Stefan Zweig
Kapitel 11-15
Im Jahre 1776 und im Karneval 1777 erreicht der Vergnügungstaumel Marie Antoinettes den höchsten Punkt der scharf ansteigenden Kurve. Die mondäne Königin fehlt bei keinem Rennen, keinem Opernball, keiner Redoute, nie kommt sie vor Morgengrauen nach Hause, ständig meidet sie das eheliche Bett. Bis vier Uhr früh sitzt sie vor dem Spieltisch, ihre Verluste und Schulden erregen bereits öffentliches Ärgernis. Verzweifelt schmettert der Botschafter Mercy Bericht auf Bericht nach Wien: »Ihre Königliche Majestät vergißt vollkommen ihre äußere Würde«, es sei kaum möglich, sie zu belehren, denn »die verschiedenen Arten des Vergnügens folgen einander mit solcher Geschwindigkeit, daß man nur mit größter Mühe einige Augenblicke findet, mit ihr von ernsten Dingen zu sprechen«. Seit langem habe man Versailles nicht so verlassen gesehen wie in diesem Winter; im Laufe des letzten Monats hätten sich die Beschäftigungen der Königin oder, besser gesagt, ihre Vergnügungen nicht geändert oder vermindert. Es ist, als ob ein Dämon sich dieser jungen Frau bemächtigt habe: nie war ihre Unruhe, ihre Unrast unsinniger als in diesem entscheidenden Jahr.
Dazu tritt nun zum erstenmal eine neue Gefahr. Marie Antoinette ist 1777 nicht mehr das fünfzehnjährige naive Kind, als das sie nach Frankreich gekommen, sondern eine zweiundzwanzigjährige, zu üppiger Schönheit aufgeblühte, eine verlockende und selbst schon verlockte Frau; es wäre eher unnatürlich, bliebe sie völlig teilnahmlos kühl inmitten der erotischen, der überreizt sinnlichen Atmosphäre des Versailler Hofes. Alle ihre gleichaltrigen Verwandten, all ihre Freundinnen haben längst schon Kinder, jede einen wirklichen Mann oder wenigstens Liebhaber; nur sie allein ist durch das Ungeschick ihres unglücklichen Gatten ausgeschlossen, nur sie, schöner als alle, begehrlicher und begehrter als jede in ihrem Kreise, hat noch niemandem ihr Gefühl hingegeben. Vergeblich hat sie ihr starkes Zärtlichkeitsbedürfnis abgelenkt auf ihre Freundinnen, die innere Leere mit unablässigen Gesellschaftlichkeiten überlärmt – es hilft nichts, die Natur will bei jeder, also auch bei dieser durchaus natürlichen und normalen Frau allmählich ihr Recht. Immer mehr verliert im Zusammensein mit den jungen Kavalieren Marie Antoinette die ursprüngliche unbekümmerte Sicherheit. Zwar fürchtet sie sich noch vor dem Gefährlichsten. Aber sie läßt nicht ab, mit der Gefahr zu spielen, und vermag dabei nicht, ihrem Blut zu befehlen, das sie verrät; sie errötet, sie erblaßt, sie beginnt in der Nähe dieser unbewußt begehrten jungen Menschen zu erzittern, sie verwirrt sich, bekommt Tränen in die Augen und fordert doch immer wieder von neuem die galanten Komplimente dieser Kavaliere heraus; die Memoiren Lauzuns mit jener merkwürdigen Szene, da die eben noch zornig irritierte Königin ihn plötzlich in flüchtiger Umarmung umpreßt und, über sich selbst erschrocken, sofort beschämt entflieht, hat durchaus den Akzent der Wahrheit, denn der Bericht des schwedischen Gesandten über ihre offenkundige Passion für den jungen Grafen Fersen spiegelt den gleichen erregten Zustand. Es ist unverkennbar: die gequälte, von ihrem tölpischen Gatten aufgesparte und aufgeopferte zweiundzwanzigjährige Frau steht am Rande ihrer Selbstbeherrschung. Ihre Nerven halten nicht mehr der unsichtbaren Spannung stand, obwohl sich Marie Antoinette verteidigt, und vielleicht eben deshalb. Tatsächlich berichtet, als wollte er das klinische Bild ergänzen, der Botschafter Mercy über plötzlich auftretende »affectations nerveuses«, über sogenannte »vapeurs«. Vorläufig rettet Marie Antoinette noch die ängstliche Rücksicht ihrer eigenen Kavaliere vor einem wirklichen Verstoß gegen die eheliche Ehre – beide, Lauzun und Fersen, verlassen hastig den Hof, sobald sie das allzu offenbare Interesse der Königin für sich merken –; aber es ist kein Zweifel, wenn einer von den jungen Günstlingen, mit denen sie kokett spielt, in günstigem Augenblick kühn Zugriffe, könnte er sich leicht dieser innerlich nur noch matt bewahrten Tugend bemächtigen. Bisher ist es Marie Antoinette glücklicherweise gelungen, noch einen Schritt vor dem Fall sich aufzufangen. Aber mit der inneren Unruhe wächst die Gefahr: immer näher, immer flattriger kreist der Schmetterling um das lockende Licht; ein ungeschickter Flügelschlag, und die Spielende stürzt unrettbar in das zerstörende Element.
Weiß der mütterliche Wächter auch von dieser Gefahr? Man darf es annehmen, denn seine Warnungen vor Lauzun, vor Dillon, vor Esterhazy deuten an, daß der alte erfahrene Junggeselle die gespannte Lage besser in ihrer letzten Ursache erfaßt als die Königin, die nicht ahnt, wie verräterisch ihre springenden Erregtheiten, ihre wilde und unstillbare Fahrigkeit sind. Er begreift im ganzen Ausmaß die Katastrophe, die es bedeuten würde, wenn die Königin von Frankreich, ehe sie ihrem Gatten einen echten Erben geboren, irgendeinem fremden Liebhaber zur Beute fiele: das muß verhindert werden um jeden Preis. So sendet er Brief um Brief nach Wien, Kaiser Joseph möge endlich nach Versailles kommen, um nach dem Rechten zu sehen. Denn er weiß, der stille, ruhige Beobachter: es ist höchste Zeit, die Königin vor sich selbst zu retten.
Die Reise Josephs II. nach Paris hat einen dreifachen Zweck. Er soll, Mann zu Mann, mit dem König, seinem Schwager, über die heikle Angelegenheit der noch immer nicht vollzogenen ehelichen Pflichten reden. Er soll mit der Autorität des ältern Bruders seiner vergnügungssüchtigen Schwester den Kopf waschen, ihr die politischen und menschlichen Gefahren ihrer Vergnügungssucht vor Augen halten. Drittens soll er das staatliche Bündnis zwischen dem französischen und österreichischen Herrscherhaus menschlich festigen.
Zu diesen drei ihm vorgesetzten Aufgaben fügt Joseph II. freiwillig noch eine vierte hinzu: er will die Gelegenheit dieses auffälligen Besuches wahrnehmen, ihn noch auffälliger zu machen, und für seine eigene Person möglichst viel Bewunderung einheimsen. Dieser im Innersten ehrenhafte, nicht unkluge, wenn auch nicht übermäßig begabte und vor allem eitle Mann, leidet seit Jahren an der typischen Kronprinzenkrankheit; es verärgert ihn, als erwachsener Mann noch immer nicht frei und unbeschränkt herrschen zu dürfen, sondern im Schatten seiner berühmten, gefeierten Mutter auf der politischen Bühne bloß die zweite Rolle zu spielen oder, wie er sich ärgerlich ausdrückt, »das fünfte Rad am Wagen zu sein«. Gerade weil er weiß, daß er die große Kaiserin, die ihm im Lichte steht, weder an Klugheit noch an moralischer Autorität übertreffen kann, sucht er sich für diese Nebenrolle eine besonders hervorstechende Nuance. Wenn sie vor Europa schon die heroische Auffassung des Herrschertums versinnlicht, will er für seinen Teil den Volkskaiser spielen, den modernen, philanthropischen, vorurteilsfreien, aufgeklärten Landesvater. Er geht als Arbeitsmann hinter dem Pflug, er mischt sich im schlichten Bürgerrock unter die Menge, er schläft im einfachen Soldatenbett, er läßt sich zur Probe auf dem Spielberg einsperren, sorgt aber gleichzeitig dafür, daß die Welt diese ostentative Bescheidenheit im weitesten Maße erfährt. Bisher konnte Joseph II. diese Rolle des leutseligen Kalifen aber nur vor seinen eigenen Untertanen verkörpern; diese Reise nach Paris bietet ihm endlich Gelegenheit, auf der großen Weltbühne aufzutreten. Und schon viele Wochen vorher studiert der Kaiser seine Bescheidenheitsrolle mit allen nur denkbaren Einzelheiten ein.
Zur Hälfte ist Kaiser Joseph diese Absicht gelungen. Zwar hat er die Geschichte nicht zu täuschen vermocht, sie verzeichnet in seinem Schuldbuch Fehler über Fehler, verfrühte, ungeschickt eingeführte Reformen, verhängnisvolle Voreiligkeiten, und vielleicht nur sein frühzeitiger Tod hat Österreich vor dem schon damals drohenden Zerfall bewahrt; aber die Legende, gutgläubiger als die Geschichte, sie hat er sich gewonnen. Lange wurde noch das Lied von dem gütigen Volkskaiser gesungen, unzählige Kolportageromane schildern, wie ein edler Unbekannter in schlichten Mantel gehüllt, Wohltaten mit linder Hand übt und die Mädchen aus dem Volke liebt; berühmt ist von diesen Romanen der immer wiederkehrende Schluß: der Unbekannte schlägt den Mantel auf, man erblickt staunend eine prunkvolle Uniform, und der edle Mann wendet sich weiter mit den tiefsinnigen Worten: »Meinen Namen werdet ihr nie erfahren, ich bin der Kaiser Joseph.«
Ein törichtes Scherzwort, aber doch, es ist aus Instinkt klüger, als man denkt: in fast genialer Weise karikiert es jene historische Eigenheit Kaiser Josephs, einerseits den bescheidenen Mann zu spielen und gleichzeitig alles zu tun, daß diese Bescheidenheit auch gehörig bewundert werde. Seine Reise nach Paris gibt davon eine bezeichnende Probe. Denn Kaiser Joseph II. reist selbstverständlich nicht als Kaiser nach Paris, er will kein Aufsehen, sondern als Graf Falkenstein, und stärkstes Gewicht wird darauf gelegt, daß niemand von diesem Inkognito erfahre. In langen Schriftstücken wird festgelegt, daß niemand ihn anders als »Monsieur« ansprechen darf, auch der König von Frankreich nicht, daß er nicht in Schlössern wohnen und nur schlichte Mietwagen benutzen will. Selbstverständlich wissen aber alle Höfe Europas auf Tag und Stunde genau sein Eintreffen; gleich in Stuttgart spielt ihm der Herzog von Württemberg einen schlimmen Streich und befiehlt, sämtliche Schilder von den Gasthäusern zu entfernen, so daß dem Volkskaiser nichts anderes übrig bleibt, als doch im Palais des Herzogs zu schlafen. Aber mit pedantischer Starrheit hält der neue Harun al Raschid bis zum letzten Augenblick an seinem längst weltbekannten Inkognito fest. Im einfachen Fiaker fährt er in Paris ein, steigt im Hotel de Tréville, dem heutigen Hotel Foyot, als unbekannter Graf Falkenstein ab; in Versailles nimmt er ein Zimmer in einem minderen Haus, schläft dort, als wäre er im Biwak, auf einem Feldbett, bloß mit dem Mantel bedeckt. Und er hat richtig gerechnet. Für das Pariser Volk, das seine Könige nur im Luxus kennt, ist ein solcher Herrscher Sensation, ein Kaiser, der in den Hospitälern die Armensuppen kostet, der den Sitzungen der Akademieen, den Verhandlungen im Parlament beiwohnt oder die Schiffer, die Kaufleute, die Taubstummenanstalt, den Botanischen Garten, die Seifenfabrik, die Handwerker besucht; Joseph sieht viel in Paris und freut sich zugleich, gesehen zu werden; er entzückt alle durch seine Leutseligkeit und ist selber noch mehr entzückt über den begeisterten Beifall, den er dafür findet. Mitten in solcher Doppelrolle zwischen Echt und Unecht bleibt dieser geheimnisvolle Charakter sich seines Zwiespalts ständig bewußt, und vor seinem Abschied schreibt er an seinen Bruder: »Du bist mehr wert als ich, aber ich bin mehr Scharlatan, und in diesem Lande muß man es sein. Ich bin mit Vorbedacht und aus Bescheidenheit einfach, aber ich übertreibe das mit Absicht; ich habe hier einen Enthusiasmus erregt, der mir wirklich schon peinlich wird. Ich verlasse dieses Königreich sehr zufrieden, aber ohne Bedauern, denn ich habe schon genug von meiner Rolle.«
Neben diesem persönlichen Erfolg erreicht Joseph auch die vorgezeichneten politischen Ziele; vor allem geht die Aussprache mit seinem Schwager über die bewußte heikle Angelegenheit überraschend leicht vonstatten. Ludwig XVI., ehrlich und jovial, empfängt seinen Schwager mit vollem Vertrauen. Es hat Friedrich dem Großen nichts geholfen, daß er seinem Gesandten, Baron Goltz, Anweisung gab, in ganz Paris zu verbreiten, daß Kaiser Joseph zu ihm gesagt habe: »Ich habe drei Schwäger, und alle drei sind jämmerlich: der eine in Versailles ist ein Schwachsinniger, der in Neapel ein Narr und der in Parma ein Dummkopf.« In diesem Falle hat der »schlimme Nachbar« den Kessel vergebens geheizt, denn Ludwig XVI. ist im Punkt der Eitelkeit nicht kitzlig, der Pfeil prallt ab an seiner biedern Gutmütigkeit. Die beiden Schwäger sprechen frei und ehrlich miteinander, und Ludwig XVI. nötigt bei näherer Bekanntschaft auch Joseph II. eine gewisse menschliche Achtung ab. »Dieser Mann ist ein Schwächling, aber kein Dummkopf. Er hat Kenntnisse und Urteil, aber er ist körperlich wie geistig apathisch. Er führt vernünftige Gespräche, hat aber keine rechte Lust, sich tiefer zu bilden, und keine rechte Neugier; das fiat lux ist bei ihm noch nicht gekommen, die Materie noch im Urzustand.« Nach einigen Tagen hat Joseph II. den König ganz in der Hand, sie verstehen sich in allen politischen Fragen, und man kann kaum zweifeln, daß es ihm ohne Mühe gelungen ist, seinen Schwager zu jener diskreten Operation zu bewegen.
Schwieriger, weil verantwortlicher, wird Josephs Stellung zu Marie Antoinette. Mit gemischten Gefühlen hat die Schwester den Besuch des Bruders erwartet, glücklich, sich endlich einmal mit einem Blutsverwandten, und zwar dem vertrautesten, ehrlich aussprechen zu können, aber auch voll Angst vor der schroffen lehrhaften Art, die der Kaiser der jüngeren Schwester gegenüber anzunehmen liebt. Erst vor kurzem hat er sie gerüffelt wie ein Schulmädchen: »In was mengst Du Dich ein?«, hatte er ihr geschrieben, »Du läßt Minister absetzen, einen andern auf seine Güter verbannen, Du schaffst neue kostspielige Ämter bei Hof! Hast Du Dich schon einmal gefragt, mit welchem Rechte Du Dich in die Angelegenheiten des Hofes und der französischen Monarchie mengst? Was für Kenntnisse hast Du Dir erworben, um zu wagen, Dich einzumengen und Dir einzubilden, Deine Meinung könnte in irgendeiner Hinsicht wichtig sein und besonders in jener des Staates, die doch ganz besondere vertiefte Kenntnisse erfordert? Du, eine liebenswürdige junge Person, die den ganzen Tag an nichts als an Frivolitäten, ihre Toiletten und Vergnügungen denkt, die nichts liest, nicht eine Viertelstunde im Monat in vernünftigem Gespräch verbringt oder zuhört, die nicht nachdenkt, nichts zu Ende und nie, ich bin dessen sicher, an die Folgen dessen denkt, was sie sagt oder tut ...« Einen solchen bittern Schulmeisterton ist die verwöhnte, verhätschelte Frau von ihren Höflingen in Trianon nicht gewöhnt, und man versteht ihr Herzklopfen, als plötzlich der Hofmarschall meldet, der Graf von Falkenstein sei in Paris eingetroffen und werde morgen in Versailles erscheinen.
Aber es kommt besser, als sie erwartet hat. Joseph II. ist Diplomat genug, um nicht sofort mit dem Donner ins Haus zu fallen; im Gegenteil, er sagt ihr Artiges über ihr reizendes Aussehen, versichert, wenn er noch einmal heiraten sollte, müßte seine Frau ihr ähnlich sein, er spielt eher den Galan. Maria Theresia hat wieder einmal richtig prophezeit, als sie im voraus ihrem Botschafter ankündigte: »Ich fürchte eigentlich nicht, daß er ein zu strenger Beurteiler ihres Verhaltens sein wird, ich glaube eher, daß, hübsch und anreizend, wie sie ist, und mit ihrer Geschicklichkeit, Geist und gute Haltung im Gespräch zu vermengen, sie seinen Beifall finden wird, was wiederum ihm schmeicheln wird.« In der Tat, die Liebenswürdigkeit der entzückend hübschen Schwester, ihre aufrichtige Freude, ihn wiederzusehen, die Achtung, mit der sie ihm zuhört, anderseits die familiäre Gutmütigkeit des Schwagers und der große Triumph, den er mit seiner Bescheidenheitskomödie in Paris erringt, machen den gefürchteten Pedanten stumm; der strenge Brummbär läßt sich beruhigen, seit man ihm so reichlich Honig gibt. Sein erster Eindruck ist eher freundlich: »Sie ist eine liebenswürdige und anständige Frau, noch etwas jung und etwas zu wenig nachdenkend, aber sie hat doch einen guten Fond von Anständigkeit und Tugend und dazu noch eine gewisse richtige Gabe der Auffassung, die mich oft überrascht hat. Die erste Regung ist immer richtig, und würde sie sich ihr hingeben und ein bißchen mehr nachdenken, statt der Legion Zubläser, die sie umringen, nachzugeben, so wäre sie vollendet. Die Vergnügungslust ist bei ihr sehr mächtig, und da man diese Schwäche kennt, hält man sich daran, und sie hört immer wieder am meisten auf jene, die ihr darin zu dienen wissen.«
Während sich Joseph II. aber scheinbar lässig bei all den Festen vergnügt, die ihm seine Schwester darbietet, beobachtet dieser merkwürdige Zwielichtgeist gleichzeitig scharf und genau. Vor allem muß er feststellen, daß Marie Antoinette »gar keine Liebe für ihren Gatten empfindet«, daß sie ihn nachlässig, gleichgültig und mit einem ungebührlichen Vonobenherab behandelt. Er hat ferner nicht viel Mühe, die üble Gesellschaft des »Windkopfs«, vor allem jene der Polignacs, zu durchschauen. Nur in einer Hinsicht scheint er beruhigt. Joseph II. atmet sichtlich erleichtert auf – wahrscheinlich hat er Ärgeres befürchtet –, daß trotz aller Koketterieen mit jungen Kavalieren die Tugend seiner Schwester bisher standgehalten hat, daß – sorgfältig fügt er die Klausel bei »wenigstens bis jetzt« – inmitten dieser verluderten Moral ihr Verhalten in sittlicher Hinsicht besser sei als ihr Ruf. Allerdings: sehr sicher für die Zukunft scheint ihn, was er in dieser Beziehung gehört und gesehen, nicht gemacht zu haben; ein paar kräftige Warnungen scheinen ihm nicht überflüssig. Einige Male nimmt er sich seine junge Schwester vor, es kommt zu heftigen Zusammenstößen, zum Beispiel, als er ihr vor Zeugen grob vorhält, daß sie »ihrem Mann zu nichts gut sei«, oder das Spielzimmer ihrer Freundin, der Herzogin von Guémenée, »un vrai tripot«, eine wahre Gaunerhöhle, nennt. Solche öffentlichen Vorhalte erbittern Marie Antoinette: es geht manchmal hart auf hart bei diesen Unterredungen zwischen den Geschwistern. Der kindische Trotz der jungen Frau wehrt sich gegen die angemaßte Bevormundung; aber gleichzeitig spürt ihre innere Aufrichtigkeit, wie sehr ihr Bruder mit allen seinen Vorwürfen im Recht ist, wie notwendig ihrer eigenen Charakterschwäche ein solcher Wächter an ihrer Seite wäre.
Zu einer endgültig zusammenfassenden Aussprache scheint es zwischen den beiden nicht gekommen zu sein. Zwar erinnert später in einem Brief Joseph II. mahnend Marie Antoinette an ein gewisses Gespräch auf einer Steinbank, aber das Eigentlichste und Wichtigste will er ihr offenbar nicht in gelegentlichen Gesprächen anvertrauen. In zwei Monaten hat Joseph II. ganz Frankreich gesehen, er weiß mehr von diesem Land als der eigene König, und mehr von den Gefahren seiner Schwester als sie selbst. Aber auch dies hat er erkannt, daß bei dieser flüchtigen Person jedes gesprochene Wort sich verflüchtigt, daß sie in der nächsten Stunde alles vergißt, besonders das, was sie vergessen will. So verfaßt er in aller Stille eine Instruktion, die alle seine Beobachtungen und Bedenken vereinigt, und übergibt ihr dieses dreißigseitige Dokument absichtlich in der allerletzten Stunde, mit der Bitte, es erst nach seiner Abreise zu lesen. Scripta manent, die geschriebene Mahnung soll ihr in seiner Abwesenheit zur Seite stehen.
Diese »instruction« ist das für den Charakter Marie Antoinettes vielleicht aufschlußreichste Dokument, das wir besitzen, denn Joseph II. schreibt es guten Willens und in völliger Unbestechlichkeit. Ein wenig schwülstig in der Form, für unsern Geschmack etwas zu pathetisch in seinem Moralismus, zeigt es gleichzeitig eine große diplomatische Geschicklichkeit, denn mit Takt vermeidet der Kaiser von Deutschland, einer Königin von Frankreich direkte Verhaltungsmaßregeln für ihr Betragen zu erteilen. Er reiht nur Frage an Frage, eine Art Katechismus, um die Gedankenfaule zum Nachdenken, zur Selbsterkenntnis und Selbstbeantwortung anzuregen; aber ohne es zu wollen, werden die Fragen zur Anklage, ihr scheinbar lockeres Hintereinander zu einem vollständigen Register der Verfehlungen Marie Antoinettes. Joseph II. erinnert seine Schwester vor allem, wieviel Zeit schon unnütz vertan sei. »Du schreitest im Alter vor, Du hast also nicht mehr die Entschuldigung, ein Kind zu sein. Was soll geschehen, was aus Dir werden, wenn Du länger zögerst?« Und er antwortet mit erschreckender Hellsicht selbst: »Eine unglückliche Frau und eine noch unglücklichere Königin.« Einzeln zählt er in Frageform alle ihre Nachlässigkeiten auf: ein scharfes kaltes Blitzlicht fällt vor allem auf ihr Verhalten zum Könige. »Suchst Du wirklich alle Gelegenheiten? Erwiderst Du die Gefühle, die er Dir offenbart? Bist Du nicht kalt und zerstreut, wenn er mit Dir spricht? Scheinst Du nicht manchmal gelangweilt oder abgestoßen? Wie willst Du bei einem solchen Verhalten, daß ein von Natur aus kühler Mann sich Dir nähert und Dich wirklich liebt?« Unbarmherzig hält er ihr – immer scheinbar nur fragend, in Wahrheit aber scharf anklagend – vor, daß sie, statt sich dem König unterzuordnen, seine Ungeschicklichkeit und Schwäche ausnütze, um statt seiner alle Erfolge und alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Verstehst Du, Dich ihm wirklich notwendig zu machen?« fragt er strenger. »Überzeugst Du ihn, daß niemand ihn aufrichtiger liebt und mehr seinen Ruhm und sein Glück im Herzen hegt als Du? Unterdrückst Du jemals Deinen Wunsch, auf seine Rechnung zu glänzen? Beschäftigst Du Dich mit den Dingen, die er vernachlässigt, um den Anschein zu vermeiden, Du hättest Verdienste auf seine Kosten? Bringst Du ihm Opfer? – Und bewahrst Du undurchdringliches Schweigen über seine Fehler und Schwächen? Entschuldigst Du sie, und befiehlst Du sofort denjenigen Schweigen, die wagen, darüber Andeutungen zu machen?«
Blatt um Blatt rollt Kaiser Joseph dann das ganze Register der Vergnügungswut auf: »Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, welche schlechte Wirkung Deine gesellschaftlichen Bindungen, Deine Freundschaften, wenn sie sich nicht auf in jeder Hinsicht untadelige Personen erstrecken, auf die öffentliche Meinung haben können und müssen, weil dadurch doch unwillkürlich der Verdacht entsteht, daß Du diese schlechten Sitten entweder billigst oder sogar an ihnen teilnimmst? Hast Du einmal die furchtbaren Folgen ausgewogen, die das Hasardspiel mit sich bringen kann durch die schlechte Gesellschaft und den Ton, den es nach sich zieht? Erinnere Dich doch an die Dinge, die vor Deinen eigenen Augen vor sich gegangen sind, erinnere Dich, daß der König selbst nicht spielt und daß es aufreizend wirkt, wenn Du sozusagen als einzige der ganzen Familie diesen schlechten Brauch unterstützest. Ebenso denke auch wenigstens einen Augenblick an alle die Peinlichkeiten, die sich an die Opernbälle knüpfen, an alle die üblen Abenteuer, die Du mir ja selbst in dieser Hinsicht erzählt hast. Ich kann Dir nicht verschweigen, daß von allen Vergnügungen dieses zweifellos das ungehörigste ist und besonders durch die Art, wie Du auf jene Bälle gehst, denn daß Dich Dein Schwager dorthin begleitet, macht nichts aus. Was hat es für einen Sinn, dort unbekannt sein, eine fremde Maske spielen zu wollen, siehst Du denn nicht ein, daß man Dich trotzdem kennt und manche Dinge zu Dir sagt, von denen es sich nicht paßt, daß Du sie hörst, die man aber mit Absicht sagt, um Dich zu amüsieren und Dich glauben zu machen, man habe sie in aller Unschuld gesagt? Schon der Ort hat einen sehr schlechten Ruf. Was suchst Du denn dort? Die Maske verhindert ein anständiges Gespräch, auch tanzen kannst Du dort nicht, wozu also diese Abenteuer, diese Ungehörigkeiten, wozu sich also mit diesem Pack von zügellosen Burschen und Dirnen und Fremden gemein machen, zweideutige Reden hören und vielleicht welche halten, die ihnen ähnlich sind? Nein, das gehört sich nicht. Ich gestehe Dir, daß das der Punkt ist, über den ich alle Leute, die Dich lieben und die anständig denken, am meisten empört gesehen habe: der König wird ganze Nächte lang in Versailles allein gelassen, und Du bist in Gesellschaft der ganzen Kanaille von Paris!« Dringend wiederholt ihr Joseph die alten Lehren ihrer Mutter, sie solle endlich anfangen, sich ein wenig mit Lektüre zu befassen, zwei Stunden täglich seien nicht viel und würden sie klüger und vernünftiger machen für die übrigen zweiundzwanzig. Und plötzlich springt mitten in der langen Predigt ein seherisches Wort auf, das man nicht ohne Schauer lesen kann. Wenn sie ihm nicht folge in dieser Hinsicht, sagt Joseph II., so sehe er arge Dinge voraus, und wörtlich schreibt er hin: »Ich zittere jetzt für Dich, denn so kann es nicht weitergehen; la révolution sera cruelle si vous ne la préparez.« – »Die Revolution wird grausam sein« – das unheimliche Wort, hier ist es zum erstenmal hingeschrieben. Obwohl in einem andern Sinn gemeint, ist es doch prophetisch ausgesprochen. Aber erst ein ganzes Jahrzehnt später wird Marie Antoinette den Sinn dieses Wortes begreifen.
Dieser Besuch Kaiser Josephs II. scheint, historisch gesehen, eine belanglose Episode im Leben Marie Antoinettes; in Wahrheit bewirkt er die entscheidendste Umstellung. Denn schon einige Wochen später zeigen sich die Früchte der Zwiesprache des Kaisers mit Ludwig XVI. über das heikle Thema des Alkovens. Mit neuem Mut macht sich der Gekräftigte an seine ehelichen Pflichten. Noch am 19. August 1777 meldet Marie Antoinette nach Wien bloß »un petit mieux«: ihr (jungfräulicher) »Zustand sei unverändert«, der große Angriff noch nicht gelungen, »aber ich zweifle dennoch nicht daran, denn eine kleine Besserung ist zu verzeichnen, nämlich, der König wird zärtlicher als vordem, und das bedeutet viel bei ihm«. Am 30. August ertönt endlich, endlich die Siegesfanfare; zum erstenmal nach unzähligen Niederlagen in diesem siebenjährigen Kriege des Eros hat der »nonchalant mari« die gar nicht verteidigte Festung erstürmt. »Ich befinde mich im größten Glück für mein ganzes Leben,« eilt Marie Antoinette der Mutter zu berichten: »jetzt sind es schon acht Tage her, daß meine Ehe vollkommen vollzogen ist; der Versuch wurde erneuert und gestern noch vollständiger als das erstemal. Ich dachte zuerst, sofort einen Kurier an meine teure Mutter abzusenden, aber ich bekam dann Angst, das würde zuviel Aufsehen und Geschwätz verursachen, auch wünschte ich, meiner Sache erst vollkommen sicher zu sein. Ich glaube noch nicht schwanger zu sein, aber ich habe jetzt wenigstens die Hoffnung, es von einem Augenblick zum andern werden zu können.« Lange bleibt diese glorreiche Wendung übrigens kein Geheimnis: der spanische Botschafter, der bestinformierte von allen, weiß seiner Regierung sogar das Datum des schicksalswendenden Tages (25. August) zu melden und fügt bei: »Da ein solches Ereignis interessant und von öffentlicher Wichtigkeit ist, habe ich mit den Ministern Maurepas und Vergennes einzeln darüber gesprochen, und beide haben mir die gleichen Umstände bestätigt. Übrigens ist sicher, daß der König die Sache einer seiner Tanten erzählte und mit viel Freimut sagte: ›Ich liebe sehr diese Art des Vergnügens und bedaure, sie so lange nicht gekannt zu haben.‹ Seine Majestät ist jetzt viel heiterer als früher, und die Königin hat jetzt öfter, als man es bisher beobachtet hatte, umränderte Augen.« Der erste Jubel der jungen Frau über ihren tüchtigen Ehemann erweist sich übrigens noch als verfrüht, denn diesem »neuen Vergnügen« geht Ludwig XVI. bei weitem nicht so eifrig nach wie der Jagd, und schon zehn Tage später muß Marie Antoinette der Mutter wieder klagen: »Der König liebt es nicht, zu zweit zu schlafen. Ich suche ihn zu bewegen, wenigstens nicht gänzlich auf diese Gemeinschaft Verzicht zu leisten. Manchmal verbringt er die Nacht bei mir, und ich glaube ihn nicht quälen zu dürfen, es öfter zu tun.« Die Mutter hört dies mit wenig Freude, weil sie diesen Punkt als sehr »essentiell« betrachtet, aber sie stimmt der taktvollen Tochter bei, ihren Gatten nicht zu bedrängen; nur solle sie sich auch ihrerseits mehr als bisher den Bettstunden ihres Gatten anpassen. Die in Wien brennend ersehnte Nachricht der eingetretenen Schwangerschaft läßt in dieser unleidenschaftlichen Ehe also noch immer auf sich warten, erst im April glaubt die ungeduldige Frau, ihren innigsten Wunsch erfüllt zu fühlen. Schon bei den ersten Anzeichen will Marie Antoinette rasch an ihre Mutter einen Eilkurier abschicken, aber der Hofarzt, obwohl privatim bereit, tausend Louis zu wetten, daß die Königin recht habe, rät zunächst ab. Am 5. Mai meldet der vorsichtige Mercy die Gewißheit, am 4. August wird die Schwangerschaft am Hof amtlich verkündet, nachdem die Königin am 31. Juli um halb elf Uhr abends die ersten Bewegungen des Kindes gespürt hat. »Seitdem«, schreibt sie an Maria Theresia, »bewegt es sich oft, und das macht mir große Freude.« Ihrer guten Laune bereitet es besonderen Spaß, auf urwüchsige Weise dem spät erprobten Gatten seine Vaterschaft mitzuteilen. Sie tritt vor ihn hin, zieht ein finsteres Gesicht, stellt sich beleidigt: »Sire, ich muß mich über einen Ihrer Untertanen beschweren, der so kühn gewesen ist, mir mit den Füßen in den Bauch zu stoßen.« Der brave König versteht nicht gleich, dann lacht er stolz behäbig und umarmt, von seiner eigenen unerwarteten Tüchtigkeit ganz verblüfft, seine Frau.
Sofort beginnen jetzt die vielfältigsten öffentlichen Zeremonieen. In den Kirchen werden Tedeums gesungen, das Parlament sendet seine Glückwünsche, der Erzbischof von Paris ordnet Bittgebete für den glücklichen Verlauf der Schwangerschaft an; mit ungeheurer Sorgfalt wird für das kommende Königskind die Amme ausgesucht, für die Armen werden hunderttausend Livres bereit gehalten. Alle Welt ist auf das große Ereignis gespannt, nicht am wenigsten der Geburtshelfer, für den diese Entbindung eine Art Glücksspiel bedeutet, denn im Falle eines Thronerben winken ihm vierzigtausend Livres Pension und nur zehntausend im Falle einer Prinzessin. Geradezu aufgeregt aber wartet der Hof auf das langversagte Schauspiel, denn nach jahrhundertelang geheiligtem Brauch stellt die Entbindung einer Königin von Frankreich keineswegs nur ein privates Familienereignis dar; ihre schwere Stunde muß nach den uralten Regeln angesichts aller Prinzen, Prinzessinnen und unter der Kontrolle des ganzen Hofes vor sich gehen. Jedes Mitglied der königlichen Familie sowie eine Reihe der höchsten Würdenträger haben das Recht, während des Geburtsaktes im Zimmer der Wöchnerin anwesend zu sein, und keiner denkt natürlich im entferntesten daran, auf dieses barbarische und gesundheitsstörende Privileg zu verzichten. Aus allen Provinzen, von den entlegensten Schlössern kommen die Neugierigen herausgefahren, die kleinste Mansarde in der winzigen Stadt Versailles ist bewohnt, und der riesige Menschenzudrang treibt die Lebensmittelpreise auf das Dreifache hinauf. Aber die Königin läßt die ungewünschten Gäste lange auf das Schauspiel warten. Endlich, am 18. Dezember, schellt nachts die Glocke durch das Haus, die Wehen haben begonnen. Als erste stürzt Madame de Lamballe in das Zimmer der Wöchnerin, hinter ihr aufgeregt alle Ehrendamen. Um drei Uhr werden der König, die Prinzen und Prinzessinnen geweckt, Pagen und Garden setzen sich aufs Pferd und rasen in gestrecktem Galopp nach Paris und Saint-Cloud, um alles, was königlichen Geblüts oder prinzlichen Rangs ist, als Zeugen rechtzeitig heranzuholen: es fehlt nur noch, daß man Sturmglocken läutet oder Alarmkanonen abschießt.
Ein paar Minuten, nachdem der Hofarzt mit lauter Stimme angekündigt hat, die schwere Stunde der Königin sei gekommen, poltert die ganze adelige Rotte herein; dichtgedrängt im engen Zimmer setzen sich die Zuschauer auf nach der Rangordnung gestellten Fauteuils rings um das Bett. Die in den Vorderreihen nicht mehr Platz gefunden haben, steigen sogar auf Sessel und Bänke, damit ihnen um Gottes willen nur keine Bewegung, kein Stöhnen der gequälten Frau entgehe. Die Luft wird in dem verschlossenen Raum immer dicker und schwüler vom Atem der etwa fünfzig Menschen, von dem scharfen Geruch des Essigs und der Essenzen. Aber niemand öffnet ein Fenster, keiner verläßt seinen Platz, und sieben volle Stunden dauert die öffentliche Folterszene, bis endlich um halb zwölf Uhr mittags Marie Antoinette einem Kind das Leben gibt – hélas! – einer Tochter. Ehrfurchtsvoll trägt man den Königssprossen in ein nachbarliches Kabinett, um ihn zu baden und dann sofort der Obhut der Gouvernante zu übergeben; von Stolz bewegt folgt der König, um die späte Leistung seiner Lenden zu bewundern, hinter ihm drängt neugierig wie immer der ganze Hof – da plötzlich tönt ein geller Befehl des Geburtshelfers: »Luft und heißes Wasser! Ein Aderlaß ist notwendig.« Der Königin ist plötzlich das Blut zu Kopf gestiegen; in Ohnmacht gefallen, halb erstickt von der verpesteten Luft und vielleicht auch von der Anstrengung, angesichts der fünfzig neugierigen Zuschauer ihre Schmerzen zu unterdrücken, liegt sie regungslos und röchelnd in den Kissen. Ein allgemeiner Schreck entsteht, der König reißt eigenhändig die Fenster auf, alles läuft entsetzt durcheinander. Aber das heiße Wasser kommt und kommt nicht: an sämtliche mittelalterlichen Zeremonieen haben die Schranzen bei dieser Geburt gedacht, nur nicht an die natürlichste Maßnahme in solchem Falle: heißes Wasser bereit zu halten. So wagt der Chirurg den Aderlaß ohne jede weitere Vorbereitung. Ein Blutstrahl spritzt aus der angeschlagenen Ader des Fußes und siehe: die Königin schlägt die Augen auf, sie ist gerettet. Jetzt erst bricht ungehemmt der Jubel los, man umarmt sich, man beglückwünscht sich, man weint vor Freude, und die Glocken dröhnen die frohe Botschaft ins Land.
Die Qual der Frau ist zu Ende, das Glück der Mutter beginnt. Wenn auch die Freude nicht vollkommen ist, die Kanone nur einundzwanzigmal zu Ehren einer Prinzessin erdröhnt, statt hunderteinmal, um einen neugeborenen Thronfolger zu begrüßen, so jubeln doch Versailles und Paris. Stafetten werden abgeschickt in alle Länder Europas, Almosen verteilt im ganzen Land, Gefangene aus Schuldhaft und Kerkern befreit, hundert junge Verlobte auf Kosten des Königs neu gekleidet, vermählt und mit einer Mitgift beschenkt. Als die Königin, von ihrem Wochenbett aufgestanden, nach Notre-Dame kommt, erwarten sie in glückseliger Reihe dort die hundert Paare – der Polizeiminister hat mit Absicht besonders hübsche ausgesucht – und begrüßen begeistert ihre Wohltäterin. Für das Volk von Paris gibt es Feuerwerk, Festbeleuchtung, Wein aus sprudelnden Brunnen, Brot- und Wurstverteilung, freien Zutritt in die Comédie Française, den Kohlenbrennern wird die Loge des Königs, den Fischweibern die der Königin zugewiesen: auch die Armen sollen einmal Feste feiern dürfen. Alles scheint jetzt glücklich und gut, nun könnte Ludwig XVI. ein heiterer, selbstsicherer Mann werden, seit er Vater, und Marie Antoinette eine glückliche ernste, gewissenhafte Frau, seit sie Mutter ist: das große Hemmnis ist beseitigt, die Ehe gesichert und gestärkt. Eltern, Hof und das ganze Land, sie dürfen sich freuen, und sie freuen sich tatsächlich ausgiebig mit Feiern und Vergnügungen.
Eine einzige nur ist nicht ganz zufrieden: Maria Theresia. Durch diese Enkelin scheint ihr die Stellung ihres Lieblingskindes zwar verbessert, aber noch nicht genug gefestigt. Als Kaiserin, als Politikerin denkt sie über das private Familienglück hinaus unaufhörlich vor allem an die Erhaltung der Dynastie. »Wir brauchen unbedingt einen Dauphin, einen Thronfolger.« Wie eine Litanei wiederholt sie die Mahnung an die Tochter, nur nicht jetzt »lit à part« zu machen, keiner Leichtfertigkeit sich hinzugeben. Als neuerdings Monat um Monat ohne Schwangerschaft vergeht, wird sie geradezu zornig, wie schlecht Marie Antoinette ihre ehelichen Nächte nützt. »Der König zieht sich zu früher Stunde zurück, er steht früh auf, die Königin tut das Gegenteil, wie kann man da etwas Gutes erwarten? Wenn man sich nur so im Vorübergehn sieht, ist kein wirklicher Erfolg zu erhoffen.« Immer lebhafter wird ihre Dringlichkeit. »Bisher war ich diskret, aber nun werde ich zudringlich werden; es wäre ein Verbrechen, nicht mehr Kinder dieses Blutes zu zeugen.« Nur dies eine will sie noch erleben: »Ich habe Ungeduld – in meinem Alter kann man nicht mehr lange warten.«
Aber diese letzte Freude, einen zukünftigen König von Frankreich aus ihrem habsburgischen Blute zu sehen, ist ihr nicht mehr vergönnt. Die nächste Schwangerschaft Marie Antoinettes bleibt fruchtlos; eine heftige Bewegung, um das Fenster der Karosse zu schließen, verschuldet eine Fehlgeburt, und ehe der langersehnte, der so ungeduldig herbeigewünschte Enkel geboren oder auch nur zu erwarten ist, erliegt am 29. November 1780 Maria Theresia einer Lungenentzündung. Zwei Wünsche hatte die alte, vom Leben längst enttäuschte Frau noch an das Dasein gerichtet. Den ersten: von ihrer Tochter geboren, einen Enkel für den französischen Thron zu sehen – ihn hat ihr das Schicksal versagt. Aber den andern: nicht mehr erleben zu müssen, wie ihr eigenes geliebtestes Kind durch Torheit und Unverstand ins Unglück gerät, ihn hat der frommen Frau ihr Gott erhört.
Erst ein Jahr nach Maria Theresias Hinscheiden bringt Marie Antoinette den ersehnten Sohn zur Welt: im Hinblick auf die aufregenden Vorfälle bei der ersten Geburt war diesmal die große Schaustellung in der Wochenstube abgesagt worden; nur allernächste Familienmitglieder hatten Zutritt erhalten. Diesmal geht die Geburt leicht vonstatten. Doch als man das neugeborene Kind hinausträgt, hat die Königin nicht mehr Kraft zu fragen, ob es ein Knabe oder wieder nur ein Mädchen sei. Aber da tritt der König an ihr Bett, Tränen fließen dem sonst schwer erregbaren Mann die Wangen herab, und mit seiner schallenden Stimme kündigt er an: »Der Kronprinz wünscht einzutreten.« Nun bricht allgemeiner Jubel los, beide Türen werden feierlich geöffnet, unter Beifallsrufen des versammelten Hofes wird das gewaschene und gewindelte Kind – der Herzog der Normandie – der beglückten Mutter wiedergebracht. Jetzt kann sich das große Kronprinzen-Geburtszeremoniell endlich ausleben. Abermals ist es der schicksalsbestimmte Gegenspieler Marie Antoinettes, Kardinal Rohan, er, der immer in entscheidender Stunde ihren Weg kreuzen soll, welcher die Taufe vornimmt; eine prächtige Amme wird besorgt, die erheiternderweise Madame »Poitrine« heißt, die Kanonen erdröhnen, bald weiß Paris von dem Ereignis. Und neuerdings beginnt, bedeutend großartiger als bei der Geburt der Prinzessin, der Reigen der Feste. Alle Zünfte senden, von Musikanten begleitet, Abordnungen nach Versailles, neun Tage dauert der farbenprächtige Aufmarsch der Gilden, denn jeder Stand will den neugeborenen zukünftigen König in seiner besonderen Art begrüßen. Die Rauchfangkehrer schleppen im Triumph einen ganzen Schornstein herbei, auf dessen Höhe kleine Schornsteinfeger sitzen und lustige Lieder singen; Fleischer treiben einen dicken Ochsen heran, Sänftenträger bringen eine vergoldete Sänfte, in der eine Amme und ein kleiner Dauphin als Puppen sitzen, Schuhmacher kleine Kinderschuhe, Schneider eine Miniaturuniform seines künftigen Regiments, die Schmiede einen Amboß, den sie in musikalischem Takt schlagen. Die Schlossermeister aber, die in dem König einen kollegialen Liebhaber ihres Handwerks wissen, haben sich besonders bemüht; sie spenden ein kunstvolles Geheimschloß, und als es Ludwig XVI. mit der Neugier des Fachmanns öffnet, springt ein kleiner Dauphin heraus, wunderbar aus Stahl gearbeitet. Die Damen der Halle wiederum, dieselben, die ein paar Jahre später die Königin mit ordinärsten Zoten verhöhnen werden, kleiden sich nobel in schwarze Seidenkleider und sagen Ansprachen von La Harpe auf. In den Kirchen werden Gottesdienste gehalten, im Stadthaus von Paris veranstalten die Kaufleute ein großes Bankett; der Krieg mit England, die Not, alles Unangenehme ist vergessen. Einen Augenblick gibt es keinen Unfrieden und keine Unzufriedenen mehr, sogar die zukünftigen Revolutionäre und Republikaner schwelgen in geräuschvollstem Erzroyalismus. Der spätere Präsident der Jakobiner, Collot d'Herbois, damals noch schlichter Schauspieler in Lyon, verfaßt ein eigenes Stück zu Ehren »der hohen Fürstin, deren Tugenden alle Herzen erobert haben«, er, der spätere Unterfertiger des Todesurteils für Louis Capet, bittet ehrfürchtig den Himmel:
Pour le bonheur des Français,
Notre bon Louis seize
S'est allié pour jamais
Au sang de Thérèse.
De cette heureuse union
Il sort un beau rejeton.
Pour répandre en notre cœur
Félicité parfaite,
Conserve, o ciel protecteur,
Les jours d'Antoinette.
Noch ist das Volk seinen Herrschern verbunden, noch dieses Kind dem ganzen Lande geboren und seine Ankunft ein allgemeines Fest. An den Straßenecken erscheinen Geiger und Trompeter, man spielt, man fiedelt, man dudelt, man trommelt und singt und tanzt in allen Städten und Dörfern. Alles liebt, alles lobt den König und die Königin, die endlich so tapfer ihre Pflicht getan.
Nun ist der verhängnisvolle Bann endgültig gebrochen. Noch zweimal wird Marie Antoinette Mutter, 1785 bringt sie einen zweiten Sohn, den zukünftigen Ludwig XVII., zur Welt, ein kräftiges gesundes Kind, »einen richtigen Bauernjungen«, im Jahre 1786 ihr viertes und letztes, Sophie Beatrix, das jedoch nur ein Alter von elf Monaten erreicht. Mit der Mutterschaft beginnt die erste Verwandlung in Marie Antoinette, noch nicht die entscheidende, aber der Anfang einer Entscheidung. Die Schwangerschaften gebieten an sich schon immer mehrmonatige Enthaltung von ihren unsinnigen Amüsements, das zärtliche Spiel mit den Kindern wird ihr bald reizvoller als das frivole des grünen Tisches, ihr starkes, bisher an nichtige Gefallsüchtigkeiten verzetteltes Zärtlichkeitsbedürfnis hat endlich einen normalen Ausstrom gefunden. Der Weg zur Selbstbesinnung, er steht jetzt offen. Nur ein paar stille, ein paar glückliche Jahre noch, und sie wird selbst still werden, diese schöne Frau mit den zärtlichen Augen, sie wird, rückflüchtend aus dem Getümmel der Nichtigkeiten, zufrieden ihren Kindern zusehen, wie sie langsam ins Leben hineinwachsen. Aber diese Frist wird ihr vom Schicksal nicht mehr gegeben; gerade da die Unruhe in Marie Antoinette endet, beginnt sie in der Welt.
Die Geburtsstunde des Dauphin hatte den Höhepunkt der Macht Marie Antoinettes bedeutet. Indem sie dem Reich einen Thronerben schenkte, war sie gleichsam ein zweitesmal Königin geworden. Noch einmal hatte ihr der rauschende Jubel der Menge gezeigt, welches unerschöpfliche Kapital an Liebe und Vertrauen im französischen Volke trotz aller Enttäuschungen dem angestammten Königshause bereit stand, mit wie wenig Mühe ein Herrscher diese Nation hätte an sich fesseln können. Jetzt müßte sie nur den einen entschiedenen Schritt tun, aus Trianon nach Versailles, nach Paris zurück, aus der Rokokowelt in die wirkliche, aus ihrer flattrigen Gesellschaft zum Adel, zum Volke und alles wäre gewonnen. Aber noch einmal geht sie aus ihrer schweren Stunde unbesorgt in die leichten und vergnüglichen zurück; nach den Festen des Volks beginnen abermals die kostspielig-verhängnisvollen in Trianon. Doch nun ist die große Geduld an ihrem Ende, die Wasserscheide des Glücks erreicht. Von nun an fließen die Wasser abwärts, der Tiefe entgegen.
Nichts Sichtliches, nichts Auffälliges ereignet sich zunächst. Es wird nur stiller und stiller in Versailles, immer weniger Herren und Damen erscheinen bei den großen Empfängen, und diese wenigen zeigen eine gewisse sachliche Kühle im Gruß. Noch wahren sie die Formen, aber um der Form und nicht um der Königin willen. Noch beugen sie das Knie, noch küssen sie höfisch die königliche Hand, aber sie eifern nicht mehr um die Gunst eines Gesprächs, die Blicke bleiben finster und fremd. Wenn Marie Antoinette das Theater betritt, erheben sich nicht mehr wie vordem stürmisch das Parterre und die Logen, in den Straßen verstummt das längstvertraute »Vive la Reine!«. Noch regt sich allerdings keine offene Feindseligkeit, nur jene Wärme ist dahin, die vordem den schuldigen Respekt wohltuend beseelte; man gehorcht noch der Herrscherin, aber man huldigt nicht mehr der Frau. Man dient achtungsvoll der Gattin des Königs, aber man bemüht sich nicht mehr um sie. Man widerspricht ihren Wünschen nicht offen, sondern schweigt; es ist das harte, böse, zurückhaltende Schweigen einer Verschwörung.
Das Hauptquartier dieser heimlichen Verschwörung ist auf die vier oder fünf Schlösser der königlichen Familie verteilt: auf das Luxembourg, das Palais Royal, das Schloß Bellevue und auf Versailles selbst, sie alle sind verbündet gegen Trianon, die Residenz der Königin. Den Chor der Gehässigkeit führen die drei alten Tanten. Sie haben noch immer nicht vergessen, daß das junge Mädchen ihnen aus der Schule der Bosheit entwischt und als Königin über den Kopf gewachsen ist; verdrossen, weil sie keine Rolle mehr spielen, haben sie sich nach dem Schloß Bellevue zurückgezogen. Dort sitzen sie in den ersten Triumphjahren Marie Antoinettes recht verlassen und gelangweilt in ihren Zimmern; niemand kümmert sich um sie, denn alle Beflissenheit flirrt und füttert um die junge bezaubernde Herrscherin, die alle Macht in ihren leichten weißen Händen trägt. Je mehr aber Marie Antoinette unbeliebt wird, um so häufiger gehen im Schloß Bellevue die Türen. All die Damen, die nicht nach Trianon geladen wurden, die entlassene »Madame Etikette«, die abgesägten Minister, die häßlichen und darum sittsam gebliebenen Frauen, die zurückgesetzten Kavaliere, die ausgebooteten Stellungspiraten, alle die den »neuen Kurs« verabscheuen und der altfranzösischen Tradition, der Kirchenfrömmigkeit und den »guten« Sitten wehmütig nachtrauern, sie geben sich in diesem Salon der Zurückgesetzten regelmäßiges Stelldichein. Das Zimmer der Tanten in Bellevue wird zur geheimen Giftapotheke, in welcher der ganze gehässige Hofklatsch, die neuesten Tollheiten der »Österreicherin«, die »Ondits« ihrer Galanterieen Tropfen um Tropfen destilliert und auf Flaschen gezogen werden; hier etabliert sich das Großarsenal aller boshaften Zubringereien, das berüchtigte »atelier des calomnies«; hier werden die kleinen bissigen Couplets gedichtet und vorgelesen und beflügelt, die dann munter durch Versailles schwirren; hier sammelt sich, heimtückischen, hinterhältigen Gehabens, alles, was das Rad der Zeit noch einmal zurückdrehen möchte, alle die lebenden Leichname der Enttäuschten, der Entthronten, der Erledigten, die Larven und Mumien einer vergangenen Welt, das ganze abgetane alte Geschlecht, um Rache zu nehmen dafür, daß es alt und abgetan ist. Aber das Gift dieses gespeicherten Hasses gilt nicht dem »armen guten König«, den sie scheinheilig bedauern, sondern einzig Marie Antoinette, der jungen, der strahlenden, der glücklichen Königin.
Gefährlicher als diese zahnlosen Gestrigen und Vorgestrigen, die nicht mehr beißen, sondern nur Geifer spritzen können, ist das neue Geschlecht, das noch niemals zur Macht gelangt ist und nicht länger im Dunkel bleiben will. Versailles hat sich durch seine exklusive und lässige Haltung derart ahnungslos von dem wirklichen Frankreich abgeschnürt, daß es der neuen Strömungen, die das Land bewegen, überhaupt nicht gewahr wird. Eine intelligente Bürgerschaft ist erwacht, sie hat sich an den Werken Jean Jacques Rousseaus über ihre Rechte belehrt, sie sieht im nachbarlichen England eine demokratische Regierungsform; die Heimkehrer aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg bringen ihnen Botschaft aus einem fremden Lande, wo der Unterschied der Kasten und Stände durch die Idee der Gleichheit und Freiheit aufgehoben ist. In Frankreich aber sehen sie nur Starre und Niedergang durch die völlige Unfähigkeit des Hofes. Einmütig hatte das Volk bei dem Tode Ludwigs XV. gehofft, jetzt sei endlich die Schmach der Mätressenwirtschaft, der Unfug der unsauberen Protektionen zu Ende; statt dessen regieren neuerdings die Frauen, Marie Antoinette und hinter ihr die Polignac. Die aufgeklärte Bürgerschaft erkennt mit steigender Erbitterung, wie die politische Machtstellung Frankreichs verfällt, wie die Schulden steigen, das Heer, die Flotte verdorrt, die Kolonieen verloren gehen, während ringsum alle andern Staaten sich energisch entfalten; und in weiten Kreisen wächst der Wille, dieser indolenten Mißwirtschaft ein Ende zu bereiten.
Dieser zusammengeballte Unmut der aufrichtig patriotisch und national Empfindenden wendet sich – und nicht mit Unrecht – vor allem gegen Marie Antoinette. Unfähig und unwillig zu wirklichem Entschluß, zählt der König – dies weiß das ganze Land – überhaupt als Herrscher nicht mit, einzig der Einfluß der Königin ist allmächtig. Nun hätte Marie Antoinette zwei Möglichkeiten gehabt: sich entweder ernst, tätig, energisch wie ihre Mutter der Regierungsgeschäfte anzunehmen oder gänzlich davon zu lassen. Sie in die Politik zu drängen, versucht unablässig die österreichische Gruppe, aber vergeblich, denn um zu regieren oder mitzuregieren, müßte man regelmäßig täglich ein paar Stunden Akten lesen, aber die Königin liest nicht gern. Man müßte die Vorträge der Minister anhören und überdenken, aber Marie Antoinette denkt nicht gern. Schon das bloße Zuhörenmüssen bedeutet für ihren flattrigen Sinn eine arge Anstrengung. »Sie hört kaum hin, wenn man etwas sagt,« klagt der Botschafter Mercy nach Wien »und es besteht fast nie die Möglichkeit, mit ihr eine wichtige und ernsthafte Sache zu besprechen oder ihre Aufmerksamkeit auf einen bedeutsamen Gegenstand zu sammeln. Die Vergnügungssucht hat über sie zu geheimnisvolle Gewalt.« Bestenfalls antwortet sie ihm ab und zu, wenn er im Auftrag ihrer Mutter oder ihres Bruders sie allzu heftig bedrängt: »Sagen Sie mir, was ich tun soll, und ich werde es auch tun«, und geht dann auch tatsächlich zum König. Aber am nächsten Tage hat ihr Unbestand alles wieder vergessen, ihre Einmischung geht über »gewisse ungeduldige Impulse« nicht hinaus, und schließlich resigniert Kaunitz am Wiener Hof. »Zählen wir niemals auf sie und in nichts. Begnügen wir uns, aus ihr, wie aus einem schlechten Zahler, wenigstens das herauszuholen, was zu holen ist.« Man müsse sich bescheiden, schreibt er Mercy, daß eben auch an andern Höfen Frauen sich nicht in die Politik mengen.
Aber ließe sie nur wirklich vom Staatsruder die Hand! Dann bliebe sie wenigstens ohne Schuld und Verantwortlichkeit! Aber, von ihrem Polignac-Klüngel getrieben, mengt sie sich, sobald es eine Neubesetzung eines Ministerpostens, eine Staatsstellung gilt, ununterbrochen ein; sie tut das Gefährlichste, was man in der Politik tun kann, sie redet, ohne nur im entferntesten die Materie zu kennen, überall mit, sie dilettiert und beschließt aus dem Handgelenk in den wichtigsten Fragen, sie verzettelt ihre ungeheure Macht über den König ausschließlich zum Vorteil ihrer Günstlinge. »Wenn es sich um ernste Dinge handelt,« klagt Mercy, »wird sie sofort ängstlich und unsicher in ihren Bemühungen; wird sie aber von ihrer perfiden und intriganten Gesellschaft bedrängt, so tut sie alles, um deren Wünsche durchzusetzen.« »Nichts hat der Königin mehr Haß eingebracht«, vermerkt der Staatsminister Saint-Priest, »als diese sprunghaften Einmengungen, diese ungerechtfertigten Protektionsernennungen.« Denn da sie in den Augen der Bürgerschaft die Staatsgeschäfte führt, da alle diese von ihr durchgesetzten Generale und Gesandten und Minister sich nicht bewähren, das System dieser eigenwilligen Autokratie völlig Schiffbruch leidet und Frankreich mit immer größerer Stromschnelle dem wirtschaftlichen Bankerott entgegentreibt, fällt alle Schuld auf die ihrer Verantwortung völlig unbewußte Königin (ach, sie hat doch nur ein paar reizenden netten Leuten zu guten Posten verholfen!). Alles was in Frankreich Fortschritt, Neuordnung, Gerechtigkeit und schöpferische Tat will, redet und murrt und droht gegen die verschwenderisch sorglose, gegen die ewig muntere Schloßherrin von Trianon, welche die Liebe und den Wohlstand von zwanzig Millionen Menschen töricht und gedankenlos einem hochmütigen Klüngel von zwanzig Damen und Kavalieren aufopfert.
Diese große Unzufriedenheit all derer, die ein neues System, eine bessere Ordnung, eine sinnvollere Verteilung der Verantwortung verlangen, hat lange eines Sammelpunktes entbehrt. Endlich findet sie ihn in einem Haus, in einem Menschen. Auch dieser erbitterte Widersacher trägt königliches Blut in den Adern: wie die Reaktion im Schlosse der Tanten zu Bellevue, so sammelt sich die Revolution im Palais Royal des Herzogs von Orléans: von zwei Fronten aus wird gleichzeitig in ganz gegensätzlichem Sinn der Kampf gegen Marie Antoinette eröffnet. Von Natur aus eher dem Genuß als dem Ehrgeiz zubestimmt, Frauenfreund, Spieler, Prasser und Elegant, durchaus nicht klug und eigentlich auch nicht bösartig, hat dieser völlig durchschnittliche Aristokrat die übliche Schwäche unschöpferischer Naturen: eine nur auf das Äußerliche gerichtete Eitelkeit. Und die Eitelkeit hat Marie Antoinette persönlich gekränkt, indem sie sich, locker spaßend – »frotzelnd«, wie man auf österreichisch sagt und meint –, über die kriegerischen Leistungen ihres Vetters geäußert und verhindert hat, daß ihm der Großadmiralstab von Frankreich zugeteilt werde. Der Herzog von Orléans, schwer beleidigt, nimmt den Handschuh auf; als Abkömmling einer gleich alten Linie des Königshauses, als schwerreicher, unabhängiger Mann, scheut er sich nicht, dem König im Parlament trotzigen Widerstand zu leisten und die Königin offen als seine Feindin zu behandeln. Mit seiner Person hat die Unzufriedenheit endlich den ersehnten Führer gewonnen. Wer sich gegen Habsburg und die herrschende Linie der Bourbons auflehnen will, wer die unbeschränkte Königsautokratie als veraltet und drückend betrachtet, wer vernünftige und demokratische Neuordnung in Frankreich fordert, begibt sich von nun ab unter den Schutz des Herzogs von Orléans. Im Palais Royal, dem eigentlich ersten, noch fürstlich protegierten Klub der Revolution, sammeln sich alle Neuerer, Liberalen, Konstitutionellen, Voltairianer, Philanthropisten, Freimaurer; dazu mengen sich alle Elemente der Unzufriedenheit, die Verschuldeten, die zurückgesetzten Aristokraten, die gebildeten Bürger, die zu keiner Stellung kommen, die unbeschäftigten Advokaten, Demagogen und Journalisten, alle jene gärenden und überlebendigen Kräfte, die später zusammengefaßt die Sturmgarde der Revolution bilden werden. Unter einem schwachen eitlen Führer steht die mächtigste geistige Armee, mit der Frankreich sich die Freiheit erobern wird, geschlossen bereit. Noch ist das Zeichen zum Angriff nicht gegeben. Aber jeder kennt die Richtung, weiß die Parole: Gegen den König! und vor allem: Gegen die Königin!
Zwischen diesen beiden Gruppen der Gegner, der revolutionären und der reaktionären, steht als einzelner Mann der vielleicht gefährlichste und verhängnisvollste Feind der Königin, der eigene Bruder ihres Mannes, »Monsieur«, Franz Xavier Graf von Provence, der spätere König Ludwig XVIII. Leisetreter und Schattengänger, intrigant und vorsichtig, schließt er sich, um sich nicht voreilig zu kompromittieren, keiner dieser Gruppen an, er pendelt abwartend nach rechts und links, bis das Schicksal ihm die rechte Zeigerstunde offenbaren wird. Er sieht nicht ungern die wachsenden Schwierigkeiten, aber er hütet sich, sie öffentlich zu bekritteln; ein schwarzer, stummer Maulwurf, gräbt er unterirdisch seine Minengänge und wartet, bis die Stellung seines Bruders genug erschüttert ist. Denn nur wenn Ludwig XVI. und Ludwig XVII. erledigt sind, kann Graf Franz Xavier von Provence endlich König werden, endlich Ludwig XVIII. – seit der Kindheit heimlich verschlossenes Ziel seines Ehrgeizes. Schon einmal hatte er sich berechtigter Hoffnung hingegeben, der Vertreter, der »Regent« und rechtliche Nachfolger seines Bruders zu werden; die sieben tragischen Jahre, da die Ehe Ludwigs XVI. infolge des ominösen Hemmnisses unfruchtbar blieb, waren für seinen ungeduldigen Ehrgeiz die sieben fetten Jahre der Bibel. Aber dann kam der grimmige Stoß gegen seine erbschleicherischen Hoffnungen; als Marie Antoinette von einer Tochter entbunden wird, entringt sich ihm in einem Brief an den König von Schweden das schmerzliche Bekenntnis: »Ich verberge mir selbst nicht, daß mich der Umstand empfindlich berührt hat ... Nach außen hin bin ich rasch wieder Herr meiner selbst geworden und habe das gleiche Betragen wie vordem gezeigt, allerdings ohne eine Freude zu betonen, die man für Falschheit genommen hätte, was ja auch schließlich wahr gewesen wäre ... Innerlich war es mir schwerer, siegreich zu bleiben. Manchmal lehnte sich das Gefühl noch auf, aber ich hoffe, es in Schach zu halten, wenn es schon nicht gänzlich besiegt werden kann.«
Die Geburt des Dauphin knickt dann gänzlich seine letzten Träume der Thronfolgerschaft; nun ist der gerade Weg versperrt, und er muß jene gewundenen und heuchlerischen gehn, die schließlich – allerdings erst nach dreißig Jahren – an das ersehnte Ziel geführt haben. Die Gegnerschaft des Grafen von Provence ist nicht wie jene des Herzogs von Orléans eine offene Haßflamme, sondern ein unter der Asche der Verstellung schwelendes Neidfeuer; solange Marie Antoinette und Ludwig XVI. die Macht unbestritten in Händen bewahren, verhält sich der heimliche Kronprätendent, ohne im geringsten einen Anspruch öffentlich anzukündigen, kühl und still; erst mit der Revolution beginnt sein verdächtiges Hinüber und Herüber, die merkwürdigen Konferenzen im Luxembourg-Palais. Aber kaum glücklich über die Grenze gerettet, schaufelt er durch seine herausfordernden Proklamationen wacker mit an dem Grab seines Bruders, seiner Schwägerin, seines Neffen, in der – tatsächlich erfüllten – Hoffnung, in ihrem Sarg die ersehnte Krone zu finden.
Hat der Graf von Provence noch mehr getan? War seine Rolle noch mephistophelischer, wie so viele behaupten? Ist sein Prätendentenehrgeiz wirklich so weit gegangen, daß er selbst die Broschüren gegen die Ehre seiner Schwägerin drucken und verbreiten ließ? Hat er tatsächlich jenes unglückliche Kind, Ludwig XVII., das man heimlich aus dem Temple gerettet, wieder durch Dokumentendiebstahl in ein dunkles und heute noch nicht völlig erhelltes Schicksal zurückgeschleudert? Vieles in seinem Verhalten gibt dem äußersten Verdachte Raum. Denn sofort nach seiner Thronbesteigung hat der König Ludwig XVIII. für schweres Geld oder mit grober Gewalt viele Briefe an sich gezogen oder sonst vernichten lassen, die einstmals der Graf von Provence geschrieben hatte. Und daß er nicht wagte, den Leichnam jenes im Temple gestorbenen Kindes als Ludwig XVII. beisetzen zu lassen, wie wäre dies anders zu deuten, als daß Ludwig XVIII. selbst nicht an den Tod Ludwigs XVII., sondern an die tatsächliche Unterschiebung eines fremden Kindes geglaubt hat? Aber dieser hartnäckige Schattengänger hat gut zu schweigen und sich zu verbergen verstanden; heute sind jene unterirdischen Stollen, mit denen er sich an den französischen Thron heranminiert, längst verschüttet. Nur das weiß man: selbst unter ihren erbittertsten Gegnern hatte Marie Antoinette keinen gefährlicheren Feind als diesen hintergründigen und undurchdringlichen Mann.
Nach zehn verspielten, vergeudeten Regierungsjahren ist Marie Antoinette bereits von allen Seiten umstellt, 1785 steht der Haß schon in hohem Halm. Alle der Königin feindlichen Gruppen – sie umfassen beinahe den ganzen Adel und die halbe Bürgerschaft – haben ihre Positionen bezogen und warten nur auf ein Zeichen zum Angriff. Noch aber ist die Autorität der ererbten Macht zu stark, noch wird kein einzelner entschlossener Plan gehegt. Nur ein leises Reden und Raunen, ein Surren und Schwirren von fein gefiederten Pfeilen geht durch Versailles; jeder einzelne trägt an seiner Spitze einen Tropfen aretinischen Giftes, und alle zielen sie an dem König vorbei nach der Königin. Kleine bedruckte oder beschriebene Blättchen wandern unter dem Tisch von Hand zu Hand und werden rasch unter den Rock geschoben, wenn ein fremder Schritt naht. In den Buchläden des Palais Royal lassen sich sehr vornehme Adelsherren mit dem Ludwigskreuz und diamantenen Schuhschnallen in die Hinterstube von dem Verkäufer führen, der, nachdem er sorgfältig die Tür verriegelt hat, aus irgendeinem staubigen Versteck zwischen alten Schmökern das neueste Libell gegen die Königin herausholt; angeblich aus London oder Amsterdam geschmuggelt, in Wirklichkeit ist der Druck merkwürdig frisch, ja noch feucht, vielleicht ist es in demselben Hause gedruckt, im Palais Royal, das dem Herzog von Orléans gehört, oder im Luxembourg. Ohne Zögern zahlen die vornehmen Kunden oft mehr Goldstücke, als diese Broschüren Blätter haben; manchmal sind es deren nicht mehr als zehn oder zwanzig, aber dafür reichlich mit lasziven Kupfern geschmückt und mit boshaften Späßchen gepfeffert. Solch ein saftiges Pasquill gilt nun als das beliebteste Präsent an eine Geliebte von Adel, eine von jenen, der Marie Antoinette nicht die Ehre erwies, sie nach Trianon zu laden; so ein perfides Geschenk erfreut mehr als ein kostbarer Ring oder Fächer. Von unbekannten Verfassern gedichtet, von geheimen Händen gedruckt, von unfaßbaren Händen verbreitet, flattern diese ehrabschneiderischen Schriften gegen die Königin fledermausflügelnd durch die Parktore von Versailles in die Boudoirs der Damen und in die Schlösser der Provinz; wenn aber der Polizeileutnant ihnen nachjagen will, fühlt er sich plötzlich von unsichtbaren Mächten gehemmt. Überallhin schlüpfen diese Blätter; die Königin findet sie bei Tisch unter der Serviette, der König auf seinem Schreibtisch mitten unter den Akten; in der Loge der Königin steckt vor ihrem Sitz, mit einer Nähnadel in den Samt gedrückt, ein boshaftes Gedicht, und wenn sie sich nachts aus ihrem Fenster beugt, hört sie das höhnende Bänkellied, das seit langem in aller Munde ist und mit der Frage beginnt:
Chacun se demande tous bas:
Le Roi peut-il? Ne peut-il pas?
La triste Reine en désespère ...
und nach den erotischen Einzelheiten mit der Drohung endet:
Petite Reine de vingt ans
Qui traitez aussi mal les gens
Vous repasserez en Bavière.
Diese Pamphlete und »Polissonnerieen« der ersten Zeit sind im Vergleich zu den spätem allerdings noch zurückhaltend, eher boshaft als bösartig. Noch sind die Pfeilspitzen nur in Lauge getaucht und nicht in Gift, mehr zugeschnitten, um zu ärgern, als um tödlich zu treffen. Erst von der Stunde an, da die Königin schwanger wird und dieses unerwartete Ereignis die verschiedenen Erbschleicher bei Hofe im tiefsten verärgert, verschärft sich merklich der Ton. Gerade jetzt, da es nicht mehr wahr ist, beginnen alle absichtlich laut den König als impotent, die Königin als Ehebrecherin zu verspotten, um damit gleich von vornherein – man ahnt in wessen Interesse die allfälligen Nachkommen als Bastarde hinzustellen. Insbesondere seit der Geburt des Dauphin, des unbestreitbar rechtmäßigen Thronerben, wird aus jenen gedeckten und verdeckten Unterständen auf Marie Antoinette mit »roten Kugeln« geschossen. Ihre Freundinnen Lamballe und Polignac werden als geübte Meisterinnen lesbischen Liebesdienstes an den Pranger gestellt, Marie Antoinette als unersättliche und perverse Erotomanin, der König als armer Gehörnter, der Dauphin als Bastard; zur Probe diene der Spruch, der damals munter über alle Lippen springt:
Louis, si tu veux voir
Bâtard, cocu, putain,
Regarde ton miroir,
La Reine et le Dauphin.
1785 ist das Verleumdungskonzert schon in vollem Gang, der Takt gegeben, der Text geliefert. Die Revolution braucht dann nur laut über die Straße zu schreien, was in den Salons erreimt und ersonnen wurde, um Marie Antoinette vor ihr Tribunal zu fordern. Die eigentlichen Stichworte der Anklage hat der Hof souffliert. Und die Hacke des Hasses, welche die Königin fällt, sie ist von feinen, schmalen, beringten Aristokratenhänden dem Henker in die Hand gedrückt worden.
Wer verfaßt diese rufmörderischen Schriften? Das ist eigentlich nebensächliche Frage, denn die Poetaster, die jene Verslein dichten, besorgen ihr Geschäft meist völlig ahnungs- und absichtslos. Sie arbeiten für fremde Zwecke und für fremdes Geld. Wenn zur Zeit der Renaissance vornehme Herren sich eines Unbequemen entledigen wollten, kauften sie sich für ein Felleisen voll Gold einen sichern Dolch, oder sie bestellten Gift. Das achtzehnte Jahrhundert, philanthropisch geworden, bedient sich feinerer Methoden. Man mietet gegen politische Gegner nicht mehr Dolche, sondern eine Feder, man läßt seine politischen Feinde nicht mehr körperlich, sondern moralisch erledigen: man tötet durch Lächerlichkeit. Glücklicherweise bekommt man gerade um 1780 für gutes Geld die allerbesten Federn geliehen. Herr Beaumarchais, Verfasser unsterblicher Komödien, Brissot, der zukünftige Tribun, Mirabeau, der Genius der Freiheit, Choderlos de Laclos, diese großen Männer sind alle, weil zurückgestoßen, trotz ihres Genies zu billigen Preisen käuflich. Und hinter diesen genialen Pasquillanten warten hundert andere gröbere und gemeinere mit schmutzigen Nägeln und leerem Magen, jederzeit bereit, alles zu schreiben, was man von ihnen verlangt, Honig oder Gift, Hochzeitsgedicht oder Schmähschrift, Hymnus oder Pamphlet, lang oder kurz, scharf oder zart, politisch oder unpolitisch, ganz wie der gnädige Herr es bestellt. Hat man außerdem noch Verwegenheit und Geschick, so verdient man bei solchen Geschäftlein doppelt und dreifach. Erstlich läßt man sich für das gelieferte Pasquill gegen die Pompadour, gegen die Dubarry oder jetzt gegen Marie Antoinette von dem ungenannten Besteller bezahlen; dann meldet man heimlich dem Hof, eine solche Schandschrift liege in Amsterdam oder London druckfertig bereit, und erhält dafür, daß man die Auflage unterdrücken hilft, Geld vom Hofkassierer oder Polizeileutnant. Und drittens verdient der dreifach Kluge – so hat es Beaumarchais gehalten –, wenn er trotz Eid und Ehrenwort von der angeblich völlig eingestampften Auflage dennoch ein oder zwei Exemplare zurückbehält und diese, verändert oder unverändert, neu zu drucken droht – ein munterer Spaß, der seinem genialen Erfinder in Wien bei Maria Theresia vierzehn Tage Gefängnis, aber dann im ängstlichen Versailles tausend Goldgulden Entschädigung und noch siebzigtausend Livres einbringt. Bald spricht sich unter den Sudlern die Nachricht herum: Pamphlete gegen Marie Antoinette seien zur Zeit das einträglichste Geschäft und zudem nicht einmal sehr gefährlich; so verbreitet sich die verhängnisvolle Mode munter weiter. Schweigen und Schwatz, Geschäft und Gemeinheit, Haß und Habsucht arbeiten gut und treu in Bestellung und Verbreitung dieser Schriften zusammen. Und bald ist ihren vereinten Bemühungen die gewünschte Absicht gelungen: Marie Antoinette als Frau, als Königin in ganz Frankreich endgültig verhaßt zu machen.
Marie Antoinette spürt deutlich diese bösartigen Machenschaften hinter ihrem Rücken, sie weiß von den Spottschriften und ahnt auch deren Urheber. Aber ihre desinvoltura, ihr eingeborener und unbelehrbarer Habsburgerstolz hält es für mutiger, Gefahren zu verachten, als ihnen klug oder vorsichtig zu begegnen. Verächtlich streift sie diese Schmutzspritzer vom Kleid. »Wir befinden uns in einer Epoche satirischer Chansons,« schreibt sie rascher Hand ihrer Mutter, »man macht solche über alle Personen bei Hof, Männer und Frauen, und die französische Leichtfertigkeit hat nicht einmal vor dem König Halt gemacht. Was mich betrifft, so bin ich auch nicht geschont worden.« Das ist alles, anscheinend ihr ganzer Ärger, ihr ganzer Groll. Was kann es ihr schaden, wenn ein paar Schmeißfliegen sich auf ihr Kleid setzen! Gepanzert in ihrer königlichen Würde, meint sie sich unverwundbar von papiernen Pfeilen. Aber sie vergißt, daß ein einziger Tropfen solchen teuflischen Verleumdungsgifts, einmal in den Blutkreislauf der öffentlichen Meinung eingedrungen, ein Fieber erzeugen kann, dem später selbst die weisesten Ärzte ohnmächtig gegenüberstehen. Lächelnd und leicht geht Marie Antoinette an der Gefahr vorbei. Worte sind für sie bloß Spreu im Wind. Es muß erst ein Sturm kommen, um sie zu erwecken.
Die ersten Augustwochen von 1785 finden die Königin ungemein beschäftigt, aber nicht etwa, weil die politische Situation besonders schwierig geworden ist und der Aufstand der Niederlande die französisch-österreichische Allianz auf die gefährlichste Probe stellt: immer noch erscheint Marie Antoinette ihr Rokokotheaterchen in Trianon wichtiger als die dramatische Bühne der Welt. Ihre ungestüme Aufregung gilt diesmal ausschließlich einer neuen Premiere. Man ist schon ungeduldig, den »Barbier von Sevilla«, die Komödie des Herrn von Beaumarchais, im Schloßtheater aufzuführen, und welch erlesene Besetzung heiligt die profanen Rollen! Der Graf von Artois in höchsteigner Person soll den Figaro, Vaudreuil den Grafen und die Königin das muntere Mädchen Rosina spielen.
Des Herrn von Beaumarchais? Doch nicht desselben, des polizeibekannten Herrn Caron, der vor zehn Jahren jenes niederträchtige Pamphlet »Avis important à la branche espagnole sur ses droits à la couronne de France«, das die Impotenz Ludwigs XVI. in die Welt hinausbrüllte, angeblich aufgestöbert, in Wirklichkeit aber selbst geschrieben und der erbitterten Kaiserin Maria Theresia überbracht hat? Den die kaiserliche Mutter einen »fripon«, einen Lumpen, Ludwig XVI. einen Narren und ein »mauvais sujet« genannt hat? Der in Wien auf kaiserlichen Befehl als frecher Erpresser in Haft gesetzt wurde, der im Gefängnis von Saint-Lazare die damals übliche Tracht von Rutenstreichen zum Empfang bekam? Jawohl, ebenderselbe! Sobald es ihr Vergnügen gilt, hat Marie Antoinette ein schrecklich kurzes Gedächtnis, und Kaunitz in Wien übertreibt nicht, wenn er sagt, ihre Torheiten täten nichts, »als wachsen und immer schöner werden« (croître et embellir). Denn nicht nur, daß dieser betriebsame und gleichzeitig geniale Abenteurer sie selber verhöhnt und ihre Mutter erbittert hat, knüpft sich außerdem die furchtbarste Blamage der königlichen Autorität an den Namen dieses Komödiendichters. Die Literaturgeschichte, auch die Weltgeschichte, sie wissen nach hundertundfünfzig Jahren noch von dieser kläglichen Niederlage eines Königs durch einen Dichter; nur die eigene Frau hat sie nach vier Jahren schon völlig vergessen. 1781 hatte die Zensur mit klugen Nüstern gewittert, daß die neue Komödie dieses Dichters, die »Hochzeit des Figaro«, bedenklich nach Pulver riecht und, an der feurigen Laune eines skandalisierten Theaterabends entzündet, das ganze alte Regime in die Luft sprengen könnte; einstimmig verbot der Ministerrat die Aufführung. Aber Beaumarchais, immer unvergleichlich rührig, wenn es um seinen Ruhm oder gar um sein Geld geht, findet hundert Wege, sein Stück immer wieder vorzubringen; schließlich erreicht er, daß es zu letzter und endgültiger Entscheidung dem König selbst vorgelesen wird. So dumpf dieser brave Mann sonst sein mochte, er ist doch nicht beschränkt genug, um das Aufrührerische dieser göttlichen Komödie zu verkennen. »Dieser Mann macht sich über alle Dinge lustig, die man in einem Staat achten muß«, schimpft er verdrossen. »Das Stück wird also wirklich nicht gespielt werden?« fragt enttäuscht die Königin, der eine interessante Premiere wichtiger ist als das Staatswohl. »Nein, ganz bestimmt nicht,« antwortet Ludwig XVI., »da kannst du sicher sein.«
Damit scheint dem Stück das Urteil gesprochen; der Allerchristlichste König, der unumschränkte Herrscher von Frankreich wünscht die »Hochzeit des Figaro« nicht in seinem Theater gespielt zu sehen: da gibt es keinen Widerspruch. Die Angelegenheit ist für den König erledigt. Aber keineswegs für Beaumarchais. Der denkt nicht daran, die Segel zu streichen; ihm ist zu wohl bekannt, daß der königliche Kopf nur auf den Münzen und Amtspapieren gebietet, aber über den Herrscher herrscht doch in Wirklichkeit die Königin, über die Königin wieder die Polignacs. Also heran an diese höchste Instanz! Beaumarchais liest das Stück – durch das Verbot ist es in Mode gekommen – eifrigst in allen Salons vor, und mit jenem geheimnisvollen Trieb zur Selbstzerstörung, der für die entartete Gesellschaft jener Zeit so charakteristisch ist, begönnert der ganze Adel begeistert die Komödie, erstens weil sie ihn selbst verhöhnt, zweitens weil Ludwig XVI. sie unpassend gefunden hat. Vaudreuil, der Geliebte der Polignac, erfrecht sich, das vom König verbotene Stück in seinem Gutstheater aufführen zu lassen; aber nicht genug daran: der König muß öffentlich unrecht behalten und Beaumarchais öffentlich recht, die Komödie muß im eigenen Hause des Königs gespielt werden, der sie verboten hat, und gerade weil er sie verboten hat. Heimlich, und wahrscheinlich mit Wissen der Königin, der ein Lächeln ihrer Polignac wichtiger ist als das Ansehen ihres Gatten, erhalten die Schauspieler Auftrag, ihre Rollen einzustudieren; schon werden Billetts verteilt, schon drängen sich die Wagen vor der Tür des Theaters – da besinnt sich der König im letzten Augenblick doch noch auf seine bedrohte Würde. Er hat verboten, das Stück zu spielen; jetzt geht es um seine Autorität. Eine Stunde vor Beginn untersagt Ludwig XVI. die Aufführung durch eine Lettre de cachet. Die Lichter werden verlöscht, die Equipagen müssen nach Hause fahren.
Abermals scheint die Angelegenheit erledigt. Aber dem frechen Klüngel der Königin macht es Spaß, jetzt erst recht zu beweisen, daß ihre vereinte Macht größer sei als die eines gekrönten Schwächlings. Der Graf von Artois und Marie Antoinette werden vorausgeschickt, den König zu bedrängen; wie immer knickt der willenlose Mann ein, sobald seine Frau etwas von ihm fordert. Er verlangt nur, um seine Niederlage zu decken, Änderungen der herausforderndsten Stellen, also jener, die in Wirklichkeit jeder längst auswendig weiß. Für den 17. April 1784 wird im Théâtre Français die »Hochzeit des Figaro« angesetzt: Beaumarchais hat über Ludwig XVI. triumphiert. Daß der König die Aufführung verbieten wollte und die Hoffnung aussprach, das Stück werde durchfallen, macht den frondierenden Edelleuten den Abend zur Sensation. Der Andrang wird so groß, daß die Türen eingedrückt, die Eisenstangen zerbrochen werden; mit rasendem Beifall empfängt die alte Gesellschaft das Stück, das ihr moralisch den Genickfang gibt, und dieser Beifall ist, sie ahnen es nicht, die erste öffentliche Geste der Auflehnung, das Wetterleuchten der Revolution.
Das geringste Maß von Anstand, von Takt, von Vernunft müßte Marie Antoinette bei solchem Sachverhalt gebieten, sich bei einer Komödie dieses Herrn von Beaumarchais abseits zu halten. Gerade dieser eine Herr von Beaumarchais, der frech ihre Ehre mit Tinte beschmutzt und den König vor ganz Paris lächerlich gemacht hat, dürfte sich nicht rühmen können, eine seiner Theaterfiguren von der Tochter Maria Theresias, von der Gattin Ludwigs XVI., die ihn beide als Lumpen einsperren ließen, persönlich verkörpert zu sehen. Aber – summa lex, höchste Instanz für die mondäne Königin – Herr Beaumarchais gilt seit seinem Sieg über den König als große Mode in Paris; und die Königin gehorcht der Mode. Was zählen da Ehre und Anstand, man spielt doch nur Theater. Und dann, welche entzückende Rolle, dieses schalkhafte Mädchen! Wie heißt es nur im Text? »Stellen Sie sich das hübscheste Schätzchen vor, sanft, zärtlich, zuspringig, frisch und appetitlich, mit fliehenden Füßchen, schnurgerader schwingender Taille, mit rundlichen Armen, taufrischem Mund! Was für Hände! Welche Zähne! Welche Augen!« Darf wirklich eine andere – wer hat so weiße Hände, so weiche Arme? – diese bezaubernde Rolle spielen als die Königin von Frankreich und Navarra? Also unter den Tisch alle Bedenken und Rücksichtnahmen! Den vortrefflichen Dazincourt von der Comédie Française her, damit er den vornehmen Dilettanten die rechte graziöse Haltung beibringe, und die anmutigsten Kostüme bei Mademoiselle Bertin bestellt! Man will sich doch wieder einmal amüsieren, nicht ewig an die Gehässigkeiten des Hofes, an die Bosheiten der lieben Verwandten, an die dummen Widrigkeiten der Politik denken. Tag für Tag ist jetzt Marie Antoinette mit dieser Komödie in ihrem entzückenden weißgoldenen Theaterchen beschäftigt, ahnungslos, daß sich bereits über einer andern Komödie der Vorhang hebt, in der sie ohne Wissen und Willen ausersehen ist, die Hauptrolle zu spielen.
Die Proben des »Barbier von Sevilla« gehen zu Ende. Marie Antoinette ist noch immer äußerst beunruhigt und beschäftigt. Wird sie auch wirklich jung genug, hübsch genug aussehen als Rosinchen, wird ihr nicht wieder das anspruchsvoll verwöhnte Parterre der eingeladenen Freunde zum Vorwurf machen, sie sei zu wenig behend und unbefangen und doch mehr Dilettantin als Schauspielerin? Wahrhaftig, sie macht sich Sorgen sonderbare Sorgen einer Königin! Und warum kommt denn Madame Campan heute noch immer nicht, mit der sie die Rolle durchproben soll? Endlich, endlich erscheint sie, aber, was geht denn da vor? Sie tut so merkwürdig aufgeregt. Gestern sei der Hofjuwelier Böhmer ganz verstört bei ihr erschienen, um sofort Audienz bei der Königin zu erbitten, stottert sie schließlich heraus. Eine ganz tolle und konfuse Geschichte habe dieser sächsische Jude erzählt; die Königin hätte bei ihm vor einigen Monaten das berühmte kostbare Diamantenhalsband heimlich kaufen lassen, und damals hätte man Ratenzahlungen ausgemacht. Aber der Termin für die erste Rate sei längst vorbei und nicht ein Dukaten bezahlt. Seine Gläubiger drängten ihn, er brauche sofort sein Geld.
Wie? Was? Welche Diamanten? Welches Halsband? Welches Geld? Was für Raten? Die Königin versteht zuerst nicht. Das große kostbare Kollier am Ende, das diese beiden Juweliere, Böhmer und Bassenge, so kunstvoll angefertigt haben, natürlich kennt sie das. Sie haben es ihr doch einmal, zweimal, dreimal für eine Million sechsmalhunderttausend Livres angeboten; selbstverständlich hätte sie dieses Prachtstück gern gehabt, aber die Minister geben doch kein Geld her, immer schwatzen sie vom Defizit. Wie können dann diese Schwindler behaupten, sie hätte es erstanden, auf Raten sogar und heimlich, und sei ihnen dafür Geld schuldig? Da muß eine tolle Verwechslung vorliegen. Allerdings, jetzt erinnert sie sich auch, vor einer Woche etwa, ist da nicht schon von diesen Juwelieren so ein sonderbarer Brief gekommen, in dem sie sich für irgend etwas bedankten und von einem kostbaren Schmuck redeten? Wo ist der Brief? Ach richtig, verbrannt. Sie pflegt Briefe ja nie gründlich zu lesen, und auch damals hat sie dieses ehrerbietige unverständliche Geschwätz sofort vernichtet. Aber was will man eigentlich von ihr? Sofort läßt Marie Antoinette von ihrem Sekretär ein Billett an Böhmer schreiben. Allerdings bestellt sie ihn nicht gleich für morgen, sondern für den 9. August; mein Gott, die Angelegenheit mit dem Narren hat doch keine solche Eile, und man braucht seinen Kopf für die Proben zum »Barbier von Sevilla«.
Am 9. August, aufgeregt, blaß, erscheint Böhmer, der Juwelier. Die Geschichte, die er erzählt, ist vollkommen unverständlich. Zuerst glaubt die Königin, einen Irrsinnigen vor sich zu haben. Eine Gräfin Valois, die intime Freundin der Königin – »Wie? Meine Freundin? Ich habe ja nie eine Dame dieses Namens vorgelassen!« –, hätte bei ihm jenen Schmuck besichtigt und erklärt, die Königin wünsche ihn heimlich zu kaufen. Und Seine Eminenz, der Herr Kardinal von Rohan – »Was, dieser widerliche Kerl, mit dem ich nie ein Wort gesprochen habe?« –, hätte ihn im Auftrag Ihrer Majestät empfangen und übernommen.
So toll sich das alles anhört, etwas muß an der Sache doch wahr sein, denn der Schweiß steht diesem armen Menschen auf der Stirn, er zittert an Händen und Füßen. Auch die Königin bebt vor Wut über den niederträchtigen Mißbrauch ihres Namens durch fremde Lumpen. Sie befiehlt dem Juwelier, unverzüglich eine genaue, schriftliche Darstellung des ganzen Falles zu verfassen. Am zwölften August hat sie dieses noch heute in den Archiven befindliche phantastische Dokument in Händen. Marie Antoinette glaubt zu träumen. Sie liest und liest, ihre Wut, ihr Zorn steigern sich von Zeile zu Zeile: ein solcher Betrug ist ohne Beispiel. Hier muß ein warnendes Exempel aufgestellt werden. Vorläufig verständigt sie noch nicht die Minister und berät sich mit keinem ihrer Freunde; ausschließlich dem König vertraut sie die ganze Affäre am 14. August an und fordert von ihm, er möge ihre Ehre verteidigen.
Später wird Marie Antoinette wissen: sie hätte besser getan, eine dermaßen verwirrte und hintergründige Angelegenheit sorgfältig zu überlegen. Aber gründliches Nachdenken, prüfende Besonnenheit hat nie zu den Vorzügen dieser herrisch ungeduldigen Natur gehört und am wenigsten, wenn der entscheidende Nerv ihres Wesens schon erregt war: ihr impulsiv losfahrender Stolz.
In ihrer Unbeherrschtheit liest und sieht die Königin in dieser Anklageschrift zuerst und immer nur einen Namen, jenen des Kardinals Louis von Rohan, den sie mit der ganzen Heftigkeit ihres unbändigen Herzens seit Jahren erbittert haßt und dem sie jede Leichtfertigkeit und Niedertracht unbedenklich zutraut. An und für sich hat ihr dieser weltliche Priesteredelmann niemals Böses getan, er war es sogar, der sie beim Einzug in Frankreich am Tor des Straßburger Münsters in überschwenglichster Weise willkommen hieß. Er hat ihre Kinder aus der Taufe gehoben und jede Gelegenheit gesucht, sich ihr freundschaftlich zu nähern. Im tiefsten besteht zwischen ihren Naturen durchaus kein Gegensatz; im Gegenteil, dieser Kardinal von Rohan ist eigentlich ein männliches Spiegelbild Marie Antoinettes, genau so leichtfertig, genau so oberflächlich und verschwenderisch und ebenso lässig gegenüber seinen geistlichen Pflichten wie sie gegenüber ihren königlichen, ein mondäner Priester, wie sie eine mondäne Herrscherin, Bischof des Rokoko, wie sie Königin des Rokoko. Er hätte ausgezeichnet nach Trianon gepaßt mit seinen gepflegten Manieren, seiner geistreichen Langeweile, seiner grenzenlosen Großzügigkeit, und sie hätten sich wahrscheinlich vortrefflich verstanden, der elegante, schöne, leichtfertige, angenehm frivole Kardinal und die gefallsüchtige, hübsche, spielfreudige, lebenslustige Königin. Nur ein Zufall hat die beiden zu Gegnern gemacht. Aber wie oft werden nicht, die einander im Grunde am ähnlichsten sind, die erbittertsten Feinde!
Den eigentlichen Keil hat Maria Theresia zwischen Rohan und Marie Antoinette getrieben; der Haß der Königin ist ein mütterlich ererbter, ein übernommener, ein eingeredeter Haß. Bevor Kardinal von Straßburg, war Louis von Rohan in Wien Gesandter gewesen: dort verstand er es, den maßlosen Zorn der alten Kaiserin auf sich zu ziehen. Sie erwartete einen Diplomaten und fand einen anmaßenden Schwätzer. Seine geistige Minderwertigkeit hätte Maria Theresia nun willig in Kauf genommen, denn ein einfältiger Gesandter einer fremden Macht bedeutet einen Glücksfall für die eigene Politik. Auch seinen Prunk hätte sie ihm noch verziehen, obwohl es sie arg verdroß, daß dieser eitle Diener Jesu in zwei Staatskarossen, deren jede vierzigtausend Dukaten kostete, mit einem Marstall von Pferden, mit Kammerjunkern und Kammerdienern, Heiducken und Lektoren, Hofmeistern und Haushofmeistern, mit einem bunten Wald von Federbüschen und betreßten Dienern in grüner Seide, mit einem Aufwand, der frech den kaiserlichen Hof in den Schatten stellte, in Wien eingezogen war. Aber in zwei Punkten bleibt die alte Kaiserin unerbittlich: wo es um Religion geht oder an die Sittsamkeit, da läßt sie nicht mit sich spaßen. Der Anblick eines Gottesdieners, der das heilige Kleid ablegt, um, von bezauberten Damen umringt, im braunen Rock an einem einzigen Tag 130 Stück Wild abzuknallen, erregt in der bigotten Frau maßlose Entrüstung, die sich zur ehrlichen Wut steigert, sobald sie sieht, wie das lockere, verschwenderische, frivole Betragen, statt zu empören, in Wien allgemeinen Beifall findet, in ihrem Wien der Jesuiten und Sittenkommissionen. Der ganze Adel, dem die sparsam strenge Art des Schönbrunner Hofes die Halskrause drückt, atmet in der Gesellschaft dieses noblen, eleganten Luftikus auf; vor allem drängen sich die Damen, denen die Sittenstrenge der puritanischen Witwe das Leben sauer macht, zu seinen heiteren Soupers. »Unsere Frauen,« muß die Verärgerte bekennen, »ob jung oder alt, schön oder häßlich, sind von ihm bezaubert. Er ist ihr Abgott, sie sind rein toll auf ihn, so daß er sich hier ausnehmend wohl fühlt und versichert, sogar nach dem Tode seines Onkels, des Bischofs von Straßburg, hier bleiben zu wollen.« Aber mehr noch, die gekränkte Kaiserin muß sogar sehen, wie ihr getreuer Vertrauensmann Kaunitz Rohan seinen lieben Freund nennt und ihr eigener Sohn Joseph, dem es immer Spaß macht, »Ja« zu sagen, wo die Mutter »Nein« sagt, dem Bischofskavalier sich anfreundet; sie muß mit erleben, wie dieser Elegant die Familie, den ganzen Hof, die ganze Stadt zu seiner lockern Lebenskunst verführt. Aber Maria Theresia will aus ihrem streng katholischen Wien kein frivoles Versailles, kein Trianon machen, bei ihrem Adel nicht Ehebruch und Buhlerei einreißen lassen: diese Pest darf sich in Wien nicht festsetzen, und darum muß Rohan fort. Brief auf Brief geht an Marie Antoinette, alles daranzusetzen, daß dieses »verwerfliche Individuum«, dieser »vilain évèque«, dieser »unverbesserliche Geist«, dieses »volume farci de bien de mauvais propos«, dieses »mauvais sujet«, dieses »vrai panier percé« aus ihrer Nähe komme, – man sieht, zu welchen grimmigen Worten der Zorn die besonnene Frau verleitet. Sie stöhnt, sie schreit geradezu verzweifelt, man möge sie doch endlich von diesem Sendboten des Antichrist »befreien«. Und kaum wird Marie Antoinette Königin, so setzt sie tatsächlich, gehorsam ihrer Mutter, die Rückberufung Louis Rohans vom Wiener Gesandtschaftsposten durch.
Aber wenn ein Rohan fällt, so fällt er nach oben. Für den verlorenen Gesandtenposten erhebt man ihn zum Bischof und kurz darauf zum Großalmosenier, dem obersten geistlichen Würdenträger bei Hof, aus dessen Händen alle wohltätigen Gaben des Königs verteilt werden. Unermeßlich sind seine Einkünfte; denn er wird Bischof von Straßburg und zudem Landgraf des Elsaß, Abt der sehr einträglichen Abtei von Saint-Vaast, Obervorsteher des Königlichen Spitals, Provisor der Sorbonne und überdies noch – man weiß nicht, für welche Leistung – Mitglied der französischen Akademie. Aber so gewaltig auch seine Einnahmen sich häufen, immer werden sie noch von den Ausgaben übertroffen, denn Rohan streut, gutmütig, leichtherzig und verschwenderisch, das Geld mit vollen Händen aus. Er baut für Millionen den Palast der Bischöfe in Straßburg neu, gibt die luxuriösesten Feste, er spart nicht bei Frauen, vor allem jedoch gehört Herr Cagliostro zu seinen Liebhabereien, der allein mehr kostet als sieben Mätressen. Bald bleibt es kein Geheimnis, daß die Finanzen des Bischofs äußerst traurig sind, man begegnet dem Diener Christi öfter bei jüdischen Geldverleihern als im Gotteshaus, und häufiger in Damengesellschaft als in jener gelehrter Theologen. Eben hat sich auch das Parlament mit der Schuldenwirtschaft in dem von Rohan geleiteten Spital beschäftigt: ist es da ein Wunder, wenn die Königin auf den ersten Anschein überzeugt ist, dieser Bruder Leichtfuß habe den ganzen Schwindel angezettelt, um sich auf ihren Namen Kredit zu verschaffen? »Der Kardinal hat meinen Namen mißbraucht«, schreibt sie im ersten hellen Zorn an ihren Bruder, »wie ein niedriger, ungeschickter Falschmünzer. Wahrscheinlich hat er in seiner dringenden Geldbedrängnis gehofft, die Juweliere bis zum festgesetzten Termin bezahlen zu können, ohne daß etwas ans Licht käme.« Man versteht ihren Irrtum, man versteht ihre Erbitterung, daß sie gerade diesem einen Mann nicht verzeihen will. Denn während fünfzehn Jahren, seit jener ersten Begegnung vor dem Straßburger Münster, hat Marie Antoinette getreu dem Befehl ihrer Mutter nicht ein einzigesmal das Wort an diesen Mann gerichtet, sondern ihn offen vor dem ganzen Hof brüskiert. So muß sie es als niederträchtigen Racheakt empfinden, daß gerade dieser Mann ihren Namen in ein betrügerisches Geschäft mengt; von allen Herausforderungen gegen ihre Ehre, die sie von dem französischen Hochadel erlitten, scheint ihr diese die frechste und hinterlistigste. Und mit leidenschaftlichen Worten, mit Tränen in den Augen befiehlt sie dem König, mitleidslos und exemplarisch diesen Betrüger – dafür hält sie irrigerweise den selber Betrogenen – vor der ganzen Öffentlichkeit zu bestrafen.
Der König, willenlos hörig seiner Frau, denkt nicht weiter nach, wenn die Königin etwas fordert, die selbst bei allen ihren Handlungen und Wünschen niemals die Folgen erwägt. Ohne die Anschuldigung zu überprüfen, Akten zu fordern, ohne den Juwelier oder den Kardinal zu befragen, macht er sich, sklavisch gehorsam, zum Handlanger eines unbedachten Frauenzorns. Am 15. August überrascht der König seinen Ministerrat mit der Absicht, den Kardinal sofort verhaften zu lassen. Den Kardinal? Den Kardinal Rohan? Die Minister staunen auf, erschrecken, blicken einander verblüfft an. Endlich wagt einer vorsichtig zu fragen, ob das nicht doch zu peinlich wirken werde, wenn man einen so hohen und gar einen geistlichen Würdenträger öffentlich festnehmen ließe wie einen gemeinen Verbrecher. Aber gerade dies, gerade die öffentliche Schmach fordert Marie Antoinette als Züchtigung. Ein weithin sichtbares Exempel soll endlich statuiert werden, daß der Name der Königin nicht zu jeder Niedertracht feil sei. Unerschütterlich besteht sie deshalb auf der öffentlichen Prozedur. Sehr ungern, sehr beunruhigt und mit üblen Vorgefühlen geben die Minister endlich nach. Wenige Stunden später entrollt sich das unerwartete Schauspiel. Da Mariä Himmelfahrt gleichzeitig der Namenstag der Königin ist, erscheint der ganze Hof in Versailles zur Gratulationscour; das Œil-de-Bœuf und die Galerieen stehen vollgedrängt mit Höflingen und hohen Würdenträgern. Auch der ahnungslose Hauptdarsteller Rohan, dem die Aufgabe zufällt, das heilige Pontifikalamt an diesem festlichen Tage zu zelebrieren, wartet in seiner scharlachenen Soutane, das Chorhemd bereits umgetan, in dem für die hohen Herrschaften, die »grandes entrées«, bestimmten Raum vor dem Zimmer des Königs.
Aber statt daß Ludwig XVI. feierlich erscheint, um mit seiner Gemahlin zur Messe zu gehen, nähert sich Rohan ein Diener. Der König lasse ihn in sein Privatzimmer bitten. Dort steht, die Lippen verbissen, mit abgewandtem Blick die Königin, ohne seinen Gruß zu erwidern, und, ebenfalls förmlich, eisigkalt und unhöflich der Minister Baron Breteuil, sein persönlicher Feind. Ehe Rohan recht überlegen kann, was man eigentlich von ihm wünsche, beginnt der König gerade und grob: »Lieber Vetter, welche Bewandtnis hat es mit dem diamantenen Halsband, das Sie im Namen der Königin gekauft haben?«
Rohan wird blaß. Darauf war er nicht gefaßt. »Sire, ich sehe, ich bin betrogen worden, aber ich selber habe nicht betrogen«, stammelt er.
»Wenn sich dies so verhält, lieber Vetter, dann haben Sie keine Sorge. Aber bitte, klären Sie all das auf.«
Rohan vermag nicht zu antworten. Er sieht stumm und drohend Marie Antoinette sich gegenüber. Das Wort versagt ihm. Seine Verwirrung erregt beim König Mitleid, er sucht einen Ausweg. »Schreiben Sie nieder, was Sie mir zu berichten haben«, sagt der König und verläßt mit Marie Antoinette und Breteuil das Zimmer. Der Kardinal, allein geblieben, bringt etwa fünfzehn Zeilen zu Papier und überreicht dem wiedereintretenden König seine Erklärung. Eine Frau namens Valois habe ihn bestimmt, dieses Halsband für die Königin zu erwerben. Er sehe jetzt ein, daß er von dieser Person betrogen worden sei.
»Wo ist diese Frau«, fragt der König.
»Sire, ich weiß es nicht.«
»Haben Sie das Halsband?«
»Es ist in den Händen dieser Frau.«
Der König läßt nun die Königin, Breteuil und den Großsiegelbewahrer rufen und die Eingabe der beiden Juweliere verlesen. Er fragt nach den Vollmachten, die angeblich von der Hand der Königin gefertigt sein sollen.
Ganz zerschmettert muß der Kardinal zugeben: »Sire, sie befinden sich in meinem Besitz. Sie sind offenbar gefälscht.«
»Das sind sie allerdings«, antwortet der König. Und obwohl der Kardinal jetzt anbietet, das Halsband zu bezahlen, schließt er streng: »Mein Herr, unter den vorliegenden Verhältnissen kann ich nicht davon abstehen, an Ihrem Haus die Siegel anbringen zu lassen und auf Ihre Person Beschlag zu legen. Der Name der Königin ist mir teuer. Er wurde kompromittiert, ich darf mich keines Versäumnisses schuldig machen.«
Rohan ersucht inständig, ihm solche Schmach zu ersparen, und besonders zu einer Stunde, da er vor das Antlitz Gottes treten und die Pontifikalmesse für den ganzen Hof lesen soll. Der König, weich und gutmütig, wird unsicher vor der offenkundigen Verzweiflung des selbst betrogenen Mannes. Aber jetzt kann sich Marie Antoinette nicht länger halten, mit Tränen des Zorns in den Augen fährt sie Rohan an, wie er habe glauben dürfen, daß sie, die acht Jahre lang ihn keines Wortes gewürdigt, ihn als Vermittler ausersehen würde, um hinter dem Rücken des Königs heimlich Geschäfte abzuschließen. Auf diesen Vorwurf findet der Kardinal keine Antwort: er versteht jetzt selbst nicht mehr, wie er sich in dieses Narrenabenteuer sinnlos verstricken lassen konnte. Der König bedauert, aber er beschließt: »Ich wünsche, daß Sie sich zu rechtfertigen vermögen! Aber ich muß tun, wozu ich als König und Gatte verpflichtet bin.«
Die Unterredung ist zu Ende. Draußen wartet in dem überfüllten Empfangszimmer schon ungeduldig und neugierig der ganze Adel. Die Messe hätte doch längst beginnen sollen, warum zögert man so lange, was geht da vor? Leise klirren die Fenster, so heftig ungeduldig gehen einige auf und ab; andere haben sich niedergesetzt und tuscheln: man spürt, irgendein Gewitter hängt in der Luft.
Plötzlich wird die Flügeltür zum Zimmer des Königs aufgerissen. Als erster erscheint der Kardinal Rohan in seiner purpurroten Soutane, blaß und die Lippen verklemmt, hinter ihm Breteuil, der alte Soldat, rot das grobe Weinbauerngesicht, seine Augen funkeln vor Erregung. In der Mitte des Zimmers brüllt er plötzlich dem Hauptmann der Leibgarde absichtlich laut zu:
»Verhaften Sie den Herrn Kardinal!«
Alles zuckt zusammen. Alles ist starr. Ein Kardinal verhaftet! Ein Rohan! Und im Vorgemach des Königs! Ist der alte Haudegen Breteuil betrunken? Aber nein, Rohan wehrt sich nicht, empört sich nicht, mit gesenkten Augen geht er gehorsam der Wache entgegen. Schauernd treten die Höflinge zur Seite, und durch diesen Spießrutengang forschender, beschämender, erbitterter Blicke schreitet von Saal zu Saal bis zur Treppe hinab der Prinz von Rohan, Großalmosenier des Königs, Kardinal der alleinseligmachenden Kirche, Reichsfürst des Elsaß, Mitglied der Akademie und Träger ungezählter Würden, und, wie hinter einem Galeerensträfling, der harte Soldat als Wächter. Während man Rohan in einem abseitigen Zimmer der Hofwache übergibt, benützt der aus der Betäubung Erwachte die allgemeine Verblüffung, um rasch mit Bleistift ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier zu werfen, die seinen Hausabbé anweisen, alle in einer roten Brieftasche befindlichen Schriftstücke rasch zu verbrennen, – es sind, wie man später im Prozeß erfährt, die gefälschten Briefe der Königin. Unten wirft sich einer der Heiducken Rohans rasch auf das Pferd, jagt mit dem Zettel in das Hotel de Strasbourg, ehe die langsameren Polizeileute nachrücken, um die Papiere zu versiegeln, und ehe – beispiellose Schmach – der Großalmosenier von Frankreich in dem Augenblick, da er die Messe vor dem König und dem ganzen Hof lesen sollte, in die Bastille gebracht wird. Gleichzeitig ergeht der Befehl, alle seine Helfershelfer in der noch dunklen Angelegenheit festzunehmen. An diesem Tage wird in Versailles keine Messe mehr gelesen, und wozu auch? Niemand hätte mehr Andacht, ihr zuzuhören; der ganze Hof, die ganze Stadt, das ganze Land stehen betäubt unter dieser Nachricht, wie vor einem Blitz aus heiterm Himmel.
Hinter der verschlossenen Tür bleibt die Königin erregt zurück, ihr beben noch die Nerven vor Zorn; die Szene hat sie selber fürchterlich erregt, – aber endlich ist zumindest einer gestellt von den Verleumdern, von den hinterhältigen Meuchlern ihrer Ehre. Werden jetzt nicht alle Wohlgesinnten zu ihr eilen, sie beglückwünschen zur Festnahme dieses Schurken? Wird nicht der ganze Hof die Energie des solange schwach vermeinten Königs rühmen, der mit festem Griff diesen unwürdigsten aller Priester dingfest gemacht? Aber sonderbar: niemand kommt. Mit verlegenen Blicken weichen selbst ihre Freundinnen aus, es bleibt sehr still heute in Trianon und in Versailles. Der Adel gibt sich keine Mühe, seine Entrüstung zu verbergen, daß man einen aus seiner privilegierten Klasse derart entehrend angepackt, und der Kardinal von Rohan, dem der König Nachsicht angeboten, falls er sich seinem persönlichen Rechtspruch unterwerfe, lehnt, von seinem ersten Schrecken erholt, kühl die Gnade ab und wählt das Parlament als seinen Richter. Ein Unbehagen überkommt die Eilfertige. Marie Antoinette wird ihres Erfolges nicht froh: am Abend finden sie ihre Kammerfrauen in Tränen.
Aber bald bricht der alte Leichtsinn durch. »Was mich betrifft,« schreibt sie in törichter Selbsttäuschung ihrem Bruder Joseph, »so bin ich entzückt, daß wir nichts von dieser widerlichen Affäre mehr hören werden.« Man schreibt ja August, und der Prozeß vor dem Parlament wird bestenfalls erst im Dezember stattfinden, vielleicht sogar erst im nächsten Jahr – wozu jetzt sich weiter mit solchem Ballast den Kopf beschweren? Mögen die Leute schwätzen oder murren, was liegt daran! Also rasch den Schminktopf her und die neuen Kostüme, man wird doch nicht eine so entzückende Komödie absagen wegen einer solchen Nichtigkeit! Die Proben gehen weiter ihren Gang, die Königin studiert (statt der Akten der Polizei über jenen großen Prozeß, der vielleicht noch aufzuhalten wäre) die Rolle des muntern Rosinchens im »Barbier von Sevilla«. Aber es scheint, auch diese Rolle hat sie zu lässig geprobt. Denn sonst hätte sie doch stutzen und nachdenken müssen bei den Worten ihres Partners Basilio, der so prophetisch die Macht der Verleumdung schildert. »Die Verleumdung! Sie ahnen nicht, wen Sie in ihr verachten! Ich habe die ehrlichsten Leute ihr unterliegen sehen. Glauben Sie mir, es gibt keine noch so platte Bösartigkeit, keine Niedertracht, keine absurde Geschichte, die man nicht den Müßigen einer großen Stadt einimpfen könnte, wenn man es richtig anpackt, und wir haben hierzulande Leute von einer Geschicklichkeit! ... Erst ist es nur ein leiser Laut, der vorbeistreift wie die Schwalbe vor dem Sturm, pianissimo, nur murmelt und schwindet, aber im Flug seinen vergifteten Samen aussät. Ein Mund fängt ihn auf und flüstert ihn piano, piano geschicktestens ins Ohr. Jetzt ist das Unheil da, es wächst, es reckt sich hoch, es macht sich auf den Weg rinforzando von Mund zu Mund, es rennt wie der Teufel. Und plötzlich, weiß Gott, wie, richtet die Verleumdung sich auf, pfeift und schwillt zusehends, schwingt sich hoch, wirbelt, kreist, reißt mit, bricht als Donner aus und wird dank dem Himmel ein allgemeiner Schrei, ein öffentliches Crescendo, ein Generalchorus des Hasses und der Ächtung. Welcher Teufel könnte ihr widerstehn?«
Aber Marie Antoinette hat wie immer schlecht auf ihre Partner gehört. Sonst hätte sie begreifen müssen: hier plaudert ein scheinbar lockeres Spiel ihr eigenes Schicksal aus. Die Rokokokomödie, sie ist mit dieser letzten Vorstellung am 19. August 1785 endgültig zu Ende: incipit tragoedia.
Was ist in Wirklichkeit geschehen? Das glaubhaft darzustellen, hält nicht leicht, denn so, wie sich die Halsbandaffäre tatsächlich ereignet hat, ist sie die unwahrscheinlichste aller Unwahrscheinlichkeiten, wie man sie einem Roman nicht glauben würde. Hat die Wirklichkeit aber einmal einen sublimen Einfall und zugleich einen dichterischen Tag, dann übertrifft sie an Phantasie, an Verwicklungskunst den erfindungsreichsten Poeten. Dann tun aber auch alle Dichter besser, die Hand von ihrem Spiel zu lassen und nicht ihre geniale Kombinationskunst noch überkombinieren zu wollen: selbst Goethe, der im »Großkophta« versucht, die Halsbandgeschichte zu dramatisieren, verhärtet zu einem ledernen Spaß, was in Wirklichkeit eine der frechsten, flirrendsten und erregendsten Farcen der Geschichte gewesen ist. In allen Komödien Molières zusammengenommen, findet man nicht ein so farbig und logisch-lustig verflochtenes Bukett von Gaunern, Schwindlern und Beschwindelten, von Narren und köstlich Genarrten wie in diesem muntern Ollapodrida, in dem eine diebische Elster, ein mit allen Salben der Scharlatanerie geschmierter Fuchs, ein plump gutgläubiger Bär die tollste Affenkomödie der Weltgeschichte zusammenbrauen.
Im Mittelpunkt einer echten und rechten Komödie steht immer eine Frau. Die in der Halsbandaffäre wächst als Tochter eines verkrachten Edelmanns und einer verlotterten Dienstmagd als schmutziges verwahrlostes Bettelkind auf, das sich barfuß Kartoffeln aus dem Felde stiehlt und für ein Stück Brot den Bauern die Kühe hütet. Nach dem Tod des Vaters legt sich die Mutter auf die Hurerei, die Kleine auf das Streunen; die Siebenjährige wäre verkommen ohne den Glückszufall, auf der Straße gerade die Marquise von Boulainvilliers mit dem verblüffenden Jammerruf anzubetteln: »Barmherzigkeit für eine arme Waise aus dem Blute der Valois!'' Wie? Ein solches verlaustes, halbverhungertes Kind Nachfahre königlichen Blutes? Des heiligen Bluts des frommen Ludwigs? Unmöglich, denkt die Marquise. Aber immerhin, sie läßt ihre Karosse halten und fragt die kleine Bettlerin aus.
In der Halsbandaffäre muß man sich von Anfang an gewöhnen, das Unwahrscheinlichste als das Wahre zu nehmen; das Verblüffendste wird in ihr zur Tatsache. Diese Jeanne ist wirklich eine eheliche Tochter von Jacques de Saint-Rémy, seines Zeichens Wilddieb, Säufer und Bauernschreck, aber nichtsdestoweniger ein gerader und unmittelbarer Nachkomme der Valois, die den Bourbonen an Rang und Alter nichts nachgeben. Die Marquise Boulainvilliers, von solch phantastischem Sturz eines Königssprossen in solches Elend gerührt, nimmt sofort das Mädchen samt der jüngern Schwester mit und läßt beide auf ihre Kosten in einem Pensionat erziehen.
Vierzehnjährig kommt Jeanne zu einer Schneiderin in die Lehre, wird Wäscherin, Büglerin, Wasserträgerin, Weißnäherin und wird endlich in einem Kloster für adelige Mädchen untergebracht.
Aber zur Nonne, das wird sich bald erweisen, hat die kleine Jeanne wenig Talent. Das väterliche Vagantenblut brodelt in ihren Adern, mit zweiundzwanzig Jahren klettert sie mit ihrer Schwester entschlossen über den Klosterzaun. Ohne Geld in der Tasche, den Kopf voll Abenteuer tauchen sie in Bar-sur-Aube auf. Dort findet Jeanne, hübsch wie sie ist, einen kleinadeligen Gendarmerieoffizier, Nicolas de La Motte, der sie bald darauf heiratet, und zwar in zwölfter Stunde, denn der priesterliche Segen überholt nur um einen Monat ein bereits heranrückendes Zwillingspaar. Mit einem derart moralisch weitmaschigen Mann – er ist niemals eifersüchtig gewesen – könnte Madame La Motte eigentlich gemächlich ein bescheidenes Kleinbürgerleben führen. Aber »das Blut der Valois« heischt seine Rechte; von allem Anfang an kennt diese kleine Jeanne nur einen Gedanken: hinauf! gleichgültig wie und auf welchen Wegen. Zunächst rückt sie ihrer Wohltäterin, der Marquise von Boulainvilliers, auf den Hals und hat das Glück, von ihr gerade zu Zabern im Schloß des Kardinals Rohan empfangen zu werden. Hübsch und geschickt, wie sie ist, nützt sie sofort die liebenswürdige Schwäche des galanten und gutmütigen Kardinals aus. Durch seine Vermittlung erhält ihr Mann – wahrscheinlich um den Preis eines unsichtbaren Geweihs – sofort das Rittmeisterpatent in einem Dragonerregiment und die Bezahlung der bisher aufgelaufenen Schulden.
Wieder könnte Jeanne jetzt zufrieden sein. Aber auch diesen schönen Ruck nach oben betrachtet sie nur als Stufe. Ihr La Motte ist vom König zum Rittmeister ernannt, nun ernennt er sich noch aus eigener Machtvollkommenheit taxfrei zum Grafen. Soll man wirklich, wenn man sich mit einem derart sonoren Namen wie »Gräfin Valois de La Motte« aufplustern kann, in der Provinz verkommen, mit einer Gnadenpension und einem bescheidenen Offiziersgehalt? Unsinn! Ein solcher Name ist hunderttausend Livres im Jahre für eine hübsche, skrupellose Frau wert, die entschlossen ist, alle Eitlen und Dummköpfe gründlich zu rupfen. Zu diesem Zwecke mieten die beiden Spießgesellen sich in Paris ein ganzes Haus in der Rue Neuve-Saint-Gilles, schwatzen den Wucherern von riesigen Gütern, auf welche die Gräfin als Nachfahrin der Valois Ansprüche habe, und mit den geliehenen Sachen wird große Gesellschaft gespielt, – das Silbergeschirr ist immer nur für drei Stunden aus dem nahegelegenen Laden geborgt. Als dann endlich in Paris ihr die Gläubiger zu hart an den Hals rücken, erklärt die Gräfin Valois de La Motte, sie begebe sich nach Versailles, um dort bei Hof ihre Ansprüche zu stellen.
Selbstverständlich kennt sie bei Hof keinen Menschen, und sie könnte sich ihre hübschen Beine wochenlang müde stehen, ohne auch nur im Vorgemach der Königin empfangen zu werden. Aber die gerissene Hochstaplerin hat sich bereits ihren Coup ausgedacht. Sie stellt sich mit den andern Bittstellern im Vorzimmer der Madame Elisabeth auf und fällt plötzlich in Ohnmacht. Alles stürzt herbei, ihr Mann nennt den hochtrabenden Namen und erzählt mit Tränen in den Augen, jahrelanger Hunger und die daraus entstandene Entkräftung seien die Ursache der Ohnmacht. Voll Mitleid wird die höchst gesunde Kranke auf einer Bahre nach Hause gebracht, zweihundert Livres werden ihr nachgeschickt und die Pension von achthundert auf fünfzehnhundert Livres erhöht. Aber ist das nicht ein Bettel für eine Valois? Also kräftig weiter hineingeschlagen in die Kerbe: ein zweiter Ohnmachtsanfall im Vorzimmer der Gräfin Artois, ein dritter in der Spiegelgalerie, welche die Königin durchschreiten muß. Leider erfährt Marie Antoinette, auf deren Großmut die Gewaltbettlerin besonders gehofft hatte, nichts von diesem Vorfall, und eine vierte Ohnmacht in Versailles wäre verdächtig; so kehren die beiden nur mit geringer Beute nach Paris zurück. Sie haben lange nicht das erreicht, was sie wollten. Selbstverständlich hüten sie sich aber sehr, das auszuplaudern, im Gegenteil, sie blasen munter die Backen auf, wie gnädig, wie herzlich die Königin sie als liebe Verwandte empfangen habe. Und da es reichlich Leute gibt, denen eine in der Gesellschaft der Königin hoch geehrte Gräfin Valois als wichtige Bekanntschaft erscheint, kommen bald etliche fette Schafe zur Schur, der Kredit ist für einige Zeit wieder hergestellt. Die beiden verschuldeten Bettler schaffen sich – mundus vult decipi – einen ganzen Hofstaat an, geführt von einem sogenannten ersten Sekretär, der Rétaux de Villette heißt und in Wirklichkeit nicht nur die Gaunereien, sondern auch das Bett der edlen Gräfin unbedenklich teilt, ein zweiter Sekretär, Loth, ist sogar geistlichen Standes. Dazu werden Kutscher, Lakaien, Stubenkätzchen engagiert, bald geht es in der Rue Neuve-Saint-Gilles sehr vergnüglich zu. Es gibt dort amüsante Spielpartieen, wenig einträglich zwar für die Gimpel, die sich auf den Leim locken lassen, aber doch erheiternd durch zweideutige Damenwelt. Leider mengen sich neuerdings jene zudringlichen Leute ein, ihres Zeichens Gläubiger und Gerichtsvollzieher, und stellen den ungebührlichen Anspruch, nach Wochen und Monaten endlich einmal bezahlt zu werden. Abermals ist das ehrenwerte Paar zu Ende mit seinem Latein, die kleinen Künste verfangen nicht mehr. Es wird bald Zeit, zu einem großen Streich auszuholen.
Für einen Gaunerstreich von Format sind immer zwei Dinge notwendig: ein großer Gauner und ein großer Narr. Glücklicherweise ist dieser Narr schon zur Hand: und es ist kein anderer als das erlauchte Mitglied der französischen Akademie, Seine Eminenz der Bischof von Straßburg, der Großalmosenier von Frankreich, der Kardinal Rohan. Völlig Mann seiner Zeit, nicht klüger, nicht dümmer als die andern, leidet dieser äußerlich bezaubernde Kirchenfürst auch an der Krankheit seines Jahrhunderts, an der Leichtgläubigkeit. Die Menschheit vermag nie dauernd zu leben ohne einen Glauben; und da der Abgott des Jahrhunderts, Voltaire, den Kirchenglauben aus der Mode gebracht hat, schleicht sich an seiner Stelle der Aberglaube in die Salons des Dix-huitième ein. Für Alchimisten, Kabbalisten, Rosenkreuzer, Scharlatane, Nekromanten und Wunderärzte hebt ein goldenes Zeitalter an. Kein Mann von Adel, keine Dame von Welt wird versäumen, bei Cagliostro in seiner Loge, mit dem Grafen von Saint-Germain zu Tisch, bei Mesmers magnetischem Zuber gewesen zu sein. Gerade weil so hellgeistig, so witzig frivol, gerade weil die Generale ihren Dienst, die Königin ihre Würde, die Priester ihren Gott nicht mehr ernst nehmen, brauchen die »aufgeklärten« Lebeleute gegen ihre entsetzliche Leere irgendein Spiel mit dem Metaphysischen, Mystischen, Übersinnlichen und Unbegreiflichen und gehen trotz aller Wachheit, allen Witzes den plumpsten Betrügern auf die allerdümmste Art ins Garn. Unter diesen geistig Armen ist nun der allergutgläubigste, Seine Eminenz der Kardinal Rohan, just an den allergerissensten der Blendmeister, an den Papst aller Schwindler geraten, an den »göttlichen« Cagliostro. Der hat sich eingenistet im Zaberner Schloß und zaubert sich meisterlich Geld und Verstand seines Gastgebers in die Tasche. Nun erkennen Auguren und Gauner einander immer gleich beim ersten Augenwink, so hier Cagliostro und die La Motte; durch ihn, den Mitwisser aller Geheimwünsche des Kardinals, erfährt sie den allergeheimsten Wunsch Rohans, erster Minister von Frankreich zu werden, und sie kriegt auch das einzige Hemmnis heraus, das er fürchtet: die bekannte, aber ihm selber unerklärliche Abneigung der Königin Marie Antoinette gegen seine Person. Die Schwäche eines Mannes kennen, das heißt für eine gerissene Frau immer so viel, als ihn schon in Händen haben; flugs spinnt die Gaunerin ein Seil, um den bischöflichen Bären so lange tanzen zu lassen, bis er Gold schwitzt. Im April 1784 beginnt die La Motte ab und zu eine kleine Bemerkung einzustreuen, wie zärtlich ihre »liebe Freundin«, die Königin, sich ihr anvertraue; immer phantasievoller erfindet sie Episoden, die in dem arglosen Kardinal die Meinung erwecken, diese kleine hübsche Frau könnte eigentlich eine ideale Fürsprecherin für ihn bei der Königin werden. Jawohl, es kränke ihn, gibt er offen zu, daß seit Jahren Ihre Majestät ihn nicht eines Blickes würdige, da er doch kein höheres Glück kenne, als ihr ehrfürchtig dienen zu dürfen. Ach, wenn doch jemand endlich die Königin über seine wahre Gesinnung aufklären würde! Teilnehmend und gerührt verheißt die »intime« Freundin, zu seinen Gunsten bei Marie Antoinette zu sprechen, und welches Gewicht, Rohan staunt, muß ihre Fürsprache gehabt haben, denn im Mai kündigt sie ihm bereits an, die Königin sei umgestimmt und werde dem Kardinal demnächst ein diskretes Zeichen ihrer geänderten Gesinnung geben, allerdings noch kein offenbares: sie werde während der nächsten Hofcour ihm auf eine bestimmte Weise heimlich zunicken. Wenn man etwas glauben will, so glaubt man es gern. Wenn man etwas sehen will, so sieht man es leicht. Tatsächlich meint der gute Kardinal, bei der nächsten Vorstellung eine gewisse »Nuance« des Kopfnickens beim Empfang bemerkt zu haben, und zahlt der rührenden Vermittlerin gute Dukaten.
Aber der La Motte ist die goldene Ader lange nicht ausgiebig genug angeschlagen. Um den Kardinal noch fester einzunähen in den Narrensack, muß man ihm irgend etwas Handgreifliches königlicher Gunst vorzeigen. Wie wäre es wohl mit Briefen? Wozu hält man sich denn einen skrupellosen Sekretär in Haus und Bett? Rétaux fertigt tatsächlich ohne Zögern Briefe von der Hand Marie Antoinettes an ihre Freundin Valois an. Und da sie der Narr als echt bestaunt, warum nicht weiter einen Schritt tun auf dieser einträglichen Bahn? Warum nicht gleich einen geheimen Briefwechsel zwischen Rohan und der Königin inszenieren, damit man seiner Kasse bis auf den Grund komme? Auf den Rat der La Motte verfaßt der verblendete Kardinal eine ausführliche Rechtfertigung seines bisherigen Verhaltens, korrigiert Tage daran und übergibt endlich die Reinschrift dieser im wahrsten Sinne des Wortes unbezahlbaren Frau. Und siehe – ist sie nicht wirklich eine Zauberin und die vertrauteste Freundin der Königin? Wenige Tage später bringt die La Motte schon ein Brieflein kleinen Formats mit Goldschnitt auf weißem gerippten Papier, in einer Ecke die französische Lilie. Die sonst unzugängliche, abwehrende, die stolze Königin aus dem Hause Habsburg schreibt dem bisher Mißachteten: »Ich freue mich sehr, Sie nicht mehr als schuldig ansehen zu müssen; noch kann ich Ihnen die erbetene Audienz nicht bewilligen. Sobald die Verhältnisse eine solche gestatten, werde ich Sie benachrichtigen. Seien Sie verschwiegen!« Der Geprellte vermag sich vor Freude kaum zu fassen, er dankt, auf den Rat der La Motte, der Königin, empfängt abermals und schreibt abermals Briefe, und je mehr sich ihm das Herz mit Stolz und Sehnsucht füllt, bei Marie Antoinette in höchster Gunst zu stehen, um so mehr erleichtert ihm die La Motte die Taschen. Das verwegene Spiel ist in vollem Gange.
Schade nur, daß eine wichtige Person sich noch immer nicht bereit gefunden hat, in dieser Komödie wirklich mitzuspielen, und gerade die Hauptfigur: die Königin. Lange aber ist diese gefährliche Partie nicht zu halten ohne ihr Eingreifen, denn ewig kann man selbst dem Leichtgläubigsten nicht vorschwindeln, die Königin habe ihn gegrüßt, wenn sie in Wirklichkeit starr an dem verhaßten Mann vorbeiblickt und ihn niemals anspricht. Immer größer wird die Gefahr, daß der arme Narr endlich Lunte riecht. So muß ein ganz verwegener Schachzug ausgeklügelt werden. Da es selbstverständlich ausgeschlossen ist, daß die Königin jemals persönlich mit dem Kardinal sprechen werde – genügt es nicht, den Tölpel glauben zu lassen, er habe mit der Königin gesprochen? Wie wäre es, wenn man die Lieblingszeit aller Gaunerstreiche, das Dunkel, und den rechten Ort, irgendeine verschattete Allee im Park von Versailles, wählte und Rohan statt der Königin eine Doppelgängerin, der man ein paar Worte einlernt, brächte? In der Nacht sind alle Katzen grau, und aufgeregt und vernarrt, wie er ist, wird sich der gute Kardinal auf diese Weise nicht minder narren lassen als durch die Flunkereien Cagliostros und die Goldschnittbriefe von der Hand eines ungebildeten Schreibers.
Wo aber in aller Eile eine Figurantin, ein »Double«, wie man heute im Film sagt, finden? Nun dort, wo sehr gefällige Damen und Dämchen aller Sorten und Größe, schlanke und rundliche, schmale und feiste, blonde und brünette allstündlich zu Geschäftszwecken promenieren; im Garten des Palais Royal, dem Prostitutionsparadies von Paris. Der »Graf« de La Motte übernimmt die heikle Besorgung; er braucht nicht lange, und schon hat er die Doppelgängerin für die Königin ausfindig gemacht, eine junge Dame namens Nicole – später Baronin d'Oliva genannt – angeblich Modistin, in Wirklichkeit mehr mit Herrendienst beschäftigt als mit Damenkundschaft. Es kostet nicht viel Mühe, sie zu der leichten Rolle zu überreden, »denn«, so motiviert Frau de La Motte vor ihren Richtern, »sie war sehr dumm«. Am 11. August bringt man die willige Liebesdienerin nach Versailles in eine Mietwohnung, höchst eigenhändig kleidet sie die Gräfin Valois in eine weißgetupfte Musselinrobe, genau derjenigen nachgeahmt, welche die Königin auf dem Porträt der Madame Vigée-Lebrun trägt. Nun noch einen breitkrempigen Hut, der das Gesicht umschattet, ihr auf das sorgsam gepuderte Haar gedrückt, und dann flink und frech los mit der leicht verängstigten Kleinen, die für zehn Minuten die Königin von Frankreich vor dem Großalmosenier des Königtums spielen soll, in den abendlich dunklen Park! Das verwegenste Gaunerstück aller Zeiten ist im Gange.
Ganz leise schleicht das Paar mit seiner verkleideten Pseudokönigin über die Terrasse von Versailles. Der Himmel will ihnen, wie immer den Gaunern, wohl und strömt mondlose Dunkelheit nieder. Sie steigen hinab zum Venusboskett, das, dicht überschattet von Tannen, Zedern und Fichten, von einer Gestalt kaum mehr als den Umriß erkennen läßt, zauberisch geeignet also zum Liebes- und noch mehr für dieses phantastische Narrenspiel. Das arme kleine Hürchen beginnt zu zittern. In welches Abenteuer hat sie sich hier von fremden Leuten schleppen lassen? Am liebsten liefe sie weg. Voll Angst hält sie in ihrer Hand die Rose und das Billett, das sie vorschriftsmäßig einem vornehmen Herrn übergeben soll, der sie hier ansprechen wird. Da knirscht schon der Kies. Der Umriß eines Mannes taucht auf, es ist Rétaux, der Sekretär, der in der Rolle eines königlichen Dieners Rohan heranführt. Mit einmal fühlt sich Nicole energisch vorgestoßen – wie vom Dunkel weggeschwemmt, verschwinden die beiden Kuppler an ihrer Seite. Sie steht allein, oder vielmehr nicht mehr allein, denn hoch und schlank, den Hut tief in die Stirn gedrückt, kommt ihr jetzt ein fremder Mann entgegen: es ist der Kardinal.
Sonderbar, wie närrisch sich dieser Fremde benimmt. Er verneigt sich ehrfürchtig bis zur Erde, er küßt der kleinen Dirne den Saum ihres Gewands. Jetzt sollte Nicole ihm die Rose übergeben und den bereit gehaltenen Brief. Aber in ihrer Verwirrung läßt sie die Rose fallen und vergißt den Brief. So stammelt sie nur mit erstickter Stimme die paar Worte, die man ihr mühsam eingetrichtert hat. »Sie dürfen hoffen, daß alles Vergangene vergessen ist.« Und diese Worte scheinen den fremden Kavalier maßlos zu entzücken, abermals und abermals verneigt er sich, stottert in offensichtlicher Beglückung alleruntertänigsten Dank, sie weiß nicht wofür, die arme kleine Modistin. Sie hat nur Angst, tödliche Angst, irgend etwas zu sprechen und sich damit zu verraten. Aber Gott sei Dank, da knirscht neuerdings im Kies ein hastiger Schritt, jemand ruft leise und aufgeregt: »Schnell, schnell weg! Madame und die Gräfin von Artois sind ganz in der Nähe.« Das Stichwort wirkt, der Kardinal erschrickt und entfernt sich eiligst in Begleitung der La Motte, indes der edle Gatte die kleine Nicole zurückführt; mit pochendem Herzen schleicht die Pseudo-Königin dieser Komödie am Schlosse vorbei, wo hinter nachtschwarz verdunkelten Scheiben die wirkliche Königin ahnungslos schläft.
Der aristophanische Streich ist glorreich gelungen. Jetzt hat der arme Ochse, der Kardinal, einen Hieb auf dem Schädel, der ihm gänzlich alle Sinne raubt. Bisher mußte man sein Mißtrauen immer wieder chloroformieren, das vermeinte Kopfnicken war doch nur halber Beweis, ebenso die Briefe; nun aber, da der Geprellte leibhaftig mit der Königin gesprochen zu haben glaubt und aus ihrem Munde vernommen hat, daß sie ihm verziehen, wird für ihn jedes Wort der Gräfin de La Motte wahrhaftiger als das Evangelium. Jetzt geht er ihr am Gängelband, durch dick und dünn. An diesem Abend gibt es keinen glücklicheren Menschen in Frankreich. Schon sieht sich Rohan als ersten Minister, als Günstling der Königin.
Einige Tage später meldet die La Motte dem Kardinal bereits abermaligen Beweis der Gunst der Königin. Ihre Majestät – Rohan kenne ja ihr wohltätiges Herz – habe den Wunsch, einer in Not geratenen adeligen Familie fünfzigtausend Livres zukommen zu lassen, sei aber im Augenblick an der Zahlung behindert. Ob nicht der Kardinal diesen milden Dienst für sie übernehmen wolle. Rohan, hochbeglückt, wundert sich keinen Augenblick, daß die Königin trotz ihrer riesigen Einkünfte schwach bei Kasse sei. Ganz Paris weiß doch, sie steckt ständig in Schulden. Sofort läßt er einen elsässischen Juden namens Cerf-Beer kommen, borgt ihm die fünfzigtausend ab, zwei Tage später klirrt das Gold auf den Tisch der La Motte. Jetzt haben sie endlich den Faden in der Hand, um den Hampelmann springen zu lassen. Drei Monate später ziehen sie noch schärfer an; abermals wünscht die Königin Geld, und Rohan verpfändet beflissen Möbel und Silberzeug, nur um rasch und ausgiebig seiner Gönnerin gefällig zu sein.
Nun kommen für Graf und Gräfin de La Motte himmlische Zeiten. Der Kardinal sitzt weit im Elsaß, aber sein Geld klimpert lustig in ihren Taschen. Jetzt brauchen sie keine Sorgen mehr zu haben, ein Narr und Zahler ist gefunden. Man wird ihm von Zeit zu Zeit einen Brief schreiben im Namen der Königin, und er wird neue Dukaten schwitzen. Bis dahin herrlich und in Freuden darauf losgelebt und nicht an das Morgen gedacht! Nicht nur die Herrscher, die Fürsten, die Kardinäle sind in diesen lockern Zeiten leichtsinnig, sondern auch die Gauner. Ein Landhaus in Bar-sur-Aube mit einem prächtigen Garten und einem reichen Wirtschaftshof wird eiligst gekauft, auf goldenen Schüsseln gegessen, aus glitzerndem Kristall getrunken, man spielt und musiziert in diesem noblen Palais, die beste Gesellschaft drängt sich um die Ehre, bei der Gräfin Valois de La Motte verkehren zu dürfen. Wie schön ist die Welt, in der es solche Gimpel gibt!
Wer dreimal im Spiel die höchste Karte gezogen, wird unbedenklich auch zum viertenmal allerverwegensten Einsatz wagen. Ein unvermuteter Zufall schiebt der La Motte das Trumpfaß in die Hand. Bei einer ihrer Gesellschaften erzählt jemand, die armen Hofjuweliere Böhmer und Bassenge säßen in dicken Sorgen. Sie hätten ihr ganzes Kapital und ein gutes Stück Schulden in das herrlichste Diamantenhalsband gesteckt, das man auf Erden gesehen. Eigentlich sei es für die Dubarry bestimmt gewesen, die hätte es gewiß gekauft, wenn nicht unglücklicherweise die Blattern Ludwig XV. heimgeholt hätten; nachher hätten sie es dem spanischen Hof angeboten und dreimal der Königin Marie Antoinette, die doch in Schmuck vernarrt sei und sonst so locker kaufe, ohne viel nach dem Preis zu fragen. Aber Ludwig, der lästige Sparmeister, habe nicht mit der Million sechsmalhunderttausend Livres herausrücken wollen; jetzt stünde den Juwelieren das Wasser bis zum Hals, die Zinsen knabberten an den schönen Diamanten; wahrscheinlich müßten sie das wunderbare Kollier wieder zerkrümeln und damit ihr ganzes Geld. Ob nicht sie, die Gräfin Valois, die doch mit der Königin Marie Antoinette auf so vertrautem Fuß stünde, ihre königliche Freundin überreden könnte, das Schmuckstück zu kaufen, auf Raten natürlich, unter den besten Bedingungen – es sei dabei ein saftiger Happen Geld zu verdienen. Die La Motte, eifrig bedacht, die Legende ihres Einflusses in Schwung zu halten, sagt gütigst ihre Fürsprache zu, und am 29. Dezember bringen die beiden Juweliere den köstlichen Schrein zur Ansicht in die Rue Neuve-Saint-Gilles.
Welch ein Anblick! Der La Motte stockt der Herzschlag. Wie diese Diamanten im Sonnenlicht, so funkeln und flitzen ihr freche Gedanken durch den klugen Kopf: wie, wenn man den Erzesel von Kardinal auch dazu bringen könnte, heimlich das Halsband für die Königin zu kaufen. Kaum ist er aus dem Elsaß zurückgekehrt, so nimmt die La Motte ihn scharf in die Presse. Eine neue Gunst winke ihm. Die Königin wünsche, natürlich ohne Wissen ihres Gatten, einen kostbaren Schmuck zu kaufen, dazu brauche sie einen verschwiegenen Vermittler; diese heimliche und ehrenvolle Aufgabe habe sie Rohan als Zeichen ihres Vertrauens zugedacht. Tatsächlich, schon wenige Tage später kann die La Motte triumphierend dem beglückten Böhmer mitteilen, ein Käufer sei gefunden: der Kardinal von Rohan. Am 29. Januar wird im Palais des Kardinals, im Hotel de Strasbourg, der Kauf abgeschlossen: eine Million sechshunderttausend Livres, zahlbar innerhalb zweier Jahre in vier sechsmonatlichen Raten. Der Schmuck solle am 1. Februar geliefert werden, die erste Ratenzahlung am 1. August 1785 erfolgen. Der Kardinal paraphiert die Bedingungen mit eigener Hand und übergibt sie der La Motte, damit diese den Vertrag ihrer »Freundin«, der Königin, unterbreite; umgehend, am 30. Januar, bringt die Betrügerin die Antwort, Ihre Majestät sei mit allem einverstanden.
Aber – einen Schritt vor der Stalltür bockt der bisher so gutmütige Esel. Schließlich, es geht um eine Million sechsmalhunderttausend Livres, selbst für den verschwenderischsten Fürsten kein Pappenstiel! Bei einer so riesigen Bürgschaft muß man doch um Lebens oder Sterbens willen wenigstens etwas wie einen Schuldschein, ein von der Königin unterzeichnetes Dokument in Händen haben. Etwas Geschriebenes? Aber gern! Wozu hält man sich einen Sekretär? Am nächsten Tage bringt die La Motte neuerdings den Vertrag und siehe, bei jeder Klausel steht am Rande manu propria das Wort »Genehmigt!« und am Schluß des Vertrages die »eigenhändige« Unterschrift: »Marie Antoinette de France.« Mit etwas Grütze im Kopf müßte zwar ein Großalmosenier des Hofes, Mitglied der Akademie, ein ehemaliger Gesandter und in seinen Träumen schon zukünftiger Staatsminister sofort beanstanden, daß in Frankreich eine Königin ein Dokument nie anders als mit ihrem Vornamen unterzeichnet, daß also ein Signum: »Marie Antoinette de France« auf den ersten Blick nicht einmal einen geschickten, sondern einen sehr ungebildeten Fälscher letzter Klasse entlarvt. Aber wie zweifeln, da die Königin ihn persönlich im Venusboskett heimlich empfangen hat? Hoch und heilig schwört der Verblendete der Schwindlerin zu, niemals diesen Schuldschein aus den Händen zu lassen und ihn niemandem zu zeigen. Am nächsten Morgen, am 1. Februar, überbringt der Juwelier den Schmuck dem Kardinal, der ihn abends eigenhändig zur La Motte trägt, um sich persönlich zu überzeugen, daß er zu treuen Händen der Königin übernommen werde. Er braucht Rue Neuve-Saint-Gilles nicht lange zu warten, schon hört man die Treppe herauf einen männlichen Schritt kommen. Die La Motte ersucht den Kardinal, in ein Nebenzimmer einzutreten, von dem aus er durch die Glastür die ordnungsgemäße Übergabe beobachten und bestätigen könne. Tatsächlich, ein junger Mann, ganz in Schwarz gekleidet, ist erschienen, – natürlich wieder Rétaux, der wackere Sekretär – und meldet sich mit den Worten an: »Im Auftrage der Königin.« Welch wunderbare Frau, diese Gräfin de La Motte-Valois, muß der Kardinal denken, wie diskret und treu und geschickt sie alles ihrer Freundin vermittelt! Beruhigt übergibt er die Kassette der La Motte, diese händigt sie dem geheimnisvollen Boten ein; er verschwindet mit der guten Last rasch, wie er gekommen, und mit ihm das Kollier bis zum Jüngsten Gericht. Gerührt verabschiedet sich der Kardinal: jetzt, nach solchem Freundschaftsdienst, kann es nicht mehr lange währen, und er, der geheime Helfer der Königin, muß bald der erste Diener des Königs, der Staatsminister von Frankreich sein!
Wenige Tage später erscheint ein jüdischer Juwelier bei der Pariser Polizei, um sich im Namen seiner geschädigten Standesgenossen zu beschweren, ein gewisser Rétaux de Villette biete Diamanten kostbarster Art zu so niedrigen Preisen an, daß man auf Diebstahl schließen müsse. Der Polizeiminister holt sich Rétaux. Der erklärt, er habe die Diamanten von einer Verwandten des Königs, von der Gräfin de La Motte-Valois, zum Verkauf erhalten. Gräfin Valois, dieser noble Name, wirkt auf den Beamten sofort wie ein Laxativ, schleunigst läßt er den zu Tode erschrockenen Rétaux laufen. Aber immerhin: die Gräfin hat jetzt gemerkt, wie halsbrecherisch es wäre, weiterhin die einzeln herausgebrochenen Steine – sie haben sofort das kostbare, lang gejagte Wild ausgeweidet und zerstückelt – in Paris selbst loszuschlagen: so stopft sie dem wackern Gatten die Taschen mit Brillanten voll und schickt ihn nach London – die Juweliere von New Bond Street und Piccadilly haben bald über reichliches und billiges Angebot nicht zu klagen.
Hussah, jetzt ist mit einemmal Geld da, tausendmal mehr, als selbst diese allerkühnste Gaunerin zu träumen wagte. Schamlos verwegen, wie sie der tolle Erfolg gemacht hat, zögert sie nicht, diesen neuen Reichtum protzig zu zeigen. Wagen mit vier englischen Stuten werden angeschafft, Lakaien mit prachtvollen Uniformen, ein Neger, vom Scheitel bis zur Sohle in Silber galoniert, Teppiche, Gobelins, Bronzen und Federhüte, ein Bett aus scharlachrotem Samt. Als dann das würdige Paar in seine erlauchte Residenz nach Bar-sur-Aube übersiedelt, sind nicht weniger als zweiundvierzig Fuhren nötig, um die vielen rasch zusammengekauften Kostbarkeiten zu verfrachten. Bar-sur-Aube erlebt ein unvergeßliches Fest aus Tausendundeiner Nacht. Prunkvolle Kuriere reiten dem Zuge des neuen Großmoguls voran, dann kommt die englische, perlgrau lackierte Berline, mit weißem Tuch ausgeschlagen. Die Atlasdecken, die dem Paar die Beine wärmen (mit denen sie lieber rasch ins Ausland fliehen sollten), tragen das Wappen der Valois: »Rege ab avo sanguinem, nomen et lilia« – »Vom König, meinem Ahnherrn, habe ich das Blut, den Namen und die Lilien.« Der ehemalige Gendarmerieoffizier hat sich prächtig herausgeputzt: an sämtlichen Fingern trägt er Ringe, an den Schuhen diamantene Schnallen, drei oder vier Uhrketten glitzern von der Heldenbrust, und das Inventar seiner Garderobe – man kann es im späteren Gerichtsakt nachprüfen – verzeichnet nicht weniger als achtzehn seidene oder brokatene funkelnagelneue Anzüge, garniert mit Mechelner Spitzen, mit Knöpfen aus ziseliertem Gold und kostbarsten Verschnürungen. Die Gattin an seiner Seite gibt ihm an Luxus nichts nach; wie ein indisches Götzenbild blitzt und blinkt sie von Juwelen. Solcher Reichtum ward in dem kleinen Bar-sur-Aube noch nie gesehen, bald übt er seine magnetische Kraft. Der ganze Adel der Umgegend strömt ins Haus und letzt sich an lukullischen Festen, die hier gegeben werden, Scharen von Lakaien servieren auf kostbarem Silbergeschirr die erlesensten Speisen, Musikanten machen Tafelmusik, als neuer Krösus schreitet der Graf durch seine fürstlichen Räume und streut mit vollen Händen Geld unter die Leute.
Wiederum wird an diesem Punkt die Halsbandgeschichte so absurd und phantastisch, daß sie unwahrscheinlich wirkt. Muß denn nicht der Betrug in drei, in fünf, in acht, in zehn Wochen spätestens auffliegen? Wie können da – so fragt unwillkürlich die normale Vernunft – diese beiden Gauner so sorglos frech mit ihrem Reichtum prunken, als gäbe es keine Polizei? Aber die La Motte rechnet eigentlich vollkommen richtig, sie denkt: wenn wirklich ein böser Stoß kommen sollte, so haben wir einen guten Vordermann. Knallt die Sache auf, je nun, er wird sie schon ordnen, der Herr Kardinal von Rohan! Er wird sich hüten, eine Affäre hochsausen zu lassen, der Großalmosenier von Frankreich, die ihn unsterblich lächerlich macht. Lieber wird er ganz still, und ohne mit der Wimper zu zucken, das Halsband aus der eigenen Tasche bezahlen. Wozu also sich ängstigen: mit einem solchen Kompagnon im Geschäft kann man getrost in seinem damastenen Bette schlafen. Und sie sorgen sich wahrhaftig nicht, die wackere La Motte, ihr ehrenwerter Gemahl, der schreibgewandte Sekretär, sondern genießen mit vollen Zügen den Zins, den sie mit so geschickter Hand aus dem unerschöpflichen Kapital der menschlichen Dummheit gezogen haben. Eine Kleinigkeit wird unterdessen dem guten Kardinal Rohan doch merkwürdig. Er hat erwartet, beim nächsten offiziellen Empfang die Königin schon mit dem kostbaren Kollier geschmückt zu sehen, wahrscheinlich auch auf ein Wort oder ein vertrauliches Kopfnicken gehofft, auf eine für alle andern undurchsichtige und nur ihm verständliche Geste der Erkenntlichkeit. Aber nichts! Kühl wie immer sieht Marie Antoinette an ihm vorüber, das Kollier leuchtet nicht auf ihrem weißen Nacken. »Warum trägt die Königin meinen Schmuck nicht?« fragt er schließlich ganz verwundert die La Motte. Die Listige ist um eine Antwort niemals verlegen: es widerstrebe der Königin, das Halsband anzulegen, solange es nicht völlig bezahlt sei. Erst dann wolle sie ihren Gatten damit überraschen. Wieder steckt der geduldige Esel den Kopf in das Heu und gibt sich zufrieden. Aber aus April ist langsam Mai, aus Mai Juni geworden, immer näher rückt der 1. August, der verhängnisvolle Termin der ersten Vierhunderttausend. Um Aufschub zu erlangen, erfindet die Schwindlerin einen neuen Trick. Die Königin habe sich die Sache überlegt, erzählt sie, der Preis sei ihr doch zu hoch; wenn nicht die Juweliere einen Nachlaß von zweihunderttausend Livres gewähren wollten, sei sie entschlossen, den Schmuck zurückzuschicken. Die Verschlagene rechnet damit, die Juweliere würden sich aufs Parlamentieren legen, und damit würde Zeit vergehen. Aber sie irrt. Die Juweliere, die den Preis viel zu hoch angesetzt hatten und denen schon das Feuer auf den Nägeln brennt, erklären sich ohne weiteres einverstanden. Bassenge entwirft ein Schreiben, das der Königin ihre Zustimmung melden soll, und Böhmer übergibt es mit Rohans Bewilligung am 12. Juli, einem Tage, an dem er ohnehin Marie Antoinette ein anderes Schmuckstück einzuhändigen hat. Dieser Brief lautet: »Majestät, wir sind aufs höchste beglückt, annehmen zu dürfen, daß die letzten Zahlungsbedingungen, die uns vorgeschlagen wurden und denen wir uns mit aller Beflissenheit und Ehrerbietung unterwerfen, als ein neuer Beweis unserer Ergebenheit und unseres Gehorsams den Befehlen Eurer Majestät gegenüber angesehen werden. Es gereicht uns zur wahren Genugtuung, zu denken, daß der schönste Diamantschmuck, der existiert, der erhabensten und besten der Königinnen zu Diensten sein darf.«
Dieser Brief ist durch seine gewundene Form für eine Ahnungslose auf den ersten Blick unverständlich. Aber dennoch, wenn sie ihn aufmerksam lesen und ein wenig nachdenken würde, müßte die Königin erstaunt fragen: Welche Zahlungsbedingungen? Welcher Diamantschmuck? Aber man weiß es von hundert anderen Gelegenheiten: Marie Antoinette liest selten etwas Geschriebenes oder Gedrucktes aufmerksam zu Ende, es langweilt sie zu sehr; ernstliches Nachdenken war niemals ihre Sache. So öffnet sie den Brief überhaupt erst, als Böhmer sich bereits empfohlen hat. Da sie – gänzlich ahnungslos über die wirklichen Vorgänge – den Sinn dieser devot gewundenen Phrasen nicht versteht, befiehlt sie ihrer Kammerfrau, Böhmer zur Aufklärung zurückzuholen. Aber schade, der Juwelier hat bereits das Schloß verlassen. Nun, es wird sich schon klären, was dieser Narr von Böhmer meint! Das nächstemal also, denkt die Königin, und wirft das Billett sofort ins Feuer. Auch dies Vernichten des Briefes, dieses Nicht-weiter-Nachfragen seitens der Königin wirkt – wie alles in der Halsbandaffäre – auf den ersten Blick unwahrscheinlich, und selbst so redliche Geschichtsschreiber wie Louis Blanc haben in diesem raschen Beiseiteschaffen ein Verdachtsmoment sehen wollen, als ob die Königin doch irgend etwas von der trüben Sache gewußt hätte. In Wirklichkeit bedeutet dies hastige Verbrennen nichts Auffälliges bei einer Frau, die zeitlebens jede an sie gerichtete Zeile aus Angst vor ihrer eigenen Unachtsamkeit und der Spionage des Hofes immer sofort vernichtete: selbst nach dem Sturme auf die Tuilerien fand sich in ihrem Schreibtisch nicht ein einziges für sie bestimmtes Schriftstück. Nur – was sonst der Vorsicht diente, wurde in diesem Falle zur Unvorsichtigkeit.
Eine Kette von Zufällen mußte also zusammenlaufen, damit der Betrug nicht früher an den Tag kam. Aber jetzt hilft alle Taschenspielerei nicht mehr weiter, der 1. August rückt heran, und Böhmer will sein Geld. Noch einen letzten Abwehrstreich versucht die La Motte: sie deckt plötzlich vor den Juwelieren ihre Karten auf und erklärt frech: »Sie sind betrogen worden. Die Bürgschaft, die der Kardinal besitzt, trägt eine falsche Unterschrift. Aber der Prinz ist reich, er kann selber zahlen.« Damit hofft sie, den Hieb abzulenken, sie hofft – eigentlich ganz logisch rechnend –, die Juweliere würden jetzt zornig zum Kardinal stürzen, ihm alles berichten und er aus Furcht, sich vor dem ganzen Hof und der Gesellschaft unsterblich lächerlich zu machen, beschämt den Mund halten und lieber still eine Million sechsmalhunderttausend Livres berappen. Aber Böhmer und Bassenge denken nicht logisch und psychologisch, sie zittern einzig um ihr Geld. Sie wollen mit dem verschuldeten Kardinal nichts zu tun haben. Die Königin – noch sind sie beide der Meinung, Marie Antoinette sei mit im Spiel, sie hat ja stillgeschwiegen zu jenem Brief – stellt für sie einen zahlungskräftigeren Schuldner dar als dieser Windbeutel von Kardinal. Und dann: im schlimmsten Fall – so meinen sie abermals irrig – besitzt sie doch das Halsband, das kostbare Pfand.
Jetzt ist der Punkt erreicht, wo das Narrenseil nicht mehr straffer gespannt werden kann. Und mit einem einzigen schmetternden Ruck stürzt dieser babylonische Turmbau von Lügen und gegenseitiger Irreführung zusammen, als Böhmer nach Versailles kommt und Audienz bei der Königin verlangt. Nach einer Minute wissen die Juweliere und weiß die Königin, daß hier schändlich betrogen worden ist; wer aber der eigentliche Betrüger gewesen, soll nun der Prozeß erweisen.
Nach all den Akten und Aussagen, die über diesen verwickeltesten aller Prozesse vorliegen, ist heute eines unumstößlich gewiß: Marie Antoinette hat nicht die leiseste Ahnung gehabt von dem niederträchtigen Spiel, das mit ihrem Namen, ihrer Person, ihrer Ehre getrieben wurde. Sie war im juristischen Sinne so unschuldig wie nur denkbar, ausschließlich Opfer und nicht Mitwisserin, geschweige denn Mittäterin in diesem verwegensten Gaunerstreich der Weltgeschichte. Sie hat niemals den Kardinal empfangen, sie hat niemals die Schwindlerin La Motte gekannt, sie hat nie einen Stein des Halsbandes in Händen gehalten. Nur entschlossen böswillige Gehässigkeit, nur bewußte Verleumdung konnten Marie Antoinette ein Einverständnis mit dieser Hochstaplerin, mit diesem schwachköpfigen Kardinal unterschieben; nochmals und nochmals, die Königin ist völlig ahnungslos von einer Bande von Gaunern, Fälschern, Dieben und Narren in diese ehrabschneiderische Affäre hineingezogen worden.
Und trotzdem – im moralischen Sinne ist Marie Antoinette nicht völlig freizusprechen. Denn dieser ganze Betrug konnte nur angezettelt werden, weil ihr stadtbekannt schlechter Leumund den Betrügern Mut machte, weil den Betrogenen jedwede Unbesonnenheit auf seiten der Königin von vornherein glaubhaft war. Ohne die jahrelangen Leichtsinnigkeiten und Torheiten von Trianon hätte dieser Lügenkomödie jede Voraussetzung gefehlt. Kein Mensch mit geraden Sinnen hätte gewagt, einer Maria Theresia, einer wirklichen Monarchin, heimliche Korrespondenzen hinter dem Rücken ihres Mannes oder gar ein Stelldichein in dunklen Parkbosketten zuzumuten. Nie wäre ein Rohan, nie die beiden Juweliere auf den plumpen Schwindel hereingefallen, die Königin sei knapp bei Geld und wolle hinterrücks, ohne Wissen ihres Gemahls, kostbare Diamantengarnituren auf Raten und durch Zwischenleute kaufen, wäre nicht zuvor schon in ganz Versailles gemunkelt worden von nächtlichen Spaziergängen im Park, von zurückgetauschten Juwelen, von unbezahlten Schulden. Nie hätte die La Motte ein solches Lügengebäude aufrichten können, hätte der Leichtsinn der Königin nicht selbst den Grundstein gelegt und ihr schlechter Ruf dabei die Leiter gehalten. Nochmals und nochmals: an den ganzen phantastischen Schiebungen der Halsbandaffäre war Marie Antoinette so unschuldig wie nur denkbar; daß aber ein solcher Betrug unter ihrem Namen überhaupt gewagt und glaubhaft werden konnte, war und bleibt ihre historische Schuld.