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SPRUCH DES JAHRES

Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.

Johann Nepomuk Nestroy

SPRUCH DER WOCHE

Duldet ein Volk die Untreue von Richtern und Ärzten, so ist es dekadent und steht vor der Auflösung.

 

Plato

 

LUSTIGES

Quelle: Aus dem umgestülpten Papierkorb der Weltpresse (1977)

Rubrik: Das süße Leben

Dallas, Texas - Vor einem Gericht gab Jack Stinney an, er habe seine Frau nur des Spaßes wegen verprügelt. Auf die erstaunte Frage des Staatsanwaltes ergänzte Stinney dann seine Aussage: "Allerdings verprügelte ich meine Frau nur wegen des Spaßes, den sie mit drei anderen Männern gehabt hatte."

Die Lehmänner
Die Lehmänner

Marie Antoinette

Stefan Zweig

 

Kapitel 6-10

 

Le Roi est mort, vive le Roi!

 

Am 27. April 1774 befällt den König Ludwig XV. auf der Jagd plötzlich Mattigkeit; mit schweren Kopfschmerzen kehrt er nach seinem Lieblingsschloß Trianon zurück. In der Nacht stellen die Ärzte Fieber fest und holen Madame Dubarry an sein Lager. Am nächsten Morgen verordnen sie bereits beunruhigt die Übersiedlung nach Versailles. Selbst der unerbittliche Tod muß sich den noch unerbittlicheren Gesetzen der Etikette fügen: ein König von Frankreich darf nicht anderswo ernstlich krank sein oder sterben als in dem königlichen Paradebett. »C'est à Versailles, Sire, qu'il faut être malade.« Dort umstehen sofort sechs Ärzte, fünf Chirurgen, drei Apotheker, im ganzen vierzehn Personen das Krankenlager, sechsmal in jeder Stunde tastet jeder einzelne den Puls ab. Aber nur Zufall hilft zur Diagnose; als abends ein Diener die Kerze hochhebt, entdeckt einer unter den Umstehenden die berüchtigten roten Flecken im Gesicht, und im Nu weiß der ganze Hof und das ganze Schloß von der Schwelle bis zum First: die Blattern! Ein Windstoß von Schrecken fährt durch das riesige Haus, Angst vor der Ansteckung, die tatsächlich in den nächsten Tagen einige Personen ergreift, und mehr noch vielleicht Angst der Höflinge um ihre Stellung im Falle des Todes. Die Töchter zeigen den Mut der wirklich Frommen, tagsüber halten sie bei dem König die Wache, in der Nacht bleibt Madame Dubarry aufopfernd am Lager des Kranken. Den Thronerben dagegen, dem Dauphin und der Dauphine, verbietet das Hausgesetz, wegen der Ansteckungsgefahr das Zimmer zu betreten: seit drei Tagen ist ihr Leben um vieles kostbarer geworden. Und nun teilt sich mit einem gewaltigen Schnitt der Hof; an dem Krankenbett Ludwigs XV. wacht und zittert die alte Generation, die Macht von gestern, die Tanten und die Dubarry; sie wissen genau, daß ihre Herrlichkeit mit dem letzten Atemzug dieser fiebernden Lippen endet. In den andern Zimmern versammelt sich die kommende Generation, der zukünftige König Ludwig XVI., die zukünftige Königin Marie Antoinette und der Graf von Provence, der, solange sich sein Bruder Ludwig nicht entschließen kann, Kinder zu zeugen, sich heimlich gleichfalls als künftigen Thronanwärter fühlt. Zwischen diesen beiden Räumen steht das Schicksal. Niemand darf das Krankenzimmer betreten, wo die alte Sonne der Herrschaft untergeht, niemand das andere Zimmer, in dem die neue Sonne der Macht aufsteigt: dazwischen, in dem Œil de Bœuf, dem großen Vorraum, wartet ängstlich und schwankend die Masse der Höflinge, unsicher, wohin sie ihre Wünsche wenden sollen, zu dem sterbenden oder zu dem kommenden Könige, nach Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang.

 

Inzwischen durchpflügt mit tödlicher Wucht die Krankheit den abgelebten, verbrauchten und erschöpften Leib des Königs. Gräßlich aufgeschwollen, von Pusteln übersät, geht der lebende Körper, während das Bewußtsein nicht einen Augenblick aussetzt, in grauenhafte Zersetzung über. Die Töchter und Madame Dubarry brauchen reichlich Mut, um durchzuhalten, denn trotz der geöffneten Fenster erfüllt pestilenzartiger Gestank das königliche Gemach. Bald treten die Ärzte zur Seite, sie geben den Körper verloren – nun beginnt der andere Kampf, das Ringen um die sündige Seele. Aber Entsetzen: die Priester weigern sich, an das Krankenbett zu treten, Beichte und Kommunion zu gewähren; erst solle der sterbende König, der so lange unfromm und nur seinen Lüsten gelebt habe, tätig seine Reue erweisen. Erst müsse der Stein des Anstoßes weggeräumt sein, die Buhlerin, die verzweifelt an einem Lager wacht, das sie so lange unchristlich geteilt hat. Schwer entschließt sich der König gerade jetzt, in dieser fürchterlichen Stunde letzten Alleinseins, den einzigen Menschen wegzuschicken, an dem er innerlich hängt. Aber immer grimmiger würgt ihm die Angst vor dem Höllenfeuer die Kehle. Mit erstickter Stimme nimmt er Abschied von Madame Dubarry, und sofort wird sie unauffällig in einem Wagen in das nahegelegene Schlößchen Rueil gebracht: dort soll sie warten, um wiederzukehren für den Fall, daß der König sich noch einmal erholt.

Jetzt erst, nach dieser sichtlichen Tat der Reue, sind Beichte und Kommunion möglich. Jetzt erst betritt ein Mann, der achtunddreißig Jahre lang der unbeschäftigteste am ganzen Hof gewesen, das königliche Schlafgemach: der Beichtiger Seiner Majestät. Hinter ihm schließt sich die Tür, und sehr zu ihrem Leidwesen können die neugierigen Höflinge im Vorgemach das Sündenregister des Hirschparkkönigs (und es wäre so interessant!) nicht mitanhören. Aber, die Uhr in der Hand, zählen sie draußen die Minuten sorgfältig mit, um wenigstens dies in ihrer bösartigen Skandalfreude zu berechnen, wieviel Zeit ein Ludwig XV. benötige, um seine sämtlichen Sünden und Ausschweifungen zu bekennen. Endlich, nach genau sechzehn Minuten, öffnet sich neuerdings die Tür, der Beichtiger tritt heraus. Aber schon deuten manche Zeichen darauf hin, daß Ludwig XV. die endgültige Absolution noch nicht gewährt sei, daß die Kirche von einem Monarchen, der achtunddreißig Jahre sein sündiges Herz nicht erleichtert und vor den Augen seiner Kinder in Schande und fleischlicher Lust gelebt hat, noch eine tiefere Demütigung verlange als dieses heimliche Bekenntnis. Gerade weil er der Höchste der Welt gewesen und sich sorglos über dem geistlichen Gesetz stehend gedünkt, verlangt von ihm die Kirche, daß er sich besonders tief vor dem Allerhöchsten beuge. Öffentlich, vor allen und zu allen, müsse der sündige König für seinen unwürdigen Lebenswandel Reue bekunden. Dann erst solle ihm das Abendmahl erteilt werden.

Großartige Szene am nächsten Morgen: der mächtigste Autokrat der Christenheit muß christliche Buße vor der versammelten Schar seiner eigenen Untertanen tun. Die ganze Treppe des Schlosses entlang stehen die Garden unter Waffen, die Schweizer bilden von der Kapelle bis zum Sterbezimmer hin Spalier, dumpf wirbeln die Trommeln, sobald im feierlichen Zuge unter dem Baldachin die hohe Geistlichkeit mit dem Hostiengefäß eintritt. Jeder eine brennende Kerze in der Hand, schreiten hinter dem Erzbischof und dessen Gefolge der Dauphin und seine beiden Brüder, die Prinzen und Prinzessinnen, um das Allerheiligste bis zur Tür zu begleiten. Bei der Schwelle machen sie Halt und sinken in die Kniee. Nur die Töchter des Königs und die nicht erbberechtigten Prinzen betreten mit dem hohen Klerus das Sterbegemach.

In der atemlosen Stille hört man den Kardinal eine leise Ansprache halten, man sieht ihn durch die offene Tür das heilige Abendmahl erteilen. Dann tritt er – Augenblick voll Schauer und ehrfürchtiger Überraschung – an die Schwelle des Vorsaales und spricht mit erhobener Stimme zu dem ganzen versammelten Hof: »Meine Herren, der König beauftragt mich, Ihnen zu sagen, daß er Gott um Verzeihung für die Beleidigungen bittet, die er ihm angetan, und für das schlechte Beispiel, das er seinem Volke gegeben hat. Wenn Gott ihm wieder Gesundheit schenkt, verspricht er, Buße zu tun, den Glauben zu unterstützen und das Schicksal seines Volkes zu erleichtern.« Vom Bett her hört man ein leises Stöhnen. Nur für die Nächststehenden deutlich vernehmbar, murmelt der Sterbende: »Ich wollte, ich hätte selbst die Kraft gehabt, es zu sagen.«

 

Was jetzt kommt, ist nur noch Grauen. Nicht ein Mensch stirbt, sondern ein aufgedunsener, schwarz gefärbter Kadaver zerfällt in sich selbst. Aber riesenhaft wehrt sich, als wäre die Bourbonenkraft all seiner Ahnen in ihm versammelt, der Körper Ludwigs XV. gegen die unaufhaltsame Vernichtung. Furchtbar sind diese Tage für alle. Die Diener werden ohnmächtig von dem fürchterlichen Geruch, die Töchter wachen mit letzter Kraft, längst haben sich die Ärzte hoffnungslos zurückgezogen, immer ungeduldiger harrt der ganze Hof auf die baldige Beendigung der gräßlichen Tragödie. Unten stehen, seit Tagen angeschirrt, die Karossen bereit, denn um die Ansteckung zu vermeiden, soll der neue Ludwig, ohne eine Minute zu verlieren, mit seinem ganzen Gefolge nach Choisy übersiedeln, sobald der alte König den letzten Atemzug getan hat. Die Reiter haben bereits ihre Sättel zurechtgemacht, die Koffer sind gepackt, Stunde um Stunde warten unten die Diener und Kutscher; alles starrt nur noch auf die kleine brennende Kerze hin, die man ans Fenster des Sterbenden geklebt hat und die – ein vereinbartes Zeichen für alle – im bewußten Augenblick ausgelöscht werden soll. Aber der riesige Körper des alten Bourbonen wehrt sich noch einen ganzen Tag. Endlich, Dienstag, den 10. Mai, um halb vier Uhr nachmittags, verlischt die Kerze. Sofort wird das Murmeln zum Rauschen. Von Zimmer zu Zimmer läuft – eine springende Welle – die Nachricht, der Ruf, der wachsende Wind: »Der König ist tot, es lebe der König!«

Marie Antoinette wartet mit ihrem Gatten in einem kleinen Zimmer. Auf einmal hören sie jenes geheimnisvolle Brausen, immer lauter, näher und näher brandet von Zimmer zu Zimmer eine unverständliche Wortwoge. Jetzt, als ob ein Sturm sie groß aufgerissen hätte, öffnet sich die Tür, Madame de Noailles tritt ein, sinkt in die Kniee und grüßt als erste die Königin. Hinter ihr drängen die andern, mehr, immer mehr, der ganze Hof, denn jeder will rasch heran, seine Huldigung darzubringen, jeder sich zeigen, unter den ersten Glückwünschenden sich bemerkbar machen. Die Tamboure wirbeln, die Offiziere schwingen die Degen, und von Hunderten von Lippen braust der Ruf: »Der König ist tot, es lebe der König!«

Als Königin schreitet Marie Antoinette aus dem Zimmer, das sie als Dauphine betreten. Und während man im verlassenen Hause mit einem Aufatmen der Erleichterung den blauschwarzen unkenntlichen Leichnam Ludwigs XV. rasch in den längst vorbereiteten Sarg packt, um ihn mit möglichst wenig Aufsehen zu verscharren, rollt die Karosse einen neuen König, eine neue Königin durch die vergoldeten Parktore von Versailles. Und an den Straßen jubelt das Volk ihnen zu, als sei mit dem alten König das alte Elend zu Ende und mit den neuen Herrschern beginne eine neue Welt.

 

Die alte Schwätzerin Madame Campan erzählt in ihren bald honigsüßen, bald tränennassen Memoiren, Ludwig XVI. und Marie Antoinette seien, als man ihnen die Kunde vom Tode Ludwigs XV. überbrachte, in die Kniee gesunken und hätten schluchzend ausgerufen: »Mein Gott, schütze uns und bewahre uns, wir sind zu jung, viel zu jung, um zu regieren.« Das ist eine sehr rührende Anekdote und, weiß Gott, geeignet für eine Kinderfibel; schade nur, daß sie, wie die meisten Anekdoten um Marie Antoinette, den kleinen Nachteil hat, höchst ungeschickt und unpsychologisch erfunden zu sein. Denn solche bigotte Rührung paßt herzlich schlecht zu dem fischblütigen Ludwig XVI., der gar keinen Grund hatte, über ein Ereignis erschüttert zu sein, das der ganze Hof seit acht Tagen mit der Uhr in der Hand stündlich erwartete, und noch weniger zu Marie Antoinette, die sorglosen Herzens dies Geschenk der Stunde wie jedes andere entgegennahm. Nicht daß sie herrschgierig gewesen wäre oder schon ungeduldig, die Zügel zu fassen; nie hat Marie Antoinette davon geträumt, eine Elisabeth, eine Katharina, eine Maria Theresia zu werden: dazu war ihre seelische Energie zu gering, die Spannweite ihres Geistes zu eng, ihr Wesen zu träge. Ihre Wünsche reichen, wie immer bei einem mittleren Charakter, nicht weit über die eigene Person hinaus; diese junge Frau hat keine politischen Ideen, die sie der Welt aufprägen will, keinerlei Neigung, andere zu unterjochen und zu demütigen; nur ein starker, ein trotziger und oft kindischer Instinkt der Unabhängigkeit ist ihr von Jugend her eigen, sie will nicht herrschen, aber auch von niemand sich beherrschen und beeinflussen lassen. Herrin sein, heißt für sie nicht mehr als selbst frei sein. Jetzt erst, nach mehr als drei Jahren Bevormundung und Bewachung, fühlt sie sich zum erstenmal ungehemmt, seit niemand mehr da ist, ihr Halt zu gebieten (denn die strenge Mutter wohnt tausend Meilen weit, und dem unterwürfigen Gemahl lächelt sie seine ängstlichen Proteste verächtlich weg). Um diese eine entscheidende Stufe von der Thronfolgerin zur Königin erhöht, steht sie endlich über allen, niemand untertan als ihrer eigenen kapriziösen Laune. Zu Ende ist es nun mit den Quengeleien der Tanten, zu Ende mit Erlaubnisbitten beim König, ob sie auf den Opernball fahren dürfe oder nicht, vorbei die Anmaßung ihrer verhaßten Gegnerin, der Dubarry: morgen wird die »créature« für immer in die Verbannung gestoßen sein, nie mehr werden ihre Brillanten bei den Soupers blitzen, nie mehr in ihrem Boudoir sich die Fürsten und Könige zum Handkuß drängen. Stolz, und ohne sich ihres Stolzes zu schämen, greift Marie Antoinette nach der ihr zugefallenen Krone: »Obwohl mich Gott schon in jenem Rang zur Welt kommen ließ,« schreibt sie ihrer Mutter, »den ich jetzt bekleide, so kann ich doch nicht umhin, die Güte der Vorsehung zu bewundern, die mich, das jüngste Ihrer Kinder, für das schönste Königreich Europas erwählt hat.« Wer in dieser Ankündigung nicht den Oberton der Freude mitschwingen hört, hat ein hartes Ohr. Gerade weil sie nur die Größe ihrer Stellung fühlt und nicht auch ihre Verantwortung, besteigt Marie Antoinette sorglos und heiteren Hauptes den Thron.

Und kaum hat sie ihn bestiegen, so rauscht ihr aus der Tiefe schon Jubel entgegen. Noch haben sie nichts getan, nichts versprochen und nichts gehalten, und doch begrüßt schon Begeisterung die beiden jungen Herrscher. Wird nicht jetzt ein goldenes Zeitalter anbrechen, träumt das ewig wundergläubige Volk, da die markaussaugende Mätresse in die Verbannung geschickt, der alte gleichgültige Lüstling Ludwig XV. verscharrt ist, da ein junger, einfacher, sparsamer, bescheidener, frommer König, eine entzückende, lieblich-junge und gütige Königin über Frankreich herrschen? In allen Schaufenstern prangen die Bildnisse der neuen, mit noch ganz unverbrauchter Hoffnung geliebten Monarchen; Begeisterung grüßt jede ihrer Handlungen, und auch der in Angst erstarrte Hof beginnt sich zu freuen: jetzt kommen wieder Bälle und Paraden, Heiterkeit und neue Lebenslust, die Herrschaft der Jugend und der Freiheit. Ein Aufatmen begrüßt den Tod des alten Königs, und die Sterbeglocken auf den Türmen ganz Frankreichs klingen so frisch und freudig, als läuteten sie zu einem Fest.

 

Wahrhaft ergriffen und erschrocken, weil von düsterem Vorgefühl bewegt, ist in ganz Europa nur ein Mensch beim Tode Ludwigs XV.: die Kaiserin Maria Theresia. Als Monarchin kennt sie aus dreißig mühseligen Jahren die Last einer Krone, als Mutter die Schwächen und Fehler ihrer Tochter. Aufrichtig gern hätte sie den Augenblick der Thronbesteigung noch hinausgeschoben gesehen, bis dieses leichtköpfige und hemmungslose Geschöpf ein wenig mehr herangereift und vor den Versuchungen ihrer Verschwendungssucht geschützt gewesen wäre. Das Herz wird ihr schwer, der alten Frau, düstere Vorahnungen scheinen sie zu bedrücken. »Ich bin davon sehr ergriffen«, schreibt sie beim Empfang der Nachricht an den getreuen Gesandten, »und noch mehr mit dem Schicksal meiner Tochter beschäftigt, das entweder ganz großartig oder sehr unglücklich werden muß. Die Stellung des Königs, der Minister, des Staates zeigen mir nichts, was mich beruhigen könnte, und sie selbst ist ja so jung! Sie hat niemals ein ernsteres Streben gekannt und wird es auch nie oder kaum jemals haben.« Melancholisch antwortet sie auch der Tochter auf ihre stolzbewußte Ankündigung: »Ich mache Dir keine Komplimente über Deine neue Würde, die teuer erkauft ist und noch teurer sein wird, wenn Du Dich nicht entschließen kannst, dasselbe ruhige und unschuldige Leben zu führen, das Du dank der Güte und der Nachsicht dieses guten Vaters während dieser drei Jahre geführt hast und das Euch beiden die Zustimmung und die Liebe Eurer Nation eingetragen hat. Dies bedeutet einen großen Vorteil für Eure gegenwärtige Stellung; aber nun heißt es, sie zu bewahren wissen und recht anzuwenden zum Wohl des Königs und des Staates. Ihr seid beide noch so jung, und die Last ist groß; ich bin deshalb in Sorge, wirklich in Sorge ... Alles, was ich Euch jetzt raten kann, ist, nichts zu übereilen; seht Euch alles mit Euren eigenen Augen an, ändert nichts, laßt alles sich entwickeln, sonst wird das Chaos und die Intrige unendlich sein, und Ihr würdet, meine teuren Kinder, in solche Verwirrung geraten, daß Ihr Euch kaum mehr würdet heraushelfen können.« Von fern, aus der Höhe ihrer jahrzehntelangen Erfahrung, übersieht die erprobte Regentin mit ihrem Kassandrablick die unsichere Lage Frankreichs viel besser als jene aus der Nähe, eindringlich beschwört sie die beiden, vor allem die Freundschaft mit Österreich und damit den Frieden der Welt zu wahren. »Unsere beiden Monarchieen brauchen nur Ruhe, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Wenn wir im engen Einvernehmen weiterhandeln, wird niemand unsere Arbeit stören und Europa sich des Glückes und der Ruhe erfreuen. Nicht nur unser Volk wird glücklich sein, sondern auch alle anderen.« Aber am dringendsten warnt sie ihr Kind vor der persönlichen Leichtfertigkeit, vor ihrem Hang zur Vergnügungssucht. »Ich fürchte diesen mehr als alles andere bei Dir. Es ist durchaus notwendig, daß Du Dich mit ernsten Dingen befaßt und vor allem Dich nicht zu außerordentlichen Ausgaben verleiten läßt. Alles hängt davon ab, daß dieser glückliche Anfang, der alle unsere Erwartungen übertrifft, fortdauere und Euch beide glücklich mache, indem Ihr Eure Völker beglückt.«

Marie Antoinette, von der Sorge ihrer Mutter ergriffen, verspricht und verspricht. Sie bekennt ihre Schwäche aller ernsten Betätigung gegenüber und gelobt Besserung. Aber die Sorge der alten Frau, prophetisch bewegt, läßt sich nicht beruhigen. Sie glaubt nicht an das Glück dieser Krone, nicht an das ihrer Tochter. Und während die ganze Welt Marie Antoinette umjubelt und beneidet, schreibt sie ihrem vertrauten Botschafter den mütterlichen Seufzer: »Ich glaube, ihre schönsten Tage sind vorbei.«

 

Bildnis eines Königspaares

 

In den ersten Wochen nach einer Thronbesteigung haben immer und überall die Kupferstecher, Maler, Bildhauer und Medaillenpräger alle Hände voll zu tun. Auch in Frankreich wird mit leidenschaftlicher Eile das Bildnis des längst nicht mehr »vielgeliebten« Königs Ludwig XV. weggeräumt und durch das festlich bekränzte des neuen Herrscherpaares ersetzt: Le roi est mort, vive le roi.

Viel Schmeichelkunst ist für einen geübten Medaillenschneider gar nicht nötig, um dem braven Biedermannsgesicht Ludwigs XVI. etwas Cäsarisches aufzuprägen. Denn abgesehen von dem kurzen festen Nacken kann man den Kopf des neuen Königs keineswegs unedel nennen: eine ebenmäßig zurückfliehende Stirn, ein starker, beinahe kühner Schwung der Nase, eine vollsaftig sinnliche Lippe, ein fleischiges, aber wohlgeformtes Kinn ergeben, rundlich geeint, ein stattliches, ein durchaus sympathisches Profil. Verschönender Nachhilfe bedarf am ehesten der Blick, denn ohne Lorgnette erkennt der außergewöhnlich Kurzsichtige schon drei Schritte weit keinen Menschen; hier muß der Stichel des Graveurs schon ziemlich viel Korn und Tiefe nehmen, um diesen schwerlidrigen, blaßschwimmenden Kuhaugen etwas Autorität zu verleihen. Schlecht steht es bei Ludwig, dem Schwerfälligen, auch mit der Haltung; ihn im Ornat wirklich aufrecht und imposant erscheinen zu lassen, das bereitet allen Hofmalern arge Not, denn frühzeitig verfettet, unbeholfen und durch seine Kurzsichtigkeit bis zur Lächerlichkeit linkisch, macht Ludwig XVI., obwohl fast sechs Fuß hoch und gerade gewachsen, bei allen offiziellen Anlässen unglückliche Figur (la plus mauvaise tournure qu'on pût voir). Er geht über das blanke Parkett von Versailles plump und mit schaukelnden Schultern »wie ein Bauer hinter dem Pflug«, er kann weder tanzen noch Ball spielen; wenn er bloß hastig ausschreitet, stolpert er schon über seinen eigenen Degen. Dieser körperlichen Ungeschicklichkeit ist sich der arme Mann genau bewußt, sie macht ihn verlegen, diese Verlegenheit steigert neuerdings seine Tapsigkeit: so hat jeder zunächst den Eindruck, in dem König von Frankreich einen kläglichen Tölpel vor sich zu sehen.

 

Aber Ludwig XVI. ist keineswegs dumm und beschränkt; nur wie im Auftreten durch seine Kurzsichtigkeit, ist er geistig durch seine Schüchternheit (die im letzten wahrscheinlich auf seiner sexuellen Unmännlichkeit beruht) arg gehemmt. Eine Unterhaltung zu führen, bedeutet für diesen krankhaft scheuen Herrscher jedesmal eine seelische Anstrengung, denn weil er weiß, wie langsam und schwerfällig er denkt, hat Ludwig XVI. eine unsagbare Angst vor klugen, witzigen und gescheiten Leuten, denen das Wort rasch auf die Lippe springt; schamvoll fühlt der ehrliche Mann im Vergleich zu ihnen die eigene Linkischkeit. Läßt man ihm aber Zeit, seine Gedanken zu ordnen, drängt man ihn nicht zu schnellen Entscheidungen und Antworten, so überrascht er selbst skeptische Partner wie Joseph II. oder Pétion durch seinen zwar niemals hervorragenden, aber doch redlichen und geradlinigen gesunden Menschenverstand; sobald seine nervöse Scheu einmal glücklich überwunden ist, wirkt er durchaus normal. Im allgemeinen liest und schreibt er aber lieber, statt zu sprechen, denn Bücher sind still und bedrängen nicht; Ludwig XVI. (man würde es nicht glauben) liest gern und viel, er hat gute Kenntnisse in Geschichte und Geographie, verbessert unablässig sein Englisch und Latein, wobei ihn ein ausgezeichnetes Gedächtnis unterstützt. In seinen Akten und Haushaltungsbüchern hält er tadellose Ordnung; jeden Abend verzeichnet er in seiner klaren, runden, fast kalligraphisch saubern Schrift die armseligen Nüchternheiten seines Lebens (»sechs Hirsche geschossen«, »mich purgieren lassen«) in ein Tagebuch, das durch ein ahnungsloses Übersehen alles welthistorisch Wichtigen geradezu erschütternd wirkt – im ganzen das Musterbild eines mittelmäßigen, unselbständigen Intellekts, von Natur aus etwa zu einem verläßlichen Zollrevisor oder Kanzleibeamten bestimmt, zu irgendeiner rein mechanischen und subalternen Tätigkeit im Schatten der Geschehnisse, – zu allem und allem, nur zu einem nicht: zu einem Herrscher.

Das eigentliche Verhängnis im Naturell Ludwigs XVI. aber ist: er hat Blei im Blut. Etwas Stockiges, Schweres versulzt seine Adern, nichts wird ihm leicht. Immer muß dieser redlich bemühte Mann einen Widerstand der Materie, eine Art Schlaftrunkenheit in sich überwinden, um etwas zu tun, zu denken oder bloß zu fühlen. Seine Nerven können, wie schlaff gewordene Gummibänder, sich nicht straffen, nicht spannen, nicht schwingen, sie sprühen nicht von Elektrizität. Diese angeborene Nervenstumpfheit schaltet Ludwig XVI. von jeder starken Gefühlsleistung aus: Liebe (im geistigen wie im physiologischen Sinn), Freude, Lust, Angst, Schmerz, Furcht, alle diese Elemente des Gefühls dringen bei ihm nicht durch die Elefantenhaut seiner Gleichmütigkeit, und nicht einmal unmittelbare Lebensgefahr kann ihn aus seiner Lethargie aufrütteln. Während die Revolutionäre die Tuilerien stürmen, geht sein Puls nicht eine Sekunde rascher, auch die Nacht vor der Guillotine kann keine der beiden Säulen seines Wohlbehagens, Schlaf und Eßlust, erschüttern. Nie wird dieser Mann, selbst die Pistole vor der Brust, erblassen, nie Zorn aus seinen stumpfen Augen aufleuchten, nichts kann ihn erschrecken, nichts aber auch ihn begeistern. Nur allergröbste Anstrengung, wie Schlosserei und Jagd, bringt wenigstens äußerlich seinen Körper in Bewegung; alles Zarte, Feingeistige, Graziöse, also Kunst, Musik, Tanz, ist dagegen seiner Gefühlswelt überhaupt nicht zugänglich; keine Muse und kein Gott vermögen seine trägen Sinne in Schwingung zu versetzen, selbst Eros nicht. Nie hat in zwanzig Jahren Ludwig XVI. eine andere Frau begehrt als die ihm sein Großvater als Gattin bestimmt hat; er bleibt mit ihr glücklich und zufrieden, wie er mit allem zufrieden ist in seiner geradezu aufreizenden Bedürfnislosigkeit. Darum war es eine teuflische Böswilligkeit des Schicksals, gerade von einer solchen stockigen und stumpf animalischen Natur die historisch wichtigsten Entscheidungen des ganzen Jahrhunderts zu verlangen, einen so durchaus auf das Beschauliche angelegten Menschen vor die fürchterlichste Weltkatastrophe zu stellen. Denn eben dort, wo die Tat beginnt, wo der Muskel des Willens in Zugriff oder Abwehr sich straffen soll, wird dieser körperlich robuste Mann auf die jämmerlichste Weise schwach: jede Entscheidung bedeutet für Ludwig XVI. jedesmal die allerschrecklichste Verlegenheit. Er kann nur nachgeben, nur tun, was andere wollen, weil er selbst nichts will als Ruhe, Ruhe, Ruhe. Bedrängt und überrascht, verspricht er jedem, was er verlangt, und ebenso schlapp und bereitwillig dem nächsten das Gegenteil; wer an ihn herankommt, hat ihn schon überwältigt. Durch diese namenlose Schwäche wird Ludwig XVI. immer wieder schuldlos schuldig und bei ehrlichster Absicht unehrlich, Spielball seiner Frau, seiner Minister, ein Bohnenkönig ohne Heiterkeit und Haltung, glücklich, wenn man ihm seinen Frieden läßt, verzweifelt und zum Verzweifeln in den Stunden, da er wirklich herrschen sollte. Hätte die Revolution diesem arglosen dumpfen Menschen, statt ihm ein Fallbeil in den kurzen dicken Hals zu treiben, irgendwo ein kleines Bauernhäuschen mit einem Gärtchen und einer unbedeutenden Pflicht gegönnt, sie hätte ihn glücklicher gemacht als der Erzbischof von Reims mit der Krone Frankreichs, die er ohne Stolz, ohne Lust und ohne Würde zwanzig Jahre hindurch gleichgültig trug.

 

Einen solchen gutmütig unmännlichen Mann als großen Imperator zu preisen, hat auch der höfischste aller Hofbarden nie gewagt. Die Königin dagegen in allen Formen und Worten zu verherrlichen, in Marmor, Terrakotta, Biskuit, Pastell, in zierlichen Elfenbeinminiaturen und graziösen Gedichten nachzubilden, wetteifern alle Künstler, denn ihr Antlitz, ihr Gehaben spiegelt geradezu vollendet das Zeitideal. Zart, schlank, anmutig, liebreizend, spielerisch und kokett, wird die Neunzehnjährige von der ersten Stunde an die Göttin des Rokoko, der vorbildliche Typus der Mode und des herrschenden Geschmacks; wenn eine Frau als schön und anziehend gelten will, bemüht sie sich, ihr ähnlich zu sein. Dabei hat Marie Antoinette eigentlich weder ein bedeutendes, noch ein besonders eindrucksvolles Gesicht; ihr glattes, feingeschnittenes Oval mit kleinen pikanten Unregelmäßigkeiten wie der habsburgischen starken Unterlippe und einer etwas zu flachen Stirn, bezaubert weder durch geistigen Ausdruck, noch durch irgendeinen persönlich-physiognomischen Zug. Etwas Kühles und Leeres wie von glattfarbenem Email geht von diesem unausgeformten, noch auf sich selbst neugierigen Mädchengesicht aus, dem erst die späteren fraulichen Jahre eine gewisse majestätische Fülle und Entschlossenheit hinzutun. Einzig die weichen und im Ausdruck sehr wandelhaften Augen, die leicht in Tränen überströmen, um dann sofort wieder in Spiel und Spaß aufzufunkeln, deuten auf Belebtheit des Gefühls, und die Kurzsichtigkeit gibt ihrem seichten, nicht sehr tiefen Blau einen schwimmenden und rührenden Charakter; nirgends aber zeichnet Willensstraffheit eine harte Charakterlinie in dies blasse Oval: man spürt nur eine weiche, nachgiebige Natur, die von der Stimmung sich führen läßt und, durchaus weiblich, immer nur den Unterströmungen ihres Empfindens folgt. Dieses Zärtlich-Anmutige ist es auch, was alle an Marie Antoinette vor allem bewundern. Wahrhaft schön ist an dieser Frau eigentlich nur das wesentlich Weibliche, das üppige, vom Aschblonden ins Rötliche schimmernde Haar, das Porzellanweiß und die Glätte ihres Teints, die füllige Weichheit der Formen, die vollendeten Linien ihrer elfenbeinglatten und zartrunden Arme, die gepflegte Schönheit ihrer Hände, all das Blühende und Duftende einer erst halb aufgefalteten Mädchenschaft, allerdings ein zu flüchtiger und sublimierter Reiz, als daß er sich aus den Nachbildungen ganz erahnen ließe.

 

Denn auch die wenigen meisterlichen unter ihren Bildern enthalten uns noch das Allerwesentlichste ihrer Natur vor, das Allerpersönlichste ihrer Wirkung. Bilder vermögen fast immer nur die erzwungene starre Pose eines Menschen festzuhalten, und der eigentlichste Zauber Marie Antoinettes beruhte, darüber ist nur eine Stimme, in der unnachahmlichen Anmut ihrer Bewegungen. Erst in der belebten Haltung enthüllt Marie Antoinette die eingeborene Musikalität ihres Körpers; wenn sie auf feinen Fesseln hoch und schlank durch das Spalier der Spiegelsäle schreitet, wenn sie sich kokett-nachgiebig in einem Sessel zum Plaudern zurücklehnt, wenn sie ungestüm aufspringt und beschwingt über die Stufen läuft, wenn sie mit natürlich anmutiger Geste die blendend weiße Hand zum Kusse darreicht oder zärtlich ihren Arm um die Taille der Freundin legt, wirkt ihre Haltung ohne jede Anstrengung vollendet aus weiblich-körperlicher Intuition. »Wenn sie sich aufrecht hält,« schreibt ganz trunken der sonst kühle Engländer Horace Walpole, »ist sie die Statue der Schönheit, wenn sie sich bewegt, die Grazie in Person.« Und wirklich, sie reitet, sie spielt Ball wie eine Amazone; überall, wo ihr biegsam geformter, talentierter Körper ins Spiel kommt, übertrifft sie die schönsten Frauen ihres Hofes, nicht nur an Geschicklichkeit, sondern auch an sinnlichem Reiz, und energisch weist der entzückte Walpole den Einwand, sie folge im Tanze nicht immer genau dem Rhythmus, mit dem hübschen Worte zurück, dann habe eben die Musik unrecht. Aus wissendem Instinkt – jede Frau kennt das Gesetz ihrer Schönheit – liebt Marie Antoinette darum die Bewegung. Unruhe ist ihr wahres Element; Stillsitzen dagegen, Zuhören, Lesen, Lauschen, Nachdenken und in gewissem Sinne sogar Schlaf sind für sie unerträgliche Geduldproben. Nur auf und ab und hin und her, etwas anfangen, immer etwas anderes und nichts zu Ende tun, immer beschäftigt sein und beschäftigt werden, ohne sich dabei selbst ernstlich anzustrengen; nur immer spüren, daß die Zeit nicht stillesteht, nur ihr nach, sie überholen, sie überrennen! Nicht lang essen, nur rasch ein bißchen Zuckerwerk naschen, nicht lange schlafen, nicht lange denken, nur weiter und weiter in wechselndem Müßiggang! So werden die zwanzig königlichen Jahre Marie Antoinettes ein ewiges, um das eigene Ich kreisendes Bewegtsein, das, keinem äußeren oder inneren Ziel zugewandt, menschlich und politisch einen völligen Leerlauf ergibt.

Diese Haltlosigkeit, dies nie bei sich selber Halt machen, diese Selbstvergeudung einer großen und nur falsch verwerteten Kraft ist es, was ihre Mutter so sehr an Marie Antoinette erbittert: sie weiß genau, die alte Menschenkennerin, dieses von Natur begabte und auch beseelte Mädchen könnte hundertmal mehr aus sich herausholen. Marie Antoinette brauchte nur sein zu wollen, was sie im Grunde ist, und sie hätte königliche Macht; aber, Verhängnis, sie lebt aus Bequemlichkeit ständig unter ihrem eigenen geistigen Niveau. Als echte Österreicherin hat sie unzweifelhaft viel und zu vielem Talent, leider nur nicht den mindesten Willen, diese eingeborenen Gaben ernsthaft auszunützen oder gar zu vertiefen: leichtfertig zerstreut sie ihre Talente, um sich selbst zu zerstreuen. »Ihre erste Regung«, urteilt Joseph II., »ist immer die richtige, und wenn sie dabei beharrte, ein wenig mehr nachdenken würde, wäre sie vortrefflich.« Aber gerade dieses auch nur ein wenig Nachdenken wird ihrem wirbeligen Temperament schon zur Last; jedes andere Denken als das aus dem Stegreif springende bedeutet für sie Anstrengung, und ihre kapriziös nonchalante Natur haßt jede Art geistiger Anstrengung. Nur Spiel will sie, nur Leichtigkeit in allem und jedem, nur kein Bemühen, keine wirkliche Arbeit. Marie Antoinette plaudert ausschließlich mit dem Mund und nicht mit dem Kopf. Wenn man zu ihr spricht, hört sie sprunghaft-zerstreut zu; in der Konversation, bestechend durch bezaubernde Liebenswürdigkeit und glitzernde Leichtigkeit, läßt sie jeden Gedanken, kaum angesponnen, sofort wieder fallen, nichts spricht sie, nichts denkt sie, nichts liest sie zu Ende, nirgends hakt sie sich fest, um daraus einen Sinn und Seim wirklicher Erfahrung zu saugen. Darum mag sie auch keine Bücher, keine Staatsakte, nichts Ernstes, das Geduld und Aufmerksamkeit fordert, und nur ungern, mit ungeduldig kritzelnder Schrift entledigt sie sich der allernotwendigsten Briefe; selbst denen an die Mutter merkt man das Fertighabenwollen oft deutlich an. Nur nicht sich das Leben beschweren, nur nichts, was den Kopf düster oder dumpf oder melancholisch macht! Wer diese ihre Denkfaulheit am besten überspielt, gilt ihr als der klügste Mann, wer Anstrengung fordert, als lästiger Pedant, und mit einem Sprung ist sie weg von allen vernünftigen Ratgebern bei ihren Kavalieren und Gesinnungsschwestern. Nur genießen, nur sich nicht stören lassen durch Nachdenken und Rechnen und Sparen, so denkt sie, und so denken sie alle in ihrem Kreise. Nur den Sinnen leben und sich nicht besinnen: Moral eines ganzen Geschlechts, des Dix-huitième, dem das Schicksal sie symbolisch als Königin gesetzt, daß sie sichtbar mit ihm lebe und sichtbar mit ihm sterbe.

 

Einen krasseren charakterologischen Gegensatz als dieses höchst ungleiche Paar könnte kein Dichter erfinden; bis in den letzten Nerv ihrer Körper, bis in den Rhythmus des Bluts, bis in die äußerste Ausschwingung ihrer Temperamente stellen Marie Antoinette und Ludwig XVI. in allen ihren Eigenschaften und Eigenheiten eine geradezu schulmäßige Antithese dar. Er schwer, sie leicht, er plump, sie biegsam, er stockig, sie moussierend, er nervenstumpf, sie flackerig-nervös. Und weiter ins Seelische: er unentschlossen, sie zu rasch entschlossen, er langsam überlegend, sie spontan in Ja und Nein, er strenggläubig bigott, sie selig weltverliebt, er bescheiden demütig, sie kokett selbstbewußt, er pedantisch, sie fahrig, er sparsam, sie verschwenderisch, er überernst, sie unmäßig verspielt, er Tiefgänger mit schwerem Flutgang, sie Schaum und Wellentanz. Er fühlt sich allein am wohlsten, sie in lauter lärmender Gesellschaft, er liebt mit animalisch dumpfem Behagen viel zu essen und schweren Wein zu trinken, sie rührt Wein nie an, ißt wenig und flink. Sein Element ist der Schlaf, das ihre der Tanz, seine Welt der Tag, die ihre die Nacht; so geht der Stundenzeiger ihrer Lebensuhren ständig wie Sonne und Mond gegeneinander. Um elf Uhr, wenn sich Ludwig XVI. schlafen legt, beginnt Marie Antoinette erst richtig aufzuflackern, heute in den Spielsaal, morgen auf einen Ball, immer anderswohin; wenn er morgens schon stundenlang auf der Jagd herumreitet, fängt sie erst an, sich zu erheben. Nirgends, in keinem Punkt, treffen ihre Gewohnheiten, ihre Neigungen, ihre Zeiteinteilung zusammen; eigentlich machen Marie Antoinette und Ludwig XVI. einen Großteil ihres Lebens vie à part, wie sie (zum Leidwesen Maria Theresias) fast immer lit à part machen.

Eine schlechte, eine zanksüchtige, gereizte, eine mühsam zusammengehaltene Ehe also? Durchaus nicht! Im Gegenteil, eine durchaus gemütliche, zufriedene Ehe und wäre das anfängliche Versagen der Männlichkeit mit den bekannten peinlichen Auswirkungen nicht, sogar eine völlig glückliche. Denn damit Spannungen entstehen, bedarf es beiderseits einer gewissen Kraft, Wille muß sich gegen Willen stemmen, hart gegen hart. Diese beiden aber, Marie Antoinette und Ludwig XVI. weichen jeder Reibung und Spannung aus, er aus körperlicher, sie aus seelischer Lässigkeit. »Mein Geschmack ist nicht derselbe wie der des Königs,« plaudert Marie Antoinette locker in einem Briefe aus, »er interessiert sich für nichts als die Jagd und mechanische Arbeit ... Sie werden mir zugeben, daß meine Stellung in einer Schmiede nicht eben von besonderer Grazie wäre: ich wäre dort nicht Vulkan, und die Rolle der Venus würde meinem Gatten vielleicht noch mehr mißfallen als meine andern Neigungen.« Ludwig XVI. wieder findet die ganze wirbelige, geräuschvolle Art ihrer Vergnügungen gar nicht nach seinem Sinn, aber der schlaffe Mann hat weder Willen noch Kraft, energisch einzuschreiten; gutmütig lächelt er zu ihren Maßlosigkeiten und ist im Grunde Stolz, eine so vielbewunderte, scharmante Frau zu haben. Soweit sein mattes Gefühl sich einer Schwingung überhaupt fähig erweist, ist dieser biedere Mann auf seine Art – also schwerfällig und redlich – seiner schönen und ihm an Verstand überlegenen Frau völlig willenshörig zugetan, er drückt sich, seiner Minderwertigkeit bewußt, zur Seite, um ihr nicht im Licht zu stehen. Sie wiederum lächelt ein wenig über den bequemen Ehegatten, aber ohne Bosheit, denn auch sie hat ihn in einer gewissen nachsichtigen Weise gern, etwa wie einen großen zottigen Bernhardiner, den man ab und zu krault und streichelt, weil er niemals knurrt und murrt und gehorsam zärtlich dem kleinsten Wink gehorcht: auf die Dauer kann sie dem guten Dickfell nicht böse sein, schon aus Dankbarkeit nicht. Denn er läßt sie schalten und walten nach ihrer Laune, zieht sich zartfühlend zurück, wo er sich nicht erwünscht fühlt, betritt nie unangemeldet ihr Zimmer, ein idealer Gatte, der trotz seiner Sparsamkeit ihre Schulden immer wieder zahlt und ihr alles gestattet, am Ende sogar ihren Liebhaber. Je länger Marie Antoinette mit Ludwig XVI. zusammenlebt, um so mehr gewinnt sie Achtung vor seinem hinter aller Schwäche hochehrenwerten Charakter. Aus der diplomatisch gekuppelten Ehe wird allmählich eine wirkliche Kameradschaft, ein gutes herzliches Beisammensein, ein herzlicheres jedenfalls als in den meisten fürstlichen Ehen jener Zeit.

Nur Liebe, dies große und heilige Wort, läßt man besser bei diesem Anlaß aus dem Spiel. Zu rechter Liebe fehlt diesem unmännlichen Ludwig die Energie des Herzens; Marie Antoinettes Neigung für ihn enthält anderseits zu viel Mitleid, zu viel Herablassung, zu viel Nachsicht, als daß dieses laue Gemisch noch Liebe genannt werden dürfte. Körperlich konnte und mußte sich diese Feinnervige und Zarte aus Pflichtgefühl und Staatsräson ihrem Gatten ergeben, aber anzunehmen, daß dieser behäbige, bequeme, gefühlsfaule Mann, dieser Falstaff, in dieser muntern Frau Flut erotische Spannungen erweckt oder befriedigt hätte, wäre einfach sinnlos. »Liebe hat sie gar keine für ihn«, meldet klipp und klar, in ruhiger sachlicher Feststellung Joseph II. von seinem Pariser Besuch nach Wien, und wenn sie ihrerseits ihrer Mutter schreibt, von den drei Brüdern sei ihr derjenige noch immer der liebste, den ihr Gott als Ehegemahl bescherte, so sagt dieses »noch«, dieses verräterisch in die Zeilen geschlüpfte »noch«, mehr als sie bewußt ausdrücken wollte, etwa: da ich keinen bessern Mann bekommen konnte, ist dieser anständige brave Gatte »noch« immer der annehmbarste Ersatz. In diesem einen Wort mißt sich die ganze laue Temperierung ihrer Beziehung. Nun wäre Maria Theresia schließlich – sie hört von ihrer andern Tochter aus Parma viel schlimmere Dinge – mit dieser elastischen Eheauffassung zufrieden, zeigte Marie Antoinette nur etwas mehr Verstellungskunst und seelischen Takt in ihrem Verhalten, verstünde sie bloß besser vor andern zu verbergen, daß sie ihren königlichen Gemahl männlich als Null, als quantité négligeable betrachtet! Aber Marie Antoinette – und dies verzeiht ihr Maria Theresia nicht – vergißt die Form zu wahren und damit die Ehre ihres Gatten; glücklicherweise ist es die Mutter, die rechtzeitig eines dieser leichtfertigen Worte auffängt. Einer ihrer Staatsfreunde, Graf Rosenberg, war nach Versailles zu Besuch gekommen, Marie Antoinette hat den feinen alten galanten Herrn liebgewonnen und so viel Vertrauen zu ihm, daß sie ihm nach Wien einen muntern Plauderbrief schreibt, in dem sie erzählt, wie sie heimlich ihren Mann zum Narren gehalten, als der Herzog von Choiseul bei ihr Audienz erbat. »Sie werden mir gern glauben, daß ich ihn nicht gesehen habe, ohne den König zu verständigen. Aber Sie werden nicht ahnen können, welche Geschicklichkeit ich eingesetzt habe, um nicht den Anschein zu erwecken, eine Erlaubnis zu erbitten. Ich sagte, daß ich Herrn von Choiseul gern sehen möchte und nur mit der Wahl des Tages noch nicht im reinen wäre, und das machte ich so gut, daß der arme Mann (»le pauvre homme«) selbst die bequemste Stunde ausfindig machte, wo ich ihn sehen konnte. Meiner Meinung nach habe ich bei dieser Sache nur mein Recht als Frau weidlich genutzt.« Ganz locker fließt Marie Antoinette das Wort »pauvre homme« aus der Feder, sorglos siegelt sie den Brief, denn sie glaubt doch nur eine lustige Anekdote erzählt zu haben, und die Bezeichnung »pauvre homme« bedeutet in der Sprache ihres Herzens ganz ehrlich gutmütig: der »arme gute Kerl«. Aber in Wien liest man dieses Mischwort aus Sympathie, Mitleid und Verächtlichkeit anders. Maria Theresia erkennt sofort, welche gefährliche Taktlosigkeit darin liegt, wenn die Königin von Frankreich in einem Privatbrief den König von Frankreich, den obersten Herrn der Christenheit, öffentlich einen »pauvre homme« nennt, wenn sie nicht einmal den Monarchen in ihrem Gatten achtet und ehrt. In welchem Ton muß dieser Windkopf sich erst mündlich bei den Gartenfesten und Redouten mit seinen Lamballes und Polignacs, mit den jungen Kavalieren über den Gebieter Frankreichs mokieren! Sofort wird strenge Beratung in Wien gehalten und ein derartig energischer Brief an Marie Antoinette geschrieben, daß jahrzehntelang das kaiserliche Archiv seine Veröffentlichung nicht erlaubte. »Ich kann Dir nicht verschweigen,« rüffelt die alte Kaiserin die pflichtvergessene Tochter, »daß Dein Brief an Grafen Rosenberg mich auf das äußerste bestürzt hat. Was für eine Ausdrucksform, was für ein Leichtsinn! Wo ist das so gute, so weiche, so hingebungsvolle Herz der Erzherzogin Marie Antoinette? Ich sehe dort nur Intrige, kleinlichen Haß, Spott und Hämischkeit; eine Intrige, in der eine Pompadour, eine Dubarry hätte ihre Rolle spielen können, aber nicht eine Prinzessin, und zwar eine große Prinzessin aus dem Hause Habsburg-Lothringen voll Güte und Takt. Immer hat mich Dein rascher Erfolg und alles, was Dich umschmeichelt, seit diesem Winter, in dem Du Dich in die Vergnügungen und lächerlichen Moden und Aufmachungen geworfen hast, erzittern lassen. Diese Hetzjagd von Vergnügen zu Vergnügen ohne den König, obwohl Du weißt, daß es ihn nicht freut und daß er nur aus reiner Nachgiebigkeit Dich begleitet oder sie duldet, all das ließ mich in meinen früheren Briefen meine berechtigte Unruhe äußern. Ich sehe sie durch diesen Brief nur bestätigt. Was für eine Sprache! »Le pauvre homme!« Wo ist der Respekt und die Dankbarkeit für all sein Entgegenkommen? Ich überlasse Dich darüber Deinem eigenen Nachdenken und sage nicht mehr, obwohl noch viel zu sagen wäre ... Aber wenn ich weiterhin noch derartige Ungehörigkeiten bemerke, werde ich nicht schweigen können, weil ich Dich zu sehr liebe, und ich sehe solche leider noch mehr als jemals voraus, weil ich Dich so leichtfertig, so heftig und so ohne jede Überlegung weiß. Dein Glück kann nur zu rasch enden und Dich durch Dein eigenes Verschulden ins größte Unglück stürzen, und dies alles nur infolge jener furchtbaren Vergnügungssucht, die Dir keine ernste Beschäftigung gönnt. Was für Bücher liest Du denn? Und dann wagst Du Dich in alles einzumengen, in die wichtigsten Affären und in die Wahl der Minister? ... Es scheint, daß der Abbé und Mercy Dir unangenehm geworden sind, weil sie nicht diese niedrigen Schmeichler nachahmen und weil sie Dich glücklich machen wollen und nicht bloß amüsieren und von Deiner Schwäche Nutzen ziehen. Eines Tages wirst Du das einsehen, aber zu spät. Ich hoffe, diesen Augenblick nicht erleben zu müssen, und bitte Gott, so rasch als möglich meine Tage zu beschließen, weil ich Dir nicht mehr nützlich sein kann, weil ich es nicht ertragen könnte, mein Kind zu verlieren und unglücklich zu sehen, das ich zärtlich bis zu meinem letzten Augenblick lieben werde.«

 

Übertreibt sie nicht, malt sie nicht zu früh den Teufel an die Wand wegen dieses einen, doch nur übermütig gemeinten Spaßworts »pauvre homme«? Aber Maria Theresia geht es in diesem Falle nicht um das zufällige Wort, sondern um ein Symptom. Diese Äußerung hellt ihr blitzartig auf, wie wenig Respekt Ludwig XVI. in der eigenen Ehe genießt und wie wenig im ganzen Hofkreise. Ihre Seele wird unruhig. Wenn in einem Staate Mißachtung des Monarchen bereits die festesten Tragbalken, die eigene Familie, unterhöhlt, wie sollen dann die andern Stützen und Pfeiler im Sturme aufrecht bleiben? Wie soll eine bedrohte Monarchie bestehen ohne Monarchen, ein Thron unter bloßen Statisten, die den Königsgedanken weder im Blute, noch im Hirn, noch im Herzen fühlen? Ein Schwächling und eine Mondäne, zu zaghaft denkend der eine, zu unbedacht die andere, wie sollen diese Leichtfertigen ihre Dynastie behaupten gegen eine drohend gesammelte Zeit? Sie ist in Wahrheit gar nicht zornig gegen ihre Tochter, die alte Kaiserin, sie ist nur besorgt um sie.

Und wirklich, wie auch diesen beiden zürnen, wie sie verurteilen? Selbst dem Konvent, ihrem Ankläger, ist es bitter schwer geworden, diesen »armen Mann« als Tyrannen und Bösewicht anzusprechen; im tiefsten Grunde war kein Gran Bösartigkeit in diesen beiden und, wie meist in mittleren Naturen, keine Härte, keine Grausamkeit, nicht einmal Ehrsucht und grobe Eitelkeit. Jedoch, leider, auch ihre Vorzüge kommen über bürgerlichen Mittel wuchs nicht hinaus: honette Gutmütigkeit, lockere Nachsicht, temperiertes Wohlwollen. In eine Zeit geraten, so mittelmäßig wie sie selber, hätten sie in Ehren bestanden und leidlich gute Figur gemacht. Aber einer dramatisch gesteigerten Epoche durch innere Mitverwandlung eine gleiche Erhobenheit des Herzens entgegenzuhalten, haben weder Marie Antoinette noch Ludwig gewußt; sie verstanden noch eher, anständig zu sterben, als stark und heroisch zu leben. Jeden erreicht immer nur das Schicksal, dessen er nicht Herr zu werden versteht – in allem Unterliegen ist ein Sinn und eine Schuld. Im Falle Marie Antoinettes und Ludwigs XVI. hat Goethe sie richterlich weise gemessen: 

Warum denn wie mit einem Besen
Wird so ein König hinausgekehrt?
Wärens Könige gewesen,
Sie ständen alle noch unversehrt.

 

Königin des Rokoko

 

Im Augenblick, da Marie Antoinette, die Tochter seiner alten Gegnerin Maria Theresia, den französischen Thron besteigt, wird Friedrich der Große, der Erbfeind Österreichs, unruhig. Brief auf Brief sendet er an den preußischen Gesandten, er möge sorgfältig ihren politischen Plänen nachspüren. In der Tat, die Gefahr ist für ihn groß. Marie Antoinette brauchte nur zu wollen, sich ein ganz klein wenig zu bemühen, und alle Fäden der französischen Diplomatie liefen einzig durch ihre Hand, Europa wäre von drei Frauen beherrscht, von Maria Theresia, Marie Antoinette und Katharina von Rußland. Aber zum Glück für Preußen, zum Verhängnis für sich selbst, fühlt sich Marie Antoinette nicht im mindesten von der großartigen, der welthistorischen Aufgabe angezogen, sie denkt nicht daran, die Zeit zu verstehen, sondern einzig, sich die Zeit zu vertreiben, lässig greift sie nach der Krone wie nach einem Spielzeug. Statt die ihr zugefallene Macht zu nutzen, will sie sie bloß genießen.

Dies war der verhängnisvolle Fehler Marie Antoinettes von allem Anbeginn: sie wollte als Frau siegen statt als Königin, ihre kleinen weiblichen Triumphe zählten ihr mehr als die großen und weithinreichenden der Weltgeschichte, und weil ihr verspieltes Herz der königlichen Idee keinen seelischen Inhalt zu geben wußte, sondern nur eine vollendete Form, schrumpfte ihr unter den Händen eine große Aufgabe in ein vergängliches Spiel, ein hohes Amt in eine schauspielerische Rolle. Königin sein, heißt für Marie Antoinette fünfzehn leichtsinnige Jahre lang ausschließlich: als die eleganteste, die koketteste, die bestangezogene, verwöhnteste und vor allem die vergnügteste Frau eines Hofes bewundert zu werden, der arbiter elegantiarum, die tonangebende Mondäne jener vornehm überzüchteten Gesellschaftswelt zu sein, die sich selbst für die Welt hält. Zwanzig Jahre lang spielt sie auf ihrer Privatbühne von Versailles, die wie ein japanischer Blumensteig über einen Abgrund gebaut ist, selbstverliebt die Primadonnenrolle der vollkommenen Rokokokönigin mit Stil und Anmut. Aber wie arm bleibt das Repertoire dieser Gesellschaftskomödie: ein paar kleine flüchtige Koketterieen, ein paar dünne Intrigen, sehr wenig Geist und sehr viel Tanz. Bei diesen Spielen und Spielereien hat sie keinen rechten Partner als König zur Seite, keinen wahrhaften Helden als Gegenspieler und eine immer gleiche, gelangweilt snobistische Zuschauerschaft, indes außerhalb der vergoldeten Gittertore ein Millionenvolk auf seine Herrscherin harrt. Aber die Verblendete läßt nicht von der Rolle, sie wird nicht müde, immer mit neuen Nichtigkeiten ihr törichtes Herz zu betören; selbst als von Paris her schon der Donner über die Gärten von Versailles drohend heranrollt, läßt sie nicht ab. Erst da sie die Revolution gewaltsam von dieser winzigen Rokokobühne auf die große und tragische der Weltgeschichte reißt, erkennt sie den ungeheuren Irrtum, daß sie zwanzig Jahre lang eine zu geringe Rolle gewählt, die der Soubrette, die der Salondame, indes das Schicksal ihr Kraft und Seelenstärke für eine heldische verliehen hatte. Spät erkennt sie diesen Irrtum und doch nicht zu spät. Denn gerade in dem Augenblick, da sie die Rolle der Königin nicht mehr zu leben und nur noch zu sterben hat, im tragischen Nachspiel der Schäferkomödie, erreicht sie ihr wirkliches Maß. Erst als das Spiel Ernst wird und man ihr die Krone nimmt, wird Marie Antoinette wirklich vom Herzen her Königin.

 

Diese Gedanken- oder vielmehr Gedankenlosigkeitsschuld Marie Antoinettes, daß sie fast zwanzig Jahre lang das Wesenhafte dem Nichtigen aufopfert, die Pflicht dem Genuß, das Schwere dem Leichten, Frankreich dem kleinen Versailles, die wirkliche Welt ihrer Spielwelt, – diese historische Schuld ist beinahe unfaßbar. Um sie in ihrer Sinnlosigkeit sinnlich zu begreifen, nimmt man am besten zur Probe eine Karte Frankreichs zur Hand und zeichnet sich dort den winzigen Lebensraum nach, innerhalb dessen Marie Antoinette die zwanzig Jahre ihrer Regierung verbrachte. Das Ergebnis ist verblüffend. Denn dieser Kreis ist so klein, daß er auf einer mittleren Karte fast zum Pünktchen wird. Zwischen Versailles, Trianon, Marly, Fontainebleau, Saint-Cloud, Rambouillet, sechs Schlössern innerhalb eines lächerlichen Raumes weniger Wegstunden, rollt der goldene Kreisel ihrer betriebsamen Langeweile unablässig hin und her. Nicht ein einziges Mal hat, räumlich so wenig wie geistig, Marie Antoinette das Bedürfnis empfunden, dieses Pentagramm zu überschreiten, in dem sie der dümmste aller Teufel, der Vergnügungsteufel, eingeschlossen hielt. Nicht ein einziges Mal in fast einem Fünftteil eines Jahrhunderts hat die Herrscherin Frankreichs dem Wunsch Folge geleistet, ihr eigenes Reich kennen zu lernen, die Provinzen, deren Königin sie ist, zu sehen, das Meer, das die Küsten umspült, die Berge, Festungen, Städte und Kathedralen, das breite und vielfältige Land. Nicht ein einziges Mal stiehlt sie ihrem Müßiggang eine Stunde Zeit, einen ihrer Untertanen zu besuchen oder auch nur an sie zu denken, nicht ein einziges Mal betritt sie ein bürgerliches Haus: all diese wahrhafte Welt außerhalb ihres Adelskreises war faktisch für sie nicht vorhanden. Daß sich rund um das Opernhaus von Paris eine riesige Stadt dehnt, dicht gefüllt mit Armut und Unmut, daß hinter den Teichen von Trianon mit den chinesischen Enten und wohlgefütterten Schwänen und Pfauen, hinter dem sauber und schmuck von Hofarchitekten entworfenen Paradedorf, dem Hameau, die wirklichen Bauernhäuser verfallen und die Scheunen leer stehen, daß hinter den vergoldeten Gittern ihrer Parks ein Millionenvolk arbeitet, hungert und hofft, hat Marie Antoinette nie gewußt. Vielleicht konnte dem Rokoko nur jenes Nichtwissen und Nichtwissenwollen um alle Tragik und Trübe der Welt jene bezaubernde Grazie, jene leichte, sorglose Anmut geben; nur wer den Ernst der Welt nicht kennt, kann ja so selig spielen. Aber eine Königin, die ihr Volk vergißt, wagt hohes Spiel. Eine Frage hätte Marie Antoinette die Welt aufgetan, aber sie wollte nicht fragen. Ein Blick in die Zeit, und sie hätte begriffen, aber sie wollte nicht begreifen. Sie wollte in ihrem Abseits heiter, jung und unbehelligt bleiben. Von einem Irrlicht geführt, geht sie unablässig im Kreise und versäumt mit ihren Hofmarionetten und inmitten einer künstlichen Kultur die entscheidenden und nicht wieder einzuholenden Jahre ihres Lebens.

 

Das ist ihre Schuld, ihre unleugbare: mit einem Leichtsinn ohnegleichen hingetreten zu sein vor die gewaltigste Aufgabe der Geschichte, mit einem weichen Herzen in die härteste Auseinandersetzung des Jahrhunderts. Eine unleugbare Schuld und doch eine läßliche, weil begreiflich durch ein Maß der Versuchung, der auch ein stärkerer Charakter kaum hätte widerstehen können. Aus der Kinderstube ins Ehebett geholt, aus den Hinterzimmern eines Palastes über Nacht zur höchsten Macht gleichsam noch träumend gerufen, noch nicht fertig, noch nicht geistig erweckt, fühlt sich diese arglose, nicht sonderlich starke, nicht sonderlich wache Seele plötzlich sonnenhaft umkreist von einem Planetentanz der Bewunderung; und wie schurkisch gut ist dies Geschlecht des Dix-huitième geübt, eine junge Frau zu verführen! Wie durchtrieben geschult in der Giftmischerei feiner Schmeicheleien, wie erfinderisch in der Fertigkeit, mit Nichtigkeiten zu entzücken, wie meisterlich in der hohen Schule der Galanterie und der phäakischen Kunst, das Leben leicht zu nehmen! Erfahren und übererfahren in allen Verlockungen und Schwächungen der Seele, ziehen die Höflinge dieses unerfahrene, dieses auf sich selbst noch neugierige Mädchenherz gleich von Anfang an in ihren zauberischen Kreis. Seit dem ersten Tage ihres Königinnentums schwebt Marie Antoinette in einer Weihrauchwolke maßloser Vergötterung. Was sie sagt, gilt als klug, was sie tut, als Gesetz, was sie wünscht, wird erfüllt. Sie hat eine Laune, und morgen schon ist sie Mode. Sie macht eine Torheit, und ein ganzer Hof ahmt sie begeistert nach. Ihre Nähe ist Sonne für diese eitle, ehrgeizige Schar, ihr Blick ein Geschenk, ihr Lächeln Beglückung, ihr Kommen ein Fest; wenn sie Empfang hält, machen alle Damen, die ältesten wie die jüngsten, die vornehmsten wie die eben zum Hofe zugelassenen, die krampfhaftesten, die heitersten, die lächerlichsten, die läppischsten Anstrengungen, um Gottes willen nur für eine Sekunde ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, eine Artigkeit zu erhaschen, ein Wort, und wenn nicht dies, so doch wenigstens bemerkt und nicht übersehen zu werden. Auf den Straßen wiederum jubelt ihr das Volk, zu Scharen gereiht, gläubig entgegen, im Theater erhebt sich vom ersten Platz bis zum letzten die versammelte Zuhörerschaft, und wenn sie an den Spiegeln vorbeischreitet, sieht sie darin, herrlich gekleidet und vom eigenen Triumph beschwingt, eine junge hübsche Frau, sorglos und glücklich, so schön wie die schönsten am Hofe und somit auch – sie verwechselt ja diesen Hof mit der Welt – die schönste auf Erden. Wie mit einem kindischen Herzen, wie mit einer mittleren Kraft sich wehren gegen einen so betäubenden Rauschtrunk des Glücks, der aus allen scharfen und süßen Essenzen des Gefühls gemischt ist, aus dem Aufblick der Männer, dem bewundernden Neid der Frauen, der Hingabe des Volkes, aus dem eigenen Stolz? Wie nicht leichtsinnig werden, da alles so leicht ist? Da das Geld herschwebt auf immer neuen papiernen Zetteln und ein Wort, das eine Wort »payez«, flüchtig auf ein Blatt geschrieben, Dukaten tausendweise herrollt und kostbare Steine, Gärten und Schlösser hervorzaubert? Da die linde Luft des Glückes so süß und locker alle Nerven entspannt? Wie nicht sorglos und leichtherzig werden, wenn sich solche Schwingen vom Himmel her an die jungen leuchtenden Schultern heften? Wie nicht den Boden verlieren unter den Füßen, wenn einen solche Verführung entführt?

Diese Leichtfertigkeit der Lebensauffassung, von dem Aspekt der Geschichte aus gesehen zweifellos ihre Schuld, war zugleich Schuld ihrer ganzen Generation: gerade durch ihr völliges Eingehen auf den Geist ihrer Zeit ist Marie Antoinette die typische Vertreterin des Dix-huitième geworden. Das Rokoko, diese überzüchtete und zarteste Blüte uralter Kultur, das Jahrhundert der feinen und müßigen Hände, des verspielten und verzärtelten Geistes, wollte, ehe es unterging, sich darstellen in einer Gestalt. Kein König, kein Mann hätte nun dies Jahrhundert der Dame im Bilderbuch der Geschichte repräsentieren können, – nur in der Figur einer Frau, einer Königin konnte es sich sinnlich abbilden, und diese Königin des Rokoko ist Marie Antoinette vorbildlich gewesen. Von den Sorglosen die sorgloseste, von den Verschwendern die verschwenderischste, unter den galanten und koketten Frauen die zierlich galanteste, die bewußt koketteste, hat sie die Sitten und die künstlerische Lebensform des Dix-huitième in ihrer eigenen Person geradezu dokumentarisch deutlich und unvergeßlich zum Ausdruck gebracht. »Es ist unmöglich,« sagt Madame de Staël von ihr, »mehr Grazie und Güte in die Höflichkeit zu legen. Sie besitzt eine gewisse Art der Umgänglichkeit, die ihr nie erlaubt zu vergessen, daß sie Königin ist, und immer so tut, als ob sie es vergäße.« Marie Antoinette spielte mit ihrem Leben wie auf einem sehr zarten und zerbrechlichen Instrument. Statt menschlich groß für alle Zeiten wurde sie so charakteristisch für ihre Zeit; und während sie ihre innere Kraft sinnlos versäumte, hat sie doch einen Sinn erfüllt: in ihr vollendet sich das Dix-huitième, mit ihr geht es zu Ende.

 

Was ist die erste Sorge einer Rokokokönigin, wenn sie morgens in ihrem Schloß von Versailles erwacht? Die Berichte aus der Stadt, aus dem Staat? Die Briefe der Gesandten, ob die Armeen gesiegt haben, ob man den Krieg an England erklärt? Keineswegs. Marie Antoinette ist wie gewöhnlich erst um vier oder um fünf Uhr morgens heimgekehrt –, sie hat nur wenige Stunden geschlafen, ihre Unruhe braucht nicht viel Ruhe; mit wichtiger Zeremonie beginnt jetzt der Tag. Die Oberzofe, der die Garderobe untersteht, tritt mit einigen Hemden, Taschentüchern und Handtüchern zur Morgentoilette ein, ihr zur Seite die erste Kammerfrau. Diese verbeugt sich und reicht einen Folianten zur Ansicht, in dem mit Stecknadeln kleine Stoffmuster aller in der Garderobe vorhandenen Toiletten eingeheftet sind. Marie Antoinette hat sich zu entscheiden, welche Roben sie heute anzuziehen wünscht: welche schwierige, verantwortungsreiche Wahl, denn für jede Saison sind zwölf neue Staatskleider, zwölf Phantasiekleider, zwölf Zeremonieenkleider vorgeschrieben, die hundert andern gar nicht zu zählen, die alljährlich neu angeschafft werden (man erdenke die Schmach, eine Königin der Mode würde etwa dieselben Roben mehrmals tragen)! Dazu die Morgenröcke, die Leibchen, die Spitzentücher und Fichus, die Hauben, Mäntel, Gürtel, Handschuhe, Strümpfe und Unterkleider aus dem unsichtbaren Arsenal, das ein Heer von Schneiderinnen und Garderobefrauen beschäftigt. Die Wahl dauert gewöhnlich lange: schließlich werden mit Stecknadeln die Proben der Toiletten bezeichnet, welche Marie Antoinette für heute wünscht, das Staatskleid für den Empfang, das Deshabillé für den Nachmittag, das große Kleid für den Abend. Die erste Sorge ist erledigt, und das Buch mit den Stoffproben wird hinaus-, die gewählten Roben werden im Original hereingebracht.

Kein Wunder, daß bei solcher Wichtigkeit der Toilette die oberste Modistin, die göttliche Mademoiselle Bertin, mehr Macht über Marie Antoinette bekommt als alle Staatsminister, diese doch dutzendweise ersetzbar, jene einzig und unvergleichlich. Von Herkunft zwar nur eine gewöhnliche Putzmacherin aus der untersten Volksklasse, derb, selbstbewußt, ellbogenkräftig und eher ordinär als von feinen Manieren, hält diese Meisterin der haute couture die Königin vollkommen in ihrem Bann. Um ihretwillen wird achtzehn Jahre vor der eigentlichen Revolution eine Palastrevolution in Versailles angezettelt: Mademoiselle Bertin sprengt die Vorschrift der Etikette, die einer Bürgerlichen den Eintritt in die petits cabinets der Königin versagt; diese Künstlerin in ihrem Fach erreicht, was Voltaire und allen Dichtern und Malern der Zeit nie gelang: von der Königin allein empfangen zu werden. Wenn sie zweimal in der Woche mit ihren neuen Dessins erscheint, verläßt Marie Antoinette ihre adeligen Hofdamen und begibt sich zu geheimer Beratung mit der verehrten Künstlerin in verschlossene Privatgemächer, um mit ihr eine neue, noch närrischere Mode als die gestrige loszulassen. Selbstverständlich münzt die geschäftstüchtige Modistin einen solchen Triumph weidlich für ihre Kasse aus. Nachdem sie Marie Antoinette selbst zu dem kostspieligsten Aufwand verleitet, brandschatzt sie den ganzen Hof und Adel: mit Riesenlettern läßt sie über ihrem Geschäft in der Rue Saint-Honoré ihren Titel als Hoflieferantin der Königin anbringen und erklärt hochfahrend nachlässig ihren Kunden, die sie warten läßt: »Ich habe eben mit Ihrer Majestät zusammen gearbeitet.« Bald steht ihr ein ganzes Regiment von Schneiderinnen und Stickerinnen zu Diensten, denn je eleganter sich die Königin trägt, um so ungestümer bemühen sich die andern Damen, nicht zurückzustehen. Manche bestechen mit schweren Goldstücken die ungetreue Zauberin, ihnen ein Modell zu schneidern, das die Königin selbst noch nicht getragen hat: wie eine Krankheit greift der Toilettenluxus um sich. Die Unruhen im Lande, die Auseinandersetzungen mit dem Parlament, der Krieg mit England erregen bei weitem nicht so sehr diese eitle Hofgesellschaft wie das neue Flohbraun, das Mademoiselle Bertin in Mode bringt, oder eine besonders kühn geschweifte Turnüre des Reifrockes oder eine in Lyon zum erstenmal erzeugte Seidennuance. Jede Dame, die auf sich hält, fühlt sich verpflichtet, den Affentanz der Übertreibungen Schritt für Schritt mitzumachen, und seufzend klagt ein Gatte: »Niemals haben die Frauen in Frankreich so viel Geld ausgegeben, um sich lächerlich zu machen.«

Aber in dieser Sphäre die Königin zu sein, empfindet Marie Antoinette als ihre ureigene Pflicht. Nach einem Vierteljahr Regierung ist die kleine Prinzessin schon zur Modepuppe der eleganten Welt aufgestiegen, zum Modell aller Kostüme und Frisuren; durch alle Salons, durch alle Höfe rauscht ihr Triumph. Freilich auch bis nach Wien, und von dort kommt unfrohes Echo. Maria Theresia, die für ihr Kind würdigere Aufgaben wollte, schickt dem Botschafter ärgerlich ein Bild zurück, das ihr die Tochter modisch aufgeputzt und in übertriebenem Prunke zeigt, es sei das Bild einer Schauspielerin und nicht einer Königin von Frankreich. Ärgerlich mahnt sie die Tochter, freilich wie immer vergeblich: »Du weißt, daß ich stets der Meinung war, man müsse die Moden maßvoll befolgen, aber sie niemals übertreiben. Eine junge hübsche Frau, eine Königin voll Anmut hat allen diesen Unsinn nicht nötig, im Gegenteil, Einfachheit der Kleidung steht ihr besser an und ist dem Rang einer Königin würdiger. Da sie den Ton angibt, wird sich die ganze Welt bemühen, ihr selbst auf ihren kleinen Fehltritten zu folgen. Aber ich, die ich meine kleine Königin liebe und sie Schritt für Schritt beobachte, darf nicht zögern, sie auf diese kleine Leichtfertigkeit aufmerksam zu machen.«

 

Zweite Sorge jedes Morgens: die Frisur. Glücklicherweise ist auch hier ein hoher Künstler zur Stelle, Herr Léonard, der unerschöpfliche und unübertreffliche Figaro des Rokoko. Als großer Herr fährt er sechsspännig jeden Morgen von Paris nach Versailles, um mit Kamm, Haarwässern und Salben seine edle und täglich neue Kunst an der Königin zu erproben. Wie Mansart, der große Architekt, auf die Häuser die nach ihm benannten kunstvollen Dächer, so baut Herr Léonard über der Stirn jeder Frau von Rang, die auf sich hält, ganze Türme von Haaren auf und modelliert das hochgesträubte Gebilde zu symbolischen Ornamenten. Mit riesigen Haarnadeln und kräftiger Verwendung von starrer Pomade werden zunächst die Haare von der Wurzel her über der Stirn kerzengerade aufgebäumt, etwa doppelt so hoch wie eine preußische Grenadiermütze, dann erst im luftigen Raum, einen halben Meter über der Augenhöhe beginnt das eigentliche plastische Reich des Künstlers. Nicht nur ganze Landschaften und Panoramen mit Früchten, Gärten, Häusern und Schiffen, mit bewegtem Meer, eine farbige Allerweltsschau wird auf diesen »Poufs« oder »Quäsacos« (so heißen sie nach einem Pamphlet von Beaumarchais) mit dem Kamm modelliert, sondern um die Mode recht abwechslungsreich zu machen, bilden diese Plastiken jederzeit das Geschehnis des Tages symbolisch nach. Alles, was diese Kolibrigehirne beschäftigt, was diese meist hohlen Frauenköpfe füllt, muß auf dem Kopfe affichiert werden. Erregt die Oper Glucks Aufsehen, sofort erfindet Léonard eine Coiffure à la Iphigénie mit schwarzen Trauerbändern und dem Halbmond der Diana. Wird der König gegen die Pocken geimpft, prompt erscheint dieses aufregende Tagesereignis als »Poufs de l'inoculation«. Kommt der amerikanische Aufstand in die Mode, gleich wird die Freiheitscoiffure die Siegerin des Tages, aber noch niederträchtiger und dümmer: als die Bäckerläden von Paris während der Hungersnot geplündert werden, weiß diese frivole Hofgesellschaft nichts Wichtigeres, als das Ereignis in den »Bonnets de la révolte« zur Schau zu tragen. Diese Kunstbauten über leeren Köpfen übersteigern sich immer toller. Allmählich werden die Haartürme, dank massigerer Unterlagen und künstlicher Strähnen so hoch, daß die Damen damit nicht mehr in ihren Karossen sitzen können, sondern mit aufgehobenen Röcken knieen müssen, sonst würde das kostbare Haargebäude an die Wagendecke stoßen; die Türrahmen im Schloß werden höher geschnitten, damit die Damen in großer Toilette sich nicht immer beim Durchschreiten zu bücken brauchen, die Decken in den Theaterlogen werden aufgewölbt. Welche besonderen Peinlichkeiten diese überirdischen Schöpfe gar den Liebhabern dieser Damen bereiten, darüber findet man mancherlei Ergötzliches in den zeitgenössischen Satiren. Aber wenn es eine Mode gilt, sind Frauen bekanntlich zu jedem Opfer bereit, und die Königin ihrerseits bildet sich offenbar ein, nicht wirklich die Königin zu sein, wenn sie nicht alle diese Tollheiten anführte oder überböte.

Und wieder grollt das Echo aus Wien: »Ich kann nicht umhin, einen Punkt zu berühren, den ich in den Zeitungen so oft wiederholt finde, nämlich Deine Frisuren! Man sagt, daß sie von der Wurzel des Haares sechsunddreißig Zoll hoch sind und darüber noch Federn und Bänder haben.« Ausflüchtend antwortet die Tochter der chère Maman, hier in Versailles seien die Augen schon so sehr daran gewöhnt, daß die ganze Welt – mit Welt meint Marie Antoinette immer nur die hundert Edeldamen des Hofes – nichts Auffälliges daran fände. Und Meister Léonard baut munter weiter und weiter, bis es dem allmächtigen Herrn beliebt, der Mode Einhalt zu gebieten, und im nächsten Jahr werden die Türme abgetragen, freilich nur um einer noch kostspieligeren Mode, jener der Straußfedern, Platz zu machen.

 

Dritte Sorge: Kann man immer andersartig angezogen sein, ohne den entsprechenden Schmuck? Nein, eine Königin braucht größere Diamanten, dickere Perlen als alle andern. Sie braucht mehr Ringe und Reifen und Armbänder und Diademe und Haarketten und Edelsteine, mehr Schuhspangen oder Diamanteinfassungen für die von Fragonard gemalten Fächer als die Frauen der jüngeren Brüder des Königs, als alle andern Damen des Hofes. Zwar hat sie schon von Wien reichlich Diamanten mitbekommen und von Ludwig XV. zur Hochzeit eine ganze Kassette mit Familienschmuck. Aber wozu wäre man Königin, wenn nicht, um immer neue, schönere und kostbarere Steine zu kaufen? Marie Antoinette, jeder weiß dies in Versailles – und es wird sich bald zeigen, daß es nicht gut tut, wenn jeder davon redet und raunt, – ist vernarrt in Schmuck. Nie kann sie widerstehen, wenn diese geschickten und geschmeidigen Juweliere, diese aus Deutschland zugewanderten Juden Böhmer und Bassenge ihr auf samtenen Platten ihre neuesten Kunstwerke zeigen, zauberhafte Ohr- und Fingerringe und Schließen. Außerdem machen diese braven Männer ihr den Kauf niemals schwer. Sie wissen eine Königin von Frankreich zu ehren, indem sie ihr zwar doppelte Preise anrechnen, aber Kredit gewähren und ihr allenfalls die alten Diamanten zur Hälfte des Wertes in Abzug bringen; ohne das Herabwürdigende solcher Wuchergeschäfte zu bemerken, macht Marie Antoinette nach allen Seiten hin Schulden – im Notfall, sie weiß es, springt der sparsame Gatte ein.

Jetzt aber kommt schon härter die Mahnung aus Wien: »Alle Nachrichten aus Paris stimmen darin überein, daß Du abermals Dir Braceletts für zweihundertfünfzigtausend Livres gekauft und damit Deine Einkünfte in Unordnung und Dich in Schulden gebracht hast und daß Du sogar, um dem zu steuern, um einen geringen Preis Deine Diamanten verkaufst ... Solche Mitteilungen zerreißen mein Herz, insbesondere wenn ich an die Zukunft denke. Wann wirst Du Du selbst werden?« ruft ihr die Mutter verzweifelt zu. »Eine Herrscherin erniedrigt sich, wenn sie sich so herausputzt, und sie erniedrigt sich noch mehr, wenn sie gerade in einer solchen Zeit es bis zu solchen Ausgaben treibt. Ich kenne nur zu sehr diesen Geist der Verschwendung und kann nicht darüber schweigen, weil ich Dich um Deinetwillen liebe und nicht um Dir zu schmeicheln. Gib acht, nicht durch solche Frivolitäten das Ansehen zu verlieren, das Du im Anfang der Regierung gewonnen hast. Man weiß allgemein, daß der König sehr bescheiden ist, so fiele alle Schuld einzig auf Dich. Eine solche Veränderung, einen solchen Umsturz wünsche ich nicht zu erleben.«

 

Diamanten kosten Geld, Toiletten kosten Geld, und obwohl gleich nach dem Regierungsantritt der gutmütige Gatte seiner Frau die Apanage verdoppelt hat, diese reich gefüllte Schatulle muß doch irgendein Loch haben, denn immer herrscht dort erschreckende Ebbe.

Wie also Geld beschaffen? Für die Leichtsinnigen hat glücklicherweise der Teufel ein Paradies erfunden: das Spiel. Vor Marie Antoinette galt das Spiel am Königshofe noch als unschuldige Abendunterhaltung etwa wie Billard oder Tanz: man spielte das ungefährliche Lansquenet mit kleinen Einsätzen. Marie Antoinette entdeckt sich und den andern das berüchtigte Pharao, das wir von Casanova als das erlesene Jagdfeld aller Gauner und Schwindler kennen. Daß ein ausdrücklich erneuter Befehl des Königs jedes Hasard unter Strafe gesetzt hat, ist ihren Kumpanen gleichgültig: zu den Salons der Königin hat die Polizei keinen Zutritt. Und daß er selbst diese mit Gold beschwerten Spieltische nicht dulden will, kümmert diese frivole Bande keinen Pfifferling: man spielt eben hinter seinem Rücken weiter, und die Türsteher haben Auftrag, falls der König kommt, sofort Alarm zu geben. Dann verschwinden wie weggezaubert die Karten unter dem Tisch, es wird nur noch geplaudert, alles lacht über den braven Biedermann, und die Partie geht weiter. Zur Belebung des Geschäfts und zur Steigerung des Umsatzes gewährt die Königin jedem Beliebigen, der Geld in die Bude bringt, Zutritt zu ihrem grünen Tisch; Schlepper und Schieber drängen sich heran, es dauert nicht lange, und man spricht in der Stadt die Schande herum, daß in der Gesellschaft der Königin falsch gespielt werde. Nur eine weiß nichts davon, weil sie, in ihrem Vergnügen verblendet, nichts wissen will, Marie Antoinette. Wo sie einmal in Schwung und Feuer ist, kann niemand sie halten, sie spielt Tag für Tag bis drei, bis vier, bis fünf Uhr morgens, einmal sogar zum Skandal des Hofs die ganze Nacht vor Allerheiligen durch.

Und wieder das Echo aus Wien: »Das Spiel ist zweifellos eine der allergefährlichsten Vergnügungen, denn es zieht schlechte Gesellschaft und üble Rede heran ... Es fesselt zu sehr durch die Leidenschaft, zu gewinnen, und wenn man richtig rechnet, ist man dabei doch der Genarrte, denn auf die Dauer kann man, wenn man anständig spielt, nicht gewinnen. So bitte ich Dich, meine geliebte Tochter: keine Nachgiebigkeit, man muß sich mit einem Ruck von einer solchen Leidenschaft losreißen.«

 

Aber Kleider, Putz und Spiel, das beschäftigt nur den halben Tag, die halbe Nacht. Eine andere Sorge macht mit dem Uhrzeiger den doppelten Stundenkreis: Wie amüsiert man sich? Man reitet aus, man jagt, uraltes fürstliches Vergnügen: allerdings begleitet man dabei, er ist ja so sterbenslangweilig, selten den eigenen Gatten, sondern wählt lieber den muntern Schwager d'Artois und andere Kavaliere. Manchmal reitet man auch zum Spaß auf Eseln, das ist zwar nicht so vornehm, aber man kann, wenn ein solcher grauer Bursche bockt, auf die bezauberndste Weise herunterfallen und dem Hof die Spitzendessous und wohlgeformten Beine einer Königin zeigen. Im Winter fährt man, warm eingepackt, im Schlitten spazieren, im Sommer belustigt man sich abends an Feuerwerken und ländlichen Bällen, an kleinen Nachtkonzerten im Park. Ein paar Schritte von der Terrasse hinab, und man ist mit seiner auserlesenen Gesellschaft ganz vom Dunkel geschützt und kann dort munter plaudern und spaßen – in allen Ehren natürlich, aber doch spielen mit der Gefahr wie mit allen andern Dingen des Lebens. Daß dann irgendein boshafter Höfling eine Broschüre in Versen schreibt über die nächtlichen Abenteuer einer Königin »Le lever de l'aurore«: was hat das weiter auf sich? – der König, der nachsichtige Gatte, gerät durch derlei Nadelstiche nicht in Harnisch, und man hat sich gut unterhalten. Nur nicht allein sein, nur keinen Abend zu Hause, mit einem Buch, mit dem eigenen Mann, nur immer munteres Treiben und Getriebensein. Wo eine neue Mode in Schwung kommt, ist Marie Antoinette die erste, ihr zu huldigen; kaum bringt der Graf von Artois – seine einzige Leistung für Frankreich – die Pferderennen von England herüber, schon sieht man die Königin auf der Tribüne, von Dutzenden junger anglomaner Gecken umringt, wettend, spielend und von dieser neuartigen Nervenspannung leidenschaftlich erregt. Gewöhnlich hält allerdings dieses Strohfeuer ihrer Begeisterungen nicht lange an, meist langweilt sie schon morgen, was sie gestern noch entzückte; nur steter Wechsel im Vergnügen kann ihre nervöse Unrast, die, es ist kein Zweifel, durch jenes Geheimnis des Alkovens begründet ist, überspielen. Die liebsten unter hundert wechselnden Unterhaltungen, die einzigen, in die sie dauernd vernarrt bleibt, sind allerdings auch die für ihren Ruf gefährlichsten: die Maskenredouten. Sie werden Marie Antoinettes dauernde Leidenschaft, denn da kann sie doppelt genießen, die Lust, Königin zu sein, und die zweite, dank der dunklen Samtmaske nicht mehr als Königin erkennbar, sich bis an den Rand zärtlicher Abenteuer zu wagen, nicht also nur wie am Spieltisch bloß Geld einzusetzen, sondern sich selber als Frau. Verkleidet als Artemis oder in kokettem Domino, kann man von der eiskalten Höhe der Etikette hinabsteigen in das fremde, warme Menschengewühl, den Atem der Zärtlichkeit, die Nähe der Verführung, das Schon-halb-Hinabgleiten in die Gefahr bis ins Mark schauernd spüren, man kann sich einen eleganten jungen, einen englischen Gentleman unter dem Schutz der Larve für eine halbe Stunde an den Arm nehmen oder dem bezaubernden schwedischen Kavalier, Hans Axel von Fersen, durch ein paar kühne Worte zeigen, wie sehr er der Frau gefällt, die leider, ach leider, als Königin zur Tugend gewaltsam gezwungen ist. Daß dann diese kleinen Späße, vom Gerede in Versailles sofort grob erotisiert, sich in allen Salons herumsprechen, daß, als einmal ein Rad der Hofkarosse unterwegs bricht und Marie Antoinette für zwanzig Schritte einen Mietfiaker nimmt, um zum Opernhaus zu fahren, die Berichte in den geheimen Journalen diese Torheiten zu frivolen Abenteuern umlügen, das weiß Marie Antoinette nicht, oder sie will es nicht wissen. Vergebens mahnt die Mutter: »Wäre es noch in der Gesellschaft des Königs, so würde ich schweigen, aber immer ohne ihn und immer mit dem schlechtesten und jüngsten Volk von Paris, und dabei die bezaubernde Königin die Älteste unter der ganzen Bande. Die Zeitungen, die Blätter, die früher mir Wohltat bedeuteten, weil sie die Großmut und Herzensgüte meiner Tochter rühmten, sind mit einmal verwandelt. Man hört nichts als von Pferderennen, Hasardspielen und durchwachten Nächten, so daß ich sie gar nicht mehr sehen will; aber dennoch, ich kann nichts daran ändern, daß alle Welt, die meine Liebe und Zärtlichkeit zu meinen Kindern kennt, davon spricht und erzählt. Oft vermeide ich sogar in Gesellschaft zu gehen, damit ich nichts davon höre.«

Aber alle Vorstellungen haben keine Gewalt über die Unverständige, die schon so weit ist, nicht mehr zu verstehen, daß man sie nicht versteht. Warum denn nicht das Leben genießen, es hat doch keinen andern Sinn. Und mit erschütternder Offenheit antwortet sie auf die mütterlichen Mahnungen dem Botschafter Mercy: »Was will sie? Ich habe Angst, mich zu langweilen.«

 

»Ich habe Angst, mich zu langweilen«: mit diesem Wort hat Marie Antoinette das Stichwort der Zeit und ihrer ganzen Gesellschaft ausgesprochen. Das achtzehnte Jahrhundert ist an seinem Ende, es hat seinen Sinn erfüllt. Das Reich ist gegründet, Versailles ist erbaut, die Etikette vollendet, nun hat der Hof eigentlich nichts mehr zu tun; die Marschälle sind, da kein Krieg ist, bloße Haubenstöcke in Uniformen geworden, die Bischöfe, da dieses Geschlecht nicht mehr an Gott glaubt, galante Herren in violetten Soutanen, die Königin, da sie keinen wahren König zur Seite und keinen Thronfolger zu erziehen hat, eine muntere Mondäne. Gelangweilt und verständnislos stehen sie alle vor der mächtig anströmenden Zeit; mit neugierigen Händen greifen sie manchmal hinein, sich ein paar glitzernde Steinchen zu holen; lachend wie die Kinder spielen sie, weil es ihnen so leicht um die Finger sprüht, mit dem ungeheuren Element. Aber keiner spürt das rasche und raschere Steigen der Flut; und als sie endlich der Gefahr gewahr werden, ist die Flucht schon vergebens, das Spiel bereits verloren, das Leben vertan.

 

Trianon

 

Mit ihrer leichten, tändelnden Hand faßt Marie Antoinette die Krone als ein unvermutetes Geschenk; noch ist sie zu jung, um zu wissen, daß das Leben nichts umsonst gibt und allem, was man vom Schicksal empfängt, geheim ein Preis eingezeichnet ist. Diesen Preis denkt Marie Antoinette nicht zu bezahlen. Sie nimmt nur die Rechte der königlichen Stellung und bleibt die Pflichten schuldig. Sie möchte zwei Dinge vereinigen, die menschlich nicht zu verbinden sind: sie möchte herrschen und dabei genießen. Sie möchte als Königin, daß alles ihren Wünschen dient, und selbst jeder Laune unbehelligt nachgeben; sie will die Machtfülle der Herrscherin und die Freiheit der Frau, doppelt also, zwiefach gesteigert ihr junges stürmisches Leben genießen.

Aber in Versailles ist Freiheit nicht möglich. Zwischen diesen erhellten Spiegelgalerieen bleibt kein Schritt verborgen. Jede Bewegung wird reglementiert, jedes Wort von verräterischem Wind weitergetragen. Hier gibt es kein Alleinsein und kein Zuzweitsein, kein Ausruhen und kein Entspannen, der König ist Mittelpunkt einer riesigen Stundenuhr, die unerbittlich regelmäßig weiterschreitet, jeder einzelne Lebensakt von der Geburt bis zum Tod, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, die Liebesstunde selbst, verwandelt sich in einen Staatsakt. Der Herrscher, dem alles gehört, gehört hier allen und nicht sich selbst. Marie Antoinette aber haßt jede Kontrolle; so verlangt sie von ihrem immer willfährigen Gatten, kaum daß sie Königin wird, einen Schlupfwinkel, wo sie nicht Königin sein muß. Und Ludwig XVI., halb schwach, halb galant, schenkt ihr als Morgengabe das Sommerschlößchen Trianon, ein zweites winziges, aber ureigenes Reich zu dem mächtigen Reiche Frankreich.

 

An sich ist es kein großes Geschenk, das Marie Antoinette von ihrem Gatten mit Trianon empfängt, nur ein Spielzeug, das ihre Unbeschäftigtheit mehr als ein Jahrzehnt lang entzücken und festhalten soll. Von seinem Erbauer war dies kleine Schlößchen niemals als ständiger Aufenthaltsort für eine königliche Familie gedacht, sondern nur als maison de plaisir, als buen retiro, als Absteigequartier, und in diesem Sinne eines unbelauschten Liebesnestes hat es Ludwig XV. mit seiner Dubarry und andern Gelegenheitsdamen reichlich benützt. Ein tüchtiger Mechaniker hatte für die galanten Soupers einen versenkbaren Tisch erfunden, so daß die angerichteten Gedecke höchst diskret aus den unterirdischen Küchenräumen in den Speisesaal emporstiegen und kein Diener die Tafelszenen belauschen konnte: für diese Steigerung der erotischen Behaglichkeit erhielt der treffliche Leporello eine besondere Belohnung von zwölftausend Livres zu den siebenhundertsechsunddreißigtausend, die das ganze Lusthaus der Staatskasse gekostet hatte. Noch schwül von zärtlichen Szenen, wird dies abseitige Schlößchen im Park von Versailles von Marie Antoinette übernommen. Nun hat sie ihr Spielzeug, und zwar eines der bezauberndsten, das französischer Geschmack je erfunden hat, zart in den Linien, vollendet in den Maßen, ein rechtes Schmuckkästchen für eine elegante und junge Königin. In einfacher, leicht antikisierender Architektur gebaut, weiß leuchtend im holden Grün der Gärten, völlig abseits und Versailles doch nah, ist dieses Palais einer Favoritin und nun einer Königin nicht größer als ein Einfamilienhaus von heute und kaum bequemer oder luxuriöser: sieben oder acht Räume im ganzen, ein Vorzimmer, ein Speisezimmer, ein kleiner, ein großer Salon, ein Schlafzimmer, ein Bad, eine Miniaturbibliothek (lucus a non lucendo, denn nach einhelligem Zeugnis hat Marie Antoinette in ihrem ganzen Leben nie ein Buch aufgeschlagen, außer ein paar flüchtig angeblätterten Romanen). Innerhalb dieses kleinen Schlößchens verändert die Königin in all den Jahren nicht viel an der Einrichtung, sie bringt mit sicherm Geschmack nichts Prunkvolles, nichts Pompöses, nichts Grob-Kostbares in diese ganz auf intime Wirkung gestellten Räume; im Gegenteil, sie stellt alles auf das Zarte, Helle und Zurückhaltende ein, auf jenen neuen Stil, den man ebenso zu Unrecht Louis Seize nennt wie Amerika nach Amerigo Vespucci. Nach ihr, nach dieser zarten, beweglichen, eleganten Frau müßte er genannt werden, Stil Marie Antoinette, denn nichts an diesen fragil anmutigen Formen erinnert an den feisten massiven Mann, Ludwig XVI., und seinen groben Geschmack, sondern alles an die leichte, anmutige Frauengestalt, deren Bildnis noch heute diese Räume schmückt; einheitlich vom Bett bis zur Puderdose, vom Clavecin bis zum Elfenbeinfächer, von der Chaiselongue bis zur Miniatur, nur das erlesenste Material in den unauffälligsten Formen nutzend, scheinbar zerbrechlich und doch dauerhaft, antike Linien und französische Anmut vereinend, kündigt dieser uns heute noch verständliche Stil wie keiner vordem die sieghafte Herrschaft der Dame, der kultivierten, geschmackvollen Frau in Frankreich an und ersetzt das Dramatisch-Pompöse des Louis Quinze und Louis Quatorze durch Intimität und Musikalität. Der Salon, in dem man plaudert und sich lockerzärtlich unterhält, wird damit anstatt der hochmütig hallenden Repräsentationsräume Mittelpunkt des Hauses; geschnitzte und vergoldete Holzverkleidung ersetzt den schroffen Marmor, nachgiebig glitzernde Seide den drückenden Samt, den schweren Brokat. Die blassen und zärtlichen Farben, das matte Creme, das Pfirsichrosa, das Frühlingsblau treten ihre linde Herrschaft an: auf Frauen und Frühling ist diese Kunst gestellt, auf Fêtes galantes und sorgloses Sichzusammenfinden; nicht Großartigkeit ist hier herausfordernd angestrebt, nicht das theatralisch Imposante, sondern das Unaufdringliche und Gedämpfte, nicht die Macht der Königin soll hier betont, sondern die Anmut der jungen Frau von allen Gegenständen, die sie umgeben, zärtlich erwidert werden. Erst innerhalb dieses kostbaren und koketten Rahmens haben die zierlichen Statuetten Clodions, die Gemälde Watteaus und Paters, die silberne Musik Boccherinis und all die andern erlesenen Schöpfungen des Dix-huitième ihr wahres und richtiges Maß; diese unvergleichliche Spielkunst seliger Sorglosigkeit knapp vor der großen Sorge wirkt nirgends so berechtigt und echt. Für immer bleibt Trianon das feinste, zarteste und doch unzerbrechliche Gefäß dieser hochgezüchteten Blüte: hier hat sich die Kultur des raffinierten Genießens vollkommen als Kunst gebildet in einem Haus, einer Gestalt. Und Zenit und Nadir des Rokoko, gleichzeitig Blüte- und Sterbestunde, sie liest man noch heute am besten von der kleinen Pendeluhr auf dem Marmorkamin in den Räumen Marie Antoinettes ab.

 

Eine Miniatur- und Spielwelt, dieses Trianon: es wirkt symbolisch, daß man von seinen Fenstern keinen Blick ins Lebendige hinein hat, nicht auf die Stadt, nicht nach Paris, nicht in das Land. In zehn Minuten sind seine wenigen Klafter durchschritten, und doch war dieser winzige Raum Marie Antoinette wichtiger und lebensbedeutsamer als ganz Frankreich mit seinen zwanzig Millionen Untertanen. Denn hier fühlte sie sich niemandem verpflichtet, nicht der Zeremonie, der Etikette und kaum der Sitte. Um deutlich kundzutun, daß auf diesen wenigen Schollen Erde nur sie und niemand anders gebiete, erläßt sie, sehr zum Ärger des Hofs, der das Salische Gesetz streng achtet, statt im Namen ihres Gatten in ihrem eigenen, »de par la reine«, alle Verordnungen; die Bedienten tragen nicht die königliche Livree rot-weiß-blau, sondern die ihre, rot-silber. Sogar der eigene Gemahl erscheint hier nur als Gast – ein sehr taktvoller und bequemer übrigens, der nie ungeladen oder zu ungelegener Zeit erscheint, sondern streng das Hausrecht seiner Gattin achtet. Aber der einfache Mann kommt gern, weil es hier gemütlicher zugeht als im großen Schloß; »par ordre de la reine« ist hier jede Strenge und Gespreiztheit aufgehoben, man hält nicht Hof, sondern sitzt ohne Hut mit lockern leichten Kleidern im Grünen, die Rangordnungen verschwinden im fröhlichen Beisammensein, alle Steifheit, manchmal allerdings auch die Würde. Hier fühlt sich die Königin wohl, und bald hat sie sich derart an diese aufgelockerte Lebensform gewöhnt, daß es ihr abends immer schwer fällt, nach Versailles zurückzukehren. Immer fremder wird ihr, nachdem sie diese ländliche Freiheit einmal ausgeprobt, der Hof, immer langweiliger werden die Repräsentationspflichten und wahrscheinlich auch die ehelichen, immer häufiger zieht sie sich tagsüber in ihren lustigen Taubenschlag zurück. Am liebsten bliebe sie ständig in ihrem Trianon. Und da Marie Antoinette immer das tut, was sie will, übersiedelt sie tatsächlich ganz in ihr Sommerpalais. Ein Schlafzimmer wird eingerichtet, allerdings eines mit einem einschläfrigen Bett, in dem der umfängliche König kaum Platz gefunden hätte. Wie alles andere unterliegt von nun ab auch die eheliche Intimität nicht mehr dem Wunsch des Königs, sondern, wie die Königin von Saba Salomon, so besucht Marie Antoinette gerade nur, wenn es ihr beliebt (und die Mutter zu heftig gegen das »lit à part« zetert), den braven Gemahl. In ihrem Bette ist er nicht ein einzigesmal zu Gast, denn Trianon ist für Marie Antoinette das selig unberührte Reich, einzig Cytheren, einzig dem Vergnügen geweiht, und ihren Vergnügungen hat sie niemals die Pflichten, am wenigsten die ehelichen, beigezählt. Hier will sie unbehindert sich selber leben, nichts als die verwöhnte, verehrte und maßlose junge Frau sein, die über tausend müßigen Geschäftigkeiten alles vergißt, das Reich, den Gatten, den Hof, die Zeit und die Welt und manchmal, – es sind vielleicht die seligsten Minuten, – sogar sich selbst.

 

Mit Trianon hat diese unbeschäftigte Seele endlich eine Beschäftigung, ein immer wieder sich erneuerndes Spielzeug. Wie bei der Putzmacherin Kleid auf Kleid, wie beim Hofjuwelier immer andern Schmuck, so hat Marie Antoinette für den Aufputz ihres Reiches immer Neues zu bestellen; neben der Putzmacherin, neben dem Juwelier, dem Ballettmeister, dem Musiklehrer und Tanzmeister füllen jetzt der Architekt, der Gartenkünstler, der Maler, der Dekorateur, alle diese neuen Minister ihres Miniaturkönigreichs, ihr die lange, ach so schrecklich lange Zeit aus und leeren gleichzeitig aufs kräftigste den Säckel des Staates. Die Hauptsorge Marie Antoinettes gilt ihrem Garten, denn selbstverständlich darf er in nichts dem historischen von Versailles gleichen, er muß der modernste, der modischste, der eigenartigste, der koketteste der ganzen Zeit werden, ein echter und rechter Rokokogarten. Abermals folgt, bewußt oder unbewußt, Marie Antoinette mit diesem Wunsch dem veränderten Geschmacksgefühl ihrer Zeit. Denn man ist müde geworden der von dem Gartengeneral Lenôtre wie mit dem Lineal gezogenen Wiesenflächen, der wie mit dem Rasiermesser geschnittenen Hecken, seiner am Zeichentisch kalt errechneten Ornamente, die prahlerisch zeigen sollten, Ludwig der Sonnenkönig habe nicht nur das Reich, den Adel, die Stände, die Nation in eine von ihm angeforderte Form gezwungen, sondern auch die Landschaft Gottes. Man hat sich satt gesehen an dieser grünen Geometrie, man ist müde dieser »Massakrierung der Natur«; wie für das ganze kulturelle Mißbehagen der Zeit findet auch hier wieder der Außenseiter der »Gesellschaft«, Jean Jacques Rousseau, das erlösende Wort, indem er in seiner »Neuen Heloïse« einen »Naturpark« fordert.

Nun hat zweifellos Marie Antoinette nie die »Neue Heloïse« gelesen, Jean Jacques Rousseau kennt sie bestenfalls als Komponisten der musikalischen Bluette »Le devin du village«. Aber die Anschauungen Jean Jacques Rousseaus schweben damals in der Luft. Marquisen und Herzoge bekommen feuchte Augen, spricht man ihnen von diesem edlen Anwalt der Unschuld (im Privatleben homo perversissimus). Sie sind ihm dankbar, denn er hat ihnen nach allen den vielen aufpeitschenden Mitteln noch glücklich einen letzten Reiz erfunden: das Spiel mit der Naivität, die Perversion der Unschuld, das Maskenkleid der Natürlichkeit. Selbstverständlich will jetzt auch Marie Antoinette einen »natürlichen« Garten, eine unschuldige Landschaft, und zwar den natürlichsten aller neumodisch natürlichen Gärten. Und so ruft sie die besten, die raffiniertesten Künstler der Zeit zusammen, damit sie ihr auf die allerkünstlichste Weise den allernatürlichsten Garten ausklügeln.

Denn – Mode der Zeit! – man will in diesem »anglochinesischen Garten« nicht nur die Natur, sondern die ganze Natur darstellen, in dem Mikrokosmos von ein paar Quadratkilometern den kompletten Kosmos in spielzeughafter Verkürzung. Alles soll auf diesem winzigen Fleck beisammen sein, französische, indische, afrikanische Bäume, holländische Tulpen, südländische Magnolien, ein Teich und ein Flüßchen, ein Berg und eine Grotte, eine romantische Ruine und ländliche Häuser, griechische Tempel und orientalische Prospekte, holländische Windmühlen, Nord und Süd, West und Ost, das Natürlichste und das Absonderlichste, alles künstlich und alles denkbarst echt; sogar einen feuerspeienden Vulkan und eine chinesische Pagode will ursprünglich der Architekt in diese Handbreit Erde hineinstilisieren, glücklicherweise erweist sich sein Voranschlag als zu teuer. Von der Ungeduld der Königin getrieben, beginnen Hunderte von Arbeitern nach den Plänen der Baumeister und Maler, eine möglichst malerische, eine bewußt lockere und natürlich aufgemachte Landschaft in die wirkliche rasch hineinzuzaubern. Zunächst wird ein leise und lyrisch murmelndes Bächlein, unentbehrliches Zubehör jeder echten Schäferidylle, zwischen die Wiesen gelegt; zwar muß man das Wasser mit zweitausend Fuß langen Röhren von Marly herüberführen, und es rinnt gleichzeitig viel Geld in diesen Röhren mit, aber: Hauptsache, sein mäandrischer Lauf sieht lieblich und natürlich aus. Leise plätschernd mündet der Bach in den künstlichen Teich mit der künstlich erhobenen Insel, gefällig beugt er sich unter die zierlichen Brücken, anmutig trägt er den schimmernden Flaum der weißen Schwäne. Wie aus anakreontischen Versen stammt der Fels mit seinem künstlichen Moos, seiner künstlich verdeckten Liebesgrotte und dem romantischen Belvedere; nichts läßt ahnen, daß diese so rührend naive Landschaft auf zahllosen kolorierten Blättern vorgezeichnet war, daß von der ganzen Anlage zwanzig Gipsmodelle hergestellt wurden, in denen der Teich und das Bächlein durch ausgeschnittene Spiegelstücke, die Wiesen und Bäume wie im Krippenspielzeug durch gestopftes und bemaltes Moos ausgespart waren. Aber weiter und weiter! Jedes Jahr hat die Königin ein neues Gelüst, immer ausgesuchtere und natürlichere Anlagen sollen ihr Reich verschönern, sie will nicht warten, bis die alten Rechnungen bezahlt sind; jetzt hat sie ihr Spiel und will es weiter spielen. Wie zufällig hingestreut und doch genau vorausberechnet von ihrem romantischen Architekten, ordnen sich kleine Kostbarkeiten in den Garten ein, um seine Lieblichkeit zu mehren. Ein Tempelchen, dem Gotte jener Zeit geweiht, der Liebestempel, steigt auf einem kleinen Hügel empor, seine offene antike Rotunde zeigt eine der schönsten Plastiken Bouchardons, einen Amor, der aus der Keule des Herkules sich seinen weithintreffenden Bogen schnitzt. Eine Grotte, die Liebesgrotte, wird so geschickt in den Felsen gehauen, daß ein dort tändelndes Paar rechtzeitig die Nahenden bemerken und sich nicht bei seiner Zärtlichkeit ertappen lassen muß. Durch das Wäldchen werden verschlungene Wege geführt, die Wiesen mit seltenen Blumenarten durchstickt, bald leuchtet auch durch das hüllende Grün ein kleiner Musikpavillon, weißschimmerndes Oktogon, und all dies so geschmackvoll nebeneinander und ineinander sich lösend, daß man tatsächlich das künstlich Gewollte in dieser Anmut nicht mehr spürt.

Aber die Mode will noch mehr Echtheit. Um die Natur noch durchtriebener zu vernatürlichen, den Kulissen das Raffinierteste an Lebenswahrheit aufzuschminken, werden in diese kostspieligste Schäferkomödie aller Zeiten zur Erhöhung des Echtheitsschwindels richtige Figuranten herangeholt: echte Bauern und echte Bäuerinnen, echte Kuhmägde mit echten Kühen, Kälbern, Schweinen, Kaninchen und Schafen, echte Mäher, Schnitter und Schäfer, Jäger, Wäscher und Käser, damit sie mähen und waschen und düngen und melken, damit das Marionettenspiel sich unablässig munter bewege. Ein neuer, ein tieferer Griff in die Kasse, und auf Marie Antoinettes Befehl wird neben Trianon ein lebensgroßes Puppentheater für diese verspielten Kinder aus der Schachtel geholt, mit Ställen, Schobern und Scheunen, mit Taubenschlägen und Hühnersteigen, das berühmte Hameau. Der große Architekt Mique und der Maler Hubert Robert zeichnen, entwerfen, bauen acht genau den landläufigen nachgebildete Bauernhöfe mit strohgedeckten Dächern, mit Hühnerhof und Düngerhaufen. Damit diese funkelnagelneuen Attrappen inmitten dieser teuer aufgebauten Natur um Himmels willen doch nicht unecht wirken, ahmt man äußerlich sogar die Armut und die Verfallenheit wirklicher Elendshütten nach. Mit dem Hammer werden Sprünge in die Mauer geschlagen, man läßt den Kalk romantisch abbröckeln, reißt ein paar Schindeln wieder ab; Hubert Robert tüncht künstliche Risse in das Holz, damit alles morsch und uralt anmute, die Schornsteine werden schwarz angeraucht. Innen werden dafür manche der scheinbar verfallenen Häuschen mit aller Bequemlichkeit ausgerüstet, mit Spiegeln und Öfen, Billards und behaglichen Kanapees. Denn wenn die Königin sich einmal langweilt und Lust hat, Jean Jacques Rousseau zu spielen, etwa mit ihren Hofdamen eigenhändig Butter anzufertigen, so darf sie sich keinesfalls dabei die Finger beschmutzen. Wenn sie ihre Kühe Brunette und Blanchette im Stall besucht, wird selbstverständlich von unsichtbarer Hand zuvor der Fußboden wie ein Parkett geputzt, das Fell blütenweiß und mahagonibraun gestriegelt und nicht in groben Bauernkübeln, sondern in eigens von der Fabrik in Sèvres gefertigten und mit ihrem Monogramm versehenen Porzellanvasen die schäumende Milch serviert. Dieses Hameau, heute lieblich durch seinen Verfall, war für Marie Antoinette Theater am lichten Tag, eine leichte, gerade in ihrer Leichtfertigkeit fast aufreizende Comédie champêtre. Denn während in ganz Frankreich sich schon die Bauern zusammenrotten, während das wirkliche, von Steuern erdrückte Landvolk mit maßloser Erregung endlich Besserung der unhaltbaren Lage aufrührerisch verlangt, herrscht in diesem Potemkinschen Kulissendörfchen ein läppisches und lügnerisches Wohlbehagen. Am blauen Bändchen werden Schafe auf die Weide geführt, unter dem von der Hofdame getragenen Sonnenschirm schaut die Königin zu, wie an dem murmelnden Bach die Wäscherinnen das Linnen spülen: ach, sie ist so herrlich, diese Einfachheit, so moralisch und so bequem, alles sauber und reizend in dieser paradiesischen Welt, so hell und klar hier das Leben wie die Milch, die aus den Eutern der Kühe hervorsprudelt. Man zieht Kleider an aus dünnem Musselin, ländlich einfache (und läßt sich darin für ein paar tausend Livres malen); man ergibt sich unschuldigen Vergnügungen, man huldigt dem »goût de la nature« mit der ganzen Frivolität der Übersättigung. Man fischt, man pflückt Blumen, man promeniert – sehr selten allein – durch die verschlungenen Wege, man läuft über Wiesen, man sieht den braven Bauernstatisten bei der Arbeit zu, man spielt Fangball, man tanzt Menuett und Gavotte über Blumen statt auf den glatten Fliesen, man hängt Schaukeln zwischen die Bäume, man baut ein chinesisches Ringspiel auf, man verliert und man begegnet sich zwischen den Häuschen und Schattengängen, man reitet und amüsiert sich und läßt sich Theater vorspielen inmitten dieses natürlichen Theaters, und schließlich spielt man es den andern vor.

Diese Leidenschaft ist die zuletzt von der Königin Marie Antoinette entdeckte. Ursprünglich läßt sie sich ein kleines, heute noch erhaltenes und in seinen zierlichen Verhältnissen entzückendes Privattheaterchen bauen die Laune kostet nur 141 000 Livres – um darin die italienischen und französischen Komödianten auftreten zu lassen, dann aber tut sie plötzlich, kühn entschlossen, selbst den Sprung auf die Bühne. Das lustige Völkchen um sie begeistert sich gleichfalls für das Theaterspielen, ihr Schwager, der Graf von Artois, die Polignac und ihre Kavaliere machen gerne mit, ein paarmal kommt sogar der König herüber, um seine Frau als Actrice zu bewundern, und so dauert der fröhliche Karneval in Trianon das ganze Jahr. Feste gibt es bald zu Ehren des Gatten, des Bruders, bald für fremde fürstliche Gäste, denen Marie Antoinette ihr Zauberreich zeigen will, Feste, bei denen tausende kleine versteckte Lichtflammen von farbigen Gläsern gespiegelt wie Amethyste, Rubine und Topase aus dem Dunkel flimmern, indes prasselnde Feuergarben den Himmel durchschneiden und Musik von unsichtbarer Nähe sich süß vernehmbar macht. Bankette mit Hunderten von Gedecken werden aufgestellt, Jahrmarktsbuden zu Spaß und Tanz gebaut, die Unschuldslandschaft dient gehorsam dem Luxus als raffinierter Hintergrund. Nein, man langweilt sich nicht in der »Natur«. Marie Antoinette hat sich nicht nach Trianon zurückgezogen, um nachdenklich zu werden, sondern um besser und ungehemmter sich zu unterhalten.

 

Die abschließende Rechnung für Trianon ist erst am 31. August 1791 vorgelegt worden, sie betrug 1 649 529 Livres und in Wirklichkeit zusammen mit andern versteckten Einzelposten über zwei Millionen, – an sich freilich nur ein Tropfen im Danaidenfaß der königlichen Mißwirtschaft, aber doch eine übermäßige Ausgabe in Anbetracht der zerrütteten Finanzen und des allgemeinen Elends. Vor dem Revolutionstribunal wird die »Witwe Capet« selber zugeben müssen: »Es ist möglich, daß das kleine Trianon riesige Summen gekostet hat und vielleicht mehr, als ich selber wünschte. Man wurde nach und nach in die Ausgaben hineingezogen.« Aber auch im politischen Sinne ist der Königin ihre Laune teuer zu stehen gekommen. Denn indem sie die ganze Höflingskamarilla unbeschäftigt in Versailles zurückläßt, nimmt sie dem Hof seinen Lebenssinn. Die Dame, die ihr die Handschuhe zu reichen hat, jene, die ihr den Nachtstuhl ehrfürchtig hinschiebt, die Ehrendamen und Ehrenkavaliere, die tausend Garden, Diener und Schranzen, was sollen sie nun anfangen ohne ihr Amt? Unbeschäftigt sitzen sie tagsüber im Œil de Bœuf, und so wie eine Maschine, wenn sie nicht arbeitet, vom Rost angefressen wird, so durchsetzt sich dieser gleichgültig zurückgelassene Hof immer gefährlicher mit Galle und Gift. Bald kommt es so weit, daß die vornehme Gesellschaft in geheimem Einverständnis die Feste bei Hof meidet: möge sich die hochmütige »Österreicherin« in ihrem »petit Schönbrunn«, ihrem »petite Vienne« allein unterhalten; für bloß flüchtig-kühles Kopfnicken beim Empfang ist sich dieser Adel, der ebenso alt ist wie der habsburgische, doch zu gut. Immer offener wird die Fronde der französischen Hocharistokratie gegen die Königin, seit sie Versailles verlassen hat, und der Herzog von Lévis schildert sehr anschaulich die Situation: »In den Jahren der Unterhaltung und der Leichtfertigkeit, im Rausche der höchsten Macht liebte es die Königin nicht, sich Zwang anzutun. Die Etikette und die Zeremonieen waren für sie Anlaß zur Ungeduld und Langweile. Man bewies ihr, daß in einem so aufgeklärten Jahrhundert, da sich die Menschen von allen Vorurteilen befreiten, auch die Herrscher der unbequemen Fesseln entledigen sollten, die der Brauch ihnen auferlegte, kurz, daß es lächerlich sei zu denken, der Gehorsam der Völker hinge von der größeren oder geringeren Anzahl von Stunden ab, welche die königliche Familie im Kreise langweiliger und gelangweilter Höflinge verbrächte ... Außer einigen Begünstigten, die der Laune oder einer Intrige ihre Wahl verdankten, wurde alle Welt vom Hofe ausgeschlossen. Rang, geleistete Dienste, Ansehen, hohe Geburt waren keine Rechtsgründe mehr, um in den vertraulichen Kreis der königlichen Familie einbezogen zu werden. Nur Sonntags konnten jene, die vorgestellt worden waren, die Fürstlichkeiten während einiger Augenblicke sehen. Aber die meisten unter ihnen verloren bald den Geschmack an dieser unnötigen Plage, für die man ihnen keinerlei Dank wußte; sie erkannten ihrerseits, daß es töricht war, von so weither zu kommen, um nicht besser aufgenommen zu werden, und gaben es auf ... Versailles, der Schauplatz der Herrlichkeit Ludwigs XIV., wohin man aus allen Teilen Europas freudig gereist war, um verfeinerte Lebensform und Höflichkeit zu erlernen, war nichts mehr als eine kleine Provinzstadt, in die man sich nur noch mit Widerwillen begab und von der man sich so rasch als möglich wieder entfernte.«

Auch diese Gefahren hat Maria Theresia von ferne rechtzeitig vorausgesehen: »Ich kenne selbst die ganze Langeweile und Leere des Repräsentierens, aber glaube mir, wenn man es unterläßt, so ergeben sich daraus noch viel weiter reichende Unannehmlichkeiten als diese kleinen Lästigkeiten, insbesondere bei Euch, einer so lebhaften Nation.« Doch, wo Marie Antoinette nicht verstehen will, hat es keinen Sinn, mit ihr verständig zu sprechen. Was für Aufhebens wegen der halben Stunde, die sie von Versailles entfernt lebt! In Wirklichkeit aber hat sie durch diese zwei oder drei Meilen sich sowohl vom Hof wie vom Volke für Lebenszeit entfernt. Wäre Marie Antoinette in Versailles geblieben, inmitten des französischen Adels und der traditionellen Sitte, sie hätte in der Stunde der Gefahr die Prinzen, die Fürsten, die Adelsarmee an ihrer Seite gehabt. Hätte sie anderseits, wie ihr Bruder Joseph es versuchte, sich demokratisch dem Volke genähert, die Hunderttausende von Paris, die Millionen Frankreichs hätten sie vergöttert. Aber Marie Antoinette, absolute Individualistin, handelt weder den Aristokraten zu Gefallen noch dem Volke, sie denkt nur an sich, und durch diese eine Lieblingslaune Trianon wird sie gleich unbeliebt beim ersten, zweiten und dritten Stand; weil sie allzulange allein sein wollte in ihrem Glück, wird sie einsam sein in ihrem Unglück und ein kindisches Spielzeug mit einer Krone und einem Leben bezahlen müssen.

 

Die neue Gesellschaft

 

Kaum wohnt Marie Antoinette in ihrem muntern Haus, so beginnt schon kräftig der neue Besen zu kehren. Weg zunächst mit den alten Leuten – alte Leute sind langweilig und häßlich. Sie können nicht tanzen, sie können nicht amüsieren, immer predigen sie Vorsicht und Bedacht, und dieses ewige Zurückgehaltenwerden, Ermahntwerden hat die temperamentvolle Frau aus ihrer Kronprinzessinnenzeit gründlich satt. Fort also mit der steifen Erzieherin, der Madame Etikette, der Comtesse de Noailles: eine Königin braucht nicht erzogen zu werden, sie darf tun, was sie will! In gebührende Distanz den von der Mutter ihr mitgegebenen Beichtvater und Berater, Abbé Vermond, weg, weit weg mit allen, bei denen man sich geistig anstrengen muß! Ausschließlich Jugend heran, ein munteres Geschlecht, das nicht durch ein törichtes Ernstnehmen des Lebens Spiel und Spaß versäumt! Ob diese Amüsierkameraden von hohem Rang, von erster Familie sind und ehrenfeste untadelige Charaktere, kommt weniger in Betracht, auch sonderlich klug oder gebildet brauchen sie nicht zu sein – gebildete Leute sind pedantisch und kluge boshaft –, genug, wenn sie funkelnd geistreich sind, prickelnde Anekdoten zu erzählen wissen und bei Festen gute Figur machen. Unterhaltung, Unterhaltung, Unterhaltung, das ist die erste und einzige Forderung Marie Antoinettes an ihren engen Kreis. So umgibt sie sich »avec tout ce qui est de plus mauvais à Paris et de plus jeune«, wie Maria Theresia seufzt, mit einer »soi-disante société«, wie ihr Bruder, Joseph II., ärgerlich murrt, einem scheinbar lässigen, in Wirklichkeit aber höchst selbstsüchtigen Klüngel, der sich den leichten Dienst als maître de plaisir der Königin mit den gewichtigsten Pfründen bezahlen läßt und während des galanten Spiels heimlich die ergiebigsten Pensionen in seine Harlekinstaschen schiebt.

Ein einziger langweiliger Herr verunstaltet ab und zu flüchtig die lockere Gesellschaft. Aber man kann ihn nicht ohne Peinlichkeit wegweisen, denn – beinahe hätte man es vergessen – er ist ja der Ehegemahl dieser heitern Frau und außerdem der Herrscher Frankreichs. Rechtschaffen in seine bezaubernde Gattin verliebt, kommt Ludwig der Nachsichtige nach vorher eingeholter Erlaubnis manchmal nach Trianon hinüber, sieht zu, wie sich die jungen Leute amüsieren, versucht manchmal, schüchtern Vorhaltungen zu machen, wenn man die Grenzen der Konvention zu sorglos überwirbelt oder wenn die Ausgaben ins Blaue wachsen; aber dann lacht die Königin, und mit diesem Lachen ist alles abgetan. Auch die muntern Zaungäste haben für den König, der immer brav und gehorsam sein schön geschriebenes »Louis« unter all jene Dekrete setzt, mit denen die Königin ihnen die höchsten Ämter zuschiebt, eine Art herablassende Sympathie. Der Gute stört sie ja niemals lange, er bleibt immer eine Stunde, zwei Stunden, dann trollt er sich nach Versailles zurück zu seinen Büchern oder in seine Schlosserei. Einmal, als er zu lange herumsitzt und die Königin schon ungeduldig ist, mit ihrer muntern Gesellschaft nach Paris zu fahren, stellt sie heimlich die Pendeluhr um eine Stunde vor, und der König geht, den kleinen Betrug nicht merkend, lammfromm statt um elf um zehn Uhr ins Bett, und die ganze elegante Kanaille lacht sich die Schultern schief.

Der Begriff der königlichen Würde wird durch solche Späße freilich nicht erhöht. Aber was soll Trianon mit einem so ungeschickten, tölpeligen Mann anfangen? Er kann keine lockern Anekdoten erzählen, er versteht nicht zu lachen. Geängstigt und scheu, als wenn er Bauchweh hätte, sitzt er inmitten der heitern Gesellschaft und gähnt sich in seinen Schlaf, während die andern erst um Mitternacht richtig munter werden. Er geht auf keine Maskenbälle, er spielt nicht Hasard, er macht keiner Frau die Cour, – nein, man kann ihn nicht brauchen, diesen guten langweiligen Mann; in der Gesellschaft von Trianon, im Reich des Rokoko, in diesen arkadischen Gefilden des Leichtsinns und des Übermuts ist er fehl am Ort.

 

Der König zählt also als Teilnehmer überhaupt nicht mit in der neuen Gesellschaft. Auch sein Bruder, der Graf von Provence, der seinen Ehrgeiz hinter scheinbarer Gleichgültigkeit versteckt, findet es klüger, sich nicht durch den Umgang mit diesen jungen Laffen seine Würde zu verderben. Da jedoch irgendein männliches Mitglied des Hofes die Königin bei ihren Vergnügungen begleiten muß, übernimmt der jüngste Bruder Ludwigs XVI., der Graf von Artois, die Stelle des Schutzheiligen. Leichtköpfig, frivol, frech, aber geschmeidig und geschickt, leidet er an der gleichen Angst wie Marie Antoinette, nämlich sich zu langweilen oder mit ernsten Dingen zu beschäftigen. Frauenjäger, Schuldenmacher, amüsanter Elegant, Prahlhans, mehr frech als mutig, mehr sprühend als wirklich leidenschaftlich, führt er die muntere Truppe an, wo es einen neuen Sport, eine neue Mode, ein neues Vergnügen gibt, und hat bald mehr Schulden als der König, die Königin und der ganze Hof zusammen. Aber gerade so, wie er ist, paßt er ausgezeichnet zu Marie Antoinette. Sie achtet diesen frechen Leichtfuß nicht sehr, und noch weniger liebt sie ihn, obwohl die bösen Zungen dies rasch behaupten; er deckt ihr nur den Rücken. Bruder und Schwester in der Vergnügungswut, bilden die beiden bald ein unzertrennliches Paar.

Der Graf von Artois ist der gewählte Kommandant der Leibgarde, mit der Marie Antoinette ihre täglichen und nächtlichen Streifzüge in alle Provinzen des heiteren Müßigganges unternimmt; diese Truppe ist eigentlich klein und wechselt unablässig die führenden Chargen. Denn alle Vergehen verzeiht die nachsichtige Königin ihren Trabanten, Schulden und Anmaßung, herausforderndes und allzu kameradschaftliches Betragen, Liebschaften und Skandale – vertan aber hat jeder ihre Gunst, sobald er sie zu langweilen beginnt. Eine Zeitlang hat Baron Besenval die Oberhand, ein fünfzigjähriger Schweizer Edelmann mit der lauten Brüskheit eines alten Soldaten, dann fällt der Vorzug an den Herzog von Coigny, »un des plus constamment favorisés et le plus consultés«. Diesen beiden wird gleichzeitig mit dem ehrgeizigen Herzog von Guines und dem ungarischen Grafen Esterhazy die merkwürdige Aufgabe zugeteilt, die Königin während ihrer Rötelerkrankung zu betreuen, was bei Hofe zu der boshaften Frage Anlaß gibt, welche vier Hofdamen sich der König in der gleichen Situation auswählen würde. Ständig bewahrt seine Stellung der Graf von Vaudreuil, der Liebhaber der Favoritin Marie Antoinettes, der Gräfin Polignac; etwas mehr im Hintergrund bleibt der Klügste, der Feinste von allen, der Prinz von Ligne, der einzige, der aus seiner Stellung in Trianon keine einträgliche Staatsrente bezieht, der einzige auch, der dem Andenken seiner Königin noch als alter Mann in seinen Lebenserinnerungen Ehrfurcht bewahrt. Schwankende Sterne dieses arkadischen Himmels sind der »schöne« Dillon und der junge feurige Tollkopf, der Herzog von Lauzun, die beide der unfreiwillig jungfräulichen Königin eine Zeitlang recht gefährlich werden. Mit Mühe nur gelingt es den energischen Anstrengungen des Botschafters Mercy, diesen jungen Tollkopf abzudrängen, ehe er mehr erobert hat als ihre bloße Sympathie. Der Graf Adhémar wieder singt hübsch zur Harfe und spielt gut Theater: dies genügt, ihm den Gesandtschaftsposten in Brüssel und dann in London einzubringen. Die andern aber bleiben lieber daheim und fischen sich in dem künstlich aufgesprudelten Wasser die einträglichsten Stellen bei Hofe heraus. Keiner von diesen Kavalieren, der Prinz von Ligne ausgenommen, hat wirklichen geistigen Rang, keiner den Ehrgeiz, die Machtstellung, welche die Freundschaft der Königin bietet, im politischen Sinn großzügig zu nützen, keiner dieser Maskenhelden von Trianon ist ein wirklicher Heros der Geschichte geworden. Keinen von ihnen hat Marie Antoinette auch innerlich wirklich geachtet. Manchem hat die junge kokette Frau mehr gesellschaftliche Vertraulichkeit erlaubt, als der Stellung einer Königin geziemt hätte, aber keinem von diesen, und das ist entscheidend, hat sie sich weder seelisch noch als Frau völlig hingegeben. Der einzige von ihnen allen, er, der der einzige sein soll und wird, der einzige, der jemals und für immer ihr Herz erreicht, steht noch im Schatten verborgen. Und das bunte Treiben der Komparserie dient vielleicht nur, sein Nahen und seine Gegenwart besser zu verbergen.

 

Gefährlicher als diese unzuverlässigen und wechselnden Kavaliere werden der Königin ihre Freundinnen; hier treten geheimnisvoll vermengte Gefühlskräfte verhängnisvoll mit ins Spiel. Marie Antoinette ist charaktermäßig eine durchaus natürliche, eine sehr weibliche und weiche Frau voll Hingebungsbedürfnis und Zärtlichkeit, ein Bedürfnis, das bei dem schläfrigen, gefühlsstumpfen Gatten in diesen ersten Jahren unerwidert geblieben war. Aufrichtig geartet, möchte sie ihre seelischen Spannungen irgend jemandem anvertrauen, und da es um der Sitte willen ein Mann, ein Freund nicht oder noch nicht sein darf, sucht Marie Antoinette unwillkürlich von Anfang an nach einer Freundin.

Daß ein gewisser zärtlicher Ton in Marie Antoinettes Frauenfreundschaften mitschwingt, ist nur natürlich. Die sechzehnjährige, die siebzehnjährige, die achtzehnjährige Marie Antoinette, obwohl verheiratet oder vielmehr scheinverheiratet, ist seelisch im typischen Alter und in der typischen Disposition der Pensionsfreundschaften. Als Kind früh von der Mutter, von der sehr ehrlich geliebten Erzieherin weggerissen, neben einen ungeschickten, unzärtlichen Mann gestellt, hat sie jenes vertrauensselige Sich-irgend-jemand-Entgegenspannen, das zur Natur des jungen Mädchens gehört wie der Duft zur Blüte, noch nie ausströmen lassen können. All diese kindlichen Kleinigkeiten, das Hand-in-Hand-Gehen, das Sichunterfassen, das Kichern in den Ecken, das Durch-die-Zimmer-Tollen, das Sich-gegenseitig-Anhimmeln, alle diese naiven Symptome des »Frühlingserwachens« sind noch nicht herausgegoren aus ihrem kindlichen Körper. Mit sechzehn, mit siebzehn, mit achtzehn, mit neunzehn, mit zwanzig Jahren hat Marie Antoinette noch immer nicht redlich jung und kindisch verliebt sein dürfen – es ist gar nicht das Sexuelle, das sich in solchen stürmischen Wallungen auslebt, sondern sein schüchternes Vorgefühl, das Schwärmerische. So mußten auch Marie Antoinettes erste Beziehungen zu Freundinnen auf das zärtlichste gestimmt sein, und dieses unkonventionelle Benehmen einer Königin hat sofort der galante Hof auf das ärgerlichste mißdeutet. Überkultiviert und pervertiert, vermag er das Natürliche nicht zu begreifen, und bald beginnt das Raunen und Reden über sapphische Neigungen der Königin. »Man hat mir in sehr weitgehendem Maße besondere Vorliebe für Frauen und für Liebhaber zugemutet«, schreibt Marie Antoinette aus der Sicherheit ihres Gefühls ganz offen und heiter der Mutter; ihre hochmütige Aufrichtigkeit verachtet den Hof, die öffentliche Meinung, die Welt. Noch weiß sie nicht um die tausendzüngige Macht der Verleumdung, noch gibt sie sich rückhaltlos der unvermuteten Freude hin, endlich einmal lieben und vertrauen zu dürfen, und opfert jede Vorsicht auf, nur um ihren Freundinnen zu beweisen, wie unbedingt sie zu lieben vermag.

 

Die erste Favoritin der Königin, Madame de Lamballe, war eine verhältnismäßig glückliche Wahl. Einer der ersten Familien Frankreichs angehörig, und darum nicht geld- und machtgierig, eine zarte, sentimentale Natur, nicht sehr klug, aber dafür auch nicht intrigant, nicht sehr bedeutend, aber auch nicht ehrgeizig, erwidert sie die Neigung der Königin mit wirklicher Freundschaft. Ihre Sitten gelten als tadellos, ihr Einfluß beschränkt sich auf den privaten Lebenskreis der Königin, sie bettelt nicht um Protektionen für ihre Freunde, für ihre Familie, sie mischt sich nicht in das Staatswesen oder in die Politik. Sie hält keinen Spielsaal, treibt Marie Antoinette nicht tiefer in den Kreislauf der Vergnügungen hinein, sondern wahrt ihr still und unauffällig die Treue, und ein heroischer Tod prägt schließlich ihrer Freundschaft das Siegel auf.

Aber eines Abends erlischt plötzlich ihre Macht wie ein ausgeblasenes Licht. Bei einem Hof ball bemerkt im Jahre 1775 die Königin eine junge Frau, die sie noch nicht kennt, rührend in ihrer bescheidenen Anmut, engelhaft rein der blaue Blick, mädchenhaft zart die Figur; auf ihre Frage nennt man ihr den Namen, die Gräfin Jules de Polignac. Diesmal ist es nicht wie bei der Prinzessin von Lamballe eine menschliche Sympathie, die sich allmählich zur Freundschaft steigert, sondern ein plötzliches leidenschaftliches Interesse, ein coup de foudre, eine Art hitziger Verliebtheit. Marie Antoinette tritt auf die Fremde zu und fragt sie, warum sie so selten bei Hof erscheine. Sie sei zur Repräsentation nicht vermögend genug, gesteht die Gräfin Polignac ehrlich ein, und diese Offenheit entzückt die Königin, denn eine wie reine Seele muß in dieser bezaubernden Frau sich bergen, daß sie die ärgste Schande der damaligen Zeit, kein Geld zu haben, so rührend unbefangen beim ersten Wort eingesteht! Wird nicht diese für sie die ideale, die langgesuchte Freundin sein? Sofort zieht Marie Antoinette die Gräfin Polignac an den Hof, überhäuft sie mit derart auffälligen Bevorzugungen, daß sie allgemeinen Neid erregen: sie geht mit ihr öffentlich Arm in Arm, sie läßt sie in Versailles wohnen, sie nimmt sie überallhin mit und verlegt einmal sogar den ganzen Hofstaat nach Marly, nur um dem Wochenbett der vergötterten Freundin nahe sein zu können. Nach wenigen Monaten ist aus der verarmten Adeligen die Herrin Marie Antoinettes und des ganzen Hofes geworden.

Leider aber, dieser zarte, unschuldsvolle Engel stammt nicht vom Himmel, sondern aus einer schwer verschuldeten Familie, die eifrig solche unerwartete Gunst für sich ausmünzen will; bald wissen die Finanzminister ein Lied davon zu singen. Zunächst werden 400 000 Livres Schulden gezahlt, 800 000 bekommt die Tochter als Mitgift, der Schwiegersohn einen Kapitänsplatz, ein Jahr später dazu einen Gutsbesitz, der siebzigtausend Dukaten Rente trägt, der Vater eine Pension und der gefällige Gatte, den in Wirklichkeit längst ein Liebhaber ersetzt, den Herzogstitel und eine der einträglichsten Pfründen Frankreichs, die Post. Die Schwägerin Diane von Polignac wird trotz ihres elenden Rufes Ehrendame bei Hof, die Gräfin Jules selber Gouvernante der königlichen Kinder, ihr Vater nebst seiner Pension noch Gesandter, die ganze Familie schwimmt in Geld und Ehren und schüttet überdies aus vollem Füllhorn Begünstigungen an ihre Freunde aus; schließlich kostet diese eine Laune der Königin, diese eine Familie Polignac, dem Staate jährlich eine halbe Million Livres. »Es gibt kein Beispiel,« schreibt der Botschafter Mercy entsetzt nach Wien, »daß in so kurzer Zeit eine so große Summe einer einzelnen Familie zugeteilt worden wäre.« Selbst die Maintenon, die Pompadour, haben nicht mehr gekostet als diese Favoritin mit den engelhaft niedergeschlagenen Augen, als die so bescheidene, so gütige Polignac.

 

Die selbst nicht in den Strudel mitgerissen sind, stehen und staunen und begreifen die grenzenlose Nachgiebigkeit der Königin nicht, die ihren Namen, ihre Stellung, ihren Ruf zugunsten dieser unwürdigen, wertlosen und ausbeuterischen Sippe mißbrauchen läßt. Jeder weiß, daß die Königin an natürlicher Intelligenz, an innerer Kraft und an Aufrichtigkeit hundertfach diesen kleinen Kreaturen überlegen ist, die ihren täglichen Umgang bilden. Aber im Spannungsverhältnis zwischen Charakteren entscheidet niemals die Kraft, sondