Der betrügerische Wirt
In Brotterode lebte früher ein Wirt, der seine Gäste oft betrog, indem er ihnen nur dreiviertel voll einschenkte. Seine Frau sah aber das betrügerische Treiben ihres Mannes gar nicht gern. Wiederholt sagte sie zu ihm: "Werner, das tut nicht gut!" Doch der Mann scherte sich nicht um die mahnenden Worte.
Nach seinem Tod aber begann es im Haus zu spuken. Der Lärm nahm derart zu, daß die armen Hinterbliebenen kaum noch schlafen konnten. Schließlich ließ die Witwe einen Jesuiten kommen, der den Geist des unehrlichen Wirtes aus dem Haus bannen sollte. Der Jesuit gab sich auch alle Mühe, steckte den Geist nach vielen Beschwörungen schließlich in einen Sack und trug ihn auf den Mommelstein.
Dort hat man den unehrlichen Wirt noch lange spuken sehen. "Dreiviertel für ein Pfund, drei Nösel für eine Kanne", stöhnte das Gespenst, sobald jemand vorüberkam. Lange mußte der betrügerische Wirt sich und den Lebenden noch zur Last fallen, bevor er seine irdischen Verfehlungen abgebüßt hatte und Ruhe fand.
(aus: Der pfiffige Bauer
und andere Volkssagen um Stände und Berufe aus dem Thüringischen
Verlag die Wirtschaft Berlin 1988 2. Auflage)
Der wandernde Geist der Frau Weber
Am Marktplatz von Brotterode lebten einst zwei Schwestern mit Namen Weber. Sie betrieben zusammen einen Kramladen. Aber die eine Schwester war sehr ehrgeizig und betrog die Leute beim Wiegen. Oft gab sie heimlich nur drei Viertel für ein ganzes Pfund. Als sie gestorben war, fand sie im Grab keine Ruhe. Ihr Geist spukte im Haus herum und warf den Mägden nachts die Decken von ihrem Ruhelager.
Vor dem Haus der Webers stand eine grüne Bank. Auf diese setzten sich eines Nachts zwei Männer, denen gerade die Wache im Ort oblag. Da hörten sie ein Geräusch, das näher und näher kam. Plötzlich sahen sie den Geist der Frau Weber vor sich und hörten, wie sie immer vor sich hinsagte: "Ich habe die Leute betrogen - drei Viertel für ein Pfund gewogen."
Als der Spuk gar zu arg wurde, rief man zwei Jesuiten. Die bannten den Geist in einen Sack, den sie in Unterbeerberg an einem Wasser begruben, das davon den Namen Weberwasser erhielt. Manche Leute nannten es auch das "heimliche Hörnchen", weil es an der Stelle nicht geheuer ist, denn der Geist wandelt und schreckt auch dort die Leute.
(aus: Der pfiffige Bauer
und andere Volkssagen um Stände und Berufe aus dem Thüringischen
Verlag die Wirtschaft Berlin 1988 2. Auflage)
Von der Flitterbraut und der Brautjungfer in Brotterode.
In dem Keller des früheren Gemeindewirthshauses ließ sich sonst zu jeder Tageszeit eine gespenstige Jungfrau in dem alten volksthümlichen Schmuck der „Flitterbraut" sehen. Sie war gutmüthiger Natur, und wenn sie auch zuweilen den Leuten im Hause das Licht ausblies, so waren diese doch so an sie gewöhnt, daß sie sich nicht weiter an sie kehrten; allein sie anzureden, hatte doch noch keins gewagt. Da aber die Wirthsleute immer mehr zurückkamen, so wurde das Haus anderweitig verpachtet. So kam noch eines Abends spät ein Reisender zu dem neuen Wirth, bat um Nachtlager und vor Allem um einen frischen Trunk. Die schöne Wirthstochter eilte sogleich in den Keller, und dort trat ihr auch die Flitterbraut alsbald entgegen. Sie hatte das Antlitz und die Gestalt einer am selbigen Tage erst getrauten Freundin des Mädchens angenommen. Dieses trat verdutzt einen Schritt zurück und frug verwundert: „Was machst denn Du da?" Nun vertraute ihr die Flitterbraut, sie sei ein seit Jahrhunderten hierher gebannter Geist und habe die Züge ihrer Freundin angenommen, um angeredet zu werden, weil sie sonst nicht reden dürfe. Sie bewache hier im Keller einen großen Schatz, den wolle sie ihr zuwenden. Sie müsse ihn aber noch vor dem Glockenschlag der Mitternachts stunde von der Stelle rücken, weil sonst der Schatz verschwunden würde und von der Hebung desselben ihre Erlösung abhinge. Hierauf zeigte sie dem Mädchen den Platz, wo der Schatz verborgen lag und ermahnte zur Eile. Halbtodt vor Schrecken theilte die Wirthstochter das eben Erlebte ihren Eltern mit, und diese eilten sofort mit Hacke und Schaufel in den Keller, gruben emsig an jener Stelle nach und hoben bald darauf einen mit blanken Goldstücken gefüllten Kessel heraus. Der Wirth, der auch sonst brav und rührig war, wurde ein reicher Mann, und der Segen erbte in der Familie fort. Die Wirthstochter aber siechte und starb bald darauf. Die Flitterbraut hat Niemand wieder gesehen. Zu gleicher Zeit mit der Flitterbraut ließ sich in der Küche jenes Wirthshauses oft eine Brautjungfer oder „Züchterin" blicken. Sie zupste immer an einer und derselben Stelle eines alten morschen Balkens und ließ sich durch nichts stören, auch selbst wenn sie gescholten wurde. Einer, der sie oft dort thätig sah, bemerkte eines Tages, daß aus jenem Balken einige Fäden heraus hingen, griff zu und zog ein altes, leinenes Geldbeutelchen mit einigen verschimmelten Silbermünzen hervor. Seitdem blieb die Züchterin verschwunden.
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Vom Eisenmanne und der „wölle" (wilden) Eiche.
Am Rennsteig nach Brotterode zu steht ein ungefähr tischhoher Gedenkstein von Granit, „der Eisenmann" genannt. Vor alten Zeiten soll hier ein Fuhrmann dieses Namens ermordet worden sein. Seit jener Zeit spukt es dort droben gar arg in der Mitternachtsstunde. Viele hörten allda ganz deutlich ein unheimliches Querzen, Knarren und Stampfen, als wenn ein mit Sechsen bespannter Frachtwagen vorüberfahre. Andere hörten das Knallen einer Peitsche, noch Andere wollen selbst den bespannten Wagen dort gesehen haben; ein lauter Nothschrei verkündet zuletzt, daß der Spuk an dem Steine angelangt und wieder verschwunden ist. Eine Strecke weiter nach Brotterode hin links am Wege steht die wilde Eiche, die des Nachts ebenfalls gerne gemieden wird, weil es hier Ohrfeigen von unsichtbarer Hand und ähnlichen Spuk gibt.
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Vom Avemark bei Brotterode.
Dicht über dem Brotteroder Schützenhof und zur Seite der Straße nach Kleinschmalkalden liegt ein Berg, genannt „das Avemark". Dort oben stand vor Zeiten eine Kapelle, sie nach Einigen der heiligen Maria, nach Andern dem heiligen Mareus geweiht war und deren Altarbilde besondere Wunderkraft zugeschrieben wurde. Der Sage nach wurde die Kapelle in einen Felsen verwandelt, um sie vor der ihr vom gottlosen Küster drohenden Entweihung zu schützen. Noch ist dort ein wunderlich ausgehöhlter Felsblock zu sehen, den nennen sie die Kirche, einen andern, nahe dabei, die Kanzel. Hier läßt sich ein gespenstiger Küster sehen. Er hat ein Gesicht wie Spinneweben, predigt von jener Steinkanzel herab, erschreckt die Leute und treibt in später Stunde sein böses Spiel mit den auf der Straße nach Kleinschmalkalden oder im Lauterbacher Thale Wandernden, hockt sich ihnen in der Gestalt eines Schaafes auf, bis sie keuchend und in Schweiß gebadet zusammensinken.
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Von der Brautküche bei Brotterode.
Oberhalb Brotterode liegt rechts von der Straße nach dem Inselberg ein schönes Waldgründchen, „die Brautküche" genannt, das von einem kleinen klaren Bach, „die Braut", durchrieselt wird. Dorthin ging eines Tages die schöne, junge Braut eines Brotteroder Bergknappen, um Reißig zu sammeln. Vielleicht hatte sie jenen Wald gewählt, weil dort grade die Gruben, in denen ihr Liebster arbeitete, nahe dabei lagen, und deshalb fang sie, als sie ihr Bündel zusammenbinden wollte, ein lustig Liebchen, um den Bergknappen auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Da aber erschien ihr statt des Ersehnten ein schwarzer Jägersmann, oder wie Andere wissen wollen, ein rußiger Köhler, der ihr allerlei Liebesanträge machte und ihr zuletzt Gewalt anzuthun drohte. Das Mädchen aber blieb sittsam und treu und entsprang flüchtig wie ein Reh dem Schwarzen, der ihr nun mit mächtigen Sätzen nachfolgte. — Plötzlich sah sie sich auf einem schroffen Felsen, und da der Verfolger dicht hinter ihr war, so stürzte sie sich verzweifelnd in die riefe Schlucht. Vergebens suchte jetzt der Schwarze nach dem Mädchen. An jener Stelle aber, wo sie verschwunden, sprudelte von Stund an die schöne klare Quelle hervor, welche noch heute als die „Braut" durch den lieblichen Grund hinrieselt. Aber umsonst blieb auch alles fernere Nachsuchen des Bergknappen nach der Geliebten. So zog er eines Abends traurig von der Arbeit heimwärts, da erschien sie ihm im duftig weißen Kleide und Schleier mit einem grünen Kranze um das Haupt und erzählte ihm ihr Schicksal. Gar bald darauf hat auch der treue Bergknappe seine letzte Fahrt gehalten.
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Von einem Spuk in Brotterode.
Bei Brotterode lagerte einmal im dreißigjährigen Krieg ein Haufen Kroaten auf der nach ihnen auch jetzt noch so genannten Croaten-Eller. Der drangsalirte den Ort gar arg. So erstachen sie neben dem Wirthshaufe auch einen Mann. Der spukt heute noch. Bald steht er in nachdenkender Stellung und mit verschränkten Armen an der Ecke des Wirthshauses, bald geht er am Bache auf und ab. Wem er aufstößt, bringt er nichts Gutes. Ebenso, erzählen sie zu Brotterode, stehe dem Ort eine Feuersbrunst oder sonstiges Unglück bevor, wenn es in einem dort bekannten Hause poltere und rumore.
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Von einem Schatz in Brotterode.
In einer Brotteroder Familie soll noch eine kleine Bergmannshaue zu sehen sein, zu der dieselbe, wie die Sage er zählt, auf folgende Weise kam. Vor vielen, vielen Jahren tritt nämlich einmal die Magd eines angesehenen Kaufmanns, der auf der Vordergasse in Brotterode wohnte, aus dem Felde heimkehrend, wohin sie den Arbeitern das Mittagsmahl getragen, ganz aufgeregt in das Zimmer ihres Herrn und macht diesem die bittersten Vor- würfe, daß er sein Geld so offen in den Hof stelle, um sie, eine arme „Gehülferin", in Versuchung zu führen. Sie, wie Jedermann im Orte, wisse, daß er ein reicher Mann sei, deshalb aber brauche er ihre Treue nicht auf die Probe zu stellen, sie rühre ihm nichts an, stehe aber auch für nichts ein, wenn Etwas davonkommen sollte. Ganz verdutzt folgt ihr der Herr in den Hof und sieht dort einen Kessel voll blanker Goldstücke und oben darauf eine kleine Bergmannshaue. — Hastig greift der Kaufmann zu, doch in demselben Augenblick schlägt die Mittagsglocke. Der Kessel versinkt vor seinen Augen in die Tiefe, die Haue aber hält er noch in der Hand.
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Von der Kirmeßfahne und den Gerechtsamen zu Brotterode.
In Herges wird erzählt, daß Kaiser Karl V. einmal in Brotterode — früher Brunwartesroda — hart erkrankt sei. Da hätten ihn denn die von Herges mit köstlichem Obst und Beeren so gelabt, daß der genesene Kaiser aus Dankbarkeit ihnen das Hutrecht in einem Theile der Brotteröder Waldung verliehen; denen von Brotterode aber, die kein Obst hatten, habe er gestattet, die gefallenen Früchte unter den im Hergeser Feld stehenden Obstbäumen aufzulesen. Die von Brotterode erzählen also: „Die Gemahlin Kaiser Karls V. wurde auf einer Reise in Brotterode von Wehen befallen und wartete daselbst ihre Niederkunft ab, und da sie von den dortigen Einwohnern gar sorgfältig gepflegt und besonders von ihrem guten Biere gestärkt wurde, so schenkte der dankbare Kaiser dem Orte nicht nur einen großen Wald mit dem Fischrecht in den dortigen Bergbächen, sondern verlieh ihm auch das Blutgericht, das Asylrecht während der Kirchweihe und ein Fahnenlehen, nach welchem jeder Hausbesitzer während der Kirmeßzeit das Recht hat, ohne Abgaben Bier zu schänken. Die vom Kaiser dem Orte verehrte Fahne, gemeinhin „die Funn von Karles quintes" ist seit jener Zeit immer wieder erneuert worden. Unter einer Krone ist mit gelbem Garne Keil und Schlageisen gekreuzt und die Inschrift L. V. in schwarzes Tuch eingenäht. Während der Kirmeßzeit weht sie von dem dortigen Thurme." Die Sage wird auch auf folgende Weise erzählt: „Droben in dem Kirchthurmsknopf", so erzählte der alte Peter von Brotterode, „da soll es klar und deutlich aufgezeichnet stehn, was es für ein Bewandtniß mit unsrer Kirmeßfahne und unsern Gerechtsamen und Freiheiten hat. Mir, sagte er, hat es meine Großmutter so mitgetheilt: Vor uralten Zeiten ist es geschehen, daß sich einmal eine vornehme und reiche Königstochter, deren Vater hier gebot, in unserm Walde ganz und gar verirrt hatte und in große Noth und Angst gerathen war. Nun traf sich's, daß eine arme Bergmannsfrau grade dorthin in die schwarzen Beeren ging. Die hörte ein lautes Wimmern, ging drauf zu, fand die Prinzessin und geleitete sie in unsern Ort, allwo sie wegen der ausgestandenen großen Angst heftig erkrankte. Da die Prinzessin viel Theilnahme und die beste Pflege fand, so schenkte sie nach ihrer Genesung dem Orte die großen Freiheiten und Gerechtsamen, und der Vater der Prinzessin bestätigte Alles und gab uns die Kirmeßfahne noch obendrein."
(aus: Sagen der mittleren Werra nebst den angrenzenden Abhängen des Thüringer Waldes und der Rhön von C. L. Wucke)
Die Erzmännchen von Brotterode
Der alte Peter von Brotterode erinnerte sich noch seiner Kindheit, als Fremde in seiner Heimat nach Erzen schürften. Er erzählte: „Gleich hinterhand über dem Ort, wo man eine Stelle ‚Am Erdfall‘ nennt, ließen sich alle Jahre Erzmännchen sehen, die aus fernen Ländern kamen. Ging man auf sie zu, so huschten sie schnell wie der Wind in die kleinen Felslöcher und Spalten, denn sie mieden den Umgang mit den Einheimischen.
Ich habe sie selbst noch gesehen, als ich als Junge einmal Leseholz sammeln ging. Die Männlein waren kaum einen Schuh groß, trugen kleine spitze Hütchen und lederne Schürzchen. Mit ihren langstieligen Hämmerchen arbeiteten sie gar fleißig und geschickt. Als ich auf sie zuging, huschten sie in die Klüfte und blieben verschwunden.“
(aus Venetianersagen von geheimnisvollen Schatzsuchern, gesammelt und neu erzählt von Rudolf Schramm, VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie Leipzig 1985)
Des Hirten Fund
Zwischen Broterode und dem Dorfe Steinbach, das die Broteröder Hexensteinbach zum Unterschied von Steinbach-Hallenberg nennen, steht auf dem Krätzersrasen eine schöne Buche mit weit schattenden Zweigen, unter denen der Boden hart ist, wie eine Tenne, die heißt die Tanzbuche, darum, weil unter ihr in der ersten Mainacht die Hexen aus der ganzen Umgegend tanzen. Einst treibt ein alter Hirte sein Vieh am Morgen aus und findet oben unter der Tanzbuche eine schöne Schnur Bernsteinperlen, hebt sie wohl auf, und wie er Abend eingetrieben hat, geht er zum Bier und zeigt seinen Fund einem Mann, Christ-Papsten, indem er spricht: Ich habe heute doch das beste verdient. Darauf schüttelt Christ-Papst bedenklich den Kopf und sagt: Du hättest ja besser gethan, wenn du das Ding hättest liegen lassen, wo es lag. Wie der Hirte heimgehen will, tritt er außen fehl, kommt auf die nahen Kellerstufen, kommt ins Fallen, fällt die ganze Treppe hinunter und bricht den Hals, das war sein Finderlohn.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Das Ave Maria
Nahe bei Broterode liegt ein Berg, heißt das Ave Maria, nach anderen Ave Marcus; vor Zeiten stand eine Kapelle darauf. Noch ist dort ein wunderlich ausgehöhlter Fels zu sehen, den sie die Kirche nennen, und ein anderer Fels dabei heißt die Kanzel. Dort läßt sich ein gespenstiger Schulmeister sehen, hat ein Gesicht wie Spinnweben, und predigt von jener Felskanzel herab, erschreckt die Leute und hat sein Wesen daselbst. Auch im Lauthenbacher Thal nah dabei ist’s nicht geheuer, hockt sich bei einem alte Holzapfelbaum den Wanderer auf und läßt sich ein gut Stück schleppen, ehe es wieder abfällt. Von Seligenthal kamen Leichenbegleiter, deren Weg nahe am Ave Maria vorbeiging, und war einer bei ihnen, der alte Johannes Eck geheißen; sie gehen von Kleinschmalkalden fort über den Berg im tiefen Schnee bei hellem schönen Mondschein, und wie sie sich umsehen, fehlt einer. Da rufen sie, warten, gehen ein Stück zurück, und da kommt der alte Eck, keucht und ist ganz von Schweiß durchnäßt, der erzählt, daß sich’s auf ihn gelegt hätte, wie ein Schaf, und erst, wie die Freunde ihm entgegen gekommen, sei es von ihm gefallen.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Der flinke Tänzer
Als Landgraf Karl einst im Walde bei Broterode eine Jagd hielt, schoß er einen Hirsch von achtzehn Enden. Darüber war große Freude, und der Fürst stellte im Ort einen Tanz an, dem er selbst mit seiner Prinzessin beiwohnte. Darauf ließ sich vornehmlich ein flinker Bursche im Tanzen mit der Prinzessin trefflich sehen. Und als hernach der Landgraf nach Schmalkalden gezogen war und dort der Bürgerschaft zu Ehren wieder einen Tanz anstellte, war kein Tänzer vorhanden, der es dem Broteröder gleich gethan hätte. Darüber wurde die tanzlustige Prinzessin niedergeschlagen und sah verdrießlich aus, wie nun ihr Herr Vater die Betrübniß seiner Tochter sah, fragte er sie um deren Ursache, und die Prinzessin sagte ihm auch unverholen, daß sie sich ihren Tänzer aus Broterode wieder wünsche. Da sandte der Landgraf eilend hin und ließ seiner Tochter zu Willen ihren Tänzer auf das stattliche Schloß Wilhelmsburg zum Ball holen. Dieser kam voll Freuden und drehte und schwenkte die Fürstentochter also kräftig, daß ihr der stattliche Kopfputz vom Haupt auf den Tanzboden fiel, er aber flink bei der Hand, hob ihn auf, drückte ihn der Tänzerin wieder auf den Kopf und sprach in seinem schlürfenden Dialekt: Da min Tochter, ech will Dr Dien Haid wedder uff’n Kopf druff setze. Immer noch lebt im Volk die Erinnerung an den flinken Tänzer.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Geister und Schätze in Broterode
Neben dem Wirtshaus wurde ein Mann im dreißigjährigen Krieg erstochen, er spukt noch immer; er staht an der Hausecke in nachdenklich sinnender Stellung, die Arme übereinandergeschlagen. Viele haben ihn so gesehen.
Ein Haus ist dort, das man namhaft machen könnte, in dem er kurz war, ehe eine Feuersbrunst ausbricht, oder sonst ein Unglück den Ort bedroht, grausamlich rumort und poltert.
In Hirnichels Haus setzte sich oft abends ein Männchen zu den Spinnerinnen. Andreas Papst war ein Sonntagskind, der kam zu Besuch, und fragte: ei, wer ist denn das alte hockruckerige Männchen dort hinter dem Kachelofen? Niemand sah etwas davon, nur Andreas Papst sah es, weil er ein Sonntagskind war.
Ein altes Haus, in dem es nicht geheuer war wurde abgerissen; im Keller fand man ein kleines Gewölbe, das wollte die Besitzerin durchaus nicht öffnen lassen. Am anderen Tage, nachdem man das Gewölbe entdeckt hatte, fehlte ein Arbeiter und ein Nachbar; man fand das Gewölbchen erbrochen und sah noch deutlich die Spureines Kessels in den Boden eingedrückt. Jene beiden hatten den Schatz in der Nacht heimlich gehoben und sich damit auf und davon gemacht.
In dem angesehenen Haus eines reichen Kaufherren kommt die Magd vom Felde, wohin sie den Tagelöhnern das Mittagessen gebracht hat, und sieht im Hof ein Kesselchen voll blanker Goldstücke stehen. Sie glaubt, ihr Brodherr wollte ihre Treue prüfen, geht zu diesem in die Stube und spricht: Daß Ihr ein reicher Mann seid, weiß jedermann, aber deshalb habt Ihr nicht nötig, das Geld hinaus in den Hof zu stellen, um arme Dienstboten in Versuchung zu führen. Ich rühr‘ Euch nichts davon an und gestehe Euch auch nichts davon, wenn etwas fehlt. Verwahrt Euer Geld, wie sich’s gehört. – Der reiche Kaufherr weiß gar nicht, was die Magd will und geht mit ihr hinaus in den Hof, damit sie ihm das Geld zeige. Da steht es noch dort an der alten Stelle, das Gefäß voller blanker Goldstücke, und eine kleine Henne liegt darauf. Und indem schlägt die Dorfuhr zwölf, da versinkt das Kesselchen; rasch greift der Mann zu, aber nur die Henne bleibt in seiner Hand – das Geld ist fort. Lange ist die Henne der Familie geblieben.
So gehen von Schätzen und Geistern in und um Broterode viele Sagen, die bald so, bald anders erzählt werden, und nur von wenigen noch geglaubt.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Hausgeister ziehen davon
So saßen auch in einer Bergmühle die da stand, wo man es noch die Schleifkothen nennt, ohnweit Broterode zwei Brüder, denen waren zwei Hausgeister auf alle Weise hilfreich und dienstfertig, so daß sich von Tag zu Tag der Reichthum dieser Brüder mehrte. Die Hausgeister aber trugen immer, wenn sie sich erblicken ließen, schlechte und geringe Kleidung, und darauf besprachen sich die Brüder einmal miteinander, daß sie doch den hilfreichen kleinen Gesellen, denen sie die Vermehrung ihres Gutes dankten, neue und schöne Kleider aus schuldiger Dankbarkeit wollten machen lassen; ließen deshalb schöne rote Jäckchen und blaue Höschen nach ohngefährem Maß anfertigen und legten diese neben die Klingen, die die Geister zu schärfen gewohnt waren. Als die Geister die neue Kleidung fanden, sahen sie einander an und sprachen:
Da liegt nun unser Lohn,
Jetzt müssen wir auf und davon.
