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SPRUCH DES JAHRES

Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.

Johann Nepomuk Nestroy

SPRUCH DER WOCHE

Duldet ein Volk die Untreue von Richtern und Ärzten, so ist es dekadent und steht vor der Auflösung.

 

Plato

 

LUSTIGES

Quelle: Aus dem umgestülpten Papierkorb der Weltpresse (1977)

Rubrik: Das süße Leben

Dallas, Texas - Vor einem Gericht gab Jack Stinney an, er habe seine Frau nur des Spaßes wegen verprügelt. Auf die erstaunte Frage des Staatsanwaltes ergänzte Stinney dann seine Aussage: "Allerdings verprügelte ich meine Frau nur wegen des Spaßes, den sie mit drei anderen Männern gehabt hatte."

Die Lehmänner
Die Lehmänner

Wanderungen durch Thüringen

Ludwig Bechstein

 

Der Dietharzgrund

Felsenthal und Inselberg

Liebenstein

Die Liebensteiner Höhle

Altenstein

Schluß

 

 

Der Dietharzgrund

 

Tambach breitete sich schon, ein ächter Waldflecken, an einem sanften Bergabhange mit 300 Häusern, meist, nach Waldsitte, mit Holz bedeckt, vor den Fusswanderern aus, als der Wagen mit den Damen diese einholte. Die Wiesenmatten leuchteten im Goldglanze der Abendsonne; nahe zur Linken lag noch ein stattliches Dorf, Dietharz, und zur Rechten glühte eine pittoreske, über 100 Fuss lange Felswand, der Spitterstein, hoch über einem grünenden Seitenthale.

 

Der schöne Abend forderte lebhaft zu einem Spaziergang auf; freundlich lockende, stille Thäler münden in den weiten Gebirgskessel, darin Tambach liegt; eines derselben birgt in seinem tiefen Schooss in wildester Umgebung von Felsgeklüft und Gestrüppe und schattenden Bäumen den schönen Spitterfall; allein Otto sah dem Wasserstande des dorther kommenden Baches an, dass im hohen Sommer die Kaskade der Wildniss den weiten Hin- und Herweg nicht lohnen würde, und begnügte sich, denselben seinen Gefährten zu schildern. Eben so wenig glaubte er, dass die Gesellschaft einen Gang nach dem, in einem andern Thale ausquellenden Luthersbrunnen, aus welchem Luther sich stärkte und Genesung trank, da er krank vom Schmalkalder Fürstentage 1537 nach Tambach reiste – lohnend finden würde, und dachte auf eine andre Ueberraschung. Er führte seine Freunde und Freundinnen nach der nahen Tafelglashütte, und ein günstiger Zufall wollte, dass gerade geblasen wurde.

 

Die Dämmerung begann schon im Thale; feierlich-religiöser Gesang der Arbeiter, meistens Böhmen (ein Kruzifix über dem Eingange deutete ihr Glaubensbekenntniss an), begrüsste die Nacht. Im Ofen glühte eine Feuerhölle, rührige Thätigkeit begann. Die Arbeiter regten ihre langen Pfeifen geschäftig; oft eintauchend in die Masse, bald erkühlend, bald erwärmend, schwingend und rollend, bildeten sie die glänzenden Blasen, gaben ihnen Cylinderform, hitzten die Cylinder bis zum Aufspringen, drehten die Öffnung rein ab, sprengten sie der Länge nach, und streckten sie in der Gluth des Reverberirofens, ebneten sie mit glühendem Eisen, brachten sie zum Erkalten in den Kühlofen und gewannen so die glatten Tafeln, die theils dem wohlthätigen Lichte vergönnen, geschlossene Räume zu erhellen, theils zu unbestechlichen Wahrheitpredigern werden, zu welchem Ende auch eine Spiegelfabrik in Tambach in erfolgreichem Gange ist. – Man konnte sich des malerischen Effekts und des eigenthümlichen Eindrucks dieser Anschauungen nicht genug erfreuen, fühlte aber denn doch beim Nachhausegang einige Ermüdung und Abspannung, und suchte zeitig die Ruhe, um am folgenden Morgen sich nicht säumig und noch schlummerbedürftig finden zu lassen.

 

Wandergerüstet trat die Reisegesellschaft am andern Morgen aus dem Gasthofe zum Bären, eben als melodisch läutende Heerdenglocken zahlreich den Ort durchschallten. Der Wagen blieb zurück, denn er hätte nur hemmend wirken können in diesen engen Thälern; mitten im Gebirge sind die Wege für grössere Geschirre untauglich. Auch der eingeschlagene bot häufige Gelegenheit, den Damen hülfreiche Hand zu leisten, wenn bald ein feuchter, schwindelerregender Steg, dorniges Gestrüpp und wasserüberflossene Pfade zu passiren waren; doch erhöhten solche kleine natürliche Hindernisse nur die gute, zu Scherz und Frohsinn geneigte Stimmung der Gesellschaft. Zwischen manchem zaghaften Angstschrei und manchem Gelächter gab Otto seine Erläuterungen, denen mindestens Dame Arenstein sehr aufmerksam zuhörte.

So wurde denn eines der wildromantischsten Thäler beschritten: der Dietharzer- oder Schmalewassergrund, den kein durch die Gegend Reisender unbesucht lassen sollte. Er bietet der Schaulust schon in seinem Eingange eine Felshöhle; das Hülloch über dem Märtersbach (vielleicht Märtyrersbach, wie die Höhle von Heulen?), bietet die mannichfachen Felspartieen der Saalweidenwand, und leitet so immer wechselnd zu einem gigantesken Felskegel, den Altenfels, der eine Ritterburg trug. Bald darauf wurde aber der wichtigste Gegenstand des Thales, der ungeheuer kolossale Falkenstein, sichtbar; senkrecht abgeschnitten, ja gegen das Thal überhängend, überragt er hoch alle Nachbarfelsen. Er wurde als Ziel dieser Morgenwanderung angenommen; in seiner Nähe auf moosgrüner Matte hingelagert, ruhte sich's herrlich aus, und wenn ein Theil der Wandergefährten von der Schönheit des Morgens, vom Reize der Wald- und Bergnatur und von lieber Nähe gesättigt war, so gab es einen andern Theil, welcher die Gaben nicht verschmähte, die der Bediente der Familie Arenstein in einem vorsorglich gefüllten Korbe nachgetragen hatte; vielmehr war der Platz einladend geeignet, geistige und materielle Genüsse zu vereinigen. Als Otto die Sage vom Falkenstein erzählte, während Wagner sich eine Skizze von dem wahrhaft malerischen Porphyrfelsen nahm: dass einst ein oben auf der Höhe spielendes Kind unverletzt, von Engeln behütet, herabgefallen, und mit droben auf dem Gipfel wachsenden Blutnelken unten ruhig spielend von der Mutter wiedergefunden worden sei – auch dass solche Blutnelken Sagenzeugen des oben von grausamen Raubrittern vergossenen Blutes armer Fremdlinge seien, da erfasste Lenz und Wagner ein ritterliches Verlangen, zum Gipfel empor zu klimmen und den Damen solche Nelken zu pflücken. Otto widerrieth freundlich eine den Hals um nichts wagende Galanterie, die auch die Jungfrauen ablehnten. Allein Jene bestanden auf ihrem Vorhaben; sie glaubten, wenn sie den Fels umgingen, ihn leicht erklimmen zu können. Otto ging ein Stückchen mit, zeigte ihnen an der östlichen Seite die schmale und schwer zugängliche, dicht voll Laub gewehte Felsenspalte, durch welche das Aufklimmen zwar möglich, aber auf keine Weise anzurathen ist. Jene machten einen Versuch, standen aber bald von ihrem Vorhaben ab, und brachen, von Otto etwas verspottet, von den Damen belobt, mit den Uebrigen auf. Sie wurden durch einen Bergwald empor- und in ein andres Thal geführt, darinnen Heerdenglockengeläut erklang, darin eine Höhle, der Keller, eine Felswand, der Bielstein, und wieder näher nach Dietharz zu eine in das Thal sanft auslaufende Felsenzunge zu sehen war, welche durchbrochen wie ein Nadelöhr, eine 20 Fuss breite und 10 Fuss hohe, dabei gegen 6 Fuss lange Oeffnung zeigt, und das steinerne Loch genannt wird.

 

Otto äusserte laut sein Bedauern, zu so manchem schönen Punkte dieser Gegend wegen Weite und Unfahrbarkeit der Wege die Schau- und Wanderlustigen nicht geleiten zu können, und verhiess dafür um so grössern Genuss beim Besteigen des Inselberges. In Tambach hielt es nicht schwer, auch für die Freunde ein leichtes Fuhrwerk aufzutreiben, welches sie mit den Damen zugleich wieder nach Reinhardsbrunn zurück bringen sollte, wenn auch hin und wieder auf steilen und gefährlichen Wegen ein wenig ausgestiegen werden musste. Man konnte sich um so eher der Notwendigkeit nachgebend mit einem Pferde begnügen, als Frau Arenstein einem der Herren den vierten Platz in ihrem Wagen anbot, um welchen Otto gern seine beiden Freunde loosen liess, für seinen Theil es für das beste Loos haltend, bei gutem und etwas heissem Wetter nicht in einem bedeckten Wagen rückwärts sitzend, langsam bergauf fahren zu müssen. Lenz war der Glückliche, dem sich in das transportable Gynäceum einzuschwingen und einzuschmiegen vergönnt war; Wagner aber, als er nun mit Otto im ländlich bescheidnen Einspänner allein fuhr, schüttete gegen diesen sein ganzes liebeübervolles Herz aus, wie er für Rosabella glühe und ihren Besitz ersehne.

