörfer Altenbergen und Catterfeld mit ihrem schlichten Kirchlein in der Mitte und dahinter die blauen Berge der südöstlichen Gebirgekette. Mit dem Eintritt in das von hohen Nadelwaldungeneingeschlossene idyllische Leinatal befinden wir uns wieder mitten im Gebirge. Links und rechts der zuletzt steil ansteigenden Straße grüßen Sägemühlen und freundliche Villen, von weitem linker Hand die romantische Porphyrwand des Hainfelsens, bis sich malerisch vor uns am Berghang liegend die beliebte Sommerfrische Finsterbergen erschließt.Zwischen Finsterbergen und Friedrichroda verkehren die Autobusse täglich mehrmals im Anschluß an die Eisenbahnzüge. Im Ort wendet der Wagen, nimmt etwaige Passagiere nach Oberhof auf und fährt zurück durch das Leinatal über Altenbergen (rechts oben auf dem Berg über dem Ort die Winfriedsäule, Kandelaber genannt), und Catterfeld nach Georgenthal, einer Sommerfrische  mit ruinen einer im 12. Jahrhundert entstandenen Zisterzienser-Abtei. Weiter geht die Fahrt über Nauendorf, Gräfenhain und Ohrdruf, angeblich der ersten christlichen Kulturstätte dieser Gegend. Bevor wir die Stadt erreichen, gewahren wir jenseits die roten Ziegeldächer der Wirtschaftsgebäude und Baracken des neuen, großen Truppenübungsplatzes. Von Ohrdruf aus befahren wir den Ohragrund mit dem idyllisch gelegenen Luisenthal, Stutzhaus und Schwarzwald. An Pechwerken, Mühlen und anderen rührigen Werkstätten vorbei eilt der Wagen in einem breiten, prachtvollen Tal auf der schönsten Straße des Thüringer Waldes hin, an der unteren und oberen Schweizerhütte vorüber dem Ziele Oberhof, dem internationalen Kurort, entgegen.

Alle Mitreisenden sind einstimmig voll des Lobes über die genußreiche Fahrt. Die Tour kann ebensogut auch von Oberhof aus gemacht werden. Es verkehren sowohl morgens als auch abends Wagen von Oberhof in der Richtung nach Friedrichroda-Gotha. Der genaue Fahrplan folgt nachstehend.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, Heft 4, Seite 16

Eine neue Talsperre bei Tambach. Die Stadt Gotha will, wie es heißt, im Grund der Apfelstädt bei Tambach in der Nähe der jetzigen Talsperre eine zweite anlegen, um die Wassermenge zu vergrößern, die ihr aus dem Staubecken zur Verfügung steht. Die Verhandlungen über den Grundstückserwerb sollen im Gange und zum Teil schon abgeschlossen sein. Früher wollte mancher in Gotha von der Talsperre nicht viel wissen; seit sie sich aber der Wassernot im trockenen Sommer 1911 so gut bewährt hat, ist man anderer Meinung geworden.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, Heft 4, Seite 16

Eine Verschmelzung der Städte Zella-St. Blasii und Mehlis, die dem Thüringerwaldwanderer ihrer schönen Lage wegen wohlbekannt sind, wird von neuem durch die gothaische Staatsregierung angeregt. Sie ersucht die Behörden beider Orte, die dicht zusammenliegen und im Hauptstraßenzug schon aneinandergebaut sind, um Äußerungen darüber. Die Städte haben bekanntlich eine bedeutende Industrie, die Schußwaffen, Werkzeuge, Fahrräder, Lastautomobile, Glocken usw. herstellt. Zella zählt 5700, Mehlis 6700 Einwohner.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, Heft 4, Seite 15

Ein neues Freilichttheater in Thüringen.

Bei Meiningen, der Wiege einer der bemerkenswertesten Theaterepochen, soll nun ebenfalls ein Freilichttheater entstehen, und zwar an der Burgruine auf der Donopskuppe über der Stadt, also neben der vielbesuchten Helenenhöhe. Der Blick von dort auf Meiningen ist hervorragend schön. Leiter des Unternehmens wird der meiningische  Hofschauspieler Ernst Claudius, der auch das Ritterfestspiel auf dem Landsberg leitete. Vermutlich hat dieses Ritterfestspiel den Anlaß zu dem neuen Projekt gegeben.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, Juni 1913, Heft 4, Seite 14

Hitze und Unwetter in Thüringen.

Der Mai hat mit seinen letzten und er Juni mit seinen ersten Tagen ausgezeichnetes Wanderwetter gebracht, wenn auch die zeitweise herrschende Hochsommerhitze manchmal ein wenig störte. Leider haben die besonders Anfang Juni aufgetretenen Gewitter in Thüringen und in der Rhön schweren Schaden angerichtet. Am meisten gelitten hat die schwarzburg-rudolstädtische Oberherrschaft (die Orte Mellenbach, Cursdorf, Lichtenhain, Oberweißbach, Deesbach), das Gebiet um den Inselsberg mit Friedrichroda, das Eisenacher Oberland und das untere Werratal bei Eschwege. Der wolkenbruchartige Regen zerstörte Straßen und Wege, vernichtete die Feldfrüchte und Obstanlagen, riß vielfach (besonders im Eisenacher Oberland) ganze Häuser ein und vernichtete auch mehrere Menschenleben. Verschiedene Eisenbahnen konnten nicht verkehren, und einige neue Autopostlinien mußten ebenfalls einige Zeit feiern. Die Zerstörungen sind vor allem im Eisenacher Oberland so groß gewesen, daß zahlreiches Militär dorthin abkommandiert wurde, um zu helfen bei der Wiederherrichtung der Wege, dem Aufbau zerstörter Brücken usw. Für die Orte auf dem Thüringer Wald leitete der fürstliche Landrat in Königsee, für das Eisenacher Oberland für das Eisenacher Oberland der großherzogliche Bezirksdirektor in sogleich Hilfsaktionen ein, von denen besonders die letzte Erfolg hatte, da sie die am meisten geschädigte und wirtschaftlich wohl auch schwächste Gegend betraf. Unter den ersten großen Spendern waren der Großherzog und die Großherzogin von Sachsen-Weimar, die Staatsregierung, die Kaligewerkschaften des Gebietes und der Thüringer Raiffeisenverband, dessen Wiege das Eisenacher Oberland ist.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 10-11

Das Geheimnis von Hildburghausen

Teil VI

 

Eine noch ergiebigere Quelle des Argwohns bedeutet aber für den Forscher die Art, wie sich die Herzogin zu der Naundorfschen Sache stellte. Wenn Kekule v. Stradonitz die Folgerung zieht, daß, falls die Genannteals unecht zu betrachten sei, ihr Tun und Lassen für die Beurteilung der Naundorffschen Fragen gänlich ausscheide, so sieht Hennig in ihrer Haltung gegen Naundorf, dessen Anwartschaft er, nicht anders als Stradonitz, sehr ernst nimmt, einen Beweis für die Falschheit ihres Daseins. Die Geflissentlichkeit, womit sie sich, sämtlichen ihr dahin kundgetanen, von noch so bedeutsamen Seiten ausgegangenen Wünschen zuwider, einer jeden Gelegenheit, Naundorf einer Probe zu unterwerfen, ob er wirklich ihr Bruder sei, entzogen habe, während sie doch ihr Herz hätte treiben müssen, eine Klarstellung herbeizuführen, überhaupt ihre unverhohlene Teilnahmlosigkeit gegen die verschiedensten Bestrebungen, das dunkle Geschick ihres Bruders aufzuhellen, dies alles habe bei ihren Zeitgenossen das ärgste Befremden und den stärksten Anstoß wachgerufen. In dieser Hinsicht rollt der emsige Nachgraser mit geschäftiger Hand ein schier ellenlanges Unterlassungssündenverzeichnis der hohen Frau vor uns auf. Wofern sich die von ihm namhaft gemachten Dinge auf Tatsächlichkeit gründen, dürften sie schon tragfähige Stützen für seinen Gedankenzug liefern. Weil eine vollzählige Aufzählung hier zu weit führen würde, begnüge ich mich mit der Wiedergabe folgender Verdachtsgründe, denen Hennig nachgeht. Wenngleich die Herzogin von Angoulème - so legt er dar - mehrmals bekannt habe, daß sie nicht imstande sei, mit Sicherheit zu sagen, ihr Bruder habe im Tempelturm sein Ende gefunden, sei sie dennoch nicht zu bewegen gewesen, Naundorf trotz seiner unermüdlichen Bitten, die sich über zwanzig Jahre erstreckt hätten, eine Unterredung zu gönnen, habe sogar, als dieser damit umgegangen sei, sie bei einem Besuchsaufenthalt in Pillnitz im August 1834 zu überrumpeln, schlankweg vor ihm die Flucht ergriffen, nicht ohne jedoch eine Geldspende für die bedürftigen Angehörigen Naundorfs eigens zu bestimmen; ebenso habe sie im Jahre 1836 Ludwig Philipp, dem sie sonst feindselig begegnet sei, brieflich mit dem gewünschten Erfolg bestürmt, es zu verhindern, daß Naundorf eine gerichtliche Verhandlung über die Zulänglichkeit seiner Ansprüche erwirke. Diese Handlungsweise, führt der Untersuchende aus, stehe im schroffsten Gegensatz zu den Äußerungen einer wahrhaft zärtlichen Liebe, die Marie Therese Charlotte ihrem Bruder während seiner Gefangenschaft in ihrem Tagebuch gewidmet habe. Man müsse sich doch vergegenwärtigen, daß die Herzogin andererseits Naundorf und seinem Hausstand eine rege Aufmerksamkeit geschenkt, seine Anwartschaft keineswegs öffentlich verworfen und bloß ein Zusammentreffen mit ihm peinlich gescheut habe. Das Gutachten Hennigs gipfelt in dem Satz, daß das Wesensbild der in Haft gehaltenen Schwester Ludwigs des Siebzehnten völlig dem der nachherigen Herzogin von Angoulème widerstreite. So habe es auch die im Jahr 1907 aus dem Leben geschiedene Königin Marie von Hannover, bekanntlich eine Abkömmlingin des Hildburghäuser Fürstengeschlechtes, als die Überzeugung, die ihr aus dem Umgang mit der Herzogin von Angoulème in Frohsdorf erwachsen sei, bezeichnet, daß man diese nicht als die Tochter Ludwigs des Sechzehnten zu betrachten habe.

Selbstverständlich laufen die Hennigschen Auseinandersetzungen auf die Vermutung, daß in der Dunkelgräfin die wahre Königstochter zu suchen sei, hinaus. Darüber indes, auf wessen Betreiben und aus welchen Gründen eine solche Unterschiebung vorgenommen oder aufrechterhalten werden sein soll, weiß unser Gelehrter nichts weniger als Klarheit zu schaffen. Er bequemt sich schließlich sogar zu dem Anerkenntnis der triftigen Bedenken, die jener Mutmaßung entgegenstehen. Ausdrücklich verwahrt er sich gegen den Anspruch, das Rätsel von Hildburghausen gelöst zu haben. So grinst am Ende der im übrigen trotz etlicher kleinen Versehen recht abschätzbaren Ausführungen wiederum das leidige höhnische Fragezeichen in seiner ganzen Größe.

Bei dem Stand, den Hennig einnimmt, begreift sich's von selbst, daß er den Aufhellungswert der vielerörterten Briefe Angès Berthélémys ungemein niedrig anschlägt, worin sich sein Ermessen mit dem der meisten Beurteiler deckt. Obendrein erschien vor einigen wenigen Jahren in einer Hildburghäuser Zeitung eine Veröffentlichung, wonach Kühner, der Verfasser der Schrift über die zwei Geheimnisvollen, gegen den Ausgang der sechziger Jahre des verflossenen Jahrhunderts eine Zuschrift der Frau eines Apothekers in Obermoschel bei Bingen erhalten hat, des Inhalts, daß ihre Mutter, der sie sein Buch vorgelesen habe, in eine gewaltige Aufregung durch die Entdeckung versetzt worden sei, wie man ihren Namen mibraucht und in die rätselhafte Geschichte verflochten habe, denn niemand anders als sie sei - Angès Berthélémy; auch stimme es mit allen sonstigen Umständen, nur sei bei ihr nie eine längere Trennung von Mann und Tochter vorgekommen, mithin es ausgeschlossen, daß sie bei dem Dunkelgrafen gelebt habe. Ist es nicht, wie wenn eine Verwicklung die andere drängte? Zwar sollte man annehmen, es hätte sich erkunden lassen müssen, wer Angès Berthélémy denn eigentlich war und was für Fäden sich um die angeblich von ihr herrührenden Briefe und den Dunkelgrafen schlangen, allein nichts kennzeichnet gerade die Verworrenheit der gesamten Angelegenheit so sehr wie die stete Wiederkehr der Erfahrung, daß jeder scheinbar vorwärtsbringende Schritt bloß an ein neues Dickicht und Gestrüpp leitet, die nächste Wirrnis die vorige ablöst.

Eine Flucht von ereignisvollen Zeitspannen ist dahingefahren, seit der einsame Grabhügel auf dem Hildburghäuser Stadtberg geschichtet ward. Frühlingsstürme, reich an Zahl, sind darüber gebraust; wie oft auch hat ihn der Winter in seine glitzernden Daunen eingemimmt! Viele Tausende haben schon an ihm geweilt, in Sinnen versunken, der armen Kreuzträgerin darunter den Zoll des Mitgefühls entrichtend. Stößt aber beim frischen Schweifen und Streifen über den Berg mit seiner Fülle von prächtigen Fernblicken, erquicklichen Waldpfaden und träumerischen Winkeln eine lustige Gesellschaft unversehens auf den schwer umdüsterten Erdenfleck, dann stockt wohl der Sprudel des Scherzes, erstarrt das kecke Lachen auf den Lippen. Der Ernst des Ortes, die Schatten eines dumpfen, namenlosen Schicksals bemächtigen sich unwiderstehlich der Gemüter. Das Geheimnis von Hildburghausen ..... Ob sich jemals der Schleier davon heben mag?

