Besucherzähler

SPRUCH DES JAHRES

Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.

Johann Nepomuk Nestroy

SPRUCH DER WOCHE

Duldet ein Volk die Untreue von Richtern und Ärzten, so ist es dekadent und steht vor der Auflösung.

 

Plato

 

LUSTIGES

Quelle: Aus dem umgestülpten Papierkorb der Weltpresse (1977)

Rubrik: Das süße Leben

Dallas, Texas - Vor einem Gericht gab Jack Stinney an, er habe seine Frau nur des Spaßes wegen verprügelt. Auf die erstaunte Frage des Staatsanwaltes ergänzte Stinney dann seine Aussage: "Allerdings verprügelte ich meine Frau nur wegen des Spaßes, den sie mit drei anderen Männern gehabt hatte."

Die Lehmänner
Die Lehmänner

Stolz und Vorurtheil

Jane Austen

 

Dritter Theil

Capitel 1-10

 

Dritter Theil.


Erstes Capitel.

 

Elisabeth's Blicke waren mit einer gewissen Unruhe vorwärts gerichtet; sie fürchtete den Anblick von Pemberley, und konnte es doch nicht erwarten, bis sie die, das Schloß umgebende Waldung sah.

Endlich hatten sie den Park erreicht. Er war sehr groß und bot dem Auge eine reiche Abwechslung dar. Der Wagen bog in einen der untern Gänge ein, welcher eine bedeutende Strecke durch den schönsten Wald führte.

Elisens Herz war zu voll, um Theil an der Unterhaltung nehmen zu können; aber sie sah und bewunderte im Stillen jeden merkwürdigen Punkt, jede schöne Aussicht. Nachdem sie ungefähr eine halbe Meile allmählig aufwärts gefahren waren, befanden sie sich auf dem Gipfel einer beträchtlichen Anhöhe, der Wald hörte hier auf und Schloß Pemberley, auf der entgegengesetzten Seite des Thals gelegen, in welches der Weg sich hinabschlängelte, trat ihren Blicken unerwartet entgegen. Es war ein großes, schönes steinernes Gebäude, hinter welches sich eine mit Wald bewachsene Bergkette hinzog; in einiger Entfernung vor dem Hause rauschte ein Fluß von nicht unbeträchtlicher Breite, der durch Kunst, jedoch ohne Anschein derselben, eine noch größere Ausdehnung erhalten hatte. Die Ufer waren weder steif noch überladen verziert. Elisabeth war entzückt; sie hatte noch nie einen Ort gesehen, für den die Natur so viel gethan, und dessen natürliche Schönheit so wenig durch einen verkehrten Geschmack gelitten hatte. Sie fühlte in diesem Augenblick die ganze Wichtigkeit des Worts, Gebieterin von Pemberley zu sein!

Jetzt fuhren sie die Anhöhe hinab, über die Brücken und vor die Hausthür. Elisens Besorgniß, dem Besitzer aller dieser Herrlichkeiten daselbst zu begegnen, erwachte von Neuem; sie fürchtete von dem Bettmädchen falsch berichtet worden zu sein, und wäre gern wieder umgekehrt. Doch hierzu war es zu spät. Ihr Onkel hatte bereits seinen Wunsch, das Haus zu besehen, ausgesprochen; sie wurden bis zur Ankunft der Haushälterin in einen Voraal geführt, woselbst Elisabeth Muße fand, sich über sich selbst, und den Ort, wo sie sich befand, zu verwundern.

Die Haushälterin, eine ältliche, Achtung, einflößende Frau, erschien, und führte die Fremden mit vieler Höflichkeit umher. Zuerst in das Speisezimmer. Elisabeth trat an das Fenster und freute sich der herrlichen Aussicht, die sie sowohl hier, als auch in allen andern Gemächern fand, Diese selbst waren sämmtlich groß und hoch, einfach aber höchst geschmackvoll eingerichtet, und in keinem Punkt überladen. Sie mußte eingestehen, daß alles dem Vermögen des Besitzers entsprechend, mit dem höchsten Geschmack angeordnet war; überall wahre Eleganz, doch nirgends übertriebene Pracht, wie sie in Rosings gefunden hatte.

»Und von dieser Besitzung hättest Du Gebieterin sein können!« dachte sie. »In diesen Gemächern hättest Du hausen und Deine Verwandten als Gäste darin empfangen können, anstatt sie jetzt als Fremde zu besehen. – Doch nein! Dieser Umstand hätte sich nie ereignet: mein Onkel und meine Tante würden auf ewig für mich verloren gewesen sein; es würde mir nie gestattet worden sein, sie zu mir einzuladen.«

Das war ein glücklicher Gedanke – er befreite sie von einem Gefühl, was der Reue glich.

Sie hatte nicht den Muth, die Haushälterin zu fragen, ob ihr Herr in diesem Augenblick abwesend sei; und als ihr Onkel gleich darauf die Frage that, wandte sie sich erschrocken seitwärts. Mrß. Reynolds erwiederte, daß er heute nicht gegenwärtig sei, morgen aber mit einer Gesellschaft aus der Stadt hier erwartet werde. Wie freute sich Elisabeth, daß ihre eigne Reise nicht um einen Tag verspätet worden war!

Ihre Tante rief sie auf, einige Miniaturgemäle zu betrachten, welche über dem Camingesims aufgehängt waren. Sie erkannte Wickhams Bild, noch ehe Mrß. Gardiner sie lachend gefragt, wie es ihr gefalle! Die Haushälterin erzählte, daß es das Bild des Sohnes ihres seligen Herrn Verwalters sei, den er erzogen habe. – »Er ist nun zur Armee gegangen,« fügte sie hinzu, »aber ich fürchte, daß er auf schlechte Wege gerathen ist.«

Mrß. Gardiner warf ihrer Nichte abermals einen lächelnden Blick zu, den diese jedoch nicht zu erwiedern vermochte.

»Und dieses Bild,« sagte Mrß. Reynolds; auf ein andres weisend, »stellt meinen jetzigen Herrn vor, und ist sehr ähnlich. Es ward zur selben Zeit gemalt, wie das andre, ungefähr vor acht Jahren.«

»Ich habe schon gehört, daß Herr Darcy ein hübscher Mann sein soll,« sagte Mrß. Gardiner, das Bild genauer betrachtend; »es hat schöne Züge Im Original: » it is a handsome face«. Dem »es« in der Übersetzung fehlt der semantische Bezug. Grammatisch müsste es sich auf »das Bild« beziehen; »Züge« aber hat ein solches eben nicht.. Doch Lizzy wird uns am Besten sagen können, ob es ähnlich ist.«

Mrß. Reynolds Achtung für Elisen schien sich zu erhöhen durch den Umstand, daß sie ihren Herrn kannte.

»Kennt die junge Dame Herrn Darcy?« fragte sie.

»Ja, ein wenig,« erwiederte Elisabeth erröthend.

»Und finden Sie nicht, daß er ein sehr hübscher Mann ist?«

»Allerdings, recht hübsch.«

»Ich muß gestehen, daß ich keinen Hübschern kenne. Wenn wir oben in die Bildergallerie kommen, werden Sie ein größeres und schöneres Bild von ihm finden. Dieses Zimmer war der Lieblingsaufenthalt meines verstorbenen Herrn, und so ist alles darin geblieben, wie es bei seinen Lebzeiten war.«

»Aus diesem Grunde also befindet sich Wickham's Bild noch hier,« erklärte sich Elisabeth schweigend.

Mrß. Reynolds machte sie auf das Portrait von Miß Darcy aufmerksam, gemalt als sie erst acht Jahr alt.

»Ist Miß Darcy so hübsch, wie ihr Bruder?« fragte Mr. Gardiner.

»O, ja! die schönste junge Dame, die man sehen kann; und so vortrefflich erzogen! – Sie singt und spielt den ganzen Tag. Im nächsten werden Sie ein neues Instrument finden, womit ihr Bruder sie überraschen will. Sie kommt morgen mit ihm hierher.«

Da Herr Gardiner bemerkte, daß die Haushälterin entweder aus Stolz oder aus Anhänglichkeit gern von ihrem Herrn und dessen Schwester sprach, fuhr er mit Fragen fort.

»Pflegt Herr Darcy sich oft in Pemberley aufzuhalten?«

»Nicht so oft und so lange, als ich es wünsche; doch ziemlich die Hälfte des Jahrs, und Miß Darcy bringt die Sommermonate regelmäßig hier zu.«

Ausgenommen wenn sie nach Ramsgate geht, dachte Elisabeth.

»Wenn Ihr Herr sich verheirathete, würden Sie ihn vielleicht öfterer hier sehen.«

»Ja freilich, Sir; doch wer weiß, wann dieser Fall ein Mal eintreten wird. Ich weiß niemanden, die gut genug für ihn wäre.«

Herr und Mrß. Gardiner lächelten. Elisabeth konnte nicht umhin, zu sagen: »Es macht ihm alle Ehre, daß Sie so von ihm denken.«

»Ich spreche nur die Wahrheit, und was Jedermann von ihm sagen wird, der ihn kennt,« entgegnete Mrß. Reynolds.

Elisabeth hielt dies Lob für übertrieben, und hörte mit zunehmendem Erstaunen zu, als die Haushälterin hinzufügte: »Ich habe nie ein böses Wort von ihm gehört, und kenne ihn doch seit seinem vierten Jahre.«

Dieß war in der That ein Lob, was sie nimmermehr erwartet hätte. daß er kein gutmüthiger Mensch war, hatte sie fest geglaubt, aus allem, was sie von ihm gesehen und gehört, geschlossen. Ihre Aufmerksamkeit war auf das Höchste gespannt; sie wünschte mehr von ihm zu hören und dankte es ihrem Onkel im Stillen, als er fortfuhr:

»Es giebt wenige Menschen in der Welt, von denen dieß gesagt werden kann. Sie sind glücklich zu preisen, einen solchen Herrn zu besitzen.«

»Ja, Sir! das erkenne ich auch. Ich könnte durch die ganze Welt gehen, ohne einen Bessern zu finden. Aber ich habe immer die Bemerkung gemacht, daß gutmüthige Kinder gewöhnlich auch gutmüthig bleiben, wenn sie erwachsen sind; und er war der sanfteste, beste, edelmüthigste Knabe von der Welt.«

Elisabeth blickte sie sprachlos an. – Ist es möglich, daß Darcy dieser Beschreibung entsprechen sollte? dachte sie.

»Sein Vater war ein vortrefflicher Mann,« sagte Mrß. Gardiner.

»Ja, Madam! Das war er; und sein Sohn ist eben so – eben so gut und freundlich gegen Arme und Geringe.«

Elisabeth hörte voll Bewundrung und Staunen.

»Er ist der beste Gutsherr und der beste Gebieter, den es auf Erden giebt. Ganz anders wie die jetzigen wild in den Tag hineinlebenden jungen Männer, die nur einzig und allein an sich denken. Sie werden auch nicht Einen unter seinen Unterthanen oder Dienern finden, der nicht in dieses Lob mit einstimmt. Manche Leute nennen ihn stolz; aber ich sah und hörte noch nichts, was diesen Namen verdient. Es mag wohl daher kommen, weil er sich nicht wie andre junge Männer seines Standes wegwirft.«

»In welch einem liebenswürdigen Licht erscheint er nach dieser Schilderung!« dachte Elisabeth.

»Was wir so eben gehört,« flüsterte ihr die Tante im Weitergehen zu, »stimmt nicht ganz mit seinem Benehmen gegen unsern armen Freund überein.«

»Wer weiß, ob wir nicht falsch berichtet worden sind.«

»Das ist nicht wahrscheinlich; unsre Quelle war zu sicher.«

Mrß. Reynolds führte jetzt die Fremden in das obere Stockwerk und zeigte ihnen ein allerliebstes Zimmer, welches eleganter und reicher verziert war als die untern. Darcy hatte es eben erst für seine Schwester einrichten lassen, die bei ihrem letzten Hiersein Wohlgefallen daran gefunden.

»Er ist wirklich ein sehr guter und aufmerksamer Bruder« sagte Elisabeth, indem sie an ein Fenster trat.

In der Bildergallerie suchte und fand sie bald das einzige Gemälde, welches ihr, da sie weder Künstlerin noch Kunstverständige war, Interesse einzuflößen vermochte. Sie stand vor Darcy's Bild. Es war sprechend ähnlich und schaute sie mit einem Lächeln an, das sie manchmal in seinen Zügen gesehen, wenn er sie was oft geschehen, aufmerksam betrachtet hatte. Es zeigte sich in diesem Augenblick eine sanftere Empfindung für das Original in ihrem Herzen, als sie je für ihn gefühlt. Das Lob der Haushälterin hatte ihre Meinung über ihn gemildert. Was konnte ihm mehr zum Ruhm gereichen, als das warme Lob einer verständigen, einsichtsvollen Dienerin? Sie gedachte des vielen Guten, was ihm in seinen Verhältnissen als Bruder, Gutsherr und Gebieter zu thun oblag, und wie er es nach Mrß. Reynolds Worten that. Alles, was diese über seinen Charakter gesagt hatte, lautete günstig; und als sie in solchen Betrachtungen verloren vor seinem Bilde stand, gedachte sie seiner Empfindung für sie mit größerer Dankbarkeit, erinnerte sich seiner, bei ihrem letzten Zusammentreffen geäußerten Wärme, und milderte die Härte seiner Ausdrücke.

Das Haus war nun besehen und der Gärtner wartete ihrer an der Thür, um sie durch den Park zu führen. Am Fluß blieben sie alle stehen, das Gebäude noch ein Mal zu betrachten, und während Herr Gardiner mit seinem Begleiter über die Zeit der Entstehung desselben sprach, trat der Eigenthümer plötzlich aus einem Seitenweg, der zu den Ställen führte, hervor.

Nur etwa zwanzig Schritte von einander entfernt, war es unmöglich, sich nicht zu sehen, oder sich auszuweichen. Ein hohes Roth überflog Elisens Wangen, als sie seinem Blick begegnete, und ihn ebenfalls erröthen sah. Ihr Anblick schien ihn im ersten Augenblick unbeweglich zu machen, sein Erstaunen war sichtbar; doch bald faßte er sich wieder, näherte sich der kleinen Gesellschaft und redete Elisen, wenn auch nicht ganz ruhig, doch mit Anstand und Höflichkeit an.

Sie hatte sich unwillkührlich nach dem ersten Begegnen ihrer Blicke abgewendet, und vernahm jetzt seine Worte mit einer nicht zu überwindenden Verlegenheit. Die Aehnlichkeit seines Bildes, so wie die Verwundrung des Gärtners, den noch nicht erwarteten Gebieter so plötzlich vor sich zu sehen, ließen Herrn und Mrß. Gardiner nicht daran zweifeln, daß der Besitzer von Pemberley vor ihnen stand. Sie hatten Zeit, ihn zu betrachten, während er mit ihrer Nichte sprach, die, erstaunt und verwirrt, kaum die Augen gegen ihn zu erheben wagte, und nicht wußte, was sie auf seine höflichen Erkundigungen nach ihrer Familie erwiedern sollte. Im höchsten Grade erstaunt über die gänzliche Veränderung seines Wesens, seit sie ihn zuletzt gesehen, vermehrte jedes seiner Worte ihre Verlegenheit, und das peinliche Gefühl, wie unpassend es sei, hier von ihm gefunden worden zu sein, machte die wenigen Minuten ihres Beisammenseins zu den qualvollsten ihres Lebens. Auch er schien sich nicht behaglich zu fühlen, er sprach nicht mit seiner gewöhnlichen Ruhe und wiederholte seine Fragen, wie lange sie Longbourn verlassen, und seit wann sie in Derbyshire sei, so oft, und in so abgerissenen Sätzen, daß seine Zerstreutheit deutlich wahrzunehmen war.

Endlich schien ihm der Stoff ganz ausgegangen zu sein, und nachdem er einige Minuten vor ihr gestanden, ohne ein Wort zu sagen, nahm er plötzlich Abschied.

Elisabeth hörte nichts von dem, was ihre Verwandten zu seinem Lobe sagten; sie fühlte nur Schaam und Verdruß. daß er sie hier getroffen, war der unglücklichste Zufall, der ihr im Leben begegnen konnte. Was mußte er davon denken! in welch einem ungünstigen Licht mußte sie ihm, dem eitlen Mann erscheinen! Er sah sich zu dem Glauben berechtigt, daß sie ihm geflissentlich in den Weg getreten war! O, warum kam sie hieher? oder warum er einen Tag früher, als er gewollt? Hätten sie sich nur etwas kürzer in dem Bildersaal aufgehalten, würden sie aus dem Bereich seiner Blicke gewesen sein, denn er war augenscheinlich eben erst vom Pferd, oder aus dem Wagen gestiegen. Sie erröthete immer wieder von Neuem über das Mißgeschick ihres Zusammentreffens. Und sein ganz verändertes Betragen – was konnte er damit bezwecken wollen?

Schon daß er sie anredete, setzte sie in Erstaunen; aber daß er in so höflichen Ausdrücken sprach, sich so angelegentlich nach ihrer Familie erkundigte, war mehr als sie, nach dem was zwischen ihnen vorgefallen, je von ihm erwartet hätte. Noch nie hatte sie ihn so anspruchslos, so wahrhaft zuvorkommend und artig gesehen, als bei diesem unvermutheten Zusammentreffen. Welch ein Contrast zwischen seinem Benehmen im Park zu Rosings, als er ihr seinen Brief überlieferte! Sie wußte nicht, was sie davor denken, wem sie diese Veränderung zuschreiben sollte?

Sie hatte jetzt einen anmuthigen Weg am Wasser eingeschlagen, der sie zu den schönsten Punkten und herrlichsten Anlagen führte. Elisabeth achtete nicht der reizender Gegenstände um sie herum, und beantwortete nur mechanisch die Fragen und Ausrufungen ihrer Verwandten. Ihre Gedanken waren ins Schloß zurückgekehrt, woselbst sie Darcy vermuthete. Sie wünschte zu wissen, was in diesem Augenblick in seinem Gemüth vorginge; auf welche Weise er ihrer gedachte, und ob sie seinem Herzen immer noch theuer wäre. Vielleicht war er nur deshalb so höflich gewesen, weil er sich unbefangen gefühlt; aber dieser Vermuthung widersprach der Ton seiner Stimme, welcher keineswegs Unbefangenheit verrathen hatte. Ob ihr Anblick Schmerz oder Freude in ihm hervorgebracht, konnte sie nicht ergründen; doch so viel war gewiß, daß er nicht ruhig bei denselben gewesen war.

Die neckenden Bemerkungen ihrer Verwandten weckten Elisen endlich aus ihrer Selbstvergessenheit und sie fühlte die Nothwendigkeit, sich zu sammeln, und an der Unterhaltung Theil zu nehmen.

Sie traten nun in den Wald und mußten dem schönen Fluß auf einige Zeit Lebewohl sagen. Ueberall geschmackvolle Anlagen, ausgehauene Aussichten auf die entgegengesetzten Berge, und dann und wann einen Blick auf dem Fluß. Herr Gardiner äußerte den Wunsch, durch den ganzen Park zu gehen, ward aber mit einem triumphirenden Lächeln von dem Gärtner belehrt, daß dieß ein Spaziergang von zehn Meilen sein würde. So mußten sie denn sehr bald einen Seitenweg einschlagen, der sie in kurzer Zeit wieder an den Fluß zurückbrachte. Eine einfache Brücke führte über denselben hinüber in ein enges Thal, welches außer dem sanft dahinschängelnden Wasser nur noch Raum für einen schmalen von Gebüsch begränzten Weg hatte. Elisabeth wünschte die Windungen des Flusses auf diesem romantischen Pfad zu verfolgen; da ihre Tante aber keine rüstige Fußgängerin, und nur darauf bedacht war, den Wagen so bald als möglich zu erreichen, mußte sie diesen Wunsch aufgeben.

So schritten sie nun auf der andern Seite des Flusses dem Hause in der nächstem Richtung zu, kamen jedoch nur langsam vorwärts, indem sich Herr Gardiner, ein großer Freund des Fischfangs, immer wieder durch das Auftauchen einer Forelle, und im Gespräch über diesen und andre Fische mit dem Gärtner vertieft, im Gehen aufhalten ließ. Plötzlich gewahrte Elisabeth zu ihrem nicht geringen Erstaunen Herrn Darcy abermals in einiger Entfernung auf sich zukommen. Obgleich verwundert, hatte sie doch Zeit, sich auf seinen Anblick vorzubereiten, und beschloß, falls er sie wirklich zum zweiten Mal anreden sollte, ihm mit möglichster Ruhe entgegen zu treten. Unterdessen war er herangekommen, und sie begann von der Schönheit der Gegend zu sprechen; doch kaum hatte sie die Worte »entzückend, reizend« ausgesprochen, als sie sich von einer unglücklichen Erinnerung übermannt fühlte, daß ihr Lob der Umgegend von Pemberley auf eine ganz irrige Weise ausgelegt werden könnte. Sie erröthete und schwieg.

Mrß. Gardiner stand etwas seitwärts, und Darcy benutzte die Pause, Elisen zu ersuchen, ihn ihren Freunden vorzustellen. Dieß war ein Anfall von Höflichkeit, der ihr ganz unerwartet kam, und sie konnte kaum ein Lächeln unterdrücken. Der Gedanke, daß er jetzt selbst die Bekanntschaft derjenigen Leute suchte, gegen welche sein Stolz sich in dem ihr erst kürzlich gemachten Antrag auf eine so empörende Weise geäußert, erschien ihr fast unglaublich. »Wie wird er sich verwundern,« dachte sie, »wenn er erfährt, wer diese Freunde sind!«

Sie folgte jedoch seiner Aufforderung, und stellte ihm Herrn und Mrß. Gardiner als ihre Verwandten und Bewohner von Gracechurch-street vor. Während der gegenseitigen Begrüßungen blickte sie verstohlen nach ihm herüber, um zu beobachten, wie er die Nachricht aufnehmen würde, im Geheim fürchtend, ihn sich mit einer der früher an ihm gewohnten hochmüthigen Mienen abwenden zu sehen. Sein Erstaunen über diese Bekanntschaft war allerdings sichtbar; doch bemeisterte er es bald, und überwand sich sogar, ein Gespräch mit Herrn Gardiner anzuknüpfen. Elisabeth triumphirte im Stillen. Es war ein tröstlicher, ein wohlthuender Gedanke, ihm zu zeigen, daß sie auch Verwandte hatte, über welche sie nicht zu erröthen brauchte. Sie lauschte auf jedes Wort der beiden Männer,, und freute sich der Veranlassung, die es ihrem Onkel möglich machte, seinen Geschmack, seine Kenntnisse und seine Bekanntschaft mit der Welt an den Tag zu legen.

Das Gespräch wandte sich bald auf den Fischfang, und sie hörte, wie Darcy ihn höflichst einlud, so oft es ihm beliebte, hier zu fischen, und ihm sogar die dazu erforderlichen Geräthschaften anbot. Mrß. Gardiner, welche am Arm ihrer Nichte den Männern folgte, sah diese mit Blicken der höchsten Verwundrung an. Elisabeth sagte gar nichts, fühlte, aber desto mehr.

»Wie ist es möglich, daß er sich in dieser kurzen Zeit so gänzlich verändern konnte?« wiederholte sie sich immer wieder von Neuem. » Meinetwegen kann er solche Rücksichten nicht nehmen – ich kann nicht Schuld an dieser Umwandlung sein. Meine ihm in Hunsford gemachten Vorwürfe können diesen Wechsel nicht hervorgebracht haben. Es ist unmöglich, daß er mich noch lieben sollte.«

Nachdem sie einige Zeit fortgegangen waren, fühlte Mrß. Gardiner ihre Müdigkeit zunehmen, weshalb sie Elisens Arm mit dem ihres Mannes vertauschte. Darcy nahm seinen Platz an der Seite der Nichte. Anfänglich sprachen sie Beide nicht; da Elisabeth aber wünschte, ihm wissen zu lassen, daß sie vor ihrem Besuch in Pemberley von seiner Abwesenheit gehört, begann sie mit der Bemerkung, daß seine Ankunft unerwartet gewesen sei – »denn Ihre Haushälterin,« fügte sie hinzu – »benachrichtigte uns, daß Sie erst morgen kommen würden; auch hörten wir in Bakewell, daß Sie fürs Erste nicht gesonnen wären, die Stadt zu verlassen.« Er erwiederte, daß es auch so, wie Mrß. Reynolds gesagt, seine Absicht gewesen; daß aber ein Geschäfft mit seinem Verwalter ihn veranlaßt, einige Stunden früher hier einzutreffen, als der übrige Theil seiner Reisegesellschaft. »Diese wird mir morgen früh nachfolgen,« fuhr er fort, »und Sie werden unter derselben einige frühere Bekannte antreffen – Herrn Bingley und seine Schwestern.«

Elisabeth antwortete nur durch eine leichte Verbeugung. Ihre Gedanken kehrten zurück zu jener Zeit, wo sie Bingley's Namen zuletzt gegen Darcy ausgesprochen; und ein flüchtiger Blick auf ihn überzeugte sie, daß auch sein Gemüth auf ähnliche Weise beschäfftigt war.

»Es befindet sich auch noch eine Person in der Gesellschaft,« sagte er nach einer kleinen Pause, »welche sehr wünscht, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen meine Schwester vorzustellen, während Sie sich in Lambton aufhalten?«

Ihr Erstaunen über diese Bitte läßt sich nicht beschreiben, es war zu groß, um im ersten Augenblick eine Antwort zu gestatten. Sie fühlte, daß Miß Darcy's Wunsch, ihre Bekanntschaft zu machen, das Werk ihres Bruders sein mußte, und es war ihr ein erfreulicher Gedanke, daß er ihr vergeben hatte und sie nicht geringer achtete.

Sie gingen schweigend, in tiefe Gedanken verloren, neben einander her. Elisabeth fühlte sich nicht leicht und unbefangen, aber geschmeichelt und geehrt. Sein Wunsch, ihr die Schwester zuzuführen, war das größte Compliment, was er ihr machen konnte. Sie hatten ihre Gesellschaft weit hinter sich zurückgelassen, und als sie den Wagen erreichten, war nichts von Herrn und Mrß. Gardiner zu sehen. Darcy bat sie, ins Haus zu treten. Elisabeth dankte; sie versicherte, nicht ermüdet zu sein, und so blieben sie wartend stehen. Viel hätte in dieser Zeit gesagt werden können, und Beide fühlten das Peinliche des Schweigens. Sie wünschte es zu brechen, fand aber keinen passenden Gegenstand. Endlich gedachte sie ihrer Reise, und sprach mit äußerster Anstrengung von Matlock, Bakewell und andern Orten. Aber die Zeit und ihre Tante gingen langsam, und Geduld und Gedanken drohten sie zu verlassen.

Da erschienen Herr und Mrß. Gardiner und machten dem druckender tête-à-tête ein Ende. Darcy, wiederholte seine Einladung, sich in seinem Hause auszuruhen und einige Erfrischungen anzunehmen, welche indeß dankbarlichst abgelehnt wurde. Man schied gegenseitig mit der äußersten Höflichkeit von einander, Darcy hob die Damen in den Wagen, und Elisabeth sah ihn hierauf langsam dem Hause zugehen.

Jetzt begannen Herr und Mrß. Gardiner, ihre Bemerkungen zu machen, und Beide erklärten, daß sie ihn weit liebenswürdiger gefunden, als sie erwartet.

»Er ist ungemein artig, höflich und anspruchslos,« sagte der Onkel.

»Es spricht sich in seinem Wesen allerdings so etwas Aehnliches wie Stolz aus,« entgegnete die Tante, »aber es liegt mehr im Aeußern und kleidet ihm sehr gut. Ich sage mit der Haushälterin, ›manche Menschen nennen ihn stolz, ich habe aber nichts davon bemerkt.‹«

»Sein Betragen gegen uns hat mich wirklich in Erstaunen gesetzt. Es war mehr als höflich, es war in der That aufmerksam, obgleich wir keinen Anspruch an solche Aufmerksamkeiten machen konnten. Seine Bekanntschaft mit Elisen ist zu kurz, um ihm Verbindlichkeit gegen uns aufzulegen.«

»Lizzy, er ist nicht so hübsch wie Wickham,« nahm die Tante wieder das Wort, »aber doch ein hübscher Mann. Wie kamst Du nur dazu, ihn uns als sehr unangenehm zu beschreiben?«

Elisabeth entschuldigte sich so gut sie konnte, sie sagte, daß er ihr schon besser gefallen hätte, als sie ihn in Kent gesehen, und daß er ihr selbst noch nie so artig erschienen wäre, wie am heutigen Morgen.

»Er ist vielleicht ein Bischen veränderlich und launenhaft, nicht einen Tag so höflich wie den andern,« entgegnete der Onkel. »Große Herren pflegen es so zu halten; deswegen werde ich ihn auch nicht beim Wort nehmen wegen dem Fischen. Er könnte morgen weniger gnädig gesinnt sein, und mich am Ende aus seinem Gebiet verweisen.«

Elisabeth fühlte, daß sie seinen Charakter ganz falsch beurtheilten, sagte aber nichts.

»Nach dem zu schließen, was wir von ihm gesehen und gehört haben,« fuhr Mrß. Gardiner fort, ist es kaum glaublich, daß er sich wirklich so grausam gegen den armen Wickham benommen haben sollte. Er hat auch nicht einen bösen Zug in seinem Gesicht, im Gegentheil etwas sehr Gutmüthiges um den Mund, wenn er spricht und so viel Würde in seiner Haltung, daß man unmöglich schlecht von seinem Herzen denken kann. Ich wenigstens traue ihm nichts Böses zu, wenn ich auch dem freigebigen Lobe der alten Haushälterin nicht unbedingt Glauben beimesse. Ich mußte manchmal über ihre Aeußerungen lachen. Doch er wird wohl ein freigebiger Herr sein, und diese Eigenschaft ist in den Augen der Dienstboten hinreichend, ihn mit jeder Tugend zu schmücken.«

Elisabeth fühlte sich berufen, etwas zur Rechtfertigung seines Betragens gegen Wickham zu sagen, und gab daher so vorsichtig als möglich zu verstehen, daß er, nach dem was sie von seinen Verwandten in Kent erfahren, durchaus keiner schlechten Handlung fähig sei, vielmehr einen edlen Charakter besitze; Wickham dagegen nicht so fehlerfrei und liebenswürdig sei, als man ihn bis jetzt gehalten. Zum Beweis hiervon erzählte sie die nähern Umstände in Betreff der Pfründe, ohne jedoch ihre Quelle zu nennen.

Mrß. Gardiner vernahm mit Erstaunen den Bericht ihrer Nichte; da sie jedoch kein näheres Interesse an Wickham nahm und Elisens Herz gleichgültig gegen ihn wußte, vergaß sie ihn und seine Undankbarkeit bald im Verlauf der mannigfachen Zerstreuungen, die ihr der Rest des Tages im Kreise früherer Bekannten bot. Elisabeth aber war durch nichts von dem einen, sie allein beschäfftigenden Gedanken abzubringen. Darcy und seine ihr völlig unerklärliche Umwandlung waren und blieben ihr unauflösliche Räthsel. Sie konnte nur an ihn und seinen Wunsch, sie mit Georginen bekannt zu machen, denken.

 

Zweites Capitel.

 

Elisabeth vermuthete, daß Darcy ihr seine Schwester den andern Morgen nach ihrer Ankunft in Pemberley bringen würde, und beschloß deshalb, sich zu dieser Zeit nicht vom Wirthshause zu entfernen. Ihre Vermuthung war indessen falsch; denn schon denselben Morgen, wo sie angekommen, fand sie sich mit ihrem Bruder in Lambton ein. Gardiners waren eben mit ihrer Nichte von einem kleinen Ausflug zurückgekehrt, und im Begriff, Toilette zu machen, um in Gesellschaft einiger befreundeten Familie auswärts zu Mittag zu essen, als das Rasseln eines Wagens sie an das Fenster lockte, und sie einen Herrn und eine Dame in einem Curricle Carrick, Carrik oder Curricle ist der Name einer Kutsche, die zu Beginn des 18. Jh. beliebt war. Sie ist zweirädrig, wird zweispännig gefahren und wirkt sehr elegant, wurde aber bald von anderen Kutschenarten wie Cabriolet oder Phaeton abgelöst, weil sie höchst unfallträchtig war. die Straße heraufkommen sahen. Elisabeth erkannte die Livree und theilte ihren Verwandten die ihnen bevorstehende Ehre mit. Onkel und Tante blickten sie voll Erstaunen an. Eine solche Auszeichnung verbunden mit Elisens zunehmender Verlegenheit und manchem andern, ihnen schon gestern aufgefallenen Umstand, schien ihnen plötzlich Licht über die Sache zu geben. Bis jetzt war ihnen kein Gedanke dieser Art eingefallen; doch nun glaubten sie plötzlich, den Schlüssel zu Herrn Darcy's unbegreiflichem Betragen gefunden zu haben. Während sie sich mit dieser neuen Idee vertraut zu machen suchten, nahm Elisens Unruhe mit jedem Augenblick zu. Sie kannte sich selbst nicht wieder in diesem fremden Gefühl und strebte vergebens nach äußerer Ruhe. Eine gewisse Angst hatte sich ihrer bemeistert; sie fürchtete, daß des Bruders Vorliebe für sie der Schwester einen allzugünstigen Begriff von ihr beigebracht haben möchte, und der Wunsch, demselben zu entsprechen, gab ihrem Wesen etwas Unsicheres,

Sie entfernte sich vom Fenster, um nicht gesehen zu werden, und ging eiligen Schritts im Zimmer auf und ab; doch auch hier fand sie keine Ruhe, und die auf sie gerichteten, halb erstaunten, halb neugierigen Blicke ihrer Verwandten machten das Uebel nur noch ärger.

Indem trat Herr Darcy mit seiner Schwester ein und die Vorstellung ging in aller Form vor sich. Voll Verwundrung gewahrte Elisabeth, daß ihre neue Bekanntin nicht minder verlegen als sie selbst war. Sie hatte sie als stolz schildern hören; doch eine Beobachtung von wenigen Minuten reichte hin, sie zu überzeugen, daß diese Zurückhaltung nicht Hochmuth, sondern der höchste Grad von Schüchternheit sei. Es war kaum möglich, mehr als einzelne Worte aus ihr herauszubringen.

Miß Darcy war größer wie Elisabeth, sehr elegant und obgleich erst sechszehn Jahr, doch schon vollkommen ausgebildet. Ihre Gesichtszüge hatten einen freundlichen angenehmen Ausdruck und ihre ganze Erscheinung etwas sehr Anmuthiges, Weibliches. Elisabeth, die sich gefürchtet, in ihr eine eben so scharfe und strenge Beobachterin zu finden, wie in ihrem Bruder, fühlte sich angenehm überrascht durch Georginens anspruchsloses, sanftes Benehmen.

Darcy erzähltet ihr sogleich, daß Bingley an diesem Morgen ebenfalls seine Aufwartung zu machen gedenke; und kaum hatte sie Zeit, ihre Freude darüber auszusprechen, als ein rascher Fußtritt auf der Treppe seine Ankunft verkündete. Elisens Zorn gegen ihn war längst verschwunden; und selbst, wenn auch noch ein kleiner Theil im Hintergrunde ihrer Seele zurückgeblieben wäre, hätte er jetzt weichen müssen vor der herzlichen, freundlichen Begrüßung. Er erkundigte sich angelegentlich nach dem Befinden ihrer Familie, drückte seine Freude, sie wieder zu sehen, auf eine so natürliche Weise aus, und verrieth so viel Unbefangenheit, daß sie ihn von aller Schuld freisprechen mußte.

Für Herrn und Mrß. Gardiner war er nicht minder eine erfreuliche Erscheinung; sie hatten längst schon gewünscht ihn kennen zu lernen. Beide Männer erregten ihre Aufmerksamkeit in einem hohen Grade, besonders Darcy, von dessen Neigung für ihre Nichte sie sich immer mehr und mehr überzeugten. Ueber Elisens Gefühle waltete noch ein kleiner Zweifel ob; doch daß Darcy nur Liebe und Bewundrung athmete, war deutlich zu sehen.

Auch Elisabeth war nicht unbeschäfftigt. Sie bemühte sich, die Gefühle ihrer verschiedenen Gäste zu ergründen, ihr eigenes zu beruhigen, und sich allen angenehm zu machen, welches Geschäfft ihr nicht schwer wurde. Bingley war bereit, Georgine willig und Darcy entschlossen, sie und alles, was sie that und sagte, liebenswürdig zu finden. Bingley's Anblick erregte natürlich eine Erinnerung an ihre Schwester; und o! wie wünschte sie zu wissen, ob auch seine Gedanken auf dieselbe Weise beschäfftigt wären! Manchmal kam es ihr vor, als wenn er weniger spräche wie sonst, und ein Mal ruhte sein Blick so forschend auf ihr, als ob er in ihren Zügen eine Aehnlichkeit mit Johannen gesucht hatte. Aber wenn dieß auch nur Einbildung war, konnte sie doch bei der genauesten Beobachtung nichts bemerkten, was auf ein Verhältniß zwischen ihm und Miß Darcy schließen ließ. Kein Blick, kein Wort von seiner oder ihrer Seite, was die Hoffnungen Miß Bingley's zu rechtfertigen schien. Hierüber fühlte sie sich vollkommen beruhigt; und es ereigneten sich, ehe sie schieden, mehrere kleine Umstände, die eine Erinnerung an Johannen aussprachen, so wie den Wunsch, mehr über sie zu sagen, wenn er es gewagt hätte. Als er sich einen Augenblick unbemerkt glaubte, sagte er in einem Ton, der Bedauern ausdrückte – »Es ist sehr lange, daß wir uns nicht gesehen haben – über acht Monate. Ich habe Sie nicht wieder gesehen seit dem 26. November, wo wir alle zusammen in Netherfield tanzten.«

Elisabeth freute sich, sein Gedächtniß so treu zu finden; und er benutzte später noch ein Mal die Gelegenheit, sie zu fragen, ›ob alle ihre Schwestern in Longbourn wären?‹ Die Frage an und für sich war eben so wenig bedeutungsvoll, als die vorhergegangene Bemerkung, aber der sie begleitende Ton und Blick gab ihnen die wahre Auslegung.

Sie wagte es nicht, oft ihre Blicke auf Darcy zu richten; doch wenn sie es that, sah sie seine Züge von einem heitern, freundlichen Ausdruck belebt; und alles, was er sagte, verrieth so wenig Hochmuth und Stolz, daß sie sich überzeugte, der höhere Grad von Artigkeit, den sie gestern an ihm bemerkt, habe wenigstens bis jetzt noch Stand gehalten. Sie glaubte zu träumen, wenn sie sein Bestreben sah, die gute Meinung derjenigen Menschen zu erhalten, deren Umgang er erst noch vor wenigen Monaten für eine Schande gehalten hatte; wenn sie seine ausgezeichnete Höflichkeit nicht allein gegen sie selbst, sondern gegen dieselben Verwandten, über welche er sich bei ihrem letzten Zusammentreffen in der Pfarrwohnung zu Hunsford so offen erklärt hatte, bemerkte. Der Unterschied war zu groß, die Verwandlung zu unbegreiflich, als daß sie ihren Einfluß nicht auf sie geäußert haben sollten. Nie, selbst nicht in der Gesellschaft seiner lieben Freunde in Netherfield oder seiner hohen Verwandten in Rosings hatte sie ihn so augenscheinlich bemüht zu gefallen, so frei von Selbstgefühl und Zurückhaltung gesehen, als hier, wo nichts auf sein Betragen ankam, ja wo selbst seine Artigkeit und Aufmerksamkeit den Tadel und Spott der Damen von Netherfield und Rosings nothwendig nach sich gezogen haben würde.:

Nach einer halben Stunde erhob sich die Gesellschaft zum Abschied und Darcy forderte seine Schwester auf, seine Bitte, Herrn und Mrß. Gardiner nebst Miß Bennet einen Mittag bei sich in Pemberley zu sehen, bevor sie die Gegend verließen, zu unterstützen. Miß Darcy gehorchte, obgleich mit einer Schüchternheit, welche deutlich bewies, wie wenig sie noch geübt war, solche Einladungen zu geben. Mrß. Gardiner sah ihre Nichte an, um zu erfahren, ob sie, der diese Höflichkeit hauptsächlich galt, geneigt sei, sie anzunehmen; doch Elisabeth hatte sich abgewandt und schien nichts gehört zu haben. Da sie aber dieses geflissentliche Vermeiden sehr richtig für Verlegenheit und nicht für Abneigung gegen den gemachten Vorschlag erkannte, und ihr Mann sich sehr bereitwillig dazu erklärte, wurde die Einladung mit Dank angenommen und der übermorgende Tag dazu festgesetzt.

Bingley freute sich der Aussicht, Elisen wieder zu sehen, da er noch viel mit ihr zu sprechen, noch manche Frage nach seinen Freunden in Hertfordshire zu thun hatte. Elisabeth übersetzte sich dies in den Wunsch, noch mehr von ihrer Schwester zu hören, und war sehr befriedigt von ihm, so wie von dem ganzen Besuch, obgleich ihr der Genuß desselben durch Anstrengung verbittert worden war. Sie sehnte sich allein zu sein, und fürchtete die Anspielungen ihrer Verwandten; deshalb hörte sie nur noch Bingley's Lob und eilte dann in ihr Zimmer, sich anzukleiden.

Aber von Herrn und Mrß. Gardiners Neugier hatte sie nichts zu befürchten; sie wollten ihr Vertrauen nicht erzwingen. Fest überzeugt, daß ihre Nichte Herrn Darcy besser kannte, als sie bis jetzt geglaubt, und daß er ihr wahrhaft ergeben war, wußten sie genug, um sich aller Fragen zu enthalten. Ob er aber wirklich den vortrefflichen Charakter besaß, das hohe Lob verdiente, welches ihm die Haushälterin beigelegt, blieb noch zu ergründen übrig. Die Nachforschungen, die sie darüber bei ihren Freunden in Lambton angestellt, waren nicht zu seinem Nachtheil ausgefallen. Man wußte ihn nichts vorzuwerfen als Stolz; stolz war er, und mußte er schon deswegen sein, weil er außer allem Verkehr mit den Einwohnern des kleinen Marktstädtchens lebte, und keinen Menschen besuchte. Zugleich ward er aber auch für einen freigebigen Mann erklärt, der den Armen viel Gutes erwiese.

Ueber Wickham lauteten die Nachrichten nicht allzugünstig, und die Reisenden fanden, daß er nicht in dem besten Ruf stand; denn obgleich man die meisten Klagen, die er über den Sohn seines verstorbenen Gönners führte, für gegründet hielt, war doch der Umstand, daß er viel Schulden in Derbyshire hinterlassen, welche Herr Darcy sämmtlich bezahlt hatte, nicht minder unbekannt geblieben.

Elisens Gedanken verweilten an diesem Tage noch mehr wie in dem vorigen in Pemberley, und der Nachmittag, so lang er ihr auch wurde, war dennoch nicht lang genug, um zu entscheiden, wie sie gegen den Besitzer desselben gesinnt sei. Sie haßte ihn nicht. Nein; dieses Gefühl war längst aus ihrem Herzen gewichen, und sie schämte sich, je eine Abneigung gegen ihn empfunden zu haben. Die Achtung, die sie seinen bessern Eigenschaften anfänglich nicht gern gezollt, fand jetzt ungehinderten Eingang, besonders seit er sich gestern und heute in dem ihr ganz fremden, liebenswürdigen Licht gezeigt. Doch mehr noch als durch die Achtung und Hochschätzung für seinen Charakter fühlte sie sich durch Dankbarkeit an ihn gefesselt. Ja, sie war ihm dankbar, daß er sie einst geliebt hatte, und jetzt noch so viel Liebe für sie empfand, um alle die Härten und Bitterkeiten vergessen zu können, womit sie seinen Antrag abgewiesen. Er, von dem sie überzeugt gewesen, daß er sie wie seinen bittersten Feind fliehen würde, war jetzt, bei ihrem zufälligen Zusammentreffen, bemüht, die Bekanntschaft fortzusetzen, sich ihren Verwandten gefällig zu beweisen, und seine Schwester mit ihr bekannt zu machen. Eine solche Veränderung in einem Mann von diesem Stolz erregte nicht allein Verwundrung, sondern heischte auch Dankbarkeit – denn nur der Liebe, der heißesten Liebe konnte sie zugeschrieben werden. Sie schätzte, sie achtete ihn, sie war ihm dankbar, sie nahm innigen Antheil an seinem Wohlergehen, und wünschte nur zu wissen, in wie fern es von ihr abhing, Letzteres zu befördern.

Es war zwischen der Tante und Nichte verabredet worden, in Erwiederung der unerwarteten Höflichkeit Miß Darcy's, die sie auf keine andre Weise zu vergelten im Stande waren, an folgenden Morgen ihren Gegenbesuch zu machen. Gardiner verließ die Damen gleich nach dem Frühstück, um Darcy's Aufforderung, mit ihm und einigen andern Herrn zu fischen, zu folgen, und so begaben sie sich allein nach Pemberley.

 

Drittes Capitel.

 

Da Elisabeth jetzt die feste Ueberzeugung hatte, daß Miß Bingley's Abneigung gegen sie hauptsächlich aus Eifersucht entstanden war, sah sie nicht ohne Neugier ihrem ersten Zusammentreffen entgegen. Ihre Erscheinung in Pemberley mußte ihr nothwendig unangenehm sein; und sie war begierig zu sehen, ob sie sich so weit überwinden konnte, die alte Bekanntschaft mit anscheinender Höflichkeit zu erneuern.

Sie wurden durch ein Vorzimmer in den Sommersalon geführt, dessen nördliche Lage ihm in dieser Jahreszeit vor allen andern Zimmern den Vorzug gab. Die geöffneten Fenster gewährten eine herrliche Aussicht auf die hohen, mit Wald bekränzten Berge hinter dem Hause, und auf die schönen Eichen und Kastanienbäume, die den freien Platz zierten.

In diesem anmuthigen Gemach wurden sie von Miß Darcy empfangen, die hier mit Mrß. Hurst, Miß Bingley und der sie chaperonirenden Chaperon: Anstandsdame. Dame aus London gesessen hatte. Georginens Begrüssung war sehr höflich, zugleich aber mit so viel Schüchternheit begleitet, daß man sie leicht für zurückhaltend und hochmüthig hätte halten können. Mrß. Gardiner und ihre Nichte wußten indeß, wofür sie es zu nehmen hatten, und zollten ihr inniges Mitleid.

Mrß. Hurst und Miß Bingley begrüßten die Fremden nur durch eine stumme Verbeugung, worauf, nachdem man Platz genommen, eine peinliche Pause eintrat. Mrß. Annesley, eine feine, gebildete Frau, unterbrach diese zuerst und knüpfte eine Unterhaltung mit Mrß. Gardiner an, in welche Elise bald einstimmte. Miß Darcy rang nach Muth sich ebenfalls hineinzumischen, und wagte endlich einige kurze Redensarten anzubringen, doch nur wenn sie hoffen konnte nicht gehört zu werden.

Elisabeth gewahrte bald, daß sie genau von Miß Bingley bewacht wurde, und daß sie besonders mit großer Aufmerksamkeit auf jedes, an Miß Darcy gerichtete Wort lauschte. Diese Bemerkung würde sie jedoch nicht gehindert haben, sich mit Letzterer zu unterhalten, wenn sie nicht so fern von ihr gesessen hätte. Hierdurch aber war ihr die Gelegenheit dazu abgeschnitten, und sie konnte ungestört ihren eignen Gedanken nachhängen. Es bot sich ihr in diesen Zimmern Stoff genug zum Nachdenken dar. Sie erwartete jeden Augenblick, die Herren eintreten zu sehen, und wußte nicht, ob sie diesen Umstand mehr wünschen oder fürchten sollte. Nachdem sie eine Viertelstunde in Betrachtungen verloren gesessen hatte ohne Miß Bingley's Stimme zu hören, ward sie plötzlich durch eine kalte Frage nach dem Befinden ihrer Familie aus ihren Träumereien aufgeweckt. Sie erwiederte sie mit gleicher Kürze und Gleichgültigkeit, worauf die Andre wieder schwieg.

Die nächste Unterbrechung der mühsam geführten Unterhaltung entstand durch den Eintritt der Bedienten, welche kalte Speisen, Gebackenes und die schönsten Früchte auftrugen. Doch erst nach manchem bedeutungsvollen Blick und Lächeln von Mrß. Annesley war Miß Darcy zu vermögen, ihr Amt als Wirthin auszuüben. Jetzt fand ein Jedes Beschäfftigung, denn obgleich sie nicht alle hatten sprechen können, konnten sie doch alle essen, und die herrlichen Pyramiden von Trauben, Pfirsichen und andern vorzüglichen Obstsorten versammelte die ganze Gesellschaft um den Tisch.

Während dieses Intermezzos hatte Elisabeth die schönste Gelegenheit, mit sich selbst darüber ins Reine zu kommen, ob sie Darcy's Ankunft mehr wünschen als fürchten sollte; und kaum für das Erstere entschieden, machte sein plötzlicher Eintritt sie von Neuem wieder so befangen und verlegen, daß sie ihn lieber nicht gesehen hätte.

Er war mit Herrn Gardiner und einigen Herrn aus seiner Gesellschaft in Angelegenheiten des Fischfangs am Fluß gewesen, als er Mr. Gardiners und ihrer Nichte Vorsatz, seine Schwester zu besuchen, erfahren hatte, und gleich zurückgekehrt war. Elisabeth nahm sich bei seinem Anblick fest vor, so ruhig und unbefangen als möglich zu erscheinen, da ihr Besonnenheit genug geblieben war, zu bemerken, daß alle Augen auf sie und ihn gerichtet waren. Doch in keinem Gesicht drücke sich die Neugier so deutlich aus, als in Miß Bingley's – trotz dem Lächeln, hinter welches sie dieselbe zu verbergen suchte. Ihre Eifersucht hatte sie noch nicht verzweifeln lassen, und ihre Ansprüche an Darcy waren noch dieselben, die sie in Netherfield verrrathen. Georgine bemühte sich bei ihres Bruders Eintritt die Unterhaltung zu machen, und Elisabeth sah, wie er seinet- und ihretwegen besorgt war, sie aufrecht zu erhalten, und allgemein interessante Gegenstände dazu zu erwählen. Miß Bingley bemerkte ihrerseits dieses Streben ebenfalls, und vergaß sich in ihrem Unwillen darüber so weit, Elisen mit boshaftem Lächeln zuzurufen:

»Miß Elisabeth, ist nicht das Landwehrregiment von Meryton verlegt worden? Dieser Umstand muß für Ihre Familie ein großer Verlust gewesen sein.«

Sie wagte Wickham's Namen in Darcy's Gegenwart nicht auszusprechen. Elisabeth aber fühlte, daß sie ihn bei dieser Anspielung im Sinn gehabt hatte, und obgleich die Erinnerung an ihn sie in andrer Beziehung tiefer berührte, als selbst Miß Bingley zu fassen vermochte, ermannte sie sich doch schnell, und beantwortete die Frage mit ziemlich gleichgültigem Ton. Ein unwilkührlicher Blick auf Darcy sagte ihr, daß er sie bei dieser Anrede mit einem ernsten Ausdruck und schnellem Farbenwechsel betrachtet hatte. Georgine war wie mit Purpur übergossen, und wagte die Augen nicht aufzuschlagen. Hätte Miß Bingley ahnen können, welche unangenehme Empfindung sie ihren geliebten Freunden durch diese Worte verursachte, würde sie sie gewiß nicht ausgesprochen haben; sie beabsichtigte dadurch nur, Elisen aus der Fassung zu bringen, sie zu einer Antwort zu vermögen, die ihre Vorliebe für Wickham verrathen und sie in Darcy's Augen herabsetzen sollte; und Letztern nebenbei an alle die Thorheiten und Albernheiten zu erinnern, deren sich die meisten Glieder ihrer Familie während dem Aufenthalt des Regiments zu Schulden kommen gelassen hatten. Von Wickham's Verhältniß zu Miß Darcy und der verabredeten Entführung war nie ein Wort zu ihren Ohren gedrungen. Außer Elisabeth ahnete niemand etwas davon, und Darcy hatte dieses Geheimniß besonders sorgfältig vor Bingley und dessen Schwestern zu verbergen gesucht, weil er wirklich den Wunsch gehegt, seinen Freund mit Georginen verbunden zu sehen. Er gestand sich denselben zwar nicht offen zu, läugnete wenigstens seinen Einfluß auf die von ihm bewerkstelligte Trennung zwischen Bingley und Johannen; doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieser frühere Plan viel Theil an der lebhaften Sorge für das Wohl seines Freundes gehabt hat.

Elisabeths besonnenes Wesen beruhigte sein Gemüth bald wieder; und da Miß Bingley in ihrer Erwartung getäuscht, nicht weiter zu gehen wagte, so fand auch Georgine Zeit, sich einiger Maaßen zu erholen, wenn gleich nicht so weit, um wieder an der Unterhaltung Theil zu nehmen. Ihr Bruder, dessen Blick zu begegnen sie ängstlich vermied, schien ihren Antheil an der Sache ganz unbeachtet zu lassen; und derselbe Umstand, der bestimmt war, seine Gedanken von Elisen abzuziehen, diente nur dazu, sie mit größerm Interesse zu ihr zurückzuführen.

Bald darauf erhob sich Mrß. Gardiner, um Abschied zu nehmen; und während Darcy die Damen an den Wagen begleitete, ließ Miß Bingley ihren Gefühlen freien Lauf in spöttischen Bemerkungen über Elisens Gestalt, Betragen und Anzug. Doch Georgine stimmte nicht mit ein; ihres Bruders warme Empfehlung war hinreichend, ihr Urtheil zu bestimmen: er konnte nicht irren, und er hatte sich so günstig über Miß Bennet geäußert, daß sie auch nicht umhin konnte, sie höchst liebenswürdig zu finden. Als Darcy zurückkehrte, wiederholte Caroline die Bemerkungen, welche sie so eben seiner Schwester mitgetheilt, und fügte hinzu:

»Mein Gott! wie übel sah Elisabeth diesen Morgen aus! Ich fand in meinem Leben noch niemand in so kurzer Zeit auf eine solche schreckliche Weise verändert. Sie ist ja ordentlich braun von der Sonne verbrannt! Louise und ich hätten sie kaum wieder erkannt.«

So wenig Freude Darcy über diese Aeußerungen zu empfinden schien, begnügte er sich doch damit, kalt zu erwiedern, ›daß er weiter keine Veränderung bemerkt hatte, außer daß sie etwas verbrannt wäre, was bei einer längern Reise im Sommer jedes Mal der Fall zu sein pflegte‹.

»Ich muß gestehen,« fuhr sie fort, »daß ich sie nie hübsch gefunden habe. Ihr Gesicht ist zu schmal, ihr Teint nicht brillant, und ihre Züge nicht regelmäßig. Ihrer Nase fehlt ein charakteristischer Ausdruck, sie hat durchaus nichts Edles. Ihre Zähne sind leidlich, aber doch nicht ausgezeichnet; und ihre Augen, die zwar manchmal für schön erklärt worden sind, finde ich durchaus nicht so. Sie haben einen scharfen, stechenden Blick, den ich nicht leiden mag, und aus ihrem ganzen Wesen spricht ein Selbstgefühl, was mir unerträglich ist.«

Ueberzeugt, wie Miß Bingley war, daß Darcy Elisen liebte, erwählte sie nicht das rechte Mittel, sich selbst zu empfehlen; doch in der Leidenschaft handeln die Menschen selten überlegt, und da sie ihn erbittert sah, hatte sie für den Augenblick ihren Zweck erreicht. Er würdigte ihren Worten keine Antwort Siehe Anm. 9., und so fuhr sie, entschlossen, ihn zum Reden zu bringen, beharrlich fort:

»Ich erinnere mich noch unseres allgemeinen Erstaunens, als wir in Netherfield angekommen, Miß Elisabeth Bennet als eine der hauptsächlichsten Schönheiten rühmen hörten; und besonders unvergeßlich sind mir Ihre Worte, Herr Darcy, als sie zum ersten Mal in Netherfield gewesen war. Sie eine Schönheit! sagten Sie – eben so gut kann man ihre Mutter für eine Gelehrte erklären. Späterhin schienen Sie jedoch Ihre Meinung über sie geändert zu haben, und sie recht artig zu finden.«

»Ja,« erwiederte Darcy, unfähig sich länger zu halten, – »so dachte ich anfänglich, als ich sie kennen lernte; doch bereits seit mehreren Monaten, erkläre ich sie für das schönste Mädchen meiner Bekanntschaft.«

Hiermit ging er fort, Miß Bingley ihren eigenen Betrachtungen über den Sinn der von ihm erpreßten Antwort überlassend.

Mrß. Gardiner und Elisabeth unterhielten sich auf dem Rückweg über alles, was sie in Pemberley gesehen und gehört, nur nicht über das, was Beiden am wichtigsten und bemerkenswerthesten erschienen war, über den Herrn des Hauses. Elisabeth wünschte und hoffte, daß ihre Tante ein Urtheil über ihn fallen möchte, und Mrß. Gardiner erwartete, daß ihre Nichte das Gespräch über ihn beginnen sollte.

 

Viertes Capitel.

 

Elisabeth war sehr betrübt bei ihrer Ankunft in Lambton, keinen Brief von Johannen vorzufinden, und diese getäuschte Erwartung hatte sich nun schon zwei Tage wiederholt. Doch jetzt am dritten sollte sie für ihr längeres Warten belohnt werden, indem ihr bei ihrer Zurückkunft von Pemberley zwei Briefe von Johannen überreicht wurden. Der eine war, wie das Couvert bewies, aus Versehen auf Umwege hierher gerathen, worüber sich Elise nicht verwunderte, weil ihre Schwester die Aufschrift sehr undeutlich geschrieben hatte.

Da Gardiners eben im Begriff gewesen waren, mit ihrer Nichte auszugehen, überließen sie sie jetzt sich selbst und ihren Briefen. Der früher geschriebene mußte zuerst gelesen werden. Die erste Hälfte enthielt eine Beschreibung ihres Lebens und aller der kleinen Belustigungen, die die Nachbarschaft gewährt, so wie sämmtlicher Neuigkeiten, doch die zweite Hälfte, welche einen Tag später und augenscheinlich in großer Gemüthsbewegung geschrieben war, enthielt wichtigere Nachrichten und lautete folgender Maaßen:

»Liebste Lizzy! Seit gestern, wo ich den Anfang dieses Briefs geschrieben, hat sich etwas sehr Unerwartetes und Trauriges zugetragen: aber ich fürchte, Dich zu erschrecken und versichere daher gleich, daß wir uns alle wohl befinden. Was ich zu berichten habe, betrifft unsre arme Lydia. Vorige Nacht um 12 Uhr, als wir eben zu Bette gehen wollten, kam ein expresser Bote von Oberst Forster mit der Nachricht, daß sie mit einem seiner Officiere heimlich nach Schottland Zum Schmied von Gretna Green, Dieser wurde über 200 Jahre lang von minderjährigen Paaren aus England, bald aber auch aus Teilen des übrigen Europas zur Hochzeit aufgesucht, weil sie hier ohne Erlaubnis der Erziehungsberechtigten eine Ehe schließen konnten. In Schottland durften Jungen mit 14 und Mädchen mit 12 Jahren eine Ehe ohne elterliche Zustimmung schließen. entwichen sei – mit Wickham! – Denke Dir unser Erstauen! für Kitty schien die Sache nicht so überraschend zu sein. Ich bin unbeschreiblich niedergeschlagen. Welch eine thörichte Heirath von beiden Seiten! – Doch ich will das Beste hoffen, und nicht an seinem Charakter verzweifeln. Gedankenlos und leichtsinnig mag er sein, aber dieser Schritt wirft kein schlechtes Licht auf sein Herz. Die Wahl zeugt wenigstens von seiner Uneigennützigkeit, denn er muß wissen, daß unser Vater ihm nichts geben kann. Die arme Mutter ist sehr betrübt, der Vater trägt es besser. Wie froh bin ich jetzt, daß wir ihnen nicht verriethen, was wir von ihm gehört haben. Wir müssen es jetzt selbst zu vergessen suchen. Sie sind allem Anschein nach am Sonnabend um 12 Uhr entflohen, doch gestern Morgen um 8 Uhr vermißt worden, worauf der Bote gleich fortgeschickt wurde. Wahrscheinlich sind sie ganz in der Nähe von Longbourn vorbeigekommen. Oberst Forster läßt uns hoffen, ihn bald hier zu sehen. Lydia hatte ein Paar Zeilen an seine Frau zurückgelassen, worin sie ihr den gefaßten Entschluß mittheilt. Ich muß schließen, da ich unsre arme Mutter nicht lange verlassen kann. Ich fürchte, Du kannst diese Zeilen kaum lesen, aber ich weiß nicht mehr, was ich schreibe.«

Ohne sich Zeit zur Ueberlegung zu gestatten, kaum wissend was sie empfand, öffnete Elise mit Ungeduld den zweiten Brief. Er war einen Tag nach Beschluß des ersten geschrieben.

»Du wirst jetzt, geliebte Schwester! meine frühern flüchtigen Zeilen erhalten haben; ich wünschte Dir heute ruhiger schreiben zu können, aber mein armer Kopf ist so angegriffen, daß ich nur mit Mühe die rechten Ausdrücke finde. Theuerste Lizzy! ich habe Dir noch traurigere Nachrichten mitzutheilen, die keinen Aufschub leiden. So unvernünftig auch eine solche Heirath ist: so sehen wir jetzt doch mit Angst einer Bestätigung derselben entgegen, da wir leider fürchten müssen, daß sie nicht nach Schottland gegangen sind. Oberst Forster langte gestern hier an, nachdem er Brighton den Tag vorher, wenige Stunden nach dem Boten verlassen hatte. Obgleich Lydia in ihrem kurzen Brief an Mrß. Forster zu verstehen gegeben hatte, daß sie nach Gretna Green gehen würden, war dennoch durch Denny ruchbar geworden, daß Wickham nicht gesonnen sei, dorthin zu gehen, eben so wenig wie Lydien zu heirathen. Sobald Oberst Forster diese Nachricht erhielt, verfolgte er ihre Spur, doch nur bis Clapham, wo sie einen Miethwagen genommen und die Postpferde zurückgeschickt hatten, die sie von Epsom gebracht. Hierauf hat er weiter nichts erfahren können, als daß sie auf dem Weg nach London gesehen worden waren. Ich weiß nicht, was ich davon denken soll. Nachdem Oberst Forster in allen Wirthshäusern und an allen Schlagbäumen dieser Straße vergebens Erkundigungen eingezogen, kam er in Hertfordshire an. Niemand hatte das Paar gesehen. Er hinterbrachte uns diese trostlose Nachricht mit vieler Schonung, und bewies überhaupt eine Theilnahme, die uns Allen wohl that. Sowohl er wie seine Frau sind sehr zu bedauern, aber anklagen kann man sie nicht. Ach, Lizzy! Unsre Lage ist sehr betrübt. Die Eltern glauben das Schlimmste, doch ich kann ihn nicht für so schlecht halten. Manche Umstände erleichtern ihm eine geheime Heirath in der Stadt; deshalb glaube ich, daß er den frühern Plan aufgegeben hat. Ich theilte Oberst Forster meine Ansichten darüber mit, fand ihn jedoch leider andrer Meinung. Er schüttelte den Kopf zu meinen Hoffnungen, und behauptete, Wickham sei nicht der Mann, dem man trauen könne. Meine arme Mutter ist krank und muß das Zimmer hüten. Wenn sie nur einige Gewalt über sich hätte und ihre Heftigkeit mäßigen wollte, würde es viel besser gehen; aber daran ist nicht zu denken. Auch den Vater sah ich noch nie so angegriffen. Selbst Kitty ist in großer Unruhe; sie fürchtet durch ihr Verschweigen dieses Verhältnisses Uebel angerichtet zu haben; doch da es ihr als ein Geheimniß anvertraut war, konnte man nichts andres erwarten. Anfänglich war ich froh, daß Dir, liebste Lizzy! die schrecklichen Scenen erspart worden waren; doch nun, nachdem der erste Sturm vorüber ist, beginne ich mich herzlich nach Deiner Rückkehr zu sehnen. Doch fern sei es von mir, diese durch meine Wünsche beschleunigen zu wollen. Lebe wohl!

Ich nehme die Feder noch ein Mal wieder auf, um das zu thun, was ich eben versichert hatte nicht thun zu wollen; doch die Umstände sind so, daß ich nicht umhin kann, Dich ernstlich zu bitten, so bald als möglich zurückzukommen. Ich kenne meine lieben Verwandten zu gut, um nicht zu wissen, daß sie mir diese Bitte verzeihen werden; auch habe ich meinen Onkel noch um eine besondere Gunst zu ersuchen. Der Vater ist mit Oberst Forster nach London gereist, um die Flüchtlinge ausfündig zu machen. Was er alsdann zu thun beabsichtigt, weiß ich nicht; nur so viel ist mir klar, daß er in seinem jetzigen Gemüthszustand nicht geeignet ist, die besten und wirksamsten Maaßregeln zu ergreifen. Und da Oberst Forster morgen Abend wieder in Brighton sein muß, würde es mir zur großen Beruhigung gereichen, unsern thätigen, einsichtsvollen Onkel ihm zur Seite zu wissen. Er wird und muß meine Angst gerecht finden und ich baue auf seine mir bekannte Güte.«

»Wo ist mein Onkel? Wo ist mein Onkel?« rief Elisabeth von ihrem Sitz aufspringend, nachdem sie die Briefe gelesen hatte, und wollte eben zur Thüre hinaus, als diese von einem Bedienten geöffnet wurde, hinter welchem Herr Darcy eintrat. Die Blässe ihres Gesichts und der Ausdruck der Bestürzung erschreckten ihn, und ehe er sich noch so weit gefaßt hatte, nach dem Grund zu forschen, rief sie hastig: »Ich bitte um Entschuldigung, Sie verlassen zu müssen. Aber ich muß augenblicklich Herrn Gardiner aufsuchen; unaufschiebbare Geschäffte drängen mich – ich habe keine Minute zu verlieren.«

»Großer Gott was ist hier vorgefallen?« rief er in der ersten Aufwallung des Gefühls, – fügte aber gleich sich fassend hinzu – »Ich will Sie keinen Augenblick aufhalten; aber lassen Sie mich oder den Bedienten Herrn und Mrß. Gardiner aufsuchen. Sie sind nicht wohl genug dazu – Sie können nicht selbst gehen.«

Elisabeth versuchte es dennoch, aber ihre Knie zitterten, und sie fühlte sich unfähig, ihr Vorhaben auszuführen. Sie rief daher den Bedienten zurück und beauftragte ihn in kaum verständlichen Ausdrücken, augenblicklich seinen Gebieter aufzusuchen und zurückzubringen.

Nachdem er das Zimmer verlassen, sank sie so matt und kraftlos auf ihren Stuhl zurück, daß Darcy sie unmöglich verlassen konnte. Er sagte im Ton des zartesten Mitgefühls – »Erlauben Sie mir, Ihr Mädchen zu rufen. Kann man nichts zu Ihrer Erleichterung thun? Ein Glas Wein würde Sie vielleicht stärken. Soll ich Ihnen eins holen? – Sie sind sehr krank.« –

»Nein, ich danke Ihnen,« entgegnete sie, bemüht sich zu fassen. »Ich bin nicht krank, nur betrübt über einige schreckliche Nachrichten, die ich so eben aus Longbourn erhalten.«

Sie brach bei diesen Worten in einen Strom von Thränen aus, und war einige Minuten unfähig weiter zu sprechen. Darcy stand in ängstlicher Erwartung neben ihr, er versuchte sie zu trösten, fühlte aber das Unzureichende seines Trosts, und begnügte sich, sie mit mitleidigen Blicken zu betrachten. Endlich begann sie wieder. »Ich habe eben einen Brief von meiner Schwester Johanne gehabt, der eine schreckliche Nachricht enthält. Sie kann nicht verborgen bleiben. Meine jüngste Schwester hat Eltern, Geschwister und Freunde verlassen ist entflohen – mit Wickham. Sie sind zusammen von Brighton entwichen. Sie kennen ihn hinreichend, und wissen, was wir zu hoffen haben, Lydia hat kein Vermögen, keine Connektionen, nichts was ihn reizen könnte – sie ist auf immer verloren.«

Darcy stand wie versteinert.

»Wenn ich bedenke,« fuhr sie mit bewegterer Stimme fort – »daß ich dieß hätte vielleicht verhindern können – ich, die ich seinen Charakter kannte. O, wenn ich nur einen Theil von dem, was ich über ihn gehört, meiner Familie mitgetheilt hätte. Doch nun ist alles, alles zu spät.«

»Es betrübt mich, es entsetzt mich!« rief Darcy. »Aber ist es auch ganz gewiß?«

»Leider nur zu gewiß! Sie verließen Brighton in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag. Bis London hat man ihre Spur verfolgen können, doch nicht weiter. Sie sind gewiß nicht nach Schottland gegangen.«

»Und was ist bis jetzt geschehen, sie aufzufinden und zurückzubringen?«

»Mein Vater ist auf der Stelle nach London gereist und Johanne bittet den Onkel schriftlich um seinen Beistand. Ich hoffe, wir werden augenblicklich abreisen. Doch es wird alles nichts helfen, ich weiß es zu gut. Wie soll man sie entdecken? Ich habe nicht die geringste Hoffnung. O, es ist eine schreckliche Lage!«

Darcy schüttelte den Kopf in schweigender Uebereinstimmung.

»Und ich kannte ihn. – O, hätte ich nur gewußt, ob ich sprechen durfte! Aber ich wagte es nicht, ich fürchtete Unrecht zu thun. Unseliges Mißgeschick!«

Darcy erwiederte nichts. Er schien kaum zu hören, was sie sagte und ging in ernsten Betrachtungen das Zimmer auf und ab, seine Stirn war zusammen gezogen, sein Blick düster. Elisabeth bemerkte es und ahnete den Grund. Ihr Muth drohte sie zu verlassen, sie fühlte, welchen Eindruck dieser neue Beweis der Schwäche, der Unwürdigkeit eines Gliedes ihrer Familie auf ihn machen mußte. Sie konnte ihn deshalb nicht verdammen, aber der innere Kampf, der sich deutlich in seinem ganzen Wesen aussprach, diente nicht dazu, ihr Gemüth zu beruhigen. Im Gegentheil, er lehrte sie ihr eignes Herz, ihre geheimsten Wünsche kennen; und nie war es ihr so deutlich geworden, daß sie ihn hätte lieben können, als jetzt, wo sie ihn auf immer aufgeben mußte.

Doch solche Gedanken waren nur vorübergehend. Lydia, die Demüthigung, das Elend, was sie auf die ganze Familie gebracht, verdrängten bald jede andre Sorge. Sie verdeckte ihr Gesicht mit beiden Händen und verlor sich so ganz in der Idee ihres Unglücks, daß sie erst nach einigen Minuten wieder durch Darcy's Stimme in die Wirklichkeit zurückgerufen wurde. Er sagte im Ton des innigsten Bedauerns:

»Ich fürchte, Sie haben meine Entfernung längst gewünscht, und ich kann mein Dableiben nur durch wahre, herzliche Theilnahme an Ihren Leiden entschuldigen. Wollte Gott! es könnte meinerseits etwas gesagt ober gethan werden, was Ihnen zum Trost gereichte. Aber ich will Sie nicht länger mit vergeblichen Wünschen quälen. Diese unglückliche Angelegenheit wird meine Schwester wohl leider um die Freude bringen, Sie morgen bei sich zu sehen.«

»Ja. Ich muß Sie bitten, uns bei Miß Darcy, zu entschuldigen. Sagen Sie ihr, daß dringende Geschäffte uns augenblicklich zurück beriefen. Verschweigen Sie die trostlose Wahrheit so lange als möglich. – Ich weiß, sie kann nicht lange geheim bleiben.«

Er versicherte sie seiner Verschwiegenheit – äußerte nochmals sein Bedauern über ihre Betrübniß, wünschte, daß die Sache sich glücklicher endigen möchte, als man jetzt zu erwarten berechtigt wäre; empfahl sich ihren Verwandten auf das Angelegentlichste, und verließ dann mit einem ernsten Blick das Zimmer.

Elisabeth fühlte, daß die Hoffnung, ihn je wieder auf diese Weise, wie sie ihn bei ihrem Zusammentreffen in Derbyshire gefunden, zu sehen, auf immer verschwunden war und ein Rückblick auf den Gang ihrer Bekanntschaft, auf die mannigfachen Widersprüche und Verschiedenheiten derselben entlockte ihrem gepreßten Herzen einen tiefen Seufzer. Sie sah ihn mit Kummer scheiden. –

Zu Lydien und deren Schicksal kehrten ihre Gedanken zurück. Sie hätte nicht die leisester Hoffnung, daß Wickham sie wirklich zu heirathen gedachte. Solchen Glauben, solche Erwartungen konnte nur eine Johanne hegen. Sie hatte während der Anwesenheit des Regiments in Hertfordshire nie eine Vorliebe für Wickham bei Lydien bemerkt; aber bei einem so leichtsinnigen Geschöpf bedurfte es auch nur einer Veranlassung und Aufmunterung, um sich schnell und leicht anzuschließen. Bis jetzt war bald dieser, bald jener Officier ihr Liebling gewesen je nachdem er sich ihr mehr oder weniger genähert; ihre Neigung hatte sich heute diesem, morgen jenem zugewendet; und so war zu vermuthen, daß sie eben so gern und so bereitwillig mit jedem andern hübschen Mann auf und davon gegangen wäre, als mit Wickham.

Elisabeths Wunsch, nach Hause zu eilen, stieg von Sekunde zu Sekunde. Sie verlangte zu hören und zu sehen, was ihr noch verborgen geblieben war, Johannens Sorge zu theilen. Der Vater abwesend, die Mutter unfähig, einen entscheidenden Schritt zu thun, dem trostlosesten Jammer Preis gegeben; sie erkannte die Nothwendigkeit, der theuren Schwester thätig beizustehen, und erwartete mit Sehnsucht die Rückkehr ihrer Verwandten.

Endlich kamen sie an, ängstlich besorgt um ihre Nichte, deren Uebelbefinden der Bediente als Veranlassung ihrer Zurückberufung angegeben hatte. Elisabeth beruhigte sie hierüber mit wenigen Worten, und las ihnen dann Johannens Briefe vor.

Obgleich Lydia nie der Liebling ihres Onkels und ihrer Tante gewesen war, betrübten sie sich dennoch über ihr Unglück; es betraf ja nicht sie allein, sondern die ganze übrige Familie mit ihr. Nachdem sich Herr Gardiner von seinem ersten Erstaunen und Schrecken erholt hatte, versprach er der weinenden Elisabeth, alles zu thun, was in seinen Kräften stände. Die Abreise ward sogleich festgelegt, da auch Mrß. Gardiner, von gleichen Gefühlen beseelt, sobald wie möglich fortzukommen wünschte.

»Aber was wird aus unsrer Einladung nach Pemberley?« sagte sie, »Johann erzählte uns, daß Herr Darcy hier gewesen sei, als Du nach uns geschickt; ist es wahr?«

»Ja; und ich sagte ihm, daß wir nicht im Stande wären, unser Versprechen zu halten. Das ist alles abgemacht.«.

»Das ist alles abgemacht;« wiederholte die Tante, indem sie in das nächste Zimmer ging, Anstalten zum Einpacken zu treffen. »Und stehen sie auf einem solchen Fuß, daß sie ihm die wahre Ursache mitgetheilt hat! O! wer doch hierüber im Klaren wäre!«

Aber ihre Wünsche blieben fruchtlos, dienten nur dazu, sie während des Einpackens zu beschäfftigen. Nachdem dieß beseitigt, und die nöthigen Entschuldigungskarten an ihre Freunde in Lambton geschrieben waren, blieb ihnen nichts mehr zu thun übrig, und die nächste Stunde sah unsre Reisenden schon auf dem Weg nach Longbourn.

 

Fünftes Capitel.

 

» Je mehr ich aber die Sache nachdenke,« sagte Herr Gardiner, als sie zur Stadt hinausfuhren, »desto geneigter fühle ich mich, Johannens Ansicht über die Sache beizustimmen. Es erscheint mir höchst unwahrscheinlich, daß ein junger Mann solch einen ehrenrührigen Plan gegen ein Mädchen ausführen sollte, welches keineswegs freund- und schutzlos ist und sich im Hause seines Obersten aufhielt Er mußte doch erwarten, daß man Schritte thun würde, ihm auf die Spur zu kommen; und wie sollte er es wagen, wieder bei seinem Regiment zu erscheinen? Nein, das Vergehen gegen seinen Oberst wäre zu groß.«

»Ist dieß wirklich Ihre Meinung?« rief Elisabeth, von einer augenblicklichen Hoffnung beseelt.

»Auch ich stimme Deines Onkels Meinung bei,« sagte Mrß. Gardiner. »Es wäre in der That eine zu freche Uebertretung des Anstands und der Ehre. Ich kann unmöglich so schlecht von Wickham denken. Lizzy! bist Du im Stande, ihn so strafbar zu halten?«

»Ich traue ihm alles zu, nur nicht etwas gegen einen eignen Vortheil zu thun. Und wenn er nun auch wirklich redlichere Absichten hätte, als ich bei ihm voraussetze, warum ging er denn nicht nach Schottland, wie Lydien gesagt?«

»Erstlich,« entgegnete Gardiner, »ist es noch nicht entschieden, ob sie nicht nach Schottland gegangen sind.«

»Weshalb hätten die denn die Postkutsche gegen einen Miethwagen vertauscht! Und Sie vergessen, daß ihre Spur auf der Straße nach Barnet nicht zu finden gewesen ist.«

»Gut, so wollen wir annehmen, daß sie in London sind und sich dort aufhalten, um unentdeckt zu bleiben. Es ist nicht zu vermuthen, daß sie reichlich mit Geld versehen sein sollten; und so wird es ihm wohl einleuchten, daß sie wohlfeiler, wenn gleich nicht so schnell in London verheirathet werden können, als in Schottland.

»Aber wozu dieses Geheimhalten? Diese Furcht vor Entdeckung? Warum muß ihre Verheirathung ein Geheimniß bleiben? Ach, nein! das ist nicht wahrscheinlich. Sie hörten ja aus Johannens Brief, daß sein vertrautester Freund fest überzeugt war, daß es ihm nicht einfiele, sie zu heirathen; Wickham wird nie ein armes Mädchen heirathen; er kann sie nicht erhalten. Und welche Ansprüche hat Lydia, welche Anziehungskraft außer Jugend, Gesundheit und heiterm Sinn, die ihn vermögen sollten, solche Rücksichten aus den Augen zu verlieren. In wie fern er seine Ehre auf das Spiel setzt durch diese unvernünftige Entführung, kann ich nicht beurtheilen, denn ich weiß nicht, welche Folgen ein solcher Schritt nach sich zieht; aber andre Rücksichten werden ihn nicht verhindern, seinen schlechten Gesinnungen zu folgen. Lydia hat keine Brüder, die sich ihrer annehmen könnten, und nach dem, was Wickham von meines Vaters Indolenz und geringer Beachtung seiner Tochter gesehen hat, wird er ihn nicht für den Mann halten, der thätige Maaßregeln zur Wiederherstellung der Ehre seiner Familie zu ergreifen im Stande ist.«

»Aber kannst Du Lydien so leichtsinnig, so durch die Liebe verblendet halten, daß sie den Anstand so weit aus den Augen setzen sollte, in einem andern, als dem ehelichen Verhältnis mit ihm zu leben?«

»Es ist schrecklich,« rief Elisabeth mit Thränen, »daß man an der Tugend seiner eignen Schwester zweifeln muß: aber ich weiß nicht, was ich glauben soll. Vielleicht thue ich ihr Unrecht; jedoch sie ist so jung, so wenig gewohnt, sich mit ernsten Gedanken zu beschäfftigen, und vollends seit dem letzten Jahre so in Eitelkeit und Zerstreuungssucht versunken, daß mir wenig zu hoffen bleibt. Sie war von jeher zum Müßiggang und zu kindischen Beschäfftigungen geneigt; doch seit der Anwesenheit des Landwehrregiments ist Kopf und Herz mit nichts Anderem angefüllt gewesen, als mit Officieren, Liebeleien und dergleichen Dingen. Sie dachte an nichts anderes, sprach nur von solchen Gegenständen, und schien ihr ganzes Glück in diesem Gedankenkreis zu finden. Wie natürlich also, daß ein Mann mit so viel äußern Vorzügen, wie Wickham, leichtes Spiel mit ihr haben mußte!«

»Du siehst aber doch,« sagte die Tante, »daß Johanne viel besser von Wickham denkt, und ihn solcher Schlechtigkeit nicht fähig hält,«

»Von wem könnte Johanne je schlecht denken? Wen würde sie nicht zu entschuldigen suchen? Aber sie weiß ebenso gut wie ich, daß Wickham wirklich niedriger Handlungen fähig ist, daß er weder Ehrgefühl noch Schaam hat, daß er eben so falsch und betrügerisch als einschmeichelnd ist.!

»Und dieß weißt Du wirklich alles?« rief Mrß. Gardiner, deren Neugier im höchsten Grade erregt worden war.

»Ja, ich weiß es« entgegnete Elisabeth erröthend. »Ich erzählte Ihnen gestern von seinem schändlichen Betragen gegen Herrn Darcy, und Sie hörten es selbst in Longbourn, auf welche Weise er sich über den Mann äußerte, dessen Nachsicht und Edelmuth er unendlich viel zu danken hat. Auch giebt es noch manche andre Umstände, die ich nicht berechtigt bin – die des Erzählens nicht werth sind; aber seine Lügen in Bezug auf die Darcy'sche Familie sind nicht zu zählen. Nach dem, was er von Miß Darcy gesagt hatte, war ich darauf gefaßt, ein stolzes, hochmüthiges, unangenehmes Mädchen zu finden; und doch wußte er es selbst am Besten, wie liebenswürdig und anspruchslos sie ist.«

»Aber sollte Lydia hiervon nichts wissen? Sollte sie unbekannt mit dem sein, was Du und Johanne erfahren hatten?«

»Ach, nein! Das ist eben das Schlimmste von der Sache. Bis ich nach Kent kam und Herrn Darcys Verwandten, Oberst Fitzwilliam kennen lernte, wußte ich die Wahrheit selbst auch nicht. Und als ich nun bei meiner Zurückkunft erfuhr, daß das Regiment Meryton spätestens in 14 Tagen verlassen würde, hielten es Johanne und ich nicht für nöthig, davon zu sprechen. Warum sollten wir ihn um die gute Meinung der ganzen Nachbarschaft bringen? Und selbst als Mrß. Forster ihren Entschluß, Lydien mit nach Brighton zu nehmen, verkündete, hielt ich mich nicht berechtigt, ihr die Augen über seinen Charakter zu öffnen. daß sie in Gefahr kommen könnte, von ihm betrogen zu werden, kam mir nicht in den Sinn.«

»Du hattest also vorher keinen Grund zu vermuthen, daß ein Liebesverhältniß zwischen ihnen Statt finde?«

»Nicht den geringsten. Ich erinnere mich nichts gesehen zu haben, was auf Neigung vor einer oder der andern Seite schließen ließ. Bei seinem ersten Erscheinen war sie zwar sehr für ihn eingenommen, so waren wir aber alle. Jedes Mädchen in und um Meryton fühlte sich die ersten zwei Monate durch seine Schönheit und Liebenswürdigkeit bezaubert; aber er zeichnete Lydien nie durch besondere Aufmerksamkeit aus, weshalb sie ihm denn auch ihre Gunst sehr bald entzog und andere, sie mehr auszeichnende Officiere zu ihren Lieblingen erwählte.«


Es ist leicht zu begreifen, daß die kleine Reisegesellschaft, nur von dem einen Gedanken beseelt, von nichts Anderem sprach, und daß besonders Elisabeth, in deren Herzen sich noch Vorwürfe über ihr Schweigen einschlichen, keinen Augenblick Ruhe genoß

Sie reisten so schnell als möglich und langten den zweiten Tag gegen Mittag in Longbourn an. Es gewährte Elisen zur Beruhigung, daß Johanne sie nicht früher erwartet haben konnte. Der Anblick eines Reisewagens hatte die kleinen Gardiners vor die Thüre gelockt. Elisabeth sprang zuerst heraus und eilte, nachdem sie den Kindern einen Kuß gegeben, ins Haus, wo ihr Johanne auch schon entgegen kam. Mit heißen Thränen umarmten sich die Schwestern, und Elisens erste Frage war nach den Flüchtlingen.

»Wir haben noch nichts von ihnen gehört,« entgegnete Johanne. Doch nun, da mein lieber Onkel gekommen ist, hoffe ich, daß alles gut gehen soll.«

»Ist der Vater noch in der Stadt?«

»Ja, seit dem Dienstag.«

»Und hörtet Ihr oft von ihm?«

»Nur ein Mal. Er schrieb mir am Mittwoch ein paar Zeilen, um seine glückliche Ankunft zu melden, und mir seine Addresse zu geben, um welche ich ihn gebeten hatte. Er fügte noch hinzu, daß er nicht eher wieder schreiben würde, bis er etwas Wichtiges mittheilen könnte.«

»Und die Mutter – wie geht es ihr? wie geht es Euch Allen?«

»Die Mutter ist leidlich wohl, aber sehr niedergeschlagen. Sie ist oben in ihrem Zimmer, was sie noch nicht wieder verlassen hat, und wird sich sehr freuen, Dich zu sehen. Marie und Kitty befinden sich Gottlob recht wohl,«

»Aber Du?« rief Elisabeth. »Du siehst sehr blaß aus. Wie viel hast Du in diesen Tagen gelitten!«

Johanne suchte sie über ihren Gesundheitszustand zu beruhigen, so gut sie konnte; unterdessen waren Herr und Mrß. Gardiner, von ihren Kindern aufgehalten, auch herein gekommen und Johanne begrüßte sie mit Lächeln und Thränen. Der Anblick ihres Onkels und seine Versicherungen, das Mögliche zur Entdeckung der Flüchtlinge zu thun, bestärkten sie in ihren Hoffnungen. Sie lebte von einem Tage zu dem andern in der Erwartung, daß sich alles gut enden würde, daß der nächste Morgen einen Brief von ihrem Vater, oder von Lydien mit der Nachricht ihrer vollzogenen Heirath bringen würde.

Mrß. Bennet empfing die Reisenden mit Thränen und Klagen, mit Verwünschungen über Wickham und dessen Schändlichkeit, und mit Erzählungen ihrer eignen Leiden; jedermann anklagend, nur nicht sich selbst; da doch ihre unzeitige Nachsicht und fehlerhafte Erziehung die hauptsächlichste Veranlassung zu Lydiens Irrthümern war.

»Wenn ich nur im Stande gewesen wäre, meinen Plan, mit der ganzen Familie nach Brighton zu gehen, auszuführen, so würde dieses Unglück nicht geschehen sein; aber die arme Lydia hatte keine Aufsicht, war sich zu sehr selbst überlassen. Forsters hätten sie keinen Augenblick unbewacht lassen sollen; ich bin fest überzeugt, daß sie nur deshalb auf solche Abwege gerathen ist: denn Lydia würde nimmermehr an Entführung gedacht haben, wenn sie unter strengerer Aufsicht gewesen wäre. Ich sagte es gleich, daß Forsters sich hierzu nicht eigneten, wurde aber wie gewöhnlich überstimmt. Armes, liebes Kind! Und nun ist mein Mann ihnen nachgereist, und wird sich mit Wickham schlagen oder schießen, sobald er ihn trifft; und wenn dieser ihn nun tödtet, was soll dann aus uns werden? Dann kommt Collins mit seiner Frau, ehe er noch kalt ist, um uns aus dem Hause zu jagen. O, Bruder, wenn Du Dich unserer nicht annimmst, weiß ich nicht, was wir beginnen sollen!«

Herr Gardiner bemühete sich, sie zu beruhigen, und versprach gleich den nächsten Tag nach London zu reisen, um seinem Schwager beizustehen, und ihm zu helfen, Lydien zu finden.

»O, geliebter Bruder,« rief Mrß. Bennet, »Du erfüllst meine kühnsten Wünsche. Eile in die Stadt, suche sie auf, wo sie sich auch verborgen halten, und besorge, daß sie gleich copulirt werden, wenn sie es wirklich noch nicht sein sollten. Wegen der Hochzeitskleider brauchen sie nicht zu warten. Sag Lydien, daß sie nach der Hochzeit so viel Geld dazu haben sollte, wie sie nur verlangte. Und vor allen Dingen verhindere, daß sich mein Mann nicht mit Wickham schlägt. Sage ihm, daß ich mich in einem schrecklichen Zustand befände, daß ich Krämpfe, Seitenstechen, Kopfweh und so gewaltiges Herzklopfen hätte, daß ich Tag und Nacht keine Ruhe finden konnte. Und meiner lieben Lydia präge es ein, sich keine neuen Kleider anzuschaffen, bevor sie mich gesehen, weil sie nicht weiß, wo sie am besten zu haben sind. O, Bruder! wie bist Du so gut! Ich wußte wohl, daß Du gewiß Rath schaffen würdest.«

Herr Gardiner sah sich nach diesem Ausbruch ihrer chimärischen Hoffnungen genöthigt, sie zu ermahnen, sich weder der Erwartung noch der Furcht auf eine so gewaltsame Weise hinzugeben, indem sie hierdurch nichts bessere, ihren Gesundheitszustand wohl aber verschlimmern könne.

Während dieser Unterhaltung war die Mittagsstunde herangekommen und die Haushälterin erschien, ihr Gesellschaft zu leisten, da ihre Töchter die Gäste in das Eßzimmer begleiteten. Obgleich sie es alle für unnöthig erkannten, sich so ängstlich in ihr Zimmer einzuschließen, suchte doch niemand sie zum Herunterkommen zu bereden, da sie wohl wußten, wie wenig sie sich und ihre Zunge zu beherrschen verstand. Und so war es freilich besser, sie den lauschenden Ohren der aufwartenden Dienstboten zu entziehen.

Marie und Kitty fanden sich jetzt auch bei der Gesellschaft ein, der sie sich noch nicht gezeigt hatten. Die Eine kam von ihren Büchern, die Andre von der Toilette; beide sahen höchst ruhig aus, als ob gar nichts vorgefallen wäre, und Kitty verrieth nur durch einen noch verdrießlichern, unmuthigern Ton den Verlust ihrer Lieblingsschwester, und ihren Zorn über deren Vergehen. Marie flüsterte Elisen, sobald sie sich an den Tisch gesetzt hatten, mit dem Ausdruck ruhiger Ueberlegung zu:

»Dieß ist eine sehr unglückliche Geschichte, von der wahrscheinlich viel gesprochen werden wird. Doch wir müssen uns bemühen, den Strom der Bosheit und Verläumdung zu hemmen, und uns gegenseitig durch schwesterliche Trostgründe aufzurichten.

Da Elisabeth keine Miene machte, hierauf etwas zu erwiedern, fuhr sie im salbungsreichen Ton fort:

»So trostlos diese Begebenheit für Lydien auch ist; müssen wir doch die nützliche Lehre daraus ziehen, daß der Verlust des weiblichen Rufs unersetzlich ist – daß ein falscher Schritt ins Elend führt, und daß man nicht genug auf seiner Hut sein kann im Benehmen gegen die Unwürdigen des andern Geschlechts.«

Elisabeth richtete ihre Blicke voll Erstaunen auf die moralisirende Schwester, und war keiner Antwort fähig.

Marie aber fuhr noch lange fort, die guten Folgen, die dieses Unglück für den aufmerksamen Beobachter haben müßten, heraus zu heben?

Als sich die beiden ältesten Schwestern im Verlauf des Abends einen Augenblick allein sahen, bat Elise, sie von allem zu unterrichten, was sie bis jetzt noch nicht erfahren hatte. »Was sagte Oberst Forster dazu? Hatte er keine Ahnung von diesem Liebesverständniß vor ihrer Flucht? Er muß sie doch immer zusammen gesehen haben.«

»Er behauptet, nichts bemerkt zu haben, was zu einem solchen Verdacht Veranlassung gegeben. Er dauert mich sehr. Sein Benehmen gegen uns war äußerst theilnehmend und gütig. Er unternahm die Reise hierher bloß in der Absicht, uns zu trösten, und als er kurz vorher die Vermuthung erhielt, daß Wickham wahrscheinlich nicht nach Schottland gegangen sei, beschleunigte er sie nur desto mehr«.

»Und war Denny wirklich überzeugt, daß Wickham Lydien nicht heirathen würde? Wußte er von ihrer Flucht? Hat Oberst Forster Denny selbst gesprochen?«

»Ja; aber als dieser ihn darüber befragte, läugnete er sein Mitwissen ab, und wollte seine wahre Meinung nicht aussprechen. Er wiederholte seinen Zweifel nicht, und deshalb bin ich immer noch geneigt zu hoffen.«

»Und hegte keiner von Euch einen Zweifel an ihrer Verheirathung, bis Oberst Forster kam?«

»Wie hatten wir auf einen solchen Gedanken kommen sollen! Ich fühlte mich ein Bischen unruhig und besorgt wegen meiner Schwester Aussichten auf häusliches Glück, da ich wußte, daß sein Betragen nicht immer ganz recht gewesen war. Die Eltern ahneten hiervon nichts und fanden diese Heirath nur sehr unvernünftig. Kitty gestand, mit einem triumphirenden Blick, daß sie mehr gewußt als wir, daß Lydiens letzter Brief sie auf diesen Schritt vorbereitet hätte. Sie schien schon seit mehreren Wochen von dem Liebesverständniß unterrichtet gewesen zu sein.«

»Doch nicht, ehe sie nach Brighton gingen?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Und kam es Dir vor, als ob Oberst Forster mit seinem wahren Charakter bekannt wäre? glaubst Du, daß er ihn für schlecht hält?«

»Ich muß gestehen, daß er nicht mehr so gut von Wickham sprach, wie er früher gethan. Er nannte ihn leichtsinnig und ausschweifend. Und seit diese Geschichte ruchbar geworden ist, hört man, daß er bedeutende Schulden in Meryton zurückgelassen haben soll; doch ich hoffe, dieses Gerücht ist falsch.«

»Ach, Johanne! wären wir weniger verschwiegen gewesen, hätte sich dieses Unglück vielleicht nicht zugetragen!«

»Vielleicht wäre es besser gewesen;« entgegnete ihre Schwester. »Aber die frühern Vergehen eines Menschen aufzudecken, der sich seitdem gebessert haben konnte, erschien mir doch ungerecht. Wir unterließen es aus der besten Absicht.«

»Weißt Du nicht, was Lydiens Brief an Mrß. Forster enthielt?«,

»Ihr Mann brachte ihn mit hierher,« sagte Johanne und reichte ihrer Schwester das Blatt, welches sie in ihrer Brieftasche bei sich führte. Es lautete folgender Maaßen:

 

Geliebte Henriette!

»Du wirst lachen, wenn Du erfährst, wohin ich gegangen bin, und ich muß selbst lachen, wenn ich mir Dein Erstaunen, mich morgen früh nicht zu finden, vorstelle. Ich bin im Begriff nach Gretna Green zu reisen, und wenn Du nicht erräthst mit wem, muß ich Dich für einfältig erklären: denn es giebt nur einen Mann in der Welt, den ich liebe, und dieser ist ein Engel. Ich kann ohne ihn nicht glücklich werden, deshalb muß ich mit ihm fortgehen. Du brauchst diese Neuigkeit nicht nach Longbourn zu berichten, wenn Du sonst nicht dazu aufgelegt bist; das Erstaunen der Meinigen wird nur desto größer sein, wenn ich ihnen schreibe und mich Lydia Wickham unterzeichne. Das wird einen Spas geben! Ich kann vor Lachen kaum fortschreiben. Sei doch so gut, mich bei Pratt zu entschuldigen, daß ich mein Engagement nicht halten und heute Abend mit ihm tanzen kann. Sage ihm, ich hoffte, er würde mir vergeben, wenn er alles wüßte, und ich wäre bereit, desto mehr auf dem nächsten Ball, wo wir zusammen träfen, mit ihm zu tanzen. Ich werde meine Kleider und übrigen Sachen holen lassen, sobald ich wieder in Longbourn bin; erinnere das Mädchen daran, den Riß in meinem Mouslinkleid zuzumachen, ehe sie es einpackt. – Und nun lebe recht wohl. Empfiehl mich Deinem Mann. Ich hoffe, Ihr trinkt heute Mittag auf unsre glückliche Reise.

Deine
Dich zärtlich liebende Freundin
Lydia Bennet.«

 

»O! leichtsinniges, gedankenloses Geschöpf!« rief Elisabeth, nachdem sie gelesen. »Welch ein Brief! wie kann man so in einem solchen Augenblick schreiben? Aber er beweißt wenigstens, daß sie an dem Zweck ihrer Reise nicht zweifelte. Was er ihr auch späterhin vorgelogen haben mag, so ist sie doch von dieser ärgsten Schuld freigesprochen. Mein armer Vater! wie wird er gelitten haben!«

»Ich sah ihn noch nie so ergriffen. Er konnte in den ersten zehn Minuten kein Wort hervorbringen. Die Mutter wurde gleich krank und so gerieth das ganze Haus in Unruhe.«

»Ach, Johanne!« rief Elisabeth mit einem Seufzer – »und gewiß blieb kein Mensch darin in Ungewißheit über die Sache?«

»Ich weiß es nicht, hoffe aber, daß noch nicht Jedermann von der traurigen Geschichte unterrichtet ist. Es war nicht möglich, alle Mittheilungen in diesem Augenblick zu verhindern. Die Mutter bekam ihre Zufälle, und so sehr ich auch bemüht war, ihr beizustehen, fühlte ich mich doch selbst so angegriffen von Schreck und Angst, daß ich weniger thun konnte, als ich wünschte.«

»Du hast schon über Deine Kräfte gethan, Das beweißt Dein krankes Aussehen. O, daß Ich bei Dir gewesen wäre, um alle Angst und Sorge mit Dir zu theilen!«

»Marie und Kitty waren sehr freundlich und würden mir gewiß treulich beigestanden haben; aber ich hielt es nicht für Recht, sie dazu aufzufordern. Kitty ist noch so jung und zart und Marie studirt so viel, daß ich ihr ihre Ruhestunden nicht gern rauben wollte. Die Tante Philips kam am Dienstag, nachdem der Vater abgereist, und war so gut, bis Donnerstag bei mir zu bleiben. Ihr Besuch gereichte, uns allen zum Trost. Auch Lady Lukas, kam sogleich, uns ihr Mitleid zu bezeigen, und bot ihre oder ihrer Töchter Dienste an, wenn wir sie brauchen könnten.«

»Sie hätte besser gethan, zu Hause zu bleiben,« rief Elisabeth; »es ist möglich, daß sie es gut meinte; aber bei solchen traurigen Gelegenheiten thut man am Besten, die Nachbarn sich selbst zu überlassen. Beistand ist unmöglich Theilnahme, unerträglich. Sie mögen in der Ferne über uns triumphiren und sich damit begnügen.«

Johanne erzählte nun auf ihrer Schwester Verlangen, daß der Vater zuerst nach Epsom, wo Wickham zuletzt Pferde gewechselt, gegangen sei, um zu versuchen, ob er von dem Postillion nichts Genaueres erfahren könne. Ihm lag hauptsächlich daran, die Nummer des Miethwagens zu wissen, in welchem sie nach Clapham gefahren. Dieser war von London mit Reisenden gekommen, und da Herr Bennet glaubte, daß eines Herrn und einer Dame Aussteigen aus dem einen, und Einsteigen in den andern Wagen, auf der Station nicht unbemerkt bleiben können gedachte er in Clapham Erkundigungen einzuziehen. Wenn dort nur das Haus erfahren könne, woselbst der Kutscher seine Reisenden aus der Stadt abgesetzt, so hoffte er auch, den Stand und die Nummer des Miethwagens herauszubringen, ohne welche Kenntniß seine Nachforschungen in London ganz zwecklos sein würden. Ob er nun noch andre Pläne gehabt, wußte Johanne nicht zu sagen, indem er beim Abschied in einer solchen Hast gewesen war, daß sie nur mit Mühe so viel aus ihm herausgebracht hatte.

 

Sechstes Capitel.

 

Mit Ungeduld sah die ganze Familie am andern Morgen einen Brief von Herrn Bennet entgegen; aber die Post kam, ohne eine Zeile von ihm zu bringen. Er war als ein höchst saumseliger, nachlässiger Correspondent bekannt; doch hatte man bei dieser außerordentlichen Veranlassung Ueberwindung der Schreibescheu von ihm erwartet. Herr Gardiner vermuthete mit Recht, daß er noch nichts Erfreuliches zu melden gehabt, und da er nur die Ankunft der Briefe abgewartet hatte, beschleunigte er jetzt seine Abreise, nachdem er versprochen, augenblicklich Nachricht zu geben und seinen Schwager wo möglich sogleich nach Longbourn zurück zu schicken, da Mrß. Bennet immer noch große Sorge für das Leben ihres Gatten trug

Mrß. Gardiner und die Kinder wollten noch einige Tage in Hertfordshire bleiben zum Trost und zur Stütze ihrer Nichten. Die andre Tante besuchte sie ebenfalls sehr fleißig, um, wie sie sagte, ihre lieben Verwandten aufzuheitern; da sie aber nie kam, ohne neue Beweise von Wickham's Leichtsinn und Ausschweifung zu erzählen: so verließ sie sie immer weit niedergeschlagener, als sie sie gefunden.

Ganz Meryton erhob sich jetzt, den Mann anzuklagen, der erst drei Monate vorher zum Engel erhoben worden war. Man beschuldigte ihn eines unordentlichen, zügellosen Lebens, Handwerker und Kaufleute waren unbezahlt geblieben, während er mit ihren Frauen und Töchtern Intriguen angesponnen. Jedermann erklärte ihn für den schlechtesten jungen Mann im Umkreise und Viele versicherten, dem Schein seiner Güte und Liebenswürdigkeit nie recht getraut zu haben.

Elisabeth, obgleich sie nicht die Hälfte der bösen Gerüchte glaubte, sah ihre Vermuthungen dennoch bestätigt, und ihrer Schwester Verderben als gewiß an; und selbst Johanne, die noch weniger glaubte, verlor nach und nach die Hoffnung, besonders da noch immer alle Nachrichten ausblieben, die sogar, von Schottland längst hätten eintreffen können.

Den zweiten Tag nach Herrn Gardiners Abreise erhielt seine Frau einen Brief von ihm mit der Nachricht, daß er seinen Schwager sogleich gefunden und ihn bewogen hätte, zu ihm in sein Haus zu kommen. Herr Bennet war in Epsom und Clapham gewesen, ohne jedoch etwas Genügendes zu erfahren, und in diesem Augenblick entschlossen, in den hauptsächlichsten Wirthshäusern Erkundigungen einzuziehen, indem er vermuthete, daß Wickham bei seines Ankunft in London zuerst in einem Gasthof abgestiegen sei, ehe er eine Privatwohnung bezogen habe. Herr Gardiner fügte hinzu, daß er selbst keinen günstigen Erfolg von dieser Maaßregel erwartete, seinen Schwager jedoch hierbei unterstützen würde. Seinen Vorschlag, nach Longbourn zurückzukehren, hatte er nicht angenommen, da er die Stadt nicht verlassen wollte, bis er etwas Bestimmtes erfahren. Eine Nachschrift enthielt Folgendes:

»Ich habe an den Obersten Forster geschrieben und ihn gebeten, sich bei den genauern Bekannten Wickham's zu erkundigen, ob er Verwandte oder Freunde in der Stadt habe, bei denen er sich vielleicht verborgen aufhalte. Wenn dieß der Fall, könnte man doch mit größerer Zuversicht hoffen, ihn ausfindig zu machen, als jetzt, wo es uns an jeglichem Leitfaden fehlt. Oberst Forster wird gewiß alles thun, was in seiner Macht steht, um uns behülflich zu sein. Doch nach reiflicher Ueberlegung fällt mir ein, daß Lizzy vielleicht besser als jeder Andre Auskunft über seine Verwandtschaft zu geben vermag.«

Elisabeth konnte sich recht gut erklären, weshalb ihr Onkel sich in diesem Punkte an sie gewendet, war jedoch nicht im Stande, ihn aus der Verlegenheit zu ziehen. Sie hatte Wickham nie von seinen Verwandten, außer von Vater und Mutter, reden hören; und diese waren schon mehrere Jahre todt. daß einer oder der andre seiner Kameraden im Landwehrregiment aber vielleicht mehr von ihm wissen möchte, erschien ihr selbst sehr wahrscheinlich; und so hielt auch sie sich an diesen letzten Hoffnungsstrahl.

Jeder Tag in Longbourn war nun ein Tag der Angst, und die Stunde, wo die Post anzukommen pflegte, die ängstlichste Stunde dieses Tages. Jeder Morgen begann mit neuer Erwartung, und jeder Abend schloß mit abermals getäuschter Hoffnung.

Ehe noch wieder neue Nachrichten von Herrn Gardiner einliefen, kam ein Brief von Herrn Collins an seinen Vetter in Longbourn, den Johanne auf den ausdrücklichen Befehl ihres Vaters, alles Einlaufende zu erbrechen und zu lesen, mit Elisen las. Er war ganz in Collins Manier, und lautete folgender Maaßen:

 

»Theuerster Vetter!

Ich fühle mich durch unsre Verwandtschaft, so wie durch meinen Stand im Leben berufen, Ihnen meine Theilnahme an dem traurigen Ereigniß, was Ihre Familie betroffen, zu bezeigen. Seien Sie versichert, daß sowohl Mrß. Collins als auch ich selbst Sie innigst beklage, und Ihren und Ihrer verehrten Familie Unglücksfall von Herzen bedaure. Es ist derselbe leider von der schrecklichsten Art, indem er aus einer Ursache entstanden, die nie hinweggeräumt werden kann. Doch soll meinerseits nichts unversucht bleiben, was ein solches hartes Geschick mildern, oder Ihnen Trost gewähren könnte. Dieß ist in diesem, das älterliche Herzen am Meisten betrübenden Umstand heilige Pflicht. Der Tod Ihrer Tochter würde im Vergleich mit ihrem jetzigen Unglück ein wünschenswerthes Gut sein. Und die Sache ist um desto mehr zu beklagen, da, wie ich von meiner lieben Charlotte erfahren habe, der Grund dieses zügellosen Betragens Ihrer Tochter hauptsächlich in einer fehlerhaften Nachsicht bei ihrer Erziehung liegt; obgleich ich zu Ihrem und Mrß. Bennets Trost geneigt bin zu glauben, daß ihre Anlagen von Natur schlecht gewesen sein müssen, weil sie sonst in diesem Alter noch nicht solcher Handlungen hätte fähig sein können. Wie dem nun auch sei, so sind Sie doch sehr zu bedauern, in welches Gefühl sowohl Mrß. Collins als auch Lady Katharine und ihre Tochter einstimmen, denen ich diese unglückliche Geschichte mitgetheilt. Sie kommen mit mir in der Ansicht überein, daß dieser falsche Schritt der einen Tochter, dem künftigen Glück der andern sehr nachtheilig sein wird: denn wer, so ließ sich Lady Katharine herab zu bemerken, wer wird gesonnen sein, sich mit dieser Familie näher zu verbinden? Und diese Bemerkung veranlaßte auch bei mir die Betrachtung, wie gut es sei, daß eine gewisse Verbindung im vorigen November nicht zu Stande gekommen, indem ich dadurch nothwendig in Ihr Unglück und in Ihre Schande verwickelt worden wäre. Lassen Sie sich rathen, verehrter Freund! und trösten sich, so gut Sie es vermögen; und im Betreff Ihres unwürdigen Kindes kann man Ihnen nur vorschlagen, demselben Ihre väterliche Liebe für immer zu entziehen, und es seinem eignen Schicksal zu überlassen. Unverändert Ihr gehorsamster Diener und Vetter

Collins.«

 

Gardiner schrieb nicht eher wieder, bis er Antwort von Oberst Forster erhalten hatte, und diese lautete nicht sehr erfreulich. Niemand wußte von einer Verwandtschaft oder genauen Bekanntschaft Wickham's in der Stadt. Früher hatte er zwar in einem größern Cirkel gelebt, seit er aber in das Landwehrregiment getreten, allen Verkehr mit seinen ehemaligen Bekannten aufgegeben, weshalb auch keiner seiner jetzigen Kameraden nähere Auskunft über ihn und seinen Aufenthalt zu geben vermöchte. Dazu war der trostlose Zustand seiner Finanzen ein zweiter dringender Grund, sich geheim zu halten, da man so eben erfahren hatte, daß er bedeutende Spielschulden in Brighton hinterlassen. Oberst Forster glaubte, daß wenigstens tausend Pfund erforderlich waren, seine Schulden daselbst zu decken. Außerdem hatte er deren auch noch in der Stadt. Herr Gardiner hielt sich nicht berechtigt, der Familie in Longbourn diese Nachrichten vorzuenthalten. Johanne hörte sie mit Entsetzen. »Ein Spieler!« rief sie. »Das ist ein unerwarteter Schlag – das hätte ich nicht erwartet!«

Der Brief schloß mit der Versicherung, daß sie ihren Vater den folgenden Tag in Longbourn erwarten konnten. Niedergeschlagen durch die fruchtlosen Versuche, die Flüchtlinge zu finden, hatte er endlich der Bitten seines Schwagers nachgegeben und versprochen, zu seiner Familie zurückzukehren, während Herr Gardiner die nöthigen Schritte fortzusetzen gelobt. – Als Mrß. Bennet diese Nachricht erfuhr, äußerte sie hierüber nicht die Zufriedenheit, die ihre Kinder, in Folge ihrer früher ausgesprochenen Angst um das Leben des Vaters, erwartet hatten.

»Was! er kehrt zurück ohne unsre arme Lydia!« rief sie voll Entsetzen. »Wer soll sich denn mit Wickham duelliren und ihn dazu bringen, sie zu heirathen, wenn er London verläßt?«

Da Mr. Gardiner nun auch zurückzukehren wünschte, reiste sie den folgenden Morgen mit dem Wagen, welcher Herrn Bennet auf sein Verlangen entgegengeschickt wurde, bis auf die nächste Station und von dort mit seinem Miethwagen nach London. Ueber Elisen und ihren Freund in Derbyshire hatte sie keine nähere Aufklärung erlangt; sein Name war nie ohne Aufforderung von ihr ausgesprochen worden, und der Tante geheime Hoffnung, daß ein Brief von ihm bald nachfolgen und ihnen allen Aufschluß geben würde, unerfüllt geblieben. Elisabeth hatte seit ihrer Zurückkunft keine Zeile aus Pemberley erhalten. Der gegenwärtige peinliche Zustand der Familie war eine hinreichende Entschuldigung ihrer Niedergeschlagenheit; und so ließ sich auch hieraus keine Vermuthung ziehen, obgleich Elisabeth, seit Kurzem über den Zustand ihres Herzens vollkommen aufgeklärt, wohl fühlte, daß sie Lydiens Schande leichter ertragen hätte, wenn Darcy nicht darum gewußt. Der Gedanke seines Mitwissens verscheuchte manchmal den Schlaf von ihren Augen.

Herr Bennet langte an, und seine Züge verriethen die gewöhnliche philosophische Ruhe. Er sprach nicht mehr, als er sonst zu sprechen pflegte, erwähnte der Veranlassung seiner Reise mit keinem Wort, und so verstrichen mehrere Stunden, ehe seine Töchter so viel Muth Verlangt hatten, ihn darum zu befragen. Erst am Abend, als er zum Thee wieder zu ihnen kam, wagte Elisabeth, ihr Bedauern über alles, was er während ihrer Abwesenheit gelitten, auszusprechen.

»Sag nichts davon,« entgegnete er kalt. »Ich litt nur, was ich selbst verschuldete. Mich selbst habe ich deshalb anzuklagen, und das ist geschehen.«

»Sie müssen nicht zu streng gegen sich sein, lieber Vater!« sagte Elisabeth.

»Du brauchst mich nicht davor zu warnen; die menschliche Natur ist ohnehin nur zu geneigt sich zu entschuldigen. Nein, Lizzy! laß mich ein Mal im Leben fühlen, wie sehr ich zu tadeln gewesen bin. Ich fürchte nicht von diesem Gefühl überwältigt zu werden; es wird bald genug vorübergehen.«

»Haben Sie einige Vermuthung, daß sie in London sind?«

»Ja; wo sollten sie sich sonst so verborgen aufhalten können?«

»Und Lydia hatte immer den Wunsch, ein Mal nach London zu kommen,« sagte Kitty.

»So wird sie sich jetzt glücklich preisen,« entgegnete ihr Vater trocken; »besonders da einige Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, daß ihr dortiger Aufenthalt sich in die Länge ziehen wird.«

Nach einer kleinen Pause fuhr er zu Elisen gewendet fort: »Lizzy! ich zürne Dir nicht, daß Du die Begebenheiten so richtig vorausgesagt hast. Dein Rath, den Du mir im vergangenen May gabst, zeugt von Welt- und Menschenkenntniß.«

Johannens Eintritt unterbrach das Gespräch; sie kam, den Thee für ihre Mutter zu holen.

»Dieses Krankthun,« rief er, »giebt doch dem Unglück einen gewissen Anstrich von Eleganz und Wichtigkeit. Morgen werde ich es eben so machen; ich will mit Pudermantel und Nachtmütze in meinem Studierzimmer sitzen bleiben, und so viel Umstände und Unruhe machen, als ich nur immer kann oder, vielleicht würde es gerathen sein, damit zu warten, bis Kitty davon gelaufen ist.«

»Ich werde nie davon laufen, Papa,« sagte Kitty verdrießlich; ich würde mich besser aufführen wie Lydia, wenn ich jemals nach Brighton gehen sollte.«

»Du nach Brighton! Nicht um 50 Pfund möchte ich Dich nur in die Nähe von Brighton lassen. Nein, Kitty! ich habe jetzt wenigstens gelernt, vorsichtiger zu sein, und Du sollst die Folgen davon empfinden. Kein Officier darf je wieder mein Haus betreten, nicht ein Mal durch's Dorf gehen. Bälle sind in Zukunft ganz verpönt, oder Du mußt versprechen, Deinen ältern Schwestern nicht von der Seite zu weichen. Und ausgehen darfst Du nicht eher wieder, bis ich mich selbst davon überzeugt, daß Du jeden Tag zehn Minuten vernünftig gewesen bist.«

Kitty, die alle diese Drohungen für baaren Ernst nahm, fing an zu weinen.

»Nun, nun!« sagte er, »beunruhige Dich nur nicht allzu sehr. Wenn Du Dich zehn Jahre untadelhaft betragen hast, ein braves Mädchen gewesen bist, verspreche ich auch, Dich zu einer Revüe mitzunehmen.«

 

Siebentes Capitel.

 

Zwei Tage nach Bennets Zurückkunft langte ein Bote aus der Stadt von Herrn Gardiner an. Elisabeth und Johanne waren eben in den Garten gegangen, als die Haushälterin ihnen diese Nachricht mittheilte, und sie eilten zu ihrem Vater.

»Papa! was haben Sie für Nachrichten, hat der Onkel geschrieben?« fragte Elisabeth.

»Ja, ich bekam eben diesen Brief durch einen expressen Boten.«

»Enthält er gute oder schlechte Nachrichten?«

»Was kann man Gutes erwarten!« sagte er, den Brief aus der Tasche nehmend. »Hier, lies ihn laut, denn ich weiß selbst kaum, was er enthält.«

 

»Gracechurch-straße. Montag
den 2ten August.

»Liebster Bruder!

Endlich bin ich im Stande, Ihnen Nachrichten von Ihrer Tochter zu geben, die, wie ich hoffe, zu Ihr er Beruhigung dienen werden. Gleich nachdem Sie uns am Sonntage verlassen hatten, war ich so glücklich, zu erfahren, in welchem Theile von London sie sich aufhalten. Die nähern Umstände behalte ich mir vor, bis wir uns wieder sehen. Es ist genug, zu wissen, daß ich sie entdeckt und alle Beide gesehen habe.«

»Dann ist es gewiß, wie ich immer hoffte,« rief Johanne – »sie sind verheirathet!«

Elisabeth las weiter:

»Ich habe sie Beide gesehen. Sie sind nicht verheirathet, auch schien es mir nicht, als ob dieß ihre Absicht sei; doch wenn Sie sich geneigt finden lassen, die Bedingungen zu erfüllen, die ich in Ihrem Namen zugestanden, hoffe ich, daß sie bald verheirathet sein werden. Sie bestehen darin, daß Sie dieser Ihrer Tochter durch einen schriftlichen Contrakt ihren Antheil an den fünftausend Pfund, die Ihren Kindern nach Ihrem und meiner Schwester Ende zufallen, zusichern und ihr außerdem während Ihres Lebens jährlich hundert Pfund bewilligen. Dieß sind Bedingungen, die ich in Ihrem Namen unter gegenwärtigen Umständen einzugehen keinen Anstand nahm, obgleich ich alles nur im Fall Ihrer Zusage fest machte. Ich sende Ihnen diese Zeilen durch einen expressen Boten, damit ich Ihre Antwort so schnell als möglich erhalte. Sie sehen hieraus, daß Herrn Wickham's Umstände keineswegs so hoffnungslos sind, als man sie geschildert hat. Die Welt ist hierüber betrogen worden, und ich freue mich, hinzufügen zu können, daß meine Nichte, nachdem seine Schulden bezahlt sind, immer noch eine kleine Summe Geldes von ihrem Vermögen übrig behalten wird. Wenn Sie, wie ich voraussetze, mich beauftragen, dieses Geschäfft in Ihrem Namen abzuschließen, werde ich augenblicklich Anstalten treffen, eine passende Einrichtung für die jungen Leute zu besorgen. Ihre Zurückkunft nach London ist durchaus nicht erforderlich, weshalb ich Sie bitte, ruhig in Longbourn zu bleiben und meiner Einsicht zu vertrauen. Senden Sie mit gleich Antwort zurück, und tragen Sie Sorgen daß sie klar und bündig ist. Wir haben es für das Beste erkannt, daß Lydia aus unserm Hause den wichtigen Gang in die Kirche antritt, was Sie hoffentlich billigen werden. Sie kommt heute zu uns. Sobald Alles ins Reine gebracht ist, schreibe ich wieder.

Ihr so getreuer Freund und Schwager
Eduard Gardiner.«

 

»Ist es möglich!«« rief Elisabeth, nachdem sie geendet; »ist es wirklich wahr, daß er sie heirathen will?«

»Wickham ist nicht so schlecht, als wir ihn gehalten haben,« sagte Johanne. »liebster Vater! ich gratulire Ihnen!«

»Haben Sie den Brief beantwortet?« fragte Elisabeth.

»Nein, aber es muß bald geschehen.«

»O, liebster Vater!« rief sie, »thuen Sie es gleich. Bedenken Sie, wie wichtig jeder Augenblick in einem solchen Fall ist.«

»Lassen Sie mich für Sie schreiben, wenn Sie es nicht gern selbst thun,« sagte Johanne.

»Ich thue es nicht gern; aber es muß sein.«

»Und darf ich fragen, ob Sie gesonnen sind, die Bedingungen einzugehen?« fragte Elisabeth.

»Ob ich sie eingehen will? ich schäme mich nur, daß er so wenig verlangt hat. Zwei Dinge wünschte ich zu wissen: Erstlich, wie viel Geld Dein Onkel gebraucht hat, die Sache so weit zu bringen und wie ich jemals im Stande sein werde, ihm diese Summe zurück zu geben.«

»Geld! der Onkel!« rief Johanne erstaunt. »Wie verstehen Sie das, lieber Vater!«.

»Ich bin der Meinung, daß kein Mann, der nur einigen Verstand hat, sich dazu entschließen wird, Lydien mit einer so geringen Mitgift als hundert Pfund jährlich, so lange ich lebe, und funfzig, nachdem ich gestorben bin, zu heirathen.«

»Das ist sehr richtig,« bemerkte Elisabeth, »obgleich ich nicht früher daran gedacht habe. Seine Schulden bezahlt und noch etwas übrig! Ja! der Onkel hat sicher hierbei das Beste gethan. Edler Mann! ich fürchte, er wird sich selbst dadurch ruiniren. Eine kleine Summe ist gewiß nicht hinreichend gewesen.«

»Nein,« erwiederte der Vater, »Wickham wäre ein Thor, wenn er sie mit wenige als zehntausend Pfund nähme. Es sollte mir leid thun, gleich zum Anfang unsrer Verwandtschaft so gering von ihm denken zu müssen.«

»Zehntausend Pfund! Gott verhüte es! Wie wäre es möglich auch nur die Hälfte dieser Summe zurückzuzahlen?«

Bennet schwieg und setzte sich zum Schreiben nieder. Die Mädchen verließen ihn.

»So dürfen wir wenigstens hoffen, sie bald verheirathet zu sehen,« sagte Elisabeth, als sie mit ihrer Schwester wieder allein war. »Wunderbar! und dafür müssen wir dankbar sein, und uns freuen, daß es so weit gekommen ist. O, Lydia! Lydia!«

»Ich tröste mich mit dem Gedanken,« sagte Johanne, »daß er Lydien gewiß nicht heirathen würde, wenn er sie nicht wirklich liebte. Und obgleich ich gern glauben will, daß unser guter Onkel etwas für ihn gethan hat, so kann ich doch die Möglichkeit einer solchen Summe wie zehntausend Pfund nicht fassen. Er hat ja selbst Kinder und ist gewiß nicht im Stande, auch nur die Hälfte zu entbehren.«

»Wenn wir erfahren können, wie hoch sich Wickham's Schulden belaufen,« sagte Elisabeth, »und wie viel unsrer Schwester von seiner Seite ausgesetzt worden ist, können wir leicht berechnen, was Gardiner für sie gethan hat, da Wickham nicht einen Schilling eignes Vermögen besitzt. Die Güte unsrer Verwandten ist nicht zu vergelten. daß sie Lydien in ihr Haus und unter ihren besondern Schutz genommen haben, ist ein Opfer, welches jahrelange Dankbarkeit erfordert. Jetzt wird sie schon bei ihnen sein! Wenn solche Güte sie nicht beschämt und rührt, verdient sie nicht glücklich zu werden! Mit welchen Empfindungen wird sie der Tante zuerst unter die Augen treten!«

»Wir müssen von beiden Seiten zu vergessen suchen, was vorgefallen ist,« sagte Johanne; »ich hoffe, sie wird glücklich werden. Seine Bereitwilligkeit, sie zu heirathen, ist ein Beweis, daß er auf den rechten Weg zurück gekehrt ist. Gegenseitige Neigung wird beide Theile bessern, und so schmeichle ich mir, daß sie sich so vernünftig betragen werden, daß man ihre frühere Unvorsichtigkeit mit der Zeit vergessen kann.

»Ihr beiderseitiges Betragen war von einer Art,« entgegnete Elisabeth, »daß es weder von Dir, noch von mir, noch von irgend jemand vergessen werden kann. Es ist unnütz, darüber zu reden.«

Da es den Schwestern erst jetzt einfiel, daß ihre Mutter von dem Vorgefallenen noch nicht unterrichtet war, eilten sie zu ihr hinauf und fanden Marie und Kitty bei ihr. Nach einer kurzen Vorbereitung auf gute Nachrichten las Johanne den Brief vor. Mrß. Bennet konnte ihre Freude über Lydiens baldige Verheirathung nicht mäßigen. Sie gerieth nun vor Entzücken in denselben unruhigen, aufgeregten Zustand, worin sie erst kürzlich vor Trauer und Wehmuth gewesen. Der Gedanke, ihre Tochter nächstens verheirathet zu wissen, war hinreichend, sie zu beseligen. Weder Furcht vor ihrem Glück noch die Rückerinnerung an ihre schimpfliche Flucht störten ihren Genuß.«

»Meine liebe, theure Lydia!« rief sie. »Ich werde sie bald wiedersehen, und verheirathet – mit 16 Jahren verheirathet! Guter, lieber Bruder! – ich wußte, daß er so handeln würde: Wie verlangt es mich, mein Kind wieder zu sehen und den lieben Wickham dazu! Aber die Kleider, die Hochzeitskleider! Ich will sogleich deshalb an meine Schwägerin schreiben. Lizzy! geh doch auf der Stelle ein Mal zu Deinem Vater und frage ihn, wie viel, er ihr dazu geben will. Doch warte, ich werde selbst gehen. Kitty, klingle; ich muß mich sogleich anziehen. Liebste, liebste Lydia! Wie vergnügt wollen wir bei unserm nächsten Zusammentreffen sein!«

Johanne suche den Ausbruch ihrer Freude durch die Bemerkung zu dämpfen, daß sie dieses Glück hauptsächlich der Güte ihres Bruders zu danken habe.

»Ja, freilich!« entgegnete Mrß. Bennet, »wer hätte sonst etwas für sie thun können, als ihr Onkel? Aber ihm kam es auch zu: denn wenn er keine Familie hätte, erbten wir doch sein ganzes Vermögen. Und was hat er bis jetzt für uns gethan! – Wie glücklich bin ich. Nur noch wenige Tage, und ich kann von meiner verheiratheten Tochter sprechen – Mrß. Wickham klingt sehr hübsch.«

Sie ging mit der größten Weitläuftigkeit auf alle Einzelnheiten über, und würde eine sehr reichliche Aussteuer angeordnet haben, wenn Johanne sie nicht gebeten hätte, damit zu warten, bis der Vater darüber in Rath genommen worden wäre.

»Ich will selbst nach Meryton gehen und meiner Schwester Philips diese guten Nachrichten mittheilen. Und auf dem Rückweg werde ich bei Lady Lukas und Mrß. Long vorsprechen. Kitty, bestelle mir schnell den Wagen. Eine Spazierfahrt wird mir sehr heilsam sein.«

 

Achtes Capitel.

 

Herr Bennet hatte es schon oft im Leben bereut, in frühern Jahren nichts von seinem jährlichen Einkommen zurückgelegt zu haben für Frau und Kinder; im Fall sie ihn überleben sollten. Jetzt empfand er dieß noch schmerzlicher. Hätte er seine Pflicht in dieser Hinsicht erfüllt, würde Lydia im gegenwärtigen Fall ihrem Onkel nicht auf eine solche Weise verpflichtet sein. Er fühlte sich gedrückt und gedemüthigt durch seines Schwagers Großmuth, und war entschlossen, alles zu versuchen, um zu erfahren, wie viel er für das junge Paar gethan, und es ihm sobald als möglich zu ersetzen.

Gleich nach seiner Verheirathung mit dem Sparsystem hervorzutreten, hatte Bennet so wohl wie seine Frau für höchst überflüssig gehalten, indem Beide nicht sehr geübt in der Oekonomie waren, und überdieß mit großer Gewißheit auf einen Sohn rechneten, dessen Ankunft jede Sorge für die Zukunft aufheben mußte. Statt dieses erwarteten Erben des Longbourn'schen Besitzthums erschienen indessen fünf Tochter und als sie endlich die Hoffnung auf einen Sohn aufgeben mußten, war Mrß. Bennet schon zu sehr daran gewöhnt, im Ueberfluß zu leben, als daß sie jetzt noch zu sparen hätte anfangen können. Fünftausend Pfund waren der Mutter und den Kindern nach des Vaters Tode gesichert, die Vertheilung dieser Summe jedoch der Willkühr der Eltern überlassen. Dieß war ein Punkt, der in Bezug auf Lydien jetzt abgemacht werden mußte, und der Vater stand keinen Augenblick an, die Vorschläge seines Schwagers zu bewilligen. Er hatte es sich nie als möglich gedacht, daß Wickham sich je dazu verstehen würde, seine Tochter zu heirathen; und daß dieser Umstand, bei der jetzigen Einrichtung, ohne die geringste Unbequemlichkeit von seiner Seite Statt finden sollte, übertraf seine kühnsten Erwartungen. In pekuniärer Hinsicht verlor er ebenfalls nichts durch das Jahrgeld von hundert Pfund: denn wenn er berechnete, was ihm Lydia gekostet, und was ihr von der Mutter außerdem an Geldgeschenken zugesteckt worden war, kam vielleicht dieselbe Summe heraus. Nachdem der erste Rausch des Zorns, der ihn aus sich selbst heraus und zu einer bei ihm ungewöhnlichen Thätigkeit getrieben hatte, verflogen war, kehrte er zu seiner frühern eigenthümlichen Indolenz zurück. So wenig wie möglich mit der unangenehmen Sache zu thun zu haben, war sein Wunsch, und des Schwagers thätiger Eifer ihm daher sehr gelegen. Der Brief ward deshalb schnell geschrieben, und enthielt außer seiner Zustimmung zu allem, was Herr Gardiner beschlossen, den herzlichsten Dank für dessen Bemühung, und die Bitte, ihm wissen zu lassen, was er sonst noch für seine Tochter gethan. Lydien selbst würdigte er keines Wortes oder Grußes.

Die erfreulichen Neuigkeiten verbreiteten sich schnell durch das ganze Haus und wurden noch am selbigen Tage in der Nachbarschaft bekannt. Als Gegenstand der Unterhaltung in derselben würde es freilich besser gewesen sein, wenn Lydia als Miß Bennet zurückgekehrt wäre, oder sich fern von der Welt in einen abgelegenen Pachthof begeben hätte. Aber auch über ihre Verheirathung ließ sich manches Wort sprechen; und die gutmüthigen Wünsche für ihr Wohl, die die alten Damen in Meryton nach ihrer Flucht ausgesprochen, verwandelten sich jetzt in Prophezeihungen künftigen Elends an der Seite eines solchen Gatten.

Seit 14 Tagen hatte Mrß. Bennet ihr Zimmer nicht verlassen; doch an diesem Tage des Heils und der Freude erschien sie wieder an der Mittagstafel. Ihr Glück kannte keine Gränzen; auch nicht das leiseste Gefühl der Schaam dämpfte ihren Triumph. Die Verheirathung einer Tochter, ihr höchstes Streben, seit Johanne das 16te Jahr erreicht, war in wenigen Tagen zu erwarten, und ihre Gedanken und Worte liefen unaufhaltsam von einem Gegenstand zu dem andern. Sie ordnete Lydiens Garderobe, bestimmte die Zahl der Dienerschaft und suchte ihr eine herrliche Equipage aus. Auch vergaß sie nicht, ihre Blicke in der Nachbarschaft herumzuwerfen, um eine passende Wohnung für ihre Tochter zu finden; sie verwarf die meisten als zu klein oder nicht ansehnlich genug, und bedachte nicht, daß Wickham's Einkünfte ihr kaum die kleinste gestatten würde.

Bennet ließ sie ohne Unterbrechung fortschwatzen, so lange die Bedienten im Zimmer waren. Sobald diese aber hinausgegangen, sagte er zu ihr: »Ehe Du das eine oder das andre dieser Häuser als künftige Wohnung Deiner Tochter und Deines Sohnes erwählst, wünsche ich mich über etwas mit Dir zu verständigen. In ein Haus in Hertfordshire werden sie nie Zutritt erlangen. Ich will ihrer Unverschämtheit nicht noch dadurch Aufmuntrung geben, daß ich sie in Longbourn empfange.«

Ein langer Streit folgte dieser Erklärung und gab noch Veranlassung zu einem zweiten. Mrß. Bennet vernahm zu ihrem Erstaunen und Entsetzen, daß ihr Gatte auch nicht eine Guinee zur Anschaffung neuer Kleider für ihre Tochter hergeben wollte. Er versicherte, daß sie bei dieser Gelegenheit keinen Beweis von Zärtlichkeit von ihm erhalten sollte. Sie konnte es kaum begreifen. daß er seinen Zorn so weit treiben sollte, der Tochter dasjenige zu verweigern, was durch die Heirath erst gewisser Maaßen ihren Werth erhielt, überstieg ihre Begriffe. Sie fühlte die Schande, welche der Mangel neuer Kleider auf ihre Tochter werfen würde, tiefer, als ihre Flucht und den vierzehntägigen Aufenthalt bei Wickham vor der Hochzeit.

Elisabeth bereute es jetzt im ersten Augenblick der heftigsten Betrübniß, Darcy'n ihre Besorgniß wegen Lydien mitgetheilt zu haben; denn da die Heirath der Entführung so bald folgte, war zu erwarten, daß der unglückliche Anfang dieser Geschichte allen ferner Lebenden unbekannt bleiben würde. Sie befürchtete nicht, sie durch ihn weiter verbreitet zu sehen. Es gab wenige Menschen, auf deren Verschwiegenheit sie so fest rechnen konnte; aber zugleich auch wenige, deren Kenntniß der schwesterlichen Schwachheit sie mehr demüthigte. Nicht etwa aus Furcht, daß sie selbst darunter leiden könnte; denn sie fühlte wohl, daß Lydiens Verbindung mit diesem Mann, den er so tief verachtete, allein schon hinreichte, die Kluft zwischen ihnen unübersteiglich zu machen. Noch nie hatte, sie es so schmerzlich empfunden, auf seine Achtung verzichten zu müssen, als jetzt, nachdem sie den vollen Werth derselben in Derbyshire kennen gelernt. Sie war niedergeschlagen und betrübt; sie fühlte Reue, und wußte doch nicht worüber. Sie sehnte sich nach Nachrichten von ihm, und sah keine Aussicht, sie je zu erhalten; ja sie wünschte sogar ihn wieder zu sehen und mußte sich leider gestehen, daß ein solches Zusammentreffen höchst unwahrscheinlich sei.

Welch ein Triumph für ihn, dachte sie oft, wenn er wüßte, wie meine Gesinnungen und Gefühle sich seit den letzten 4 Monaten verändert haben! Sie hielt ihn für edel, ja für den Edelsten seines Geschlechts; doch als Sterblichen eines solchen Triumphs fähig. Je mehr und je länger sie über ihn und seinen Charakter nachdachte, desto gewisser erschien es ihr, daß er unter allen Männern auf dem ganzen Erdenrund derjenige war, der ihr am meisten zusagte. Die Vereinigung ihrer beiden verschiedenartigen Charaktere und Temperamente würde eine vortreffliche Mischung hervorbringen, ihre Lebhaftigkeit und Leichtigkeit sein ernstes Wesen mildern; und seine Menschen- und Weltkenntniß, so wie seine höhere Bildung und ruhige Besonnenheit ihr zum größten Nutzen gereichen.

Doch der staunenden Menge sollte durch diese Verbindung kein Beispiel ehelicher Glückseligkeit aufgestellt werden, und nur ein sehr verschiedenes, dem vernünftigen Theil der Familie keineswegs Heil verkündendes Bündnis ward in derselben erwartet.

Wie Wickham und Lydia im Stande sein würden, eine beschränkte Lage zu ertragen, konnte sie sich nicht vorstellen; wohl aber von welcher kurzen Dauer eine Neigung sein würde, die sich nur auf flüchtiges Wohlgefallen, nicht auf wahre Achtung gründete.


Gardiner beantwortete seines Schwagers Brief mit umgehender Post und bat ihn, des geringen Dienstes, den er ihm und seiner Familie zu leisten fähig gewesen, nicht wieder zu erwähnen. Der Hauptinhalt betraf Wickham's Entschluß, das Landwehrregiment zu verlassen.

»Es war dieß sehr mein Wunsch,« fügte er hinzu, »und ich bin überzeugt, daß auch Ihnen seine Entfernung von diesem Corps sowohl seinetwegen als auch Lydiens wegen angenehm sein wird. Wickham hat die Absicht, in reguläre Truppen einzutreten, und rechnet hierbei auf den Beistand einiger Bekannten aus früherer Zeit, die bei der Armee stehen. Er sagte mir, daß er das Versprechen einer Fähnrichstelle in einem im Norden von England stehenden Regiment erhalten habe, welche Entfernung Sie nicht bedauern werden. Er giebt die besten Versprechungen, und ich hoffe, daß Beide unter andern Umgebungen zur Vernunft kommen, und sich in Zukunft klüger betragen werden. Ich habe Oberst Forster dieses alles gemeldet, und ihn gebeten, Wickham's Gläubiger in und um Brighton mit dem Versprechen baldiger Bezahlung, wofür ich mich verbürgt, einstweilen zufrieden zu stellen. Und Sie, lieber Schwager! ersuche ich, seine Gläubiger in Meryton, von denen ich das Verzeichniß beifügen werde, durch ähnliche Versprechungen zu beruhigen. Er hat seine Schulden alle angegeben, und ich hoffe uns hierbei nicht hintergangen. Er gedenkt sich nächstens zu seinem Regiment zu begeben, wartet aber vorher noch eine Einladung nach Longbourn ab, so wie auch Lydia, die, wie ich von meiner Frau höre; Sie alle noch ein Mal zu sehen wünscht, ehe sie diese Gegend verläßt. Sie befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen und der ganzen Familie bestens.

Ergebenster
E. Gardiner.«

 

Bennet und seine ältesten Töchter erkannten es gleich ihrem Onkel für eine Wohlthat, daß Wickham in einen fernern Theil des Reichs versetzt wurde. Mrß. Bennet hingegen äußerte sich sehr unzufrieden darüber. Wickham's Entfernung aus Hertfordshire gerade jetzt, wo sie sich so viel Freude und Vergnügen von Lydiens Gesellschaft versprach, kam ihr höchst ungelegen; und außerdem erkannte sie es für eine Grausamkeit, ihre Tochter von dem Regiment zu trennen, mit dessen Officieren sie so genau bekannt war.

»Sie liebt Mrß. Forster wie ihre Schwester,« sagte sie; »es ist wirklich unverantwortlich, sie so weit wegzuschicken. Und wer weiß, welche Gesellschaft sie dort finden wird! Die Officiere sind schwerlich so liebenswürdig und unterhaltend wie die beim Landwehrregiment, unter denen Lydia manchen Liebling hatte.«

Ihr Gesuch, vor ihrer Abreise nach dem Norden nach Longbourn kommen zu dürfen, fand anfänglich kein geneigtes Gehör, und ward erst von Herrn Bennet rund abgeschlagen. Doch Johanne und Elisabeth, die die Wichtigkeit der älterlichen Anerkennung dieser Heirath einsahen, baten so dringend, und stellten ihm die Sache in einem so vernünftigen Licht vor, daß er endlich nachgab und seinen Schwager beauftragte, Lydien zu sagen, daß sie nach vollzogner Ceremonie mit ihrem Mann nach Longbourn kommen dürfe. Mrß. Bennet genoß im Voraus die Freude, ihre verheirathete Tochter in der Nachbarschaft herum zu führen. Elisabeth wunderte sich im Stillen über Wickham's Einwilligung zu diesem Plan; sie begriff nicht, wie er nach dem Vorhergegangenen sich ihren und der übrigen Familie Augen darzustellen wagen konnte, da ein Zusammentreffen mit ihm der letzte Gegenstand ihrer Wünsche gewesen wäre.

 

Neuntes Capitel.

 

Lydiens Hochzeitstag erschien, und ihre ältern Schwestern fühlten mehr für sie, als sie wahrscheinlich selbst. Der Wagen ward dem jungen Paar einige Meilen entgegengeschickt, um es bis Mittag nach Longbourn zu bringen.

Die Familie hatte sich eben zum Empfang im Frühstückszimmer versammelt, als die Gäste ankamen, Mrß. Bennets Gesicht überzog ein selbstzufriedenes Lächeln; ihr Gatte blickte ernst vor sich hin, seine Töchter voll unruhiger Erwartung nach der Thür. Jetzt erscholl Lydiens Stimme auf dem Vorsaal, die Thüre flog auf und sie herein. Ihre Mutter lief ihr entgegen, umarmte sie und bewillkommte sie mit allen Zeichen des Entzückens; hierauf reichte sie Wickham, der seiner jungen Frau folgte, mit zärtlichem Lächeln die Hand, und wünschte Beiden mit einer Heiterkeit Glück, als ob sie keinen Augenblick an der Erfüllung desselben zweifelte.

Der Empfang des Vaters, an den sie sich jetzt gewendet, war nicht ganz so freundlich. Seine Züge hatten einen sehr ernsten Ausdruck angenommen und er öffnete kaum die Lippen. Die Ruhe und Sicherheit des jungen Paares war schon hinreichend, ihn zu erbittern. Elisabeth ärgerte sich, und selbst Johanne konnte ihre Mißbilligung nicht ganz verbergen. Lydia war immer noch Lydia, ohne Furcht und ohne Schaam; wild und unbändig. Sie ging von einer Schwester zur andern, um sich Glück wünschen zu lassen; betrachtete hierauf alle Gegenstände im Zimmer und bemerkte lachend, daß es lange her sei, seit sie zuletzt darin gewesen.

Auch Wickham schien keineswegs verlegen oder beschämt und sein Benehmen hatte etwas so Gefälliges und Anziehendes, daß, wenn sein Charakter und seine Heirath so gewesen wären, wie sie hätten sein sollen, ein Jeder ihn mit Freuden als Mitglied der Familie empfangen haben würde. Elisabeth hatte es nicht für möglich gehalten, ihn mit solcher Sicherheit auftreten zu sehen; sie sah jetzt, daß sie in Zukunft nicht voraus berechnen könne, wie weit die Unverschämtheit eines unverschämten Mannes zu gehen vermöge. Sie erröthete und Johanne mit ihr; aber auf den Wangen der beiden Personen, die hierzu Veranlassung gegeben, war kein Farbenwechsel zu bemerken.

Die Unterhaltung ging nicht aus, Lydia und ihre Mutter konnten nicht schnell genug reden. Wickham, der seinen Platz neben Elisen genommen hatte, begann mit seiner gewöhnlichen Leichtigkeit nach allen Bekannten in der Nachbarschaft zu fragen. Sie schienen Beide die vortrefflichsten Gedächtnisse von der Welt zu besitzen und keinen Umstand ihres frühern Zusammentreffens vergessen zu haben; und Lydia leitete das Gespräch fortwährend auf solche Gegenstände, die ihre Schwestern nimmermehr berührt haben würden.

»Bedenkt nur, daß es erst drei Monate her sind,« sagte sie, »seit ich von hier fortging. Mit kommt es vor, als wäre es kaum 14 Tage, und doch ist so viel in dieser Zeit vorgefallen! Ich hätte mir es nimmermehr träumen lassen, daß ich verheirathet zurückkehren würde, obgleich ich wohl manchmal daran dachte, welch einen Spas es geben würde.«

Ihr Vater erhob den Blick vom Boden, Johanne betrübte sich, Elisabeth sah Lydien bedeutungsvoll an; diese aber, die nie zu sehen und zu hören pflegte, was ihr nicht anstand, fuhr im fröhlichen Ton fort:

»Mama! wissen die Leute hier schon, daß ich heute copulirt worden bin? Ich fürchtete, es möchte ihnen noch nicht bekannt sein, und als wir William Goulding diesen Morgen in seinem Curricle begegneten, ließ ich das Fenster an meiner Seite herunter, zog den Handschuh aus und legte meine Hand so weit heraus, daß er den Trauring sehen konnte.«

Jetzt ertrug es Elisabeth nicht langer. Sie verließ das Zimmer und kehrte nicht eher zurück, bis sie die Familie zum Essen gehen hörte. Auch hier kam sie noch zur rechten Zeit, um Lydien ihr Vorrecht, an der Mutter Seite zu gehen, mit lächerlichem Stolz behaupten zu sehen, und um zu hören, wie sie ihrer ältesten Schwester zurief:

»Jetzt, Johanne, nehme ich Deinen Platz ein und Du mußt weiter unter sitzen; denn mir als verheiratheten Frau gebührt die oberste Stelle.«

Da sich im ersten Augenblick keine Spur von Verlegenheit bei dem jungen Paar gezeigt, war auch für die Folge nichts dergleichen zu befürchten. Lydiens Heiterkeit und Selbstzufriedenheit nahm vielmehr immer noch zu. Sie sehnte sich, Mrß. Philips, Lukasens und alle ihre andern Nachbarn zu sehen und sich Mrß. Wickham nennen zu lassen; und verschmähte es selbst nicht, der Haushälterin und den übrigen Domestiken ihren Trauring zu zeigen, und sich ihnen als Mrß. Wickham vorzustellen.

Nachdem sie wieder ins Frühstückszimmer zurückgekehrt waren, sagte sie zu ihrer Mutter: »Nun, Mama! Wie gefällt Ihnen mein Mann? ist er nicht allerliebst? Meine Schwestern müssen mich beneiden; und ich wünsche ihnen nur halb so viel Glück, als ich gehabt habe. Sie müssen alle nach Brighton; das ist der beste Ort, um sich Männer auszusuchen. Schade, daß wir nicht alle hingingen.«

»Ja wohl,« entgegnete die Mutter; »es war ja auch mein Wille. Aber, liebe Lydia! ich kann Dein Verfahren im Ganzen doch nicht billigen. Mußte es auf solche Weise geschehen?«

»Und warum nicht? Es ist ja nichts Böses dabei, und mir gefiel diese Weise ganz außerordentlich. Sie, der Papa und die Schwestern müssen uns nun recht bald besuchen. Wir werden den Winter in Newcastle zubringen, woselbst es uns an Bällen nicht fehlen soll; auch will ich schon dafür sorgen, daß es den Schwestern nicht an guten Tänzern mangelt.«

Auf diese Weise ging die Unterhaltung fort, und Elisabeth tröstete sich mit der Aussicht, das der Besuch nicht länger als zehn Tage bleiben konnte. Wickham hatte sein Officierspatent bekommen, ehe er London verlassen, und mußte sich nach Verlauf von 14 Tagen beim Regiment einstellen. Mrß. Bennet allein beklagte die Kürze ihres Aufenthalts, sie benutzte die Zeit zu Besuchen mit ihrer Tochter und zu häufigen Gesellschaften in ihrem eigenen Hause, die, obgleich nicht sehr unterhaltend, dennoch allen lieber waren, als der bloße Familiencirkel.

Wickham's Liebe für Lydien war, wie Elisabeth vorausgesehen, bei weitem nicht der ihrigen gleich; und es ließ sich aus dieser Bemerkung sowohl wie aus manchen andern Gründen schließen, daß diese unglückselige Flucht mehr Folge ihrer Neigung als der seinigen gewesen war, und daß es vielleicht nie dazu gekommen wäre, wenn ihn nicht seine Schulden zu diesem Schritt getrieben hätten. Daß er unter solchen Umständen die Begleitung einer jungen Dame nicht verschmähte, war ihm nicht zu verdenken.

Lydia liebte ihn zärtlich; er war ihr geliebter Wickham, mit dem kein Andrer einen Vergleich aushielt. Er machte alles am Besten, und sie war überzeugt, daß er den ersten September mehr Vögel schießen würde, als irgend jemand in der ganzen Umgegend.

Am Morgen des zweiten Tages, als sie sich mit ihren ältesten Schwestern allein befand, sagte sie zu Elisen:

»Lizzy! ich glaube, Du hörtest noch nichts von meiner Hochzeit. Du warst nicht gegenwärtig, als ich der Mutter und den andern Schwestern davon erzählte. Bist Du nicht neugierig zu erfahren, wie es dabei herging?«

»Durchaus nicht,« erwiederte Elisabeth; »ich glaube, es läßt sich nicht viel davon sagen.«

»Ei warum nicht! Wir sollten zu St. Clement's copulirt werden, weil Wickham's Wohnung in diesem Bezirk lag. Alles war vorher verabredet, wir sollten um eilf Uhr dort sein, Onkel, Tante und ich wollten zusammen hinfahren und die Andern uns in der Kirche treffen. Der Montag Morgen kam, und ich war in großer Angst, daß etwas dazwischen kommen möchte. Während ich mich anzog, sprach und predigte die Tante unaufhörlich – es war, als ob ich eine Predigt läse. Doch Ihr so könnt wohl denken, daß ich nicht darauf hörte, und nur an meinen lieben Wickham dachte. Ich brannte vor Verlangen zu wissen, ob er sich in seinem blauen Rock copuliren lassen würde. Das Frühstück wollte kein Ende nehmen. Beiläufig muß ich auch bemerken, daß Onkel und Tante die ganze Zeit sehr ungefällig gegen mich waren. Nicht ein einziges Mal durfte ich zum Hause hinaus, obgleich ich vierzehn Tage dort war. Keine Gesellschaft, keine Parthie, nichts der Art! Und als ich nun endlich erlößt zu werden hoffte, als der Wagen schon vor der Thüre hielt, wurde der Onkel in Geschäfftsangelegenheiten zu dem fatalen Herrn Stone gerufen, von dem nie wieder loszukommen ist. Ich war außer mir; denn der Onkel sollte mich zum Altar führen, und wenn wir zu spät kamen, konnten wir an diesem Tage nicht mehr copulirt werden. Aber glücklicher Weise kehrte er schon nach zehn Minuten zurück. Später fiel mir auch noch ein, daß die Ceremonie deshalb doch nicht aufgeschoben zu werden gebraucht hätte, da Herr Darcy dabei war, und seine Stelle vertreten konnte.«

»Herr Darcy!«, wiederholte Elisabeth im Ton des höchsten Erstaunens.

»Ja, er kam mit Wickham, wie Du weißt. Aber, o Himmel! Ich vergaß ganz, daß ich nichts hiervon sagen sollte. Ich versprach es ihnen feierlich! Was wird Wickham sagen? Es sollte ein Geheimniß bleiben!«

»Dann schweige,« entgegnete Johanne, »und sei versichert, daß wir Dich nicht auffordern werden, mehr zu verrathen.«

»Nein, gewiß nicht,« sagte Elisabeth vor Neugier brennend; »wir wollen keine Fragen weiter an Dich richten.«

»Ich danke Euch.« erwiederte Lydia; »denn wenn Ihr mich darum bätet, würde ich Euch gewiß alles erzählen und Wickham dadurch böse machen.«

Bei solcher Aufforderung zu fernern Fragen sah sich Elisabeth genöthigt, die Flucht zu ergreifen, und sie verließ die Schwestern plötzlich unter einem scheinbaren Vorwand.

Aber lange in Unwissenheit über diesen merkwürdigen Umstand zu bleiben, erschien ihr unmöglich; wenigstens mußte sie einen Versuch wagen, Aufschluß zu erhalten. Darcy war bei ihrer Schwester Trauung gegenwärtig gewesen! Dieß konnte nur aus einer besondern Veranlassung geschehen sein. Unzählige Vermuthungen entstanden in ihrem Gehirn; aber keine befriedigte sie, und die einzige, die sein Betragen in das edelste Licht setzte, erschien ihr zu unwahrscheinlich. Sie konnte solche Ungewißheit nicht ertragen, und schrieb ganz kurz an ihre Tante, sie um eine Erklärung der Worte bittend, die Lydia in ihrer Unbedachtsamkeit ausgesprochen, falls sie nämlich nicht auch versprochen, das Geheimniß zu bewahren.

»Und sollte dieß der Fall sein,« fügte sie zum Schluß hinzu, »so muß ich mich einiger Kriegslisten bedienen, um die Sache auf eine andre Weise herauszubringen.«

Johannens Zartgefühl erlaubte ihr nicht, mit Elisen über diesen Gegenstand zu sprechen, und dieß war ihr lieb. Bis sie nicht wußte, ob sie eine befriedigende Antwort auf ihre Fragen erhalten würde, konnte sie keine Vertraute brauchen.

 

Zehntes Capitel.

 

Elisabeth hatte die Freude, sobald als möglich eine Antwort von ihrer Tante zu erhalten, mit welcher sie sich in eine einsame Laube flüchtete.

 

»Theuerste Nichte!

So eben erhielt ich Deinen Brief, und bin entschlossen, den ganzen Morgen an die Beantwortung desselben zu wenden, da ich wohl einsehe, daß ein kurzes Schreiben Dich nicht befriedigen wird. Ich gestehe, daß mich Deine Aufforderung einiger Maaßen in Erstaunen gesetzt hat, indem ich eine solche nimmermehr von Dir erwartet hatte. Glaube nicht, daß ich Dir zürne; ich hielt nur diese Nachfrage von Deiner Seite für unnöthig. Wenn Du nicht Lust hast, mich zu verstehen, so vergieb mir die Bemerkung. Dein Onkel war im gleichen Grad erstaunt, als ich und nur die Ueberzeugung, daß Du einen Antheil an der Sache hattest, konnte ihn bestimmen, so zu handeln, wie er gethan. Doch wenn Du wirklich unschuldig und unwissend bist, muß ich mich wohl deutlicher ausdrücken.

Denselben Tag, als ich von Longbourn zurückkehrte, hatte mein Mann einen unerwarteten Besuch gehabt. Herr Darcy war mehrere Stunden bei ihm gewesen. Ich erfuhr es erst später, daher meine Neugier nicht so unbändig war, wie die Deinige zu sein scheint. Er kam Deinem Onkel zu sagen, daß er Lydien und Wickham gefunden und sie Beide gesprochen habe; Erstere nur ein Mal, letztern jedoch schon öfterer. Er hatte Pemberley gleich den Tag nach unsrer Abreise verlassen, um in der Stadt Nachforschungen über die Flüchtlinge anzustellen. Als Grund dieses Verfahrens führte er an, daß er aus falschem Stolz versäumt habe, Wickham's schlechten Charakter bekannt zu machen, wodurch es ihm nur zu leicht möglich geworden, die Liebe eines unbefangenen Mädchens zu erwerben. Bis zu diesem Augenblick habe er es unter seiner Würde gehalten, der Welt die Triebfedern seiner geheimen Handlungen zu entdecken; doch jetzt fordre ihn die Pflicht dazu auf, alles zu thun, ein Uebel wieder gut zu machen; was er durch früheres Sprechen hätte verhindern können. – Wenn er hierzu auch noch einen andern Beweggrund gehabt haben sollte, bin ich überzeugt, daß er ihm alle Ehre macht. –

Er war mehrere Tage in der Stadt gewesen, ehe er ihren Aufenthalt erfahren; aber er hatte eine Spur zu verfolgen, die uns freilich gänzlich fehlte; und dieses Bewußtsein mag ihn auch wohl bestimmt haben, uns so bald nach London zu folgen. Es lebt nämlich hier eine Mrß. Younge, die früher Gouvernante bei Miß Darcy gewesen und aus Gründen, die mir der Bruder nicht mitgetheilt, ihres Amts entsetzt worden ist. Sie bezog hierauf ein großes Haus in der Eduardstraße, um es einzeln wieder zu vermiethen. Diese Mrß. Younge war, wie Darcy wußte, genau mit Wickham bekannt, weshalb er sie sogleich aufsuchte. Doch es vergingen zwei bis drei Tage, ehe er von ihr erfahren konnte, was er zu wissen brauchte. Sie war nicht zu bereden gewesen, zu verrathen, wo sich ihr Freund aufhielte, obgleich Wickham sich zuerst an sie gewendet, und wenn sie Zimmer gehabt, seine Wohnung bei ihr genommen hätte. Endlich war es unserm gütigen Freund indeß gelungen, die gewünschte Auskunft zu erhalten. Er erfuhr die Straße, sah erst Wickham, und bestand hernach darauf, auch Lydien zu sehen.

Es war anfänglich sein Plan, sie zu bereden, diese unwürdige Lage sogleich zu verlassen, wozu er ihr seinen Beistand angeboten. Er fand aber Lydien fest entschlossen zu bleiben; sie kümmerte sich nicht um Eltern und Schwestern, bedurfte seines Beistands nicht, und wollte durchaus nichts davon hören, Wickham zu verlassen. Er würde sie gewiß bald heirathen, und ob dieß nun ein Paar Tage früher oder später geschähe, war ihr ganz einerlei. Nach dieser Erklärung hielt es Darcy für das Beste, die Heirath zu beschleunigen; doch wie erstaunte er, als er von Wickham erfuhr, daß er keineswegs die Absicht gehabt, Lydien zu heirathen. Er gestand, daß nur einige Ehrenschulden ihn genöthigt, das Regiment heimlich zu verlassen, und trug kein Bedenken, Lydiens Thorheit die Schuld ihrer Begleitung auf dieser Flucht zuzuschreiben. Er war entschlossen seine Officiersstelle sogleich aufzugeben, obgleich er über seine Zukunft noch nichts wußte, und ihm nur so viel klar war, daß er nichts zu leben hatte. Darcy fragte ihn, warum er Lydien nicht gleich geheirathet, da deren Vater, obwohl nicht reich, doch im Stande gewesen wäre, etwas für ihn zu thun? worauf Wickham erwiedert, daß er immer noch die Hoffnung gehegt; sein Glück in einem andern Lande durch eine vortheilhafte Verbindung zu machen. –

Sie kamen mehrere Mal zusammen, da sie viel abzusprechen hatten. Wickham machte anfänglich enorme Bedingungen, ward jedoch endlich zur Vernunft gebracht. Nachdem alles zwischen ihnen abgemacht, suchte Darcy meinen Mann auf, um ihn davon zu unterrichten. Er kam zum ersten Mal den Abend vor meiner Zurückkunft, und als er erfuhr, daß Dein Vater noch da sei und erst den folgenden Tag abreisen würde, verließ er das Haus, ohne seinen Namen zurückzulassen. Sonnabend kam er wieder und hatte eine lange Unterredung mit meinem Mann. Sonntag sah ich ihn auch; doch erst am Montag wurde die Sache abgemacht, worauf der Bote sogleich nach Longbourn abging.

Unser Freund war sehr hartnäckig; ich glaube, Lizzy, daß die Hartnäckigkeit sein größter Fehler ist. Man hat ihn oft mancher andern angeklagt; aber dieß ist der wahre. Es geschah nichts, was er nicht selbst gethan hätte, obgleich ich versichern kann, (und das geschieht nicht, um Dank zu erwerben) daß Dein Onkel bereit war, die Sache in Ordnung zu bringen. Sie stritten sich lange darüber, was weder Lydie noch Wickham verdienten; doch endlich mußte Dein Onkel nachgeben, und genießt nun den Ruhm für seine thätige Hülfe unverdienter Maaßen. Deshalb freute er sich heute morgen über Deinen Brief, da die Beantwortung Deiner Fragen ihn der geborgten Federn berauben mußte, mit denen er sich bis jetzt wider seinen Willen geschmückt. Aber, Lizzy, dieß darf niemand weiter erfahren, als höchstens Johanne.

Was für die jungen Leute gethan worden ist, weißt Du vermuthlich schon. Seine Schulden, die sich über tausend Pfund beliefen, sind bezahlt; ein zweites tausend ist Lydien als Mitgift bestimmt, und außerdem noch die Officierstelle für ihn gekauft. Die Ursachen, die ihn zu diesem großmüthigen Benehmen bewogen, habe ich oben schon angeführt; doch muß es mit erlaubt sein, mir noch einige geheime hinzu zu denken, ohne welche auch Dein Onkel nimmermehr eingewilligt haben würde, ihm die Sache allein zu überlassen. – Nachdem dieß alles verabredet war, kehrte er zu seinen Freunden nach Pemberley zurück, versprach jedoch am Hochzeitstag wieder in London einzutreffen, um die Geldangelegenheiten selbst noch mit Wickham abzumachen. –

Und somit hätte ich Dir alles erzählt. Wenn der getreue Bericht des Vorgefallenen Dich auch in Erstaunen setzen sollte, wird er Dir doch hoffentlich keine unangenehme Empfindung verursachen. – Lydia kam, nun zu uns und Wickham erhielt Zutritt im Hause. Er war gerade so, wie ich ihn in Hertfordshire gesehen hatte; aber ich kann Dir kaum beschreiben, wie unzufrieden ich mit ihrem Betragen während ihres Aufenthalts bei uns war. Auch hatte ich gänzlich darüber geschwiegen, um Dir keinen Schmerz zu machen, wenn ich nicht aus einem Brief von Johannen gesehen, daß sie sich zu Hause auf gleiche Weise benommen hat. Ich sprach sehr ernsthaft mit ihr über ihr leichtsinniges Verfahren, schilderte ihr den trostlosen Zustand, in welchen sie ihre Familie durch diesen unüberlegten Schritt versetzt; aber ich glaube kaum, daß sie zehn Worte davon gehört hat. Ich stand manchmal im Begriff, die Geduld zu verlieren; dann dachte ich aber an Dich, meine liebe Elisabeth und an Johannen, und ertrug sie Euretwegen. – Herr Darcy stellte sich zur bestimmten Zeit ein, um, wie Ihr von Lydien gehört, bei ihrer Trauung gegenwärtig zu sein. Er aß den folgenden Mittag bei uns, und gedachte bald darauf die Stadt wieder zu verlassen.

Wirft Du es übel nehmen, liebste Lizzy! Wenn ich diese Gelegenheit benutze, Dir zu gestehen, (was ich früher nicht kühn genug war auszusprechen) daß er mir sehr gut gefällt? Sein Benehmen gegen uns war hier wie in Derbyshire außerordentlich artig und aufmerksam. Sein Verstand, und seine ganze Art und Weise sprechen mich sehr an; ihm fehlt nichts als etwas mehr Lebendigkeit, und diese wird ihm seine zukünftige Frau, wenn er vernünftig wählt, schon beibringen. Ich fand ihn sehr schlau; – er erwähnte Deiner fast gar nicht. Aber die Schlauheit ist jetzt an der Tagesordnung. Verzeih mir, wenn ich zu viel gesagt habe; aber strafe mich nicht so hart, mich von Pemberley auszuschließen. Ich fühle mich nicht eher ruhig und glücklich, bis ich um den ganzen Park herum gegangen bin. Ein zierlicher Phaeton und ein Paar rasche Pferde werden hierbei meinen schwachen Kräften zu Hülfe kommen müssen. –

Doch ich muß schließen; die Kinder verlangen schon seit einer halben Stunde nach mir. Lebe wohl, gedenke mit Liebe Deiner

gutmeinenden Tante
M. Gardiner.«

 

Der Inhalt dieses Briefs brachte die verschiedenartigsten Empfindungen in Elisens Seele hervor; sie wußte selbst kaum zu unterscheiden, ob mehr schmerzlicher oder freudiger Natur. Was sie manchmal zu hoffen gewagt, zugleich aber als eine zu große Güte und Selbstverläugnung betrachtet hatte, hörte sie jetzt als Gewißheit bestätigen. Darcy war bloß deshalb in die Stadt gekommen, um selbst das unangenehme Geschäfft des Aufsuchens zu übernehmen, wodurch er in die Nothwendigkeit versetzt worden, mit einem Weibe zu verkehren, das er aus tiefstem Herzensgrund verabscheute, und einen Mann wieder zu sehen, dessen Namen auszusprechen ihm eine Strafe war. Dieses alles hatte er für ein Mädchen gethan, welches er weder achten noch ehren konnte. Ihr Herz flüsterte ihr zu, daß er es für sie gethan.

Doch nicht lange erfreute sie sich dieser beglückenden Hoffnung; nur zu bald ward sie durch andre Betrachtungen wieder verdrängt, und sie fühlte, daß ein hoher Grad von Eitelkeit dazu gehörte, sich fortwährend von dem Mann geliebt zu glauben, den sie auf eine so schnöde Weise abgewiesen. Und vollends jetzt, nachdem sie mit Wickham so nah verwandt geworden! Der bloße Gedanke an eine Fortsetzung der Bekanntschaft mußte seinen ganzen Stolz empören. –

Ja, er hatte unbeschreiblich viel gethan, sie empfand es mit Schaam. Aber er hatte zugleich den Beweggrund seiner Handlung kund gethan, und dadurch jeder möglichen falschen Deutung vorgebeugt. Sie begriff sein Gefühl, sich gewisser Maaßen als Veranlassung des geschehenen Unglücks zu betrachten, und den daraus entstandenen Wunsch wieder gut machen zu wollen; aber dennoch schmeichelte sie sich mit dem Glauben, daß er sich durch eine leise, in seinem Innern für sie sprechende Stimme zu diesem schweren Geschäfft ermuthigt gefühlt, und die Linderung ihres Grams dabei vor Augen gehabt habe.

Der Gedanke, ihm Verbindlichkeiten schuldig zu sein, die weder sie noch ihre Familie je im Stande abzutragen, verursachte ihr Pein. Sie verdankten ihm Lydiens Ehre, die Erhaltung ihres guten Namens. O! wie herzlich bereute sie jedes unfreundliche Wort, das sie ihm gesagt, jede bittere Empfindung, die sie ihm verursacht hatte! Sie fühlte sich gedemüthigt, war aber stolz auf ihn – stolz darauf, daß er aus Ehrgefühl und Theilnahme jede kleinliche Rücksicht überwunden und wahrhaft edel gehandelt hatte.

Sie durchlas den Brief ihrer Tante noch mehrere Mal, und konnte sich eines Lächelns nicht erwehren über das von ihren Verwandten vorausgesetzte Verhältniß, über ihren festen Glauben an Darcy's Liebe. Diese zur Gewißheit gewordene Vermuthung erfüllte sie zu gleicher Zeit mit Freude und mit Schmerz.

In solchen Betrachtungen verloren, erschreckte sie der Fußtritt eines Kommenden; sie wollte entfliehen, doch ehe sie noch einen Seitenweg erreicht hatte, trat ihr Wickham entgegen.

»Ich muß befürchten, Ihren einsamen Spaziergang gestört zu haben, liebe Schwester!« begann er mit freundlichem Ton.

»Das haben Sie allerdings,« entgegnete Elisabeth lächelnd; »doch folgt daraus nicht, daß die Störung unwillkommen gewesen ist.«

»Es würde mich wenigstens sehr betrüben. Wir waren ja immer gute Freunde, und haben jetzt noch mehr Veranlassung es zu sein.«

»Sehr wahr! Werden die Andern Ihnen hierher folgen?«

»Ich weiß nicht. Mrß. Bennet und Lydia sind so eben nach Meryton gefahren.« Nach einer kleinen Pause fügte er mit möglichster Unbefangenheit hinzu: »Wie ich von Ihrem Onkel gehört, haben Sie Pemberley auf Ihrer Reise kennen lernen.«

Sie bejahte es.

»Ich könnte Sie darum beneiden; und wenn ich nicht befürchten müßte, daß mich dieser Anblick zu sehr ergreifen würde, möchte ich wohl über Pemberley nach Newcastle gehen. Vermuthlich sahen Sie daselbst auch die alte Haushälterin Mrß. Reynolds? Die gute Person! Sonst liebte sie mich sehr. Sie erwähnte meiner wohl nicht zufällig?«

»O, ja!«

»Und was sagte sie?«

»Daß Sie zur Armee gegangen, und wie sie leider erfahren, etwas wild geworden wären. Doch Sie wissen, in solcher Entfernung werden die Sachen oft falsch berichtet.«

»Gewiß,« entgegnete er, sich auf die Lippen beißend. Elisabeth hoffte ihn zum Schweigen gebracht zu haben; aber er fuhr bald wieder fort –

»Ich wunderte mich, Darcy vorigen Monat in der Stadt zu treffen. Ich begegnete ihm einige Mal. Was mag er wohl dort zu thun gehabt haben?«

»Vermuthlich Vorbereitungen zu seiner Verbindung mit Miß In der Vorlage irrtümlich »Mrß.«. von Bourgh,« entgegnete Elisabeth. »Es muß allerdings ein wichtiges Geschäft gewesen sein, was ihn zu dieser Jahreszeit nach London berufen hat.«

»Ohne Zweifel. Sahen Sie ihn während Ihres Aufenthalts in Lambton?«

»Ja, er stellte mir seine Schwester dort vor.«

»Und wie gefällt sie Ihnen?«

»Sehr gut.«

»Ich habe gehört, daß sie sich in den letzten Jahren sehr vervollkommt haben soll. Als ich sie zuletzt sah, war sie nicht vielversprechend. Es freut mich aber, daß sie Ihnen gefallen hat, und so hoffe ich auch, daß sie noch gut werden kann.«

»Ich möchte es fast mit Gewißheit behaupten; sie hat nun die Prüfungsjahre überstanden.«

»Sind Sie durch das Dorf Kympton gekommen?«

»Ich erinnere mich nicht.«

»Es interessirt mich zu wissen, weil es die Pfründe ist, die mir bestimmt war. Ein herrlicher Ort! ein vortreffliches Pfarrhaus! Die Stelle würde mir in jeder Hinsicht zugesagt haben.«

»Würden Sie auch gern Predigten gemacht haben?«

»Außerordentlich gern. Ich hätte dies Geschäft als meine Pflicht betrachtet, und so würde mir die Ausführung nicht schwer geworden sein. Man soll nichts im Leben bedauern, aber ich bin überzeugt, daß ich dort ganz an meinem Platz gewesen wäre. Ein solches ruhiges, zurückgezogenes Leben entspricht meinen Ideen von Glückseligkeit vollkommen, doch es sollte nicht so sein! Erwähnte Darcy dieses Umstandes, als Sie in Kent waren?«

»Er nicht; aber ich erfuhr aus einer eben so authentischen Quelle, daß Ihnen diese Pfründe nur bedingsweise zugesagt gewesen, und daß die Vergebung vom Willen des jetzigen Besitzers abgehangen habe.«

»Ganz richtig! es war eine kleine Bedingung dabei, wie ich Ihnen auch gleich anfangs erzählte.«

»Auch hörte ich, daß das Geschäft, Predigten zu machen, Ihnen früher nicht so angenehm erschienen sei, als jetzt; daß Sie damals fest erklärt, sich nicht ordinieren lassen zu wollen, und daß hierauf ein andrer Vertrag abgeschlossen worden sei.«

»Allerdings! und dieß hatte auch seinen Grund. Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen davon sagte, als wir zuerst darüber sprachen.«

Sie hatten jetzt das Haus erreicht, da sie ihre Schritte verdoppelte, um ihn bald los zu werden, und Lydiens wegen nicht wünschend ihn zu erzürnen, sagte sie lächelnd –

»Kommen Sie, Herr Wickham! Wir sind jetzt Geschwister und müssen uns vertragen. Lassen wir daher das Streiten über vergangene Dinge. Künftig werden wir hoffentlich immer einerlei Meinung sein.«

Sie reichte ihm ihre Hand, die er mit zärtlicher Galanterie küßte, obgleich er nicht wußte, welche Miene er dazu annehmen sollte. Und somit gingen sie ins Haus.

 

Druckversion | Sitemap
© Thomas Lehmann

Diese Homepage wurde mit IONOS MyWebsite erstellt.