 

»Ich weiss nur einen prosaischen Rath,« lachte Otto: »wirb um sie, heirathe sie! Mir sind Ehen genug bekannt, die sich auf einer Lustreise zur gemeinschaftlichen Lebensreise anknüpften. Die Mutter ist eine verständige Frau, welche Bildung genug hat, nicht geldstolz zu sein; prüfe die Angebetete, sieh, ob auch Du ihr mehr als flüchtiges Wohlwollen abgewinnen kannst, das Weitere findet sich. Der gerade Weg ist auch heutzutage noch der beste. Man erfleht nicht mehr eine Gegenliebe fussfällig, die sich mit Ernst verweigert, man weint nicht, siegwartisirt nicht, härmt sich nicht ab im sentimentalen Seufzen, und thut wohl daran. Deshalb behält das Herz immer seine Rechte.«

 

Der Liebende seufzte dennoch, und Otto half ihm gleich darauf, da der Wagen von Zeit zu Zeit mit schmerzlichen Rippenstössen fühlbar machte, dass er nicht in Federn hing. Gleichwohl kamen Alle wohlbehalten wieder in Reinhardsbrunn an, wo der herrliche Abend noch im Freien genossen ward, wo auf stillen Promenaden die Herzen mehr und mehr sich aufschlossen, annähernd bewegter schlugen, und in ihnen süsse Unruhe das Walten des allmächtigen Weltbezwingers Eros verkündete.

 

 

Felsenthal und Inselberg

 

Am folgenden Morgen schleierte dichter Nebel das ganze Thal ein; die Damen klagten und zagten, Otto tröstete. »Es gibt einen heissen Tag, vielleicht Gewitter,« sprach er: »uns aber bringt der kühle Morgen ohne Erhitzung zeitig in eine hohe Region, und der Nebel wird bald theils in den Thalschluchten, halb Thau, halb Regen, sich präcipitiert haben, theils in malerischen Wolkenformen ein Schmuck des tiefblauen Aethers sein.«

Es wurde nun alsbald angespannt und rasch nach Gross-Tabarz gefahren; als es erreicht wurde, war der Nebel schon grösstenteils gefallen, nur im Thale rollten sich noch Wolkenschichten wie Vorhänge vor dem Naturtempel wechselnd ab und auf.

 

Tabarz war volkbelebt, die Kirchenglocken erklangen, ein Hochzeitzug jubelte heran. Musikanten arbeiteten im Schweiss ihres Angesichts; Braut und Bräutigam schritten, Hand in Hand, ernst, gesetzt, verschämt; sittsam, doch fröhlichen Antlitzes, folgte eine Schaar blühender Brautjungfern, alle in höchst origineller, wohlkleidender, doch fremdartig erscheinender Tracht, die nur wenig gemein hat mit der andrer Thüringer Walddörfer. Verwandte folgten im höchsten Staate. Da sah man noch Dukaten an Dukaten gereiht als Halsketten prangen, vorn mit grossem goldnem Schaustück geschmückt; Goldflitter glänzten, Rosmarinsträusser dufteten. Rosmarin ist dem Thüringerwäldler bei Freuden- wie bei Trauerfesten Lieblingspflanze. Die kleinen Mädchen hatten alle auch Sträusser vor flimmernden Brustlätzen und seltsame Bänderhaite (Bändermützen) auf dem straff zum Wirbel emporgezogenen Haar, die Jungen aber sahen aus, wie Pariser Gamins, nur etwas derber und plumper; sie trugen feingenähte Blousen, Staubhemden, wie die Strassenfuhrleute sie tragen.

 

Glückwünschend dem Brautpaar ward dies Alles von den Reisenden angeschaut, als gutes Zeichen genommen, und dabei vielleicht eigner Hoffnungen, wie eigner Erinnerungen an solche Freudentage gedacht, dann musste ein Bote gewonnen werden, die Arensteinische Equipage möglichst sicher über die etwas schwer fahrbaren Waldberge nach Broterode zu geleiten; zu gleicher Zeit entliess Otto mit Vergnügen das Tambachische Rumpelkästlein.

 

Schon der Eingang in das von dem Lauchabach durchflossene Felsenthal entzückte die Fremden. Ein Forsthaus und der Schützenhof von Gross-Tabarz zieren das hier ziemlich breite Thal, in dessen ferner Tiefe schon einzelne Felsensäulen erkennbar sind. Weiter den lachenden Wiesengrund aufwärts wandernd zeigten noch technischer Industrie gewidmete Mühlwerke das Walten menschlichen Fleisses, und das näher kommende Auge entdeckte nun mehr und mehr malerische Felsmassen in Säulen und Gruppen, Die Felswand des Bärenbruchs ragt über 100 Fuss hoch mit gewaltigen Zacken und Klippen senkrecht empor; das vorwaltende Felsgestein ist Porphyr, doch findet der Mineralog auch Hornblende, Hornstein und Todtliegendes; nicht minder Granit, Kalkspath, Schieferthon und selbst Steinkohle in diesem zerklüfteten, schaurigschönen Thalgebiete.

 

Langsam, ruhig, schauend-geniessend wandelten die Reisenden das Thal aufwärts; Wagner zeichnete hier und da; Otto wusste zu parkartig geebneten Wegen zu geleiten, die, den engen Thalgrund verlassend, zur Rechten aufwärts führten. Von Zeit zu Zeit stehen bleibend, durch lichte Stellen des Waldgrüns blickend, hatte man sonnebestrahlte Steinsäulen und mächtig aufragende Felszacken zu bewundern; immer noch ballten sich Nebel in diesem düstern Theile des Thales zusammen, vom Haar der Tannen tropfte Thaufeuchte und netzte der Damen Hüte und Schleier. Seltne Waldblumen hoben dürstende Kronen empor, um des Himmels tränkenden Perlenschmuck auf sie niederträufeln zu lassen. Immer höher zog sich der Schlangenpfad an steiler Bergwand aufwärts. Plötzlich schienen senkrecht aufgethürmte Felskolosse den Weg abzuschneiden, doch näher kommend, wurde eine mächtig hohe höhlenartige Oeffnung sichtbar, welche als geräumige Pforte den Durchgang gestattete. Bewundernd trat die Gesellschaft und aufathmend in die erhabene Wölbung. »Diess ist der Thorstein,« sprach Otto: »des Felsenthales schönster Ein- und Ausgang. Aufwärts blickend gewahren wir nichts als Felsen, Büsche und Bäume in nächster Nähe, aber zurück uns wendend, sehen wir von dem gewaltigen Spitzbogen des Gesteins hinab und hinüber auf ragende Felspyramiden, umgrünt von Moos, von Gesträuch umbuscht, hoch über die schlanken Tannenwipfel die nackten Häupter erhebend. Geier und Bussarde umkreisen sie; aus dem tiefen Grunde drunten wird immer noch das Wellengemurmel des Waldbachs vernommen, und wunderherrlich blau ist über dem Grün der Wälder der Bogen des Aethers gewölbt.« Die jungen Mädchen blickten freudetrunken bald in das Thal, bald in liebetrunkne Augen , die nur in ihren Blicken den Himmel suchten und fanden, und nichts störte das stumme Entzücken, das die heiligwaltende Naturstille ringsum hervorrief.

 

Höher stieg man nun empor, immer höher, aber man sahe, dass eine der Natur befreundete mächtige Hand mitten in der Wildniss des Gebirges sichern Pfad gebahnt, auf dass dem Wandrer nicht durch des Weges Rauhigkeit der Naturgenuss geschmälert werde. Sängerstimmen schmetterten noch durch die Waldungen; neben den Tannen ragten hohe Vogelbeerbäume empor. Ein Bächlein kam plätschernd und geschwätzig vom Berg herab entgegen, bald war es nahe, bald rollte es in tiefer Schlucht heimlich rauschend, dann tanzte es wieder silberhell, von Stein zu Stein abfallend, niederwärts. Die Höhe war endlich gewonnen, ein weitgedehntes Plateau erreicht, auf diesem fusste nun erst der Gipfel des Berges, der noch hochaufragend mit mächtiger schroffer Felswand, dem Inselbergstein, in das Thal hinabblickt. Fast wollten die Damen zagen, als ihr Auge die noch zu erklimmende steile Höhe maass, doch Otto tröstete, bat ein wenig zu ruhen, jetzt nicht umzuschauen, und dann, gestützt auf die kräftigen Begleiter, nur muthig bergan zu steigen.

 

Der Gipfel des majestätischen Berges ward erreicht, nicht ohne Anstrengung, da eckiges Gerölle die Schritte öfter hemmte, er ward erreicht, als eben eine grosse Wolke von der entgegengesetzten Seite vom Winde über ihn hingetrieben wurde, die nun sich nach der Tiefe des Felsenthales hinabrollte, Alles einschleierte, wie feiner Nebel jede Aussicht trübte, und schon ängstigende Befürchtung, klagende Ausrufe veranlasste: »Nun werden wir nichts sehen, nun haben wir vergeblich den weiten Weg gemacht!« Doch nicht lange, so zerriss der Schleier, zeigte wie ein Fatamorgana-Bild auf Momente tief unten hellbesonnte Gefilde, Städte, Dörfer, Auen, und verhüllte sie wieder, ehe noch ein Ausruf des Erstaunens sich Luft gemacht. Wie ein graues Gespenst wurde ganz nahe den Wanderern durch den Wolkennebel das gastliche Haus sichtbar, das sie aufnahm, um zunächst Ruhe und Erquickung zu gewähren.

 

Als man nun heraustrat auf den 2949Nach Andern nur 2855. Fuss hohen, sanft abgerundeten Berggipfel, war die obere Luft hell und klar, nur über einzelnen Waldgründen lagerte gekräuseltes Gewölk, und dem Auge war vergönnt, das grossartigste Panorama ringsum zu überschauen, dem Herzen aber, sich an der Gottesherrlichkeit der Natur zu erfreuen. Reiner ätherischer Lufthauch umwehte, umwogte die Schauenden, höher steigerten sich in dieser geläuterten Atmosphäre Gefühle und Empfindungen, die mehr im gefühlvollen Schweigen, in leisen Händedrücken geistiger Zuneigung und Seelen-Verwandtschaft, als in lauten Worten sich verkündeten.

 

Den Berggipfel umwandelnd, deutete Otto die Hauptpunkte des herrlichen Inselberg-Panorama's an, und mit bewaffnetem Auge folgte seinen Fingerzeigen die begleitende Gesellschaft.

 

»Mit dem Norden beginnend,« sprach der Geleiter: »sehen wir die Kette des Harzgebirges den Horizont säumen , der ferne Brocken grüsst hochragend dort die thüringischen Brüder. Zahllose Ortschaften sind verstreut auf der unendlichen Fläche, deren Höhen hier nur als niedrige Hügel erscheinen. Wir können dem Laufe der Bäche und Flüsschen folgen, die sich durch grüne Wiesen hinschlängeln, und wie auf dem Tableau einer Landkarte ihre Vereinigung gewahren. Dort ist Langensalza sichtbar, weiterhin in dessen Nähe Thomasbrück; hier scheinbar an des Berges Fuss liegt Cabarz, weiterhin Langenhain, und dicht am Ende des nahen Waldgebirgs erblicken wir Schloss Tenneberg und ein Stückchen von Waltershausen. In weiter Ferne am Harz hebt der Kyffhäuser sein Haupt. Nun immer mehr dem Ostpunkt zugewandt, erblicken wir Gotha mit dem prangenden Friedenstein, in der Nähe die Sternwarte.

 

Von Erfurt sind nur die Domthürme sichtbar, hinter ihnen steigt der Ettersberg, über den Horizont der blauen Ferne. Direkt nach Osten liegt uns jetzt das Gasthaus des Inselbergs ganz nahe, über dieses hinweg sehen wir die Zacken des Felsenthales, die Wand des Bärensprunges emporstarren, von Waldung rings umgrünt, die sich weithin über den Rücken des grossen Tenneberges erstreckt, auf dem wir herrliche Hochwiesen erblicken, und Laub- und Nadelwaldung im anmuthigsten Wechsel. 

 

Darüber hin erscheint die romantische Berggruppe der drei Gleichen, wir können Neu- und Altdietendorf, Molsdorf, Ichtershausen und noch viele andre Ortschaften gewahren, und zwei hohe Burgwarten, vielleicht Fuchsthurm und Leuchtenburg, ragen über den Saum des Gesichtskreises. Zwischen beiden dehnt sich Ohrdruf aus; wir blicken mit Antheil in die Gegend zurück, wo wir gestern weilten, entdecken Catterfeld und die lichte schlanke Steinsäule des Candelabers. Von da nun streckt sich vor uns gigantisch das Gebirge, zum grössern Theil von grauem Nebel dicht überschleiert, es braut ein Wetter in der Tiefe; nur die fernsten Höhen sehen wir inselgleich aus dem Wolkenmeer auftauchen, den Gückelhahn bei Ilmenau, und die nachbarlichen Gipfel des Schneekopfs und Beerberges, davon ja auch unser Fuss den einen beschritt.«

 

»Weiter nach Süden sehe ich den Fernblick erschwert durch aufsteigende Dünste und durch die Strahlen der ihrer Mittagshöhe scheinbar zueilenden Sonne. In jener Richtung haben wir am Horizont die Gleichberge bei Römhild zu suchen, und finden das langgestreckte Plateau der linken Seite des Werrathales, darauf Dreissigacker mit einer Allee recht gut erkennbar ist. Die Geba streckt sich hoch empor, und ein Stück in das Werrathal hereinblickend sind die drei Breitungen, die Todtenwart, Schwallungen und die Warte der Maienluft über Wasungen zu erkennen. Am Horizont zieht die bläuliche Kette der Rhön mit dem Kreutzberg und dem Gangolf hin, die Region der Basaltkegel beginnt, unter denen die Milzeburg durch besondre Schroffheit sich kennbar macht. Unten am Bergesfuss der freundliche und stattliche Flecken ist Brotterode, den wir hernach bergabwandelnd begrüssen, da die Equipage dort der Eigentümerinnen harrt.« –

 

Der weiblich ängstlichen Frage, ob der Hinabweg beschwerlich? begegnete Otto tröstlich verneinend, und fuhr weiter in seiner Demonstration der aus Vogelperspektive überschauten Gegend fort.

 

»Im Westen sehen wir Salzungen in offner Thalbreite des Werraflusses liegen, mit dem gastlichen Seeberg, und nahe dabei zur Rechten den Krainberg mit malerischer Ruine; nun streift der Blick wieder über unendliche Waldungen des sich überall zum Werra- und Hörseelthal absenkenden Gebirges. In blauer Ferne verschwimmen die Höhenzüge Westphalens, das Vogelgebirge; in dieser Richtung erkennen gute Augen den Herkules der Wilhelmshöhe. Der Meissner streckt seinen Sargrücken in der Gegend zwischen Kassel und Göttingen aus, und aus einer Gegend, die uns nur wenige Orte zeigt, rückkehrend, senkt sich der Blick gern auf die Wartburg nieder, welche hier zwischen dem West- und Nordpunkt malerisch nahe steht; auch die Ruine Scharfenberg und die groteske Felswand des Meissenstein bringen sich noch einmal in unsre Erinnerung. Der Wartberg, der nahe ein Riese scheint, liegt mit seinen Felstrümmern bescheiden zu unsern Füssen. Ihn überragend zeigt sein Nachbar, der Hörseelberg, den kahlgestreckten Rücken, und setzt einen Fuss nach Schönau, den andern nach Sättelstedt. Er beschliesst unsern Rundgang; wir langen wieder auf dem Punkt unsers Ausganges im Norden an.« –

 

Es war auch Zeit, dass dies geschah; die Umstehenden hörten plötzlich einen Donnerschlag, tief unter sich, und erblickten, dem Hause zueilend, eine im Süden stehende graue Nebelwand, die von meteorischer Flamme durchzuckt wurde. Kalter Wind begann zu wehen, entsetzt schrieen die Damen auf, als rasch hintereinander die Schlangen der Blitze wie blaue und feuerrothe Leuchtkugeln emporfuhren – und eilten in das Haus, sich erinnernd, wiederholt gelesen zu haben, dass es durchaus gefährlich sei, auf hohen Berggipfeln dem Spiele der tödtlichen elektrischen Funken zuzusehen. Dieses Schauspiel kann leicht tragisch enden. Der Donner rollte fast endlos in der Niederung fort, das Gewitter hob sich auf Sturmwindflügeln, das Haus stand von Flammen umlodert, und selbst die Herzen der Männer pochten ängstlich; man stand in der Hand des Höchsten und fühlte die eigne Ohnmacht. Doch der Engel des Herrn, der im Wetter erschien, zog mit dem flackernden Blitzesschwerte sausend vorüber, waldeinwärts ballte und rollte sich das leuchtende Gewölk, und gewährte nun, ferner gerückt, die majestätischste Naturscene, die reichlich für die Entbehrung eines, wiewohl zuweilen äusserst prachtvollen, Sonnenauf- oder Unterganges auf dieser Höhe entschädigte. »Ich war einmal, hier oben weilend, so glücklich,« erzählte Otto: »die Sonne sinken zu sehen; es war schon Herbstnähe und der Abendschein hüllte Himmel und Land in lichtes krokosfarbiges Gold. Eine Stunde später entbrannte dunkelglühend die Kugel des Vollmondes; dann folgte eine schlaflose Nacht auf elender Streu, welche Nacht von trunkenen, jauchzenden und sich prügelnden Insassen des nächst unten liegenden Ortes durchtobt wurde; ihr ein kalter, unerquicklicher Morgen, aber ein wunderbarer Sonnenaufgang, denn wie zuvor der Mond, so erschien auch die Sonne durch den Nebel der Frühe wie geschmolzenes rothglühendes Metall.«

 

Das Wetter hatte auf der Höhe nur wenig feuchte Spuren zurückgelassen; der Hinabweg konnte ohne Beschwerde angetreten werden. Freundlich wurde den Damen der Arm geboten, und die kleine Karavane brach auf, eben als eine andre, zahlreichere, etwas übel zugerichtete, anlangte, die einem starken Schlagregen unter dem halb und halb schützenden Gewölbe des Thorsteins mit Mühe entgangen war, und welche die Absicht kund that, auf dem Berge zu übernachten. Man wünschte ihr viel Vergnügen, und wandelte bergein. In anmuthigen Windungen zieht sich der Pfad; ein Botaniker kann sich auf ihm viel für sein Herbarium sammeln. Den Bergscheitel umkriechen nur krüppelhafte Fichten, doch wenig niedriger beginnt üppige mannichfaltige Vegetation. Lenz hatte diesesmal kein Auge für die Seltenheiten der Flora, er hielt Engelbertha's Arm fest in den seinen geschlungen, er schien die Wunder- und Glücksblume der Liebe gefunden zu haben. Die beiden jungen Paare wandelten voran, beobachtet von dem scharfspähenden Auge der Mutter, und diese wusste mit Feinheit von Otto so viel umständliche und nähere Nachricht über alle Verhältnisse seiner begleiteten Freunde auszuholen, als ihm zu geben möglich und ihr zu fernern Entschliessungen erspriesslich war. Sie sah, wie ihre Töchter mit schuldlosester Unbefangenheit den jungen Männern sich harmlos anschmiegten, wollte nicht das kindliche Vertrauen stören, wünschte es aber auch nicht gemissbraucht und geknickt, und liess sich daher von Otto gern in Bezug auf jede Befürchtung beruhigen. So mochten wohl alle Betheiligten mehr in die Zukunft, wie in die Gegenwart ihre Blicke richten, als die Gesellschaft nach dem Marsch einer Stunde in Brotterode ankam, das mit 340 Häusern in einer malerischen Weitung des Gebirges am Fusse des Inselberges liegt. Schon von weitem wurde Musik vernommen, vom Kirchthurm sah man eine grosse Fahne wehen. Es war Kirchweihe in dem langgebauten Flecken; man sah viele stattlich und eigenthümlich geputzte Landleute, darunter das Vorwalten eines städtischen Luxus. Otto erklärte diesen aus dem lebhaften Verkehr hier wohnender wohlhabender Handelsleute en gros, welche hier gefertigt werdende Metall- und Holzwaaren weit versenden. Auch ist Tabaksfabrikation ein bedeutender Nahrungszweig der Einwohner. »Junge Bursche und Männer in unsern Kleinstädten und Dörfern,« sprach Otto bei dieser Gelegenheit: »tragen fast allgemein modische Westen, kurze Jacken von dunkelm Tuch, ebensolche Mützen mit einem Lederschild, seidne Tücher, lange Beinkleider und Stiefeln. Die Pelzpardel, eine Mützenart, welche die alte gemeine deutsche Spielkarte am Unter und Ober zeigt, die bäuerisch zugeschnittnen Jacken, die kurzen Beinkleider von gelbem Leder oder Sammtmanchester, die wollenen Zwickelstrümpfe und derben Nägelschuhe, der ganze ehemalige Staat, schwinden in diesem Theile Thüringens mehr und mehr.«

Das grosse und gutgebaute Wirthshaus war durchwühlt, durchsummt, durchklungen von jungem und altem Volk und der Tanzmusik, dass es schütterte; die Reisegesellschaft sah, während der Kutscher anschirrte, dem fröhlichen, jauchzendlauten Volkstreiben zu; die Kirmsenbursche prangten mit grossen Sträussern, buntseidnen auf die Achsel befestigten Tüchern, und während eine Parthie hier jubelte und tanzte, zog eine zweite Musik heran, Paar an Paar vorüber, einem andern Hause zu. Es gab mannichfaltige Abwechselung des Putzes, und schöne, freudeglühende Mädchengesichter zu betrachten.

 

Aus diesem lebensfrohen Getümmel eines dem Volke wohl zu gönnenden nationellen Festes fuhr die Gesellschaft, (Otto hatte wieder einen Rosinante aufgetrieben und sass mit Lenz in einem ländlichen Cabriolet, Wagner als Glückskind bei den Damen) in das äusserst romantische Drusenthal ein, durch welches ein Bergfluss, die Lauter, mit lautem Ungestüm abwärts eilt, und in tollen Sprüngen über Granit- und Porphyrblöcke stürzt, vergrössert durch immerwährend einfallende Rinnbächlein vortrefflich bewässerter und darum herrlich grünender Wiesen. Otto machte seinen Begleiter auf die mannichfaltigen Arten vorkommenden Gesteins aufmerksam. Granit, Syenit, Gneiss, Feldspath, Quarz, Amethyst, Glimmer und Hornblende finden sich oft neben einander, auch Gabbro, Saussurit und Bronzit kommen vor.

 

Auf gut chaussirtem Fahrwege ging es, zunächst einem Zainhammer, dann einer Schleifmühle vorüber, nun thalein. Massen von Felsblöcken liegen umhergestreut und im Bette des Baches; weiter abwärts ragt mitten aus grüner Waldung thurmähnlich ein Felsobelisk: der Hauptstein, empor. In sanften Windungen folgt die Strasse dem Thale, bis ihr fernerer Lauf dem vorausspähenden Auge sich entzieht, und von einer Felswand verschlungen oder aufgehalten zu werden scheint, die, je näher der Reisende kommt, immer imposanter, immer pittoresker sich darstellt.

 

Ein Granitberg zerborst und überstreute mit gewaltigen Trümmermassen das hier enge Thal. Den Einsturz drohend, steht noch mit überhängenden zerklüfteten Klippen die rechte, von Blumen und Buschwerk reizend bekleidete Felswand. Der Bergfluss sucht tosend durch das mühsam gewühlte Bette die Bahn, und stürzt in schäumenden Wasserfällen weiter. Dort in der grotesken, aber anmuthig beleuchteten, entzückenden Wildniss rasteten die Reisenden lange, und gaben sich betrachtend, zeichnend, mittheilend, und wild mit einander kämpfende Elementarkräfte sich vergegenwärtigend, den mächtigen Eindrücken hin, welche die vorzüglichste Parthie des oft besuchten Drusenthales erregt.

 

Liebenstein

 

Bis zu den nahen Dörfern Au-Wallenburg und Herges die kleine Strecke zu Fuss im gemeinsamen Genusse der Natur wandelnd, denn dorthin waren die Wagen einstweilen vorausgesandt, wurde noch manche Merkwürdigkeit betrachtet. Schwerspathgänge treten aus der mit Glimmer untermischten Granitwand zur Rechten; das Thal erweitert sich, und in Entfernung einer kleinen halben Stunde ragt hoch in die Luft die hohe Thurmsäule der Wallenburg. Man war den Vorbergen des Waldes genaht, die sich zum Werrathal hinab allmählig verflachen. Eine andre, zum Thüringer-Walde nicht gehörende niedre Bergkette zieht längs desselben bewaldet hin. Nahe einem Eisensteinbergwerke, der Mommel, vorbei, fuhren nun die Reisenden über sanfte Anhöhen, bis in geringer Weite von Liebenstein Otto anhalten liess, und seine Gesellschaft nur eine kleine Strecke zur Rechten seitwärts führte, einem am Fusse der Ruine Liebenstein hinstreichenden schattigen Thale zu, das vorzugsweise das Thüringer-Thal heisst. An dessen Eingang stand früher eine malerische Felswand, welche aber zum Behufe des Chausseebaues theilweise verwendet, nicht mehr bedeutend ist, und in deren Nähe, mitten im Wege, ein Stein liegt, darin einige Vertiefungen sichtbar. »Diese Vertiefungen,« erzählte Otto: »nennen die Anwohner den Eselsfuss, wie die Felsen dort den Eselssprung, und haben davon die wunderliche Sage: dass der Herr Christus auf seiner Eselin den Felsen herabgeritten sei, und letztere ihre Fussstapfen dem noch da liegenden platten Steine eingedrückt habe.« – Mannichfache Feldspathe und Hornblenden finden sich hier, und überhaupt ist dort ein Terrain betreten, welches im Umkreise von wenigen Stunden dem Geognosten und Mineralogen höchst interessante Anschauungen, wie nicht minder reiche Ausbeute für den Sammeleifer gewährt.

 

Das Bad Liebenstein war erreicht, die Reisegesellschaft trennte sich auf kurze Zeit; die Damen suchten ihre Zimmer. Otto machte für sich und die Begleiter im Kurhause Quartier, verliess dieses aber bald mit ihnen, um unter den anmuthigen Schatten der vor dem ansehnlichen Hause stehenden Kastanien- und Lindenbäume theils Bekannte zu begrüssen, theils seine Freunde diesen vorzustellen, und ihnen Manches zu zeigen, das er den Damen bekannt voraussetzen konnte. Dies that er, nachdem man sich mit Dionysos Gaben erquickt und gestärkt hatte. Schon beim ersten Verweilen priesen die Freunde des Badeortes anmuthige Lage am Fusse des höhern Gebirgs, dessen Nähe ihm eine reine und gesunde Luft sichert. Zum Brunnenhause hinabgeführt, das, eine Rotunde in einfach edlem Styl, auf einem freien Platze steht, in der Nähe des Theaters und des Badehauses, wie der Postexpedition, wurde die Mineralquelle des Liebensteiner Wassers gekostet. »Die chemische Analyse dieses Sauerbrunnens,« sprach Otto: »vindicirt der hiesigen Quelle mehr Eisengehalt als der Pyrmonter, welcher sie auch in ihren übrigen Bestandtheilen am nächsten kommt, daher die gleiche, erfolgreiche und oft bewährte Heilkraft.«Ausführlichste Nachricht über das Bad und seine Umgebung ist in folgendem Werke zu finden: Die Mineralquelle zu Liebenstein, ein historisch-topographischer und heilkundiger Versuch von Dr. T. H. G. Schlegel, Ordensritter, Geh. Hofrathe, Hofmedicus etc. Brunnenarzte zu Liebenstein. Meiningen, Keyssnersche Hofbuchh. 1827.

 

»Die Quelle diente schon vor einigen Jahrhunderten den Einwohnern dieses und der Nachbarorte als oft gebrauchter Gesundbrunnen. Sie wurde zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts gefasst, und zu Ende des achtzehnten durch Herzog Georg von Sachsen-Meiningen die Anstalt ins Leben gerufen, welche bald aus Nähe und Ferne zahlreiche Kur- und andre Gäste herbeizog. Allmählig entstand für Hofhaltung, Badewirthschaft, Vergnügung und Bequemlichkeit ein Neubau nach dem andern, und neben der irdischen Sorge für ein Theater, für Marmorbäder, Logis, Promenaden u. s. w. wurde auch des Ueberirdischen gedacht, und die freundliche Kirche dort oben am Bergesabhang frei stehend und weit sichtbar errichtet. Die Ursachen, warum sich Liebenstein nicht mehr solcher Frequenz wie ehedem zu erfreuen hat, liegen ebensowohl in allgemeinen Zeitverhältnissen, als in manchen örtlichen, und es ist nicht unmöglich, dass das Bad, jetzt freilich nur mit bescheidnen Mitteln fortgepflegt, wieder einmal huldvoll vom Scepter der Mode berührt werde. Da es keine warmen Quellen hat, und eben nur ein in geeigneten Krankheitsfällen hülfreiches Stahlwasser bietet, bleibt natürlich die Sphäre der Wirkung desselben in gewissen Grenzen.«

Otto zeigte auf der von schlanken Pappeln und Linden beschatteten Promenade hinauf nach dem aus Waldesgrün hochaufragendem Ruinenschloss, das von der untergehenden Sonne hell angestrahlt, die Gegend schmückte, dann in der Richtung nach der Kirche hin auf eine pittoreske Felsgruppe, und sprach: »Morgen bin ich euer Führer, dort hinauf und dort hinüber. Ihr schenkt wohl gern noch den morgenden und auch den folgenden Tag – wenn nicht dieser Gegend, doch dem Anziehenden, was sie für euch jetzt in sich schliesst. Bald fällt der Trennung trüber Wolkenschatten auf die Herzen, sonnen wir daher uns Alle noch recht seelenfroh im heitern Lichte der Gegenwart und – der Gegenwärtigen.«

 

Der Platz unter den Linden hatte sich mit Badegästen und Bewohnern der Nachbarorte angefüllt, es war lebhaft, ohne beengendes Gewühl. Otto führte die Freunde dem Erdfall, oder der Grotte zu, einer der anziehendsten, reizendsten Parthien Liebensteins in nächster Nähe des Kurhauses. Amphitheatralisch steigen um den freien Raum, der mehr als tausend Menschen zu fassen im Stande ist, den hohe Bäume überschatten, bewaldete Höhen empor. Im tiefen Grunde gähnen Höhlenschlünde, quillt ein starker Bach hervor; über ihn wölbt sich auf Stufen zugänglich, eine geräumige, mehr als 100 Fuss tiefe Grotte. Hier in diesem immer kühlen Raume wird bisweilen an heissen Sommertagen gespeist, und ein festlicher Abend sieht den Erdfall bis hoch in die Baumwipfel hinauf mit flimmernden Lämpchen erleuchtet, was einen magischen Anblick gewährt.

Das Zeichen ertönte, welches die Gäste des Kurhauses zur Abendtafel rief, an dieser fanden sich die Reisegefährten wieder zusammen und besprachen den morgenden Excurs. Frau Arenstein war gütig genug, auf Lenz und Wagners Bitte, ihre Theilnahme nicht zu versagen, obgleich ihr die zu schauenden Parthien bereits alle wohl bekannt waren.

 

Als bereits tiefe Nacht schattete, nichts mehr hörbar war als das Plätschern der Fontaine, das Rauschen der Brunnen, waren die Gefährten noch wach; sie hatten den Freundinnen eine Ueberraschung zugedacht. Otto entwarf schnell für die Freunde ein Liedchen, gewann das Sängerchor des Ortes, und vor den Fenstern, wo Engelbertha und Rosabella ruhten, wallte süssmelodischer Nachtgesang empor:

 

»Flüstre linde, flüstre leise,
Liebesstimme, durch die Nacht;
Schwinge dich in sanfter Weise
Aufwärts, wo die Liebe wacht.
Gute Nacht – gute Nacht!«

»Schwebe, Lied, empor und sage,
Wer ihr Huldigung gebracht,
Und ans Herz leg' ihr die Frage:
Ob sie liebend sein gedacht? –
Gute Nacht – gute Nacht.«

»Gute Nacht! Durch Hoffnungsräume
Wandle, reich vom Glück bedacht!
Horch! Es tönt in Deine Träume:
Gute Nacht, ja gute Nacht!
Gute Nacht – gute Nacht.« –

 

Freundlicher Dank flüsterte mit ähnlichem Grusse von oben nieder.

 

Die Liebensteiner Höhle

 

Es brach ein reiner Morgen an, der auf die schöne Gegend die Fülle blitzender Thauperlen goss. Die Reisegesellschaft fand sich bald zusammen; Andern war, um unwillkommenes Anschliessen zu vermeiden, der Plan diesmaliger Wanderung verschwiegen worden; es schien eine stillschweigende Uebereinkunft, die kurzen Stunden, die dem Beisammensein noch vergönnt waren, ohne Beimischung fremder Elemente zu verleben; jeder Einzelne sah übrigens mit einiger Befangenheit dem Wendepunkt entgegen, da vor seinem Eintreten sich noch Wichtiges entscheiden sollte, denn noch war eine laute Erklärung nicht erfolgt, doch hatte Otto den guten Glauben, dass die Freunde mit einer solchen nun nicht lange mehr zögern würden. Er leitete die Gesellschaft auf den anmuthigen Wegen des Ruinenberges empor, von denen aus sich eine herrliche Aussicht in das Thal der Werra eröffnet, und weilte mit ihr an dem schönen Bernhardsplatz, an welchem Ruhebänke zum sinnigen Verweilen, wie zum Betrachten der reizvollen Landschaft einladen. Lieblich schallte durch die Morgenstille die Musik der Herzoglichen Hautboisten vor dem Kurhause herauf. Frau Arenstein, heute ernster gestimmt erscheinend, als es sonst der Fall war, liess sich zum Ausruhen auf einer der Bänke nieder, indem sie zu ihren Töchtern sagte: »Geht nur einstweilen mit unserm Freund Otto voran, liebe Kinder.« Der Genannte verstand den Wink; er wandelte mit den erglühenden Töchtern aufwärts, er sah ihnen offen in die schönen Augen, er brachte das Gespräch auf seine, bei der Mutter noch weilenden Freunde. Rosabella lächelte durch Thränen auf zarte Fragen, Engelbertha's Wangen wurden zur liebeverkündenden Purpurrose, ihre dunkeln Augen strahlten die Gluth der Empfindung aus, die sie erfüllte. Alle Gefühle waren in Aufregung. Otto suchte diese erhöhte Stimmung, ehe sie begann peinlich zu werden, durch geeignete Anklänge in sanften Frieden des Herzens zu verwandeln.

 

Die Ruine trat jetzt bei einer Biegung des Weges imposant und malerisch entgegen. Ihr zuschreitend, sprach der Führer: »Auf diesem reizenden Hochpunkte fanden sich oft schon liebende und zärtliche Herzen, schloss sich mancher Bund für das Leben. Fernhergekommene gesellten sich in traulicher Annäherung nicht minder Fremden, und verwandte Seelen begegneten sich, geleitet von der allmächtig und unerklärlich waltenden Sympathie. Möge auch heute sich Schillers Wort bethätigen, wie bestätigen: »Neues Leben blüht aus den Ruinen,« und Ihnen, meine holden, jugendlichen Freundinnen, in dem malerischen, entzückende Aussichten gewährenden Trümmerhause, das wir jetzt, über jene Bogenbrücke schreitend, zu betreten gedenken, der Segen einer treuliebenden Mutter, bei der aufrichtigen und hochachtungsvollen Werbung gesitteter, gebildeter und kenntnissreicher Jünglinge, einen neuen Lebensweg, wie reizvolle Aussicht in eine schöne Zukunft eröffnen!«

Solchen treugemeinten Wünschen vermochten die bewegten, von Gefühlen überstürmten Jungfrauen nur mit hervorquellenden Thränen zu danken; Otto liess sie allein in der Ruine, wo sie einander schwesterlich in die Arme sanken, und ging den Heraufkommenden entgegen, in deren heitern Blicken er die Erfüllung allseitiger Wünsche las, und nun Zeuge einer Wonnescene wurde, auf welche der Himmel selbst segnend herabzulächeln schien.

 

Wie billig, unterliess er bei solch freudenreicher Bewegung alles Reden von Geschichte und Sage der Burg Liebenstein, selbst naheliegende Wortspiele; vielmehr führte er von da ab, nachdem mit besonderm Wohlgefallen ein Blick durch eines der Burgfenster auf Steinbach geworfen worden war, die geliebten Liebenden tief in den Wald hinein, auf schattigen Pfaden zu einer sehenswerthen Felsgruppe, die bei den Vornehmen unter dem Namen des Felsentheaters, beim Volk unter dem der hohlen Scheuer bekannt ist. Nicht unpassend nennt der Dichter Friedrich Mosengeil sie in seiner Schilderung des Badeortes die stille Kirche. Es ist ein Naturtempel, ganz geeignet in höher gestimmten Gemüthern, im tiefen Schweigen der Einsamkeit, unter Blättergeflüster und Wipfelrauschen Andachtgefühle zu erwecken, und an Mahlmann's unsterbliches Vater unser zu erinnern:

 

Du hast Deine Säulen Dir aufgebaut,
Und Deine Tempel gegründet. –

 

Von dieser einsiedlerisch versteckten offenen Felsenhalle, aus welcher sich das bedeutende Dorf Steinbach wieder recht freundlich erblicken lässt, leitete nun Otto die zwei liebeseligen erklärten Brautpaare und eine im Glücke der Kinder schwelgende, hoffnungsselige Mutter aus dem Walde der Thalwiese zu, um über blumengeschmückte Pfade die nicht lange Strecke zu wandern, die zwischen dem Ruinenberge und der, bald Liebensteiner, bald Altensteiner Höhle genannten grossen Naturmerkwürdigkeit liegt. Sich imposanten Felskolossen, die von grünen Matten aufstreben, nähernd, wird zugleich die Ruine zur Linken, ein Theil des Badeortes mit der Kirche im Vorgrund, und eine von dort bis nahe an Glücksbrunn gezogene Allee erblickt, so dass sich ein mannichfach heitres Landschaftbild herausstellt. Glücksbrunn, mit schönem Schloss und bedeutenden, mit Dampfmaschinen betriebenen Fabriken, war ehemals ein Hüttendorf; nahe dabei breitet sich der Flecken Schweina mit zahlreichen Häusern aus.

 

Auf dem Wege erzählte Otto: »Es war im Jahre 1799, während Herzog Georg bemüht war, die Umgebungen Altensteins und Liebensteins in einen grossartigen Naturpark umzuwandeln, als beim Bau der Chaussee, die wir betreten, von den Arbeitern eine in die Tiefe hinabgehende kleine Öffnung gewahrt wurde, aus der ein starker Luftzug drang. Diese ward erweitert, Bergleute mussten hineinsteigen, es wurde eine der grössten Höhlen Deutschlands entdeckt, allmählig aufgeräumt, durch einen Stollen von der Seite bequem zugänglich gemacht, gefahrdrohende Stellen wurden durch Mauerwerk unterstützt, auf und ab in den Gängen Treppenstufen angelegt, und so geschah es, dass diese Höhle von allen ihren deutschen Schwestern die comfortableste genannt zu werden verdient, denn der Besuchende wandelt in ihr sicher, trocknen Fusses, braucht nicht in ein Bergmannshabit, auch nicht auf dem Bauche zu kriechen, so wenig wie Leiter auf und Leiter ab zu klettern.«

 

»Du machst mich in der That sehr neugierig,« sagte Lenz: »Schon die Knochen, welche hier gefunden wurden, und die ich in Meiningen sah, haben ein grosses Interesse für diese Höhle in mir erregt. Findet man deren noch mehr?«

 

»Leider, nein,« musste Otto bedauernd antworten. »Im Anfang wurde des merkwürdigen Fundes zu wenig geachtet, zu viel davon verschleppt, so dass nur der kleine Rest übrig blieb, den ihr gesehen habt; später hat man zwar noch tief in das Bergesinnere streichende Höhlengänge, aber keine weitern Fossilien entdeckt. Auch mangeln der Höhle, die aus Alpen- oder Rauhkalkgestein gebildet ist, Stalaktiten, und selbst gewöhnlicher Sinter kommt nicht häufig vor.«

 

Vom Fahrwege abwärts leitete Otto seine Gesellschaft zu einer schattigen Stelle; dort harrte bereits die Equipage der Frau Arenstein, mit den Mänteln der Damen von dem Führer vorsorglich hinbestellt, auch war mit Licht und Fackeln der Aufseher der Höhle bereit, denn es war eben kein Sonntag, wo in der Regel, während der Badesaison, einige Vormittagsstunden die ganze Höhle durch Lämpchen erleuchtet wird. Indessen stellt sie sich bei Fackelschein noch imposanter auf die Sinne wirkend dar; das an den hohen zackigen Wölbungen gebrochene Licht, die dunkeln Schlagschatten, ihr rascher Wechsel machen einen ganz eigenthümlichen Eindruck.

 

Durch den vom eiskalten Luftzug durchströmten Stollen musste rasch geschritten werden, die innere Temperatur der Höhle ist durchaus gemässigt, und belästigt nie durch empfindliche Kühle. Da, wo die eigentliche Höhle betreten wird, ist eine Seitenkammer als Ort der Entdeckung bemerkenswerth. Im Innern steigt der Weg, der stets breit genug ist, dass mindestens zwei Personen bequem neben einander gehen können, und nach wenigen Schritten wird zur Rechten eine Seitengrotte sichtbar. Eine zweite an dieser Seite, gross genug, um acht Menschen zu fassen, bewahrte früher die Knochen. Immer breiter wird der wohlgebahnte Weg, höher empor steigt das Felsengewölbe, eine geräumige Halle breitet sich aus. Zur Rechten führen Stufen empor, und es zieht sich von da ein Gang ziemlich weit in die Tiefe. Zur Linken in einer Höhe von circa 30 Fuss bezeichnet ein Eisengitter den Standpunkt der Musiker, die an solchen Tagen, wo die Höhle erleuchtet wird, durch sanfte Harmonien den Genuss erhöhen; Musik ist, zumal mit einem Echo verbunden, in diesem dunkeln, unterirdischen Labyrinth, von ganz besonders magischer Wirkung. Zu jener Plattform windet sich ein Seitengang im Innern des Berges empor. Er blieb nicht unbetreten, da der Herabblick von der Plattform erst recht geeignet ist, die ganze Grösse der mächtigen Wölbung zu überschauen.

 

Sich wieder verengend leitet der Gang im Bogen von der Linken zur Rechten 32 Schritte lang zu einer abermaligen weiten Halle, von der ein 36 Schritte langer Seitengang nach Rechts streicht. Sechzehn halbrunde Stufen führen von diesem Gewölbe abermals zu einer Plattform empor, ein starkes Rauschen wird hörbar, eine Oeffnung, sichernd mit Steinen umfasst, zeigt sich, und in dunkler Tiefe wird das Brausen eines Bergwassers vernommen.

 

Auf wieder schmaler gewordenem Pfade leitete Otto die staunenden und bewundernden Freunde zu einem kleinen Seitengange, winkte den Damen zu, ihm die beabsichtigte Ueberraschung nicht zu verderben, liess, mit Licht versehen, die kleine Gesellschaft an einem, das Weiterschreiten hemmenden Eisengitter stehen, und eilte mit dem Führer hinweg. Jene schauten erwartungsvoll in die Tiefe, wo das Wasser gewaltig rauschte; jetzt zuckte drunten ein Lichtschimmer, klang ein leiser Harmonikaton, wie aus einer andern Welt; heller kam der Schein, und siehe, auf einem Nachen fuhr Otto mit dem Führer heran. Rothe Gluth blitzte auf; von Rothfeuer plötzlich magisch überflammt, stand das unterirdische Wasser, die hohe Wölbung, und es zeigte sich ein antiker Tempel an dunkler Felswand aufgebaut, bis nach dem überraschend herrlichen Moment Alles wieder in dämmerndes Dunkel schwand und die Schiffenden sich verloren. Nun vertraute Otto die Gesellschaft dem Höhlenführer an, der sie zum Wasser hinab leitete und sie den Nachen beschreiten liess. Auf der acherontischen Welle sanft zwischen Felsenmauern hingleitend, schifften sie in die hohe Wölbung ein, und blickten empor, wo Otto's Licht, der oben weilte, wie ein Stern erschien, und auf die kleine Cascade, die der die Höhle durchströmende Bach bildet.

 

Noch einmal das pyrotechnische Experiment wiederholend, liess er in purpurne Helle die Halle sich kleiden, und erhöhte so mit einer hier äusserst effektuell angebrachten unschuldigen Spielerei das Vergnügen, wie den Eindruck. Dankend und erfreut kehrten die Schiffenden zurück; Otto erwartete sie bereits, um sie abermals eine Treppe empor zu leiten, wo noch ein sehr breiter Höhlengang an hundert Schritte weit fortläuft, in welchem man wieder zu Stellen gelangt, an denen man dem unterirdischen Wasser nahen kann. Im Bezug auf Letzteres äusserte Lenz: »Schade, dass nicht in dieser so schön zugänglichen Höhle der Proteus anguinus gefunden wird, dies räthselhafte Geschöpf, das wie ein Gespenst der Thierwelt erscheint.«

 

»Es wäre die Frage, ob jenes merkwürdige Thier, würde es aus seiner heimathlichen Höhle in dunkler Umgebung und in nicht allzuwenigen Exemplaren hier eingebracht, sich nicht auch hier vermehrte? Freilich würde es schwer sein, das Wegfangen zu verhüten!« äusserte Otto, und führte nun langsam Alle wieder dem Tageslichte zu.

 

Altenstein

 

Während der Wagen mit den Damen aufwärts nach dem Schlosse Altenstein fuhr, gewann Otto einen etwas höher gelegenen Fusspfad, auf dem er die Freunde dem gleichen Ziele zuzuführen gedachte. Von ihm aus gesehen, nimmt sich Glücksbrunn mit seinem heitern Schlösschen, seinen Fabrikgebäuden, einem grossen Teich und heitern Gartenanlagen sehr anmuthig aus. Hinter dem Schlosse, in der Nähe des Einganges zu der grossen Höhle, quillt in einem Erdfall ein starkes Wasser zwischen Rauhkalkfelsen hervor, dasselbe, welches die Höhle durchfliesst. Auch der Flecken Schweina wird mit mehr als 200 Häusern ganz sichtbar, und der Blick in das Werrathal auf nahe und ferne Bergzüge ist nicht minder lohnend, als die Betrachtung der hier grotesk und riesig dem Wanderer ganz nahe aufragenden Felsmassen.

 

Wagner pries deren malerische Formen, wie den eigenthümlichen Reiz dieser ganzen Gegend höchlich, und beschloss bei längerm Verweilen Manches zu zeichnen; Otto erbot sich, Lenz während der Zeit, dass der Maler seine Skizzen aufnehmen würde, näher mit den mineralogischen Merkwürdigkeiten der Gegend bekannt zu machen. Er nannte sie vorläufig, indem er sprach: »In Glücksbrunn wurde früher ein äusserst ergiebiges Blaufarbenwerk betrieben. Die dazu nöthigen Kobalterze brechen in der Nähe, darunter besonders schöne Glanzkobalte, Wismuth-, Kupfer- und Arsenikerze, Fahlerz und Bleiglanz. Auch Silber mag früher ausgebeutet worden sein:

 

Benennungen, wie Silbergraben, Silberthal, Silberrasen scheinen es zu beurkunden. Eine Menge Halden geben noch Zeugniss des ehemaligen schwunghaft betriebenen Bergbaues. Im bituminösen Mergelschiefer der Gegend kommen Fischabdrücke vor. Schwerspath, Braunspath, Kalkspath und Bitterspath werden als Gangarten gefunden. Der Dolomit, von welchem diese Felsen und die Höhle gebildet sind, lagert auf Granit, der in allen Arten zu Tage geht. Über Liebenstein steht ein thurmhoher Felsenkamm mit tiefen Klüften, fast ausschliesslich Flussspath. Glimmerschiefer und Porphyr, Gneiss und Feldspath, poröser Stinkstein und Andres kommen vor. Während in geringer Entfernung von hier der Granit bis zu bedeutender Höhe geht – er bildet den hohen Felsensäulenkamm des Gerbersteins – ist das Ganggebirge ringsum verbreitet, das ältere Flötzgebirge lagert in gleicher Nähe darüber und das jüngere grenzet an; nach dem Thale der Werra zu ist Sand das vorwaltende Gestein, und den jenseitigen kleinen Gebirgszug zeichnen basaltische Höhen aus.«

 

So waren die Wandrer dem Walde genaht, durch dessen dichten schattenkühlen Laubgang sie schritten, während der Wagen unter ihnen auf gekrümmter Strasse langsam bergan fuhr; sie konnten die darin Sitzenden ohne gesehen zu werden mit lautem Zuruf necken, und dann mit plötzlicher Erscheinung überraschen. Die kurze Strecke vollends hinauf begleitend und begleitet theilte nun die Gesellschaft den erfreulichen Anblick des Schlosses Altenstein, das neu und freundlich mit grünen Jalousien ihnen die schmale Seite zeigte, während es seine Fronte, deren Auffahrt mit Treibhauspflanzen und vollblühenden Hortensien geschmückt erschien, gegen Norden kehrt. Terrassenförmige Mauern, und ein Thurmrest, der auf hohem Felsfundament hinter dem neuen Hause sichtbar wird, deuten das Vorhandengewesensein eines ältern Schlosses an, des Markgrafensteines, dessen früheste Geschichte mit seinem Ursprung im Dunkel ruht. Otto erwähnte nur kurz, um das Bild der heitern frischen Gegenwart nicht mit Alterthumsstaub grau zu übermalen, dass diese Burg in spätrer Zeit an die Grafen von Henneberg, dann an die Landgrafen von Thüringen gekommen sei, und noch später länger als 200 Jahre Lehenssitz der Familie Hund von Wenkheim gewesen, bis sie an das Regentenhaus Sachsen-Meiningen kam. Die alte Burg wurde 1733 vom Feuer verzehrt, und hierauf das neue einfache, doch im Innern geschmackvoll und modern eingerichtete Haus erbaut, das in der Regel der Herzoglichen Familie zum Sommeraufenthalte dient. Die erfreuten Fremden wussten bald nicht, wohin sie ihre Blicke richten sollten, die Damen waren ausgestiegen, und der Kutscher erhielt Ordre, einstweilen nach dem Gasthause hinzufahren. Otto suchte, als ein allgemeiner Überblick der freundlichländlichen Umgebung die allgemeine Bemerkung hervorrief, dass hier ein überaus anziehender Punkt seine mannichfaltigen Reize zu entfalten beginne, die Betrachtung zu ordnen, und lenkte diese zunächst auf ein nahegelegenes Denkmal hin, bestehend aus einem eisernen Kreuze auf dem spitzigen Vorsprung eines Felsens, darunter im Gestein ausgehauen die Worte

 

Gott
Vaterland Freiheit
Friede
1814.

 

zu lesen sind; dann auf einem von hohen Bäumen umschatteten Raume dicht am Abhange des Schlossberges liess er die Gefährten und Gefährtinnen des Hinabblicks auf die anmuthig situirten Orte Glücksbrunn und Schweina, und der grossen, weithin sich erstreckenden, abwechselnden Landschaft sich erfreuen. Dann am Schloss und der in einem rasenumgrünten, mit Buschhölzern in anmuthigen Gruppen umpflanzten, hoch empor den Wasserstrahl aufwerfenden Fontaine vorbei wandelte man dem grossen Gebäudehalbrund zu, in welchem, neben Dienstwohnungen und den Stallungen für die Pferde des landesherrlichen blühenden Gestüts, die zweckmässig eingerichtete Gastwirthschaft befindlich ist. Hier fanden sich denn auch andre Lustreisende genug, und allenthalben wurden Spaziergänger bemerkt, die sich lustwandelnd in den weitläuftigen Anlagen des grossen Altensteiner Naturgartens verstreuten.

 

Um gleiches Vergnügen am sonnenhellen Nachmittag zu geniessen, wurde für gut befunden, zuvor zu speisen, und dann erst von einer Parthie zur andern zu wandeln.

Selbst von den obern Zimmern des Gasthauses aus gewährt sich eine entzückende Fernsicht, wie denn überhaupt Schloss Altenstein mit seinen Umgebungen zu den schönsten Punkten Thüringens mit vollem Recht zu zählen ist. An die Betrachtung, wie erfreulich es doch sei, wahrzunehmen, wie dort in Wilhelmsthal, dort in Reinhardsbrunn und hier in Altenstein und Liebenstein drei hohe deutsche Fürstenhöfe ihren Sommeraufenthalt wählten, alle drei an Orten Thüringens, deren reiche Naturschönheiten Jedermann zugänglich gemacht wurden, so dass auf alle Weise Anschauung und Genuss erleichtert sind, knüpfte Otto einige in frühern Tagen lyrischer Begeisterung niedergeschriebene Strophen:

 

»Drei schöne Steine weiss ich
    Im Ring der Heimathau'n,
    Drei schöne Steine preis' ich,
    Sind herrlich anzuschau'n.
    Dort leuchtet in die Weite
    Thüringens Diamant,
    Sein köstliches Geschmeide,
    Der Friedenstein genannt.

 

Dort, eine Zier der Krone,
    In Sonnengold gefasst,
    Prangt auf dem Felsenthrone
    Des zweiten Steines Glast.
    Vom Ring des Wälderkranzes
    Ins Werrathal hinein
    Blitzt er, saphirnen Glanzes,
    Das ist der Altenstein.

 

Und in der Tiefe glühet
    Ein köstlicher Smaragd;
    Ein Quell des Lebens sprühet
    Tief aus verborgnem Schacht.
    Dort schenkt euch die Najade
    Mit sanftem Lächeln ein;
    Sucht den Smaragd im Bade,
    Sucht ihn in Liebenstein!«

 

Beim Rezitiren dieser mehr gut gemeinten, als guten Verse konnte Lenz ein ironisches Lächeln nicht unterdrücken, und murmelte: »Man muss das Dessert nehmen, wie es aufgetischt wird, ohne Murren!« – Dame Arenstein hob die Tafel auf, und nach eingenommenem Kaffee wurde ein grosser gemeinschaftlicher Spaziergang unternommen. Zuerst suchte Otto den Waldschatten zu gewinnen; er leitete zur Ritterkapelle, die auf einem hohen Felsen erbaut, zu welchem Stufen emporleiten, im Innern als ein trauliches, mit Emblemen des Ritterthums geschmücktes Gemach erscheint, worin sich's gemüthlich rasten lässt. Das Laub der Bäume flüstert und flimmert an den Fenstern, die mit ächter Glasmalerei aus mehr und minder guter Zeit dekorirt sind. Hier liegt auch ein Fremdenbuch, in welchem die Besuchenden sich zu verewigen, und bisweilen, nach dem Grad ihrer Bildung, auch Gedachtes oder Empfundenes in Versen oder Prosa auszudrücken pflegen. Von da war eine herrliche Linde, deren starkes Laubdach einen ganzen Platz überwölbte, zu betrachten, und dann wurde der Weg nach der sogenannten Teufelsbrücke eingeschlagen, eine, zwei beträchtlich hohe Felsen verbindende, auf Ketten ruhende Hängebrücke, von welcher aus, über grüner Waldung stehend, im Hinblick auf Schloss Altenstein und dessen nächste Umgebung sich ein schönes Totalbild vor Augen bringt. Der Hohlenstein über der Höhle zeigt sich als isolirter mächtiger Felsblock, von einem Häuschen gekrönt; der Blumenkorb, ein thurmhoher Felsenobelisk, stellt sich, rings umgrünt, als nackter Koloss dar; der nachbarliche Bonifaziusfels ragt näher und niedriger empor, und über die ganze Landschaft ist soviel Harmonie ergossen, dass diese Stelle ganz besonders zum Ruhen und Verweilen auf dort angebrachter Gartenbank einladet. Hinter jenen isolirten mächtigen Steinsäulen reicht weit hinauf der Blick in das Werrathal, bis in die Gegend von Schwallungen; der Breitunger See, der Kraimer-Teich, die mäandrische Werra sind sichtbar, im tiefsten Hintergrunde zeigen sich hohe Berge, bläulich vom Duft der Ferne umschleiert.

 

Als die Schauenden sich lange stiller Betrachtung hingegeben, führte Otto sie weiter auf Waldpfaden in ein tiefes Thal, in welchem, um eine Felsenecke biegend, ein klarer Bach, ein silberner Weiher, und über diesem eine Sennhütte erblickt wurde, in deren Nähe ziemlich hoch ein Wasserfall anmuthig über Granitblöcke herabrauscht. Der durchaus idyllische Charakter dieses Thälchens tritt um so wirksamer hervor, wenn der Blick des Wanderers kaum zuvor auf grossartig vor seinem Auge aufgerollter und hingebreiteter Landschaft weilte, und nun ringsum den beschränkt findet; es ist ein Plätzchen, wo trauliche Liebe gern verweilen mag und gern verweilte, ein Plätzchen, wo das sanfte Plätschern des mässigstarken Wasserfalles mit sanftem Geflüster und Gekose harmonisch übereinstimmt.

 

Einen andern Rückweg thalaufwärts einschlagend, wusste Otto die Freunde und Freundinnen so zu leiten, dass sie unvermerkt bei dem Fohlenhause anlangten, welches im orientalisch-arabischen Geschmack sinnvoll erbaut, den Gedanken auf hier kunstgerecht geübte Musterzucht des edeln Rosses hinlenkt. Dieses Häuschen, auf dem Gipfel eines kräuterreichen Fohlenweideplatzes erbaut, ist zugleich der Mittelpunkt eines herrlichen Halb-Panorama's der vor ihm ruhenden Landschaft. Dass auch ein weiblicher, langen Wandelns ungewohnter Fuss bei solchem Beschauen in Altenstein nicht ermüde, ist überall durch hölzerne oder steinerne Ruhesitze gesorgt; und so konnte, da man mit Gehen und Ausruhen beliebig abwechselte, Otto seine Gesellschaft auch noch getrost zum Bonifaziusfels in der Nähe des Schlosses führen, zum steinernen Blumenkorb, der auf dem vorhin erwähnten Felskegel prangt, zum Denkmal, das der Herzogin Charlotte Amalie von Sachsen-Meiningen geweiht wurde, deren Marmorbüste am Fusse des Felsen über einer Steinbank steht, und zum Hohlenstein, einer isolirten Felsenmasse mit eingehauenen Stufen zum Gipfel, der ein Häuschen trägt, um von dem günstig gelegenen Hochpunkte die Aussicht zu geniessen, und der zugleich eine hohe gewölbte Halle zeigt, die sich zu einer Felsenspalte verengt. In letzterer tönt bisweilen eine doppelte Äolsharfe wehmüthigen Klang in das Thal hinab. Vom Gipfel des Hohlenstein bezeichnete Otto die Lage des nur zwei Stunden entfernten Dorfes Möhra, wo Luther's Eltern wohnten. Endlich, nur wenige Schritte vom Hohlenstein ostwärts, neben malerisch auf die Bergwand hingestreuten kolossalen Felsgruppen, öffnet sich die nächstvorliegende wie eine Pforte, und überraschend tritt plötzlich wieder Liebenstein mit der Ruine und mit dem grünen und blauen Hintergrunde der Thüringer-Waldberge vor den Blick, und bildet besonders in günstiger Abendbeleuchtung ein so überaus anmuthiges Landschaftbild, dass Worte nicht vermögen, dessen vollen Reiz anzudeuten. Diese Felsenpforte hat man das Morgenthor genannt. –

 

Erfreut, befriedigt und beglückt, am Arm der Liebe und neben theilnehmenden Herzen all das Schöne, das hier Natur und Kunst im innig schwesterlichen Bunde vereinigt darboten, geistig in sich aufnehmen zu können, schritten die Reisenden dem Altensteine langsam wieder zu. Auf dem Wege dahin fragte Frau Arenstein Otto: »Kennt man nicht auch Sagen von dieser Gegend? bei unsrem frühern Zusammentreffen hier war weder der Ort, noch die Gesellschaft geeignet, solche Frage an Sie zu richten, denn nicht Jedermann vermag sich für die Sagenpoesie zu interessiren.«

 

Solcher Meinung gern beipflichtend und dabei bemerkend, dass jenes Interesse auch durchaus nicht überall erwartet, noch weniger in Anspruch genommen werden dürfe und könne, erwiederte der Gefragte: »Die Gegend hat viele und mannichfaltige Sagen, viele davon mit geschichtlichem Anklang. Aus ältester Zeit klingt die Anwesenheit des Bonifazius auch hier durch; er soll von jenem Felsen den Heiden gepredigt haben, der noch den Namen des Bekehrers trägt. In der Nähe des Dorfes Steinbach haftet am Namen des Landgrafenackers die Erinnerung an Ludwig den Eisernen, der ihn mit an den Pflug gespannten Edelleuten dort umpflügte. Die bekannte Geschlechtssage derer von Hund wird auch von den Hunden von Wenkheim auf Altenstein erzählt, dass nämlich eine Gräfin, die acht Kinder auf einmal geboren, sieben davon habe wollen ersäufen lassen; dass der Graf der Wärterin begegnet und gefragt habe, was sie trage, worauf diese erwiedert: junge Hunde. Diese Kinder nun liess der Graf heimlich erziehen und stellte sie als erwachsene Jünglinge der Mutter vor, daher der Name des Geschlechtes. Von Luther's geschichtlicher Anwesenheit und Gefangennehmung in der Nähe des Altenstein haftet noch an einer schönen alten Buche tiefer im Walde, und einer Quelle daneben traditionelle Kunde; noch weiter droben zeigen die Umwohner einen Stein, den Luthersfuss, darin der Reformator die Spur seines Fusses der Gegend zum Andenken gelassen haben soll. Sollte ich Ihnen Alles mittheilen, was rein Oertliches als Sage, die noch im Volksmunde fortlebt, mir aus der Nähe von Hexen, Venetianern, Croaten, verwünschten Jungfrauen, Wilddieben und dergleichen bekannt wurde, ich würde länger reden können, als Ihre Geduld erlaubte.«

 

Was Otto heute verschwieg, erzählte er am folgenden Tage, als er von Liebenstein aus mit den Verbündeten eine Parthie nach der Luthersbuche machte, wo denn auch das verwirklicht wurde, was er mit Wagner und Lenz verabredet. Je mehr die Scheidestunde den Freunden nahe rückte, die bei dem neuen Verhältniss um so schmerzlicher zu werden drohte, um so mehr suchte man sich gegenseitig zu erfreuen, und genoss als Gunst eines gütigen Geschickes die freudigen Momente, welche die Gegenwart noch darbot.

 

Ausserdem ward verabredet, dass, sobald alles Nöthige in den gegenseitigen Familien geordnet sei, Frau Arenstein die jungen Bräute, ihre Töchter, in die südliche Heimath der Freunde und zum Traualtare dort begleiten sollte, da eine abermalige Reise nach dem Norden nicht in den Verhältnissen der Freunde lag, deren äussere Stellung weniger unabhängig war, als die der künftigen würdigen Schwiegermutter. Diese aber hatte durch die derartige Verabredung ebenfalls wichtige Gründe, mit den Töchtern der eignen Heimath zuzueilen, so dass nur noch ein Tag des diesmaligen gemeinschaftlichen Beisammenseins übrig blieb, nach welchem man sich trennen wollte und musste.

 

Schluß

 

Anfangs der Rückfahrt mehr nach innen als nach aussen gekehrt, und mehr in Gedanken verkehrend mit der nächsten Vergangenheit und nächsten Zukunft als den sich darbietenden Gegenständen der Aussenwelt und Gegenwart, sassen die Freunde Otto's im Wagen, und dieser störte ihren stillen Gedankenflug auf keine Weise; vielmehr senkte er sich selbst in Nachdenken über das wunderbare Walten einer Macht, die immer verborgen räthselhaft wirkend erscheint, nenne sie nun der Gläubige Vorsehung, Führung, der Ungläubige Zufall, Schicksal, Fatum, der naturphilosophische Denker Weltordnung. Es mussten hundert und aber hundert Zufälligkeiten vorhergehen und zusammentreffen, dass zweimal zwei Menschenleben, verschiednen Ländern entstammt, verschiednen Zielen nachstrebend, sich liebend an einander ketteten; und doch war dabei nichts Ungewöhnliches, nichts Seltsames, und kann dergleichen sich schon hundertmal ereignet haben. So wenig romanhaft war diese Liebe, so frei von Hindernissen, gewaltsamen Erregungen, Kämpfen und Thränen, und dennoch entbehrte sie nicht eines romantischen Interesses, noch weniger des tiefsten, innigsten Gefühls.

 

Im Weiterfahren spann sich indess bald wieder freundliche Unterhaltung, trauliche Mittheilung an. Der Sommertag war hell und schön, das Thal bot manche anziehende Parthie. Drei Dörfer, welche den Namen Breitungen führen, und nahe beisammen liegen, erscheinen von weitem gesehen wie eine Stadt. Herrenbreitungen, auf Churhessischem Grund und Boden, hiess früher Burgbreitungen; das Meiningische Frauenbreitungen hiess Königsbreitungen und war Villa der deutschen Könige, als welche es schon in Urkunden des zehnten Jahrhunderts vorkommt. Das erstere war ein Mönchs-, das zweite ein Nonnenkloster.

 

Von Breitungen nur eine Stunde entfernt liegt auf einer Anhöhe dicht an der Strasse ein altes burgähnliches Rittergut, die Todtenwart, dessen Mauern von freundlichen Gartenanlagen umgeben sind. Unter schattenden Lindenbäumen, von denen einer sich durch besondre Grösse und Stärke auszeichnet, nahmen die Freunde ein mitgebrachtes Frühstück ein, während der Kutscher nach dem am Bergesfusse gelegenen Gasthaus hinabfuhr. Auf der Höhe ist eine sehr freundliche Aussicht thalabwärts, wie thalaufwärts eröffnet, und einer der geeignetsten Ruhepunkte für Alle die, welche zu ihrem Vergnügen reisen, und denen Stimmung und Verhältnisse betrachtendes Verweilen gestatten.

 

Dort wurde vor Allem den geliebten, nun geschiedenen Gefährtinnen aus vollem Reisebecher ein Lebewohl, ein Lebehoch getrunken, und dann auf die glücklichste Zukunft noch manches Glas geleert. Die Freunde machten noch einmal im Geiste die ganze Reise, gedachten scherzend kleiner unwesentlicher Unfälle und Hemmungen, wie ertragener Mühen, erfreuten sich aber dabei des reinen und ungetrübten Bildes von Thüringen, das fest in ihrer Erinnerung stand. Das Skizzenbuch ward prüfend durchblättert, und Otto konnte sich nicht enthalten, gegen Wagner zu bemerken: »Du hättest doch noch mehr zeichnen sollen, und Manches von andern Standpunkten aus,« worauf Jener sich lächelnd entschuldigte, sprechend: »Mir muss nun das Gesammelte genügen; was ich nicht habe gewinnen können, komme auf Rechnung meiner Bequemlichkeit; doch glaube ich genug zu besitzen, um damit das Buch schmücken zu können, in welchem Du unsre Reise beschreibst, denn solches wirst Du schwerlich unterlassen können!«

 

Auch Lenz sprach ähnliche Meinung aus, und Otto erwiederte, den Scherz der Freunde von der ernsten Seite aufnehmend: »Wenn ich mir eine Reise, wie wir sie gemeinsam unternahmen, von meiner Hand geschildert denke, überfällt mich ein gewisses Zagen. Wie vieles Schöne hat nicht Thüringen noch neben dem Geschauten, Bereisten, dem ich euch nicht zuführen konnte?! Selbst der Wald – nach jeder Richtung hin Interessantes, Malerisches darbietend, konnte von uns nur fragmentarisch überblickt und gewürdigt werden, bedeutende Städte, ich nenne nur Langensalza, Mühlhausen, Nordhausen, blieben mit ihren Gebieten ganz ausser dem Bereich unsrer Tour. Und dann – die Schilderung selbst – wie Vieles würde in einen engen Raum zusammen zu drängen, wie oft würde ich müssen darauf bedacht sein, mehr zu verschweigen, als zu sagen, und am Ende doch nicht dem Vorwurf allzugrosser Redseligkeit entgehen? Dabei würde ich dennoch nach Vollendung des Ganzen die Empfindung haben, die sich aufdringt, wenn man in eines lieben Freundes Nähe war, von ihm schied, und nun fühlt, ihm dies und das, was man ihm sagen wollen, doch nicht gesagt zu haben, weil es viel Mehr und Andres zu plaudern gab. Endlich möchten die verschiedenartigsten Anforderungen des kritischen Theiles unsers Publikums zu bedenken, wenn auch nicht zu fürchten sein, wiewohl es wirklich einige Individualitäten darunter giebt, deren allzu jugendliche Phantasie ihren Verstand überredet, man müsse sonderlich auf ihre Weisheit achten, ihr Urtheil fürchten und ihre eingebildete geistige Superiorität scheuen, während der Billige und Verständige ruhig ihrem nur leider oft zu gewaltsamen Ringen nach Autorität zusieht und ihnen von Herzen erwünschtes Emporkommen gönnt.«

 

»Hast Du Musse und Lust zu schreiben,« nahm Lenz das Wort: »so kümmre Dich um nichts und um Niemand und schreibe. Schildre nach eignem Ermessen, schmeichle nirgend und übertreibe nie. Jedes Buch ist gut, das aus innerlich empfundner Wahrheit hervorgeht. Die Anforderungen der Kritik sind stets so mannichfaltig, dass Alle zu befriedigen durchaus unmöglich ist. Einer liebt Charakteristiken, Persönlichkeiten; ein Zweiter möchte politische Zustände der Völker und Staaten geschildert, Mängel beleuchtet und aufgedeckt sehen; ein Dritter würde alles Historische hervorgehoben und mit gründlichster und tiefster Forschung vor Augen gelegt wünschen, während einem Vierten wünschenswerth erscheinen dürfte, die poetischen Grundstoffe in Mähr und Sage weitläuftig zu müssiger Unterhaltung versponnen zu finden.«

 

»Dies Alles zu berücksichtigen ist schier unmöglich für einen Einzelnen, für ein Einzelwerk,« fuhr Otto fort: »darum hat man sich hier und immer dem Publikum auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Kritik, wenn sie ächt und ehrlich, und es ihr nicht darum zu thun ist, eines Autors Charakter und Persönlichkeit anzutasten oder zu verläumden, wird ihren Scharfsinn überall an dem Vorhandnen üben, nicht an dem, was mangelt. Wir aber eilen heiter und wohlgemuth, lebensfroh und harmlos unsern Heimathorten wieder zu, und singen da, wo wir ausgingen und die Wanderung begannen:

 

Wanderstab,
Dankend legen wir dich ab!
Weil es muss geschieden sein
Raste nun und ruhe fein.
Glücklich sei, wer dich ergreift,
Mit dir in die Weite schweift,
Über Thal und Höhen streift!
Wanderstab!
Erst am Pilgerziel, am Grab,
Legen wir dich ab.«

 

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© Thomas Lehmann

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