Sie nahmen die Kleider und fuhren von dannen. Niemals kamen sie wieder.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Der beleidigte Hausgeist
Am sogenannten Mönch, einer großen Waldwiese von Broterode nach der Ruhl zu, stand vor Zeiten eine Schleifmühle, deren Besitzer in gutem Wohlstand lebte. Dieser hatte einen fleißigen Hausgeist, welches die Ursache des Wohlstandes war, denn wenn der Schleifer nur Klingen in die Mühle that, so brauchte er sich nicht weiter darum zu bekümmern, blankgeschliffen und polirt fand er sie wieder. Der Geist ließ sich bisweilen erblicken und war ein wunderlich gekleideten kleines Männchen, das ein seltsam geformtes Mützchen trug, doch machte es der Mühlenbesitzer niemals irre. Nun hatte aber der Geist die Gewohnheit, bisweilen einen ganz eigenthümlichen Ton auszustoßen, und einmal, nachdem die Sache gar lang mit dem Hausgeist und dem Schleifmüllergut gethan hatte, wandelte dem Letzteren die Laune an, jenen Ton, als der Hausgeist ihn wieder hören ließ, nachzuäffen. Von Stund an verstummte der Geist, ließ sich nicht mehr hören und sehen, die Messerklingen blieben ungeschliffen, die Mühle kam in großen Verfall, das Geschäft ging ein, der Mühler mußte in Armuth sterben, und jetzt ist selbst vom Haus keine Spur mehr zu finden.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Die Funn von Karles quintes Kaiser Karolus V. Gemahlin hielt, wie die Sage geht, zu Broterode ihre Niederkunft und wurde von der Gemeinde trefflich bewirtet und gehalten, daher erwieß sich der Kaiser dankbar und schenkte derselben viele Freiheiten, so die große Gemeindewaldung, das Blutgericht und das Fahnenrecht, das an eine Fahne geknüpft ist, welche der gemeine Mann die Funn von Karles quintes nennt und sehr hoch hält. An dieser Fahne (die öfter schon erneuert worden) ist das Bergwappen, Keil und Schlageisen, darüber eine Krone, eingeschickt. Zur Zeit der Kirchweihe, um Jacobi, wird sie nach altem Brauch an einem Montag unter dem Geläute aller Glocken am Kirchturm ausgesteckt und bleibt so acht Tage lang, wie sie auch unter Glockengeläute auch wieder eingezogen wird. Während dieser acht Tage darf jeder Nachbar Bier schenken, selbstgebrautes oder auch fremdes, und in dem Bergbach fischen, der Broterode durchfließt. Dieser Bach heißt Braut, entspringt in der Brautküche, im Inselbergsgraben, nimmt dann den Namen die Lauter oder der Lautenbach an, weil er lauter und rein, und mit lautem Geräusch sich durch das Tal stürzt, und heißt zuletzt die Druse vom Drusenthal und dem Dorfe Drusen. Um die Funn von Karles quintes hat es schon manchen Streit und manchen ernsten Tanz gegeben, und der Name ihres Gebers ist hier mythisch geworden, wie an vielen anderen Orten. Es wollen auch einige wissen, daß die Fahne von Rudolph von Habsburg herrühre, es ist und bleibt aber die Funn von Karles quintes.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Eine Jungfrau auf dem Burgberg Auch in Broterode geht die allgemeine Sage, daß auf dem sich gleich über dem Ort erhebenden Burgberg, auf dem man früher noch die verfallenen Mauerreste der alten Brunosburg gewahren konnte, sich alle sieben Jahre eine weiße Jungfrau gezeigt habe. Sie kam aus dem Fels heraus, in dem ein großer Schatz verzaubert war, den sie hüten mußte bis zu ihrer Erlösung, und ging hinab bis nahe an die dem Ort zunächst liegenden Gärten. Sie trug ein weißes Kleid mit einem roten Band, und ward begleitet von einem Hündchen, das am Halsband eine Schelle hatte. In frühern Zeiten wollen Manche, denen sie auf ihrem Gang begegnet ist, gehört haben, daß sie leisevor sich hin die Worte sprach:
Ein Knäblein von sieben Jahren
Mit weißen Haaren
Kann mich erretten.
Heutigen Tages hört man nicht, daß sie sich noch sehen lasse, vielleicht fand sie ihre Erlösung.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)
Von Broterode Broterode war auch einer der Orte, die in des Inselberges Nähe die Einwanderer von Harz anbauten; noch sind rings um den Ort viele Spuren des alten Bergbaus, Schächte und Berggruben zum Theil versetzt und verfallen. Es steht viel Eisenstein daselbst, und der verlassene Bergbau soll wieder aufgenommen werden, weshalb schon Muthung geschehen. In frühern Zeiten hieß der Ort Brunewartsrode, nach einem Burgschloß, das auf dem Berg dicht über dem Ort stand, daß ein Graf Bruno baute und besaß. Daraus ist in der Folge Braungartsrode, dann Brauerrode und endlich Broterode geworden. Im Thurmknopf der alten Kirche, die jetzt nicht mehr steht, fand sich eine Schrift, die lautete: Diese Kirche ist angefangen worden zu bauen, als ein Mönch Namens Lutherus, wider die Papisten angefangen hat zu schreiben, deme aber das Maul bald gestopfet werden soll. Der altgläubige Prophet ahnte nicht, daß schon wenige Jahre später Luthers Wort und Lehre auch in dieser Kirche gepredigt werden würde.
(aus Sagenkreis des Inselberges von Ludwig Bechstein 1836)