 

ENDE

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 9-10

Das Geheimnis von Hildburghausen

Teil V

 

Erschien da in der Nummer des Tagesblattes "Berliner Lokal-Anzeiger" vom 26. Februar 1911 unter der Überschrift "Aus dem gesellschaftlichen Leben" ein Aufsatz, als dessen Urheber der namhafte Gelehrte Stephan Rekulke v. Stradonitz anzusehen ist, worin auf einen Zusammenhang der Frage der Dunkelgräfin mit der Naundorf'schen, der alten Staubaufwirblerin, hingewiesen wird. In dem Streit um Naundorf werde nämlich - so heißt es - dem Verhalten der Herzogin von Angoulème gegen Naundorf hervorragende Bedeutung zuerteilt, allein es verstehe sich von selbst, daß eine solche Schätzung schlechterdings in sich zerfalle, wofern man die Herzogin als eine untergeschobene Prinzessin von Frankreich, dagegen die Dunkelgräfin als die wirkliche Tochter Ludwigs des Sechzehnten, die Schwester Ludwigs des Siebzehnten betrachte. Man könne die Sachlage auch verdeutlichen, indem man die Frage der Dunkelgräfin als Vorfrageerkläre, durch deren Lösung das Urteil über die Naundorfsche Frage erheblich vereinfacht würde. Darum habe sich "der Schreiber dieser Zeilen" auf jenes "Problem" geworfen, es jedoch bis dahin um keinen einzigen Schritt zu fördern vermocht. (Aha! Eine harte Nuß!) Lediglich zu der einen Feststellung (o, davon ging schon früher die Kunde) sei er gekommen, "daß in einer ganzen Reihe regierender Häuser Deutschlands noch heute mit Festigkeit an der Identität der Dunkelgräfin mit Marie Therese Charlotte geglaubt wird."

Es steht außer meiner Kenntnis, ob der Forscher inzwischen neue Ermittelungen zu verzeichnen hat. Unterdessen ist aber ein anderer Gelehrter,  Dr. Richard Hennig in Friedenau, der sich, soweit ich unterrichtet bin, mit den sogenannten geheimen Wissenschaften befaßt, auf den Plan getreten. Ungefähr vor Jahresfrist hat er in der von der Franckh'schen Verlagsbuchhandlung zu Stuttgart herausgegebenen Monatsschrift "Zeiten und Völker" eine umfängliche Abhandlung veröffentlicht, worin er die Einwände wider die Echtheit der Herzogin von Angoulème aufgreift und nach Kräften zu begründen sucht. Wiewohl ihm anfänglich von der Verwegenheit seines Unternehmens ein gelinder Schwindel anzuwandeln scheint, als wären nicht bereits vor ihm derartige Erwägungen angestellt worden, legt er sich hernach desto straffer ins Zeug. Prüfen wir einmal, ob es ihm gelungen ist, den tückischen Knoten wenn nicht aufzulösen, so doch wenigstens zu lockern.

Vorerst sei jedoch die Bemerkung angebracht, daß im Gegensatz zu Hühner und Human, die eine Berechtigung von Anzweiflungen keineswegs ablehnen, da sie einen vollgültigen, zwingenden Ausweis vermissen, Rekulke v. Stradonitz es für eine Tatsache nimmt, der Dunkelgraf sei kein anderer als der gewesen, auf den die in seinem Nachlaß aufgefundenen Papiere lauteten, nämlich ein "Baron van der Valck", wogegen Hennig bloß eine Wahrscheinlichkeit einräumt.

Dieser geht davon aus, nicht umsonst hätten so manche Stimmen von Gewicht sich für die Einheit der königlichen Waise und der Dunkelgräfin erklärt. Was aber die angebliche Vertauschung der Prinzessin Marie Therese Charlotte mit einer anderen bertifft, so glaubt er, daß eine solche Unterschiebung einzig unmittelbar vor der Übergabe der aus ihrer mehrjährigen Gefangenschaft im "Tempel" entlassenen Königstochter an die Österreicher gegen den Ausgang des Jahres 1795 zu Basel vor sich gegangen sein könnte. Es müsse ja Verwunderung erregen,  warum die damaligen französischen Gewalthaber es nicht zugegeben hätten, daß gerade die besten Freundinnen der Prinzessin während ihrer Haft, die Frau v. Tourzel und die Frau v. Chanterenne, sie auf der Fahrt nach Basel begleiteten. Man habe ihr bedeutet, vom Kaiser von Österreich sei der Befehl ergangen, daß niemand von denen, die sie im "Tempel" um sich gesehen habe, mit ihr nach Wien reise. Ein derartiger Machtspruch, der sie davon Betroffenen nebst ihren Vertrauten schwer gekränkt habe, erscheine jedoch an sich widersinnig, so daß man beinahe mutmaßen möchte, es sei nur um einen Vorwand zu tun gewesen, durch den der Plan einer Täuschung habe bemäntelt werden sollen. Der Prinzessin selbst sei es höchst unliebsam aufgefallen, daß man auf ihre Wünsche so gar keine Rücksicht genommen und ihr eine Frau v. Soucy, in der anscheinend nach Hennig's Meinung ein gefügiges Werkzeug der Männer an der Spitze des französischen Freistaates zu erblicken wäre, aufgedrungen habe. Nicht minder hebt Hennig hervor, daß weder den österreichischen Bevollmächtigten in Basel noch irgendwem zu Wien die Prinzessin von Ansehen bekannt gewesen sei.

Einen Haupttrumpf glaubt unser Gewährsmann auszuspielen, indem er eine Unvereinbarkeit eines Bildnisses der jungen Gefangenen im Tempelturm mit welchen der Herzogin von Angoulème verficht. Auf jenen zeige das Gesicht eine gerade Nase, wie sie der Königin Marie Antoinette eigen gewesen sei, auf diesen hingegen eine gebogene, die ausgemachte bourbonische. Nun mag zwar ohne weiteres zugestanden sein, daß sich eine griechische Nase nicht in eine römische verwandeln wird, doch ist ja eben für die Dunkelgräfin die Ähnlichkeit der Züge mit dem bourbonischen Urbild als augenscheinlich berufen worden, ohne daß man etwa die Nase ausgenommen hätte. Hier ergibt sich sonach ein offenbarer Widerspruch.

In dem Zweifel, daß die Herzogin vo Angoulème und die Prinzessin Marie Therese Charlotte einunddieselbe gewesen sei, wird Hennig außerdem durch das Benehmen der ersteren gegenüber der vorhin ausgeführten Frau v. Chanterenne bestärkt; an diese habe die Herzogin so selten und dann in einem dermaßen kaltsinnig höflichen Ton einen Brief gerichtet, daß eine solche Verleugnung herzlicher Beziehungen, die doch ehemals zwischen der Königstochter und jener Frau nachweislich bestanden hätten, durchaus unnatürlich vorkommen müsse.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 8-9

Das Geheimnis von Hildburghausen

Teil IV

 

Die Beschaffenheit ihres Verhältnisses zu ihrem Lebensgenossen hat von Anfang her viel zu raten aufgegeben und eine Menge Auslegungen erfahren, um so mehr, als mit der Feststellung gleichermaßen der dichte Schleier des Geheimnisses sicher gelüpft worden wäre, denn darüber, daß sich dieser namentlich um sie gesponnen hat, herrsch heutzutage so gut wie ehedem mögen die Auffassungen sonst noch so weit voneinander abweichen, eine entschiedene Übereinstimmung. Was der Dunkelgraf selbst über seine Miteinsiedlerin nach ihrem Hinscheiden aussprach, beschränkte sich neben der bereits gekennzeichneten Angabe für das Kirchenbuchdarauf, jene sei keineswegs seine Gattin gewesen, als welche sie jemals hinzustellen er sich doch gehütet habe. Wie innig er ihr jedoch zugetan war, scheint, abgesehen von anderen Zeugnissen, aus dem seinem Mund mehrmals entschlüpften Verlangen, dereinst an ihrer Seite beerdigt zu werden, aufs klarste hervorzuleuchten, einem Wunsch, dem unbegreiflicherweise die Erfüllung versagt blieb. Befremdlich mutet es übrigens an und ließ den nie erloschenen Verdacht gegen den absonderlichen Außenseiter von neuem heftig aufflackern, daß dieser nach dem Verlust der Freundin nicht sein Zelt abbrach, zumal da er wiederholt seine Rückkehr unter die Menschen in Aussicht gestellt hattte. Sollte ihn einzig die Gewohnheit am Gängelband festgehalten haben?

Von der Dienerschaft und der äußerst dürftigen Zahl derer, denen sich irgendwann eine Gelegenheit erschloß, das merkwürdige Paar in seinem Verkehr zu beobachten, wurde einhellig befundet, daß es immerdar den Anschein gewährt habe, wie wenn die Frau einem höheren Stand als der Mann entsprossen gewesen wäre, eine Unterschiedenheit, die dieser sichtlich durch sein ganzes Gebaren bekräftigt und erhärtet habe. Daß zwischen den beiden um der tiefen, unüberbrückbaren gesellschaftlichen Kluft willen kein eng vertrautes, mehr als freudschaftliches Verhältnis obgewaltet habe, dahin geht denn auch eine ernsthafte Mutmaßung, doch wie häufig wurde eine derartige scheinbar unüberwindliche Scheidewand vom Wirbelsturm der Leidenschaft erfaßt und, als wäre sie eine Feder, hinweggerafft, auch ohne daß wie hier ein Mann und ein Weib dermaßen aufeinander angewiesen und in Einsamkeit vergraben gewesen wären! Wie, dürften die schwellenden Lippen, zu einem weichen Pfühl für Liebeslust wie geschaffen, dennoch ungeküßt verwelkt sein? Aus einer erklärlichen feinfühligen Zurückhaltung wird gerade in den wertvollsten Abhandlungen dem berührten Umstand bloß eine knappe Erörterung zugemessen, obschon sich dessen Bedeutsamkeit darin vollkommen erfaßt und anerkannt findet. -

So massenhafte Versuche auch, das Geheimnis von Hildburghausen zu enträtseln, im Lauf eines Jahrhunderts unternommen wurden (und welcherlei Hirngespinste, wie das krause, verworrene, man habe die Fremde als die leibhaftige Charlotte Corday anzusehen, liefen dabei unter), einer erhielt sich ungeachtet aller wider ihn erhobene Einwürfe zäher als die übrigen, die Mutmaßung nämlich, daß die Unbekannte aus dem bourbonischen Herrschergeschlecht gestammt habe. Nachdem ein geheimer Rat v. Bibra, dem eines Tages durch einen glücklichen Zufall ihr Anblick flüchtig vergönnt worden war, in ihrem Antlitz eine verblüffende Ähnlichkeit mit den Merkmalen der Angehörigen des genannten Hauses hatte erkennen wollen, war der Anstoß zu jener Behauptung gegeben, die, immer wieder auftauchend, überzeugte Anhänger und Verfechter um sich gesammelt hat. Eine Reihe Einzelheiten, nicht unerheblich in der Tat, mußten stets aufs neue herhalten. Ich führe die Entdeckung des Hofpredigers Kühner an, der auf dem Siegel zweier Briefe des Dunkelgrafen die Darstellung von Lilien wahrnahm, desgleichen die Überlieferung, daß sich unter der Hinterlassenschaft seiner Gefährtin ein paar Hemden, auf die eine Zeichnung von drei Lilienstengeln eingenäht gewesen sei, befunden hätten, sodann eine Meldung eines französischen Blattes um die Mitte der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, wonach man in Thüringen auf die Spur einer vor geraumer Zeit verschwundenen französischen Prinzessin geraten sei, allein aus guten Gründen davon Abstand nehme, die Fährte weiter zu verfolgen, ferner die vielberufenen, freilich auch andere Deutungen zulassende verräterische Aufwallung des Dunkelgrafen in einer Unterredung mit dem Hildburghäuser Obermedizinalrat Hohnbaum: "Herr, Sie wissen gar nicht, welche Verantwortlichkeit Sie auf sich genommen hätten, wenn ich Sie zu der Dame geführt hätte", endlich die dieser von dem Hildburghäuser herzoglichen Paar, nicht minder von der Prinzessin Paul zugewandte achtungsvolle Aufmerksamkeit, ebenso verschwiegen wie nachhaltig.

Welche Fürstentöchter wären es denn aber, die hauptsächlich in Betracht kämen? Nun, erstens eine Tochter des Prinzen Heinrich von Bourbon = Condé, des Herzogs von Enghien, aus seiner Ehe mit Charlotte von Rohan-Rochefort, zweitens eine Tochter der Prinzessin Stefanie Luise von Bourbon = Conti, beide allerdings, was die Nachrichten über ihre ursprünglichen Lebensverhältnisse anlangt, ein bißchen verschwommene Erscheinungen.

Nicht, als ob die Reihe damit geschlossen wäre; nein, nur höher noch zielt eine kühne Vermutung und die älteste Tochter Ludwigs des Sechzehnten, Marie Therese Charlotte selber ist es, die gewissen Forschern als die verzauberte Prinzessin vom Stadtberg vorschwebt. Doch wie? ... Kennt man diese Königstochter nicht vielmehr als die nachmalige Herzogin von Angoulème? Das wohl, und offenkundig liegt die Hauptschwierigkeit für jene Annahme darin, daß, deren Richtigkeit vorausgestzt, das Dasein der Herzogin auf eine Unterschiebung beruht hätte, ein Gedanke, dem auf den ersten Blick geradezu etwas Ungeheuerliches innezuwohnen scheint. Trotzdem mehren sich neuerdings die Stimmen, die dafür eintreten möchten.

 

FORTSETZUNG FOLGT!

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 7-8

Das Geheimnis von Hildburghausen

Teil III

 

Im Urteil der Welt trägt der Dunkelgraf nach wie vor einen Januskopf. Während die einen in ihm einen stillen Helden, Ritter sonder Furcht und Tadel, Träger einer verantwortungsvollen Sendung, beinahe Märthyrer erblicken, gilt er den anderen als ein Abenteurer, Ränkeschmied, Hochstapler, Unhold, der mindestens, um einen Feuerbachschen Ausdruck zu gebrauchen, ein Verbrechen am Seelenleben seiner Genossin begangen habe, allein die Vertreter beider Meinungen stützen sich ausschließlich auf Mutmaßungen und können sich letzten Endes nicht verhehlen, daß sich gewichtige Zweifel und Bedenken gegen ihre Ansichten stemmen. Der Fall sucht eben an Schwierigkeiten, Verwicklungen und Widersprüchen seinesgleichen. Was für eine Menge Hände und welche fingerfertigen darunter haben sich nachgerade abgemüht, den Knäuel verschlungener Fäden zu entwirren, ohne das geringste zu erreichen, wie ihnen denn die unliebsame Einsicht nicht erspart blieb, daß er sich unter ihren krampfhaften Anstrengungen nur noch mehr verknotete!

Gibt's jedoch nicht solche aus der Sippe derer, die das Gras wachsen hören, Siebenfachgesiebte, Neunmalkluge, die da meinen, mit einem unverbindlichen Achselzucken oder einem anzüglichen Lächeln das Ganze abtun zu dürfen? Ein höchst bequemes Schlagwort steht ihnen zur Verfügung: Faule Weibergeschichten! Für sie stellt sich der weltliche Klausner als ein verkappter Schwerenöter, ein heimlicher Don Juan dar. Sie berufen sich vielleicht auf die einzigen Schriftstücke, die dem von ihm im Vorgefühl seiner Auflösung veranstalteten ausgiebigen Brandopfers (es soll einen abscheulichen Geruch verbreitet haben) und zwar wohl kaum aus Versehen entgingen, die so umstrittenen Briefe jener Agnes Berthelemy. Da kommt der biedere Landstraßenwärter zu Ehren, der beobachtet haben wollte, daß bei den Ausfahrten des Dunkelgrafen abwechselnd eine jüngere und eine ältere Frau mit im Wagen gesessen habe. "O matre pulchra filia pulchrior!" heißt's bei Horaz. Schließlich werden dem verdächtigen Einsiedler, der sein Visir mit einer eisernen Beharrlichkeit geschlossen hielt, auch noch mehr Huldinnen zugetraut. Ob nicht übrigens die bezeichneten Papiere von ihm geflissentlich "übersehen" werden und vor der Vernichtung bewahrt geblieben sind, lediglich, damit die Öffentlichkeit auf seine falsche Fährte gelockt würde?

Ebensowenig dürft' es an Leutchen von der "aufgeklärten" Sinnesweise des spießbürgerlichen Schnüfflers Quandt fehlen, den Jakob Wassermann in seinem einheitlich auf eine durchgeistigte Schwermut gestimmten Roman "Kaspar Hauser oder die Trägheit des Herzens" eine Denkübung wie folgt anstellen läßt: "Wo kommt er eigentlich her? Dahinter müßte doch zu kommn sein. Wie hat er sich das alles zurechtgelegt, womit er die Dunkelmänner betört? Ja, das ist eben das Geheimnis, sagen die Dunkelmänner. Geheimnis? Es gibt kein Geheimnis; ich verwerfe das Geheimnis. Die Welt von oben bis unten ist ein klares Gebilde und wo die Sonne scheint, verstecken sich die Eulen".

Hierbei möge mir der Hinweis auf den Polizeirat Eberhard gestattet sein, wie der Mann, eine Art Sherlock Holmes der damaligen Zeit, die spitzfindige Vermutung irgendwelcher Beziehung des Nürnberger Findlings zu den zwei Hildburghäuser Weltflüchtlingen ausklügelte - ein Gedankengang, der sich als unverfolgbar herausstellte; der feinen Spürnase soll überdies nahegelegt worden sein, von den beregten Ermittlungen abzustehe. Dies Zwischenspiel im buntbewegten Erdenwallen seines glücklosen Helden hat Wassermann unberücksichtigt gelassen. Nun ja, er segelt im Feuerbachschen Fahrwasser.

Während sich von vornherein und unwandelbar Mißtrauen und Argwohn an die Fersen des Dunkelgrafen hefteten, kehrte sich dagegen seiner Gefährtin mehr und mehr ein herzliches Bedauern zu. Ob ihre Teilnahme an dem abgeschlossenen Dasein aus freien Stücken erfolgte oder einem grausamen Druck entsprang, blieb die Frage und ganz offenbar überwog die Meinung, sich für die letztere, unzweifelhaft durch verschiedene Umstände gefestigte Annahme zu entscheiden. Ein gleich unerschöpflicher Gesprächsgegenstand für Kaffeekränzchen und Abendstammtische fand sich so leicht nicht wieder. Weit über Hildburghausens Weichbild hinaus erhitzten sich die Gemüter und schwelgte man im Mitleid für die "arme Gefang'ne", um die ohnehin die Mutmaßung von ihrer hohen Abkunft etwas wie einen Strahlenkranz wob. Was wollt' es etwa besagen, daß der Abgesperrten Tag für Tag erlesene Tafelgenüsse warteten und sich ihr niemals auch nur der winzigste Anlaß zu der althergebrachten Klage des Frauengeschlechtes: "Ich hab' nichts Anzuzieh'n" bot! Was ihr gebrach, war die Luft der Freiheit, ein unersetzliches Gut. Im Verkehr sah sie sich auf ihre vierfüßigen Lieblinge ("schöne Namen tat sie ihnen geben, Lilli, Agathe, Zemire) begrenzt, die ihr allerdings mit einer rührenden Zutunlichkeit lohnten, wie denn - ein glänzender Beweis für die Treue dieser vielfach so verkannten, grundlos der Falschheit bezichtigten gefälligen Haustiere - zwei Katzen, an denen sie besonders hing, trotz der sorgfältigsten Pflege, die ihnen der Dunkelgraf angedeihen ließ, ihrer gütigen Herrin rasch nachstarben. Was Wunder, wofern die Dulderin da in der Vorstellung schwärmerischer Seelen die Umrisse eines engelhaften Geschöpfes annahm!

Gemach, ab und zu wird schon bei ihr die Evanatur zum Durchbruch gelangt sein, in dem sie z.B. nach den Aussagen der Dienerschaft mitunter ihrem Gebieter und Ritter zugleich einen regelrechten kleinen Auftritt bereitete. Wenn wir sie aber keinesfalls als eine über die mehr oder weniger liebenswürdigen Schwächen der Weiblichkeit völlig erhabene Heilige zu betrachten haben, knüpfen sich an ihre Erscheinung immerhin so gewinnende Züge, daß ihr Andenken, in eine lebhaftere Strömung rein menschlichen Mitgefühls versetzt, die Zeit überdauert hat.Gemahnt doch bei ihr manch eine Eigenschaftan eine der duftigsten Gestalten der Sage und Dichtung, die holdselige Griseldis.

 

"Nie sprach ein rein'rer Sinn aus schön'ren Zügen

Und wenn auch häufig Schein und Anseh'n trügen,

Ihr Auge, wie den Schatz die blaue Flamme,

Verrät der Seele Wert. Wie Flaum den Pfirsich

Umschattet holde Schüchternheit ihr Wesen

Und Kindeseinfalt lacht von ihrer Stirn."

 

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Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 4-7

Das Geheimnis von Hildburghausen

Teil II

 

Was für eine Bewandtnis hatte es mit den beiden?

Welche Fluten von Tinte, Stöße geduldigen Papiers sind an die der Lösung spottenden Frage verschwendet, wie mannigfache Mutmaßungen, scharfsinnige sowohl als abenteuerliche, auch verstiegene und abgeschmackten darüber aufgestellt worden! Der Gegenstand verlockt ja dazu, ihn zu drehen, zu wenden und weidlich “auszuschlachten“. Wie hätte sich ihn hauptsächlich die erzählende Dichtung entgehen lassen sollen! Kein Wunder, daß sich seiner so ein feinsinniger Seelenmaler wie Adolf Wilbrandt bemächtigte. Doch seine zarte Künstlerhand hat nicht für den großen Haufen geschaffen. Wer den Vogel abschoß, d.h. die zahlreichsten Leser um sich scharte, war Albert Emil Brachvogel mit seinem oft heißhungrig verschlungenen Roman „Das Rätsel von Hildburghausen“. Schade, daß bei dem fruchtbaren Schriftsteller häufig die Bemeisterung des Stoffes mit der Erfindungsgabe nicht Schritt hielt.

Unter den streng sachlichen Darstellungen gebührt unbedingt dem Buch von Kühner der vollständige Anspruch auf eine bleibende Wertschätzung. Indem es den Stempel der Ursprünglichkeit trägt, bildet es eine echte Quellenschrift. Daneben ist das Human’sche als eine durchaus gediegene Arbeit, die ihren Platz behauptet, hervorzuheben. Außerdem steht einigen kleineren Untersuchungen, namentlich der Friedrich Hofmann’s, eine ernstliche, bei alledem vorsichtige Beachtung zu. Wollt‘ ich indes den Troß der Nachkleckser aufzählen, so hieße das meines Dafürhaltens dem Schwarm eine übermäßige Ehre antun. Zumal um die Mitte des vorigen Jahrhunderts schwoll das Schrittum über die zwei vom Dunkel verhüllten Menschenkinder reißend, einer Lawine gleich an und erzielte bei allen Schichten eine ungewöhnliche Aufmerksamkeit, denn tief verankert liegt im Wesen der Erdenbürger die Empfänglichkeit für das Geheimnisvolle, Unerklärliche; dies bedeutet eine Macht, die auf die meisten einen unwiderstehlichen Reiz ausübt, sogar eine träge Einbildungskraft zu beschwingen weiß.

Schon zu seinen Lebzeiten hatte sich der Dunkelgraf, natürlich ständig im Zusammenhang mit seiner Gefährtin, zum Helden eines förmlichen Sagenkreises aufgeschwungen. Die Spannung des Volkes sah sich keine Grenzen gesetzt; sie entlud sich in den ausschweifendsten Vorstellungen und mochte das Zeug, das sie zu Tage förderte, noch so aberwitzig sein, fand es trotzdem gläubige Gemüter. Allerlei Unglücksraben stimmten ein Gekrächz an; dumpfe Unkenrufe wurden hörbar, wie der, daß die rätselhaften Fremden Unheil über Hildburghausen heraufbeschwören würden (am Ende gar kriegerische Verwicklungen). Den Gipfel des Unsinns dürfte das Gemunkel bezeichnen, die Unbekannte werde um deswillen so verborgen gehalten, weil ein Schweinsrüssel ihr Gesicht verunstalte. Kühner dagegen, der sie ein einziges Mal durch ein Fernglas genauer betrachten konnte, wie sie aus einem Fenster einer ihrer Katzen Gebäck in Brocken zum Garten hinabwarf, empfing von ihr den vielleicht etwas überschwenglichen Eindruck tadelloser, mit Anmut gepaarten Schönheit. „Sehr schön“ – so urteilte ebenfalls über sie der ob seines Diensteifers in Hildburghausen nahezu sprichwörtlich gewordene städtische Fluraufseher Stang (beiläufig erwähnt, der Vater des verdienstvollen Gründers und nunmehrigen Ehrenmitgliedes des Leipziger Thüringerwaldvereins Karl Stang), der ihrer einmal auf der Stadtberglandstraße ansichtig ward, als sie die Strecke zu Fuß neben ihrem unerläßlichen Begleiter zurücklegte, ein Begebnis, dessen sich die Wenigsten zu rühmen vermochten. Dawider lehnte sich das Gewisper auf, die Dunkelgräfin habe eine täuschende Larve getragen. So einigten sich nachmals die Klatschbasen beider Geschlechter auf die Schauermär, unter dem Grabhügel auf dem Stadtberg liege nicht der Geheimnisvollen irdische Hülle, sondern eine – Wachspuppe. Um es sogleich hier zu berühren, so erfolgte in den achtziger Jahren eine Ausgrabung, bei der, wie der zugezogene ärztliche Sachverständige feststellte, die Überreste eines weiblichen Körpers aufgedeckt wurden. Natürlich versetzte man danach die Stätte wieder in die vorherige Verfassung.

Daß nach der Anschauungsweise vieler Leute die Dunkelgräfin in dem Licht einer verwunschenen Prinzessin, ihr Hüter wie ein böser Drache erschien, kann schwer befremden. Hin und wieder war’s eine wärmere Regung, eine aufrichtige Teilnahme, die sich mit dem Klausnerpaar beschäftigte, öfter jedoch die liebe Neugierde, plump und roh. Diese aber versteifte den davon angewiderten Mann womöglich noch mehr auf seine stolztotzige Unnahbarkeit: „Odi profanum vulgus et arceo.“ Gleichwohl verschmähte er’s nicht, bei Gelegenheit dem Klatsch sein Ohr zu leihen und verstohlen seine Nachbarn zu beobachten, die wiederum dies mehr als wett machten. Je beflissener und hartnäckiger der meisterliche Geheimnissiegelbewahrer die Frau einem jeden unberufenen Blick zu entziehen trachtete, desto listigere Versuche wurden von jenen ausgeheckt, etwas zu erspähen.

Fraglos verfügte der Heger des lebendigen Schatzes über ein außergewöhnliches Maß von berechnender, mit aller Rüstung, die eine vollendete Menschenkenntnis schmiedet, ausgestatteter Klugheit. Wenn einer, so würdigte er die Macht des Mammons vollauf und erwies sich unerschöpflich, sie für seine Zwecke auszubeuten. Manches vom Bewußtsein der Pfiffigkeit durchdrungene Bäuerlein mag freilich mit einem verschmitzten Schmunzeln zu der Schloßeinsiedelei aufgezwinkert und vor sich hingemurmelt haben: „ Dem Pfaffel sei‘ Geld wenn ich hätt‘, da wollt ich m’r fei‘, e‘ an’er’s Leb’n mach‘“.Als ob es nicht dem aus eigener Machtvollkommenheit Vavel de Versay Genannten eben vornehmlich auf das Ziel angekommen wäre, durch eine überaus geschickte Benutzung jenes einflußreichen Mittels sein Geheimnis zu sichern! Wozu anders schließlich die vielfältigen und belangvollen Spenden, die von ihm den verschiedensten  Wohlfahrtseinrichtungen Hildburghausens all‘ die Jahre zugewandt wurden! Seine Dienerschaft aber, die er sich gänzlich gefügig zu machen wußte, scheint er wesentlich der schnöden Anweisung: Zuckerbrot oder Peitsche abgerichtet zu haben.

Einen ungemein hellen Schein auf sein Wesen, besonders die ihm eigentümliche geistige Überlegenheit (er besaß die Gabe, fesselnd zu plaudern; „seiner Rede Zauberfluß“ ist bezeugt) und herrische Art wirft – so will mir’s dünken – der Vorfall, wo er seinen greisen Geschäftsführer, den Hildburghäuser Ratsherrn Andreä, als dieser, behutsam tastend, ein Wörtchen davon fallen ließ, was für eine brennende Neugier, wer die hohe Unbekannte sei, man in der Stadt verspüre, mit dem kurz angebundenen Bescheid abfertigte: „Ich halte es für gut, wenn Sie in Wahrheit sagen können, daß Sie es nicht wissen“, worauf er an der Klingelschnur zog und dem eintretenden Diener, der sich nach den Befehlen des gnädigen Herrn erkundigte, gebot, die Kutsche für den Gast vorfahren zu lassen. Um jedoch Licht und Schatten gerecht zu verteilen, unterlass‘ ich nicht, anzumerken, daß er später der Witwe des Pfarrers Kühner, seines vieljährigen brieflichen Freundes, schrieb, es habe ihm damals leidgetan, dem alten Mann so begegnen zu müssen. Als ein unerschütterliches Muß wollte er demnach die Wahrung seines Geheimnisse aufgefaßt sehen. Hierher gehört alsdann seine verbürgte Äußerung, daß ihm keine Macht auf Erden sein Geheimnis entwinden solle, er es vielmehr mit ins Grab nehme, womit er zugleich die Richtschnur seines gesmten Handelns ausprägte.

Nun denn, er hat, obgleich die Last des Schweigens trotz der Jahre langen Gewöhnung hauptsächlich in seinen letzten Lebenstagen wie ein Alp auf ihm gewuchtet zu haben scheint, sein Wort uneingeschränkt erfüllt, dermaßen, daß eine Aufklärung auch gegenwärtig noch aussteht. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, welch eine Entwicklung der Dinge es gezeitigt hätte, wäre der Mann vor der Frau verblichen. – 

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Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 3-4

Das Geheimnis von Hildburghausen

Teil I

Randbemerkungen zu einem Nebenabschnitt der Stadtgeschichte von Rudolf Lommer

Das Geheimnis von Hildburghausen ... huhu! - Dem der Sache gänzlich Unkundigen dürft' es bedenklich, beinah' anrüchig klingen, gleich dem Titel einer der vom guten Geschmack in Acht und Bann getanen Hintertreppenerzählungen. Weit gefehlt! Es handelt sich, wie ja größeren Kreisen zum mindesten in Thüringen, sofort einleuchtet, um ein tatsächliches, gewissermaßen sogar geschichtliches Vorkommnis, für das allerdings die Bezeichnung als ein Roman aus dem Leben vollständig angebracht erscheint, den Fall des sog. Dunkelgrafen nämlich und seiner Gefährtin.

Dem Wanderer, der zur wonnigen Sommerzeit seine Schritte aus der am Fuße des nordfränkischen Vorlandes malerisch in ein liebliches Hochtal gebetteten Werra-Stadt südwärts lenkt, die nach der Platte hinaufführende stattliche Straße entlang, winkt unter dem Gewölb üppiger Wipfel vom anmutigen Stadtberg ungefähr auf dessen halber Höhe herab ein lauschiges Häuschen mit einem mattockerfarbenen Anstrich zu. Freundlich an die waldige Lehne geschmiegt, trägt es die weithin erkennbare Aufschrift "Schulersberg", woraus sich alsbald für einen Fremden die zutreffende Vermutung ergibt, es grüße ihn eine Bergwirtschaft. Kein Anzeichen scheint ihm darauf hinzudeuten, daß daselbst ein düsteres Menschenlos seinen Abschluß gefunden hat, vielmehr dünkt ihn die Stätte nichts als holde Lust und behaglichen Frieden zu atmen. Der ganzen Örtlichkeit, überhaupt dort, wo sich der Stadtberg der ihn von seinem schlichteren Bruder, dem Krautberg, scheidenden Straße zuneigt, haftet etwas Altfränkisches und dabei unsagbar Trauliches an; es schwebt um sie ein wundersamer Hauch, etwa ähnlich wie um das Tiefurter Schlößchen und seinen Park, als ob sich aus der Biedermeierzeit, nach der wir uns, bewußt oder unbewußt, wohl manchmal wie nach einem Stück Paradies, einem verlorenen, sehnen, ein Stilleben in die so vollkommen andersartige Gegenwart herüber gerettet hätte. Die oder jene Laube oder Berggartenhütte fesselt den sinnenden Blick, von einem kuppelförmigen Dach gekrönt, auch verwittertes, zerbröckelndes Gemäuer mit einer Mooskruste, von wildem Wein und Epheu umkleidet, während sich am Erdboden Brombeergerank windet, durch das bisweilen eine scheue Eidechse, mit den munteren Äuglein blinzelnd, huscht; darüber gaukeln bunte Falter, summt und schwirrt es von Hummeln und wie die geflügelten kleinen Lebewesen alle heißen, die sich der Sonne, deren Lichts und ihrer Wärme harmlos freuen.

Um aber nach dem Schulersberg (den Namen führt das Grundstück von seinem ehemaligen Eigentümer, dem Kammerherrn v. Schuler) und seiner verschwiegenen Ruhestätte zu gelangen, schlägt der Wanderer zuvörderst angesichts des Stadtberges die sich immer mehr mit netten Landhäusern umsäumende Marienstraße, durch die, wie Bogenenden von einer Sehne, das östliche Viertel der Stadt mit dem westlichen verbunden wird, rechts von der Landstraße nach Franken ein. Nicht weit braucht er zu schreiten, so leitet ihn, bei dem schmucken Landhaus "Georgeneck", das ungeachtet aller Zugeständnisse an den Baugeschmack der Neuzeit eine ländliche Färbung wahrt, links von der Straße ein Fahrweg, an dem einen Rand mit Ahorn-, Linden und Kastanienbäumenbesetzt, ab und gemächlich bergaufwärts. Nach etlichen wenigen Minuten mühelosen Steigens sieht unser Wandersmann von dem Weg da, wo derselbe zu einer Biegung nach links ausgreift, einen Pfad mit Knüppelstufen abzweigen. Er verfolge diesen geradeaus führenden, der durch die Aufschrift einer Tafel an einem Baum als ein "Örtelstieg" ausgewiesen wird. Nunmehr geht's zwischen Buchenjungholz und Haselnußstauden einigermaßen steiler empor; eine Art Hain tut sich auf. Nicht lang, so zeigt sich eine zweite Baumtafel mit dem spannenden Hinweis "Zum Grab der Dunkelgräfin". Bald taucht das Ziel auf.

Nicht, als ob des eifrig vorwärts Dringenden eine besondere Überraschung harrte! Was sich dem Anblick darbietet, fällt eher durch eine nahezu wie eine Enttäuschung wirkende Einfachheit auf. Wenn freilich einem Grab fern von Friedhofsweihe schier ausnahmslos etwas eigentümlich Fesselndes, eine lebhafte Anregung, mehr für das Gemüt als den Verstandinnewohnt, so ist der bescheidene Hügel hier vollens von allen Schauern der Unergründlichkeit umwittert. Kein Kreuzmal, ebensowenig eine Gedenkplatte mit Angaben über die darselbst Bestattete kennzeichnet ihn. Dem Genossen ihres Lebens mag es doch widerstrebt haben, an diesem Platz die unglaubhafte Auskunft, die er einem Hildburghäuser Geistlichen auf dessen Drängen zur Eintragung ins Kirchenbuch erteilt hatte, zu wiederholen: "Sophia Botta, ledig, bürgerlichen Standes, aus Westphalen", (Warum nicht: aus Europa?) Nicht einmal eine noch so unansehnliche Einfriedung grnzt den "Hügel schmal und klein" ab. Graue, von Moos überzogene Quadersandsteine, die in ihrem Gefüge gleichsem den Grundstock eines Pyramidenaufbaus darstellen, trennen ihn vom Weg und gewähren ihm eine Befestigung. Einem von Schlinggewächsen umflochtenen Laubenbogen darüber droht der Verfall. Bloß spärliche Blümchen sprossen aus dem Erdreich. Nun geht zwar das Gerede, fast allsommerlich kämen Fremde von vornehmem Aussehen gewllt, um dort Sträuße und Kränze niederzulegen, ob man jedoch in einem solchen Raunen mehr als eine fromme Sage zu erkennen hat, lass' ich dahingestellt. Auf jedem Fall wäre dem stillen Ort, für den die Aufschrift des Grabes Kaspar Hauser's, des "Kindes von Europa", auf dem Ansbacher Gottesacker "Aenigma sui temporis" gleichfalls zuträfe, mehr Pflege, etwas wie die Hand der Liebe zu wünschen. Tritt man zum Berghang auf eine Art natürlicher Plattform vor, so erschließt sich, freilich von hochaufgeschossenen Bäumen und überragendem Buschwerk ein wenig beengt, einreizender Ausblick nach sanft blauenden Thüringer Waldbergen. Vielleicht, daß es gerade dieser war, der das bedauernswerte Geschöpf einst aufs stärkste anzog, es mit einer wehmütigen Glücksregung erfüllte und bewog, einen feuchten Schimmer in den großen blauen Augen, die überströmenden Gefühle in seltsam gedämpft klingende, abgebrochene Lieder zu ergießen, die ihr unvermeidlicher Begleiter wohl mit gemischten Empfindungen anhörte. Den Letzteren, wie er bei einem ähnlichen Anlaß, die Arme auf der Brust verschränkt (die Lieblingshaltung der Theaterwüteriche), hin- und herschritt, beschrieb einmal der durch seine Stiftung bekannt Rat Vogel, der mit den Augen des Malers sah, und schloß mit den Worten: "Eine unheimliche Gestalt, aber entschieden Kavalier, der die Befehle der Dame erwartete".

Was für eine Bewandtnis hatte es mit den beiden? ...

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Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, Mai 1913, Heft 3, Seite 12

Eine Talsperre soll im Gamsetal bei Pößneck errichtet werden, wozu die Vorarbeiten beendet sind. Das Wasserbecken soll nach den Plänen 1 300 000 Kubikmeter Wasser aufnehmen, und die Sperrmauer soll bei einer Länge von 200 Metern 38 Meter hoch und unten 27, oben 4 Meter dick werden. Für die Ausführung isz vor allem ein möglichst großer Kostenzuschuß von der Regierung notwendig.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, Mai 1913, Heft 3, Seite 11

Die höchste thüringische Gebirgsbahn, die im Bau befindliche Strecke Bock-Wallendorf-Neuhaus a.R.-Lauscha, dürfte schon am 1. Oktober d.J. eröffnet werden, da der milde schneearme Winter die Arbeiten wenig störte. Die neue Bahn, die zwei Tunnels durchfährt und über vier größere Viadukte hinweggeht, findet allem Anschein nach in absehbarer Zeit doch noch eine Fortsetzung, nach verschiedenen Berichten vorläufig wenigstens bis Limbach. Die Bahnstrecke wird mit Ernsttal (770 m) und Neuhaus (828 m) die höchsten Bahnhöfe des Thüringer Waldes erhalten. Die höchsten Punkte der Thüringerwaldbahnen sind: Bahnhof Rennsteig der Strecke Ilmenau-Schleusingen 747 Meter, Bahnhof Neustadt-Gillersdorf der Strecke Ilmenau-Großbreitenbach 694 Meter, Brandleitetunnel der Strecke Erfurt-Ritschenhausen 639 Meter, Bahnhof Steinbach a.W. der Strecke Probstzella-Lichtenfels, 594 Meter, Suhler Friedberg der Strecke Suhl-Schleusingen 586 Meter usw.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 14

Ein neuer Ausflugspunkt bei Eisenach.

Auf dem Wabenberg nördlich der Stadt Eisenach, der seit 1902 die schöne Bismarcksäule tragt, ist ein neues Bergrestaurant errichtet und ein Tierpark angelegt worden. Das Restaurant führt den Namen "Bismarckhütte" und bietet mit seinen großen Gartenanlagen vielen Ausflüglern Platz. Da die Anlage am Südhang des Berges entstanden ist, hat man von dort einen prächtigen Ausblick auf Eisenach unddie Wartburg, sowie auf die Berge des Thüringer Waldes. Der Tierpark enthält Hirsche, Antilopen, Ziegenarten, Lamas, Hühner und Tauben, Füchse, Dachse, Bären, zahlreiche in- und ausländische Raub- und Singvögel usw. Eisenach ist also um eine Sehenswürdigkeit reicher geworden.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 14

Die Dornburger Schlösser sollen, wenn sich Zeitungsmeldungen bestätigen, im Laufe des kommenden Sommers vom Prinzen Wilhelm von Sachsen-Weimar, einem jetzt in Heidelberg lebenden Oheim des regierenden Großherzogs, bezogen werden. Die drei Schlösser, die hoch über der Saale liegen und von prächtigen Rosengärten umgeben sind, dienten früher manchmal als Sommeraufenthalt der Großherzoglichen Familie, die dann im sogenannten Neuen Schloß zu wohnen pflegte. Goethe und sein fürstlicher Freund Carl August, die die Naturschönheiten zu schätzen wußten, haben oft in den Schlössern geweilt.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 14

Von der Ehrenburg bei Plaue

Nachdem im vergangenen Jahre die fürstlich schwarzburgisch-sondershäuserische Regierung die Ruine Ehrenburg, die über dem Städtchen Plaue liegt, an die Kammerherren von Schierholz verkauft hat, stimmte jetzt auch die Stadtgemeinde dem Verkauf der neben der Ruine gelegenen Gastwirtschaft und den dazugehörigen Gartenanlagen an den neuen Besitzer der Burg zu. Die Burg ist eine der ältesten Thüringens, aber schon seit nahezu 300 Jahren Ruine. Ihre Mauern sind von seltener Stärke. Das Innere der Ruine soll jetzt ausgebaut und zu einem Museum eingerichtet werden, wobei hoffentlich das Äußere im wesentlichen unverändert bleibt.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 14

Über die Einrichtung eines Burschenschaftshauses bei Eisenach

wird voraussichtlich die Pfingsttagung der Burschenschafter entgültig Beschluß fassen, nachdem die Behörden dem Entwurf von Professor W. Kreis-Düsseldorf zugestimmt haben. Das Haus soll auf der Göpelskuppe in der Nähe des Burschenschaftsdenkmals erbaut werden und sich dem Landschaftsbild genau einfügen. Das Projekt sieht zwei Säle, Zwei größere Zimmer für ein Burschenschaftsmuseum und die Bibliothek sowie die Wirtswohnung und andere kleine Räume vor.

Thüringer Monatsblätter, 21. Jahrgang, April 1913, Heft 2, Seite 14

Das 40jährige Wirtsjubiläum begeht am 1. Mai d. J. der in Touristenkreisen weltbekannte Wirt der Rothenburg, Herr Günther Reinecke. Am 1. Mai 1873 bezog er die damalige Wirtschaft auf der Kyffhäuserhöhe, zog sich aber dann bei der Vornahme der Denkmalserrichtung nach seinem Hotel an der Rothenburg zurück. Der Jubilar soll die erste Anregung zu der Errichtung des Kaiser Wilhelm-Denkmals gegeben haben, indem er die Nachricht von dem Dahinscheiden des großen Kaisers durch Errichtung einer großen Trauerfahne auf dem alten Kyffhäuserturme in die weite Ebene sandte. Möge diesem alten Burgwirt noch eine langjährige Tätigkeit auf seiner einsamen Höhe beschieden sein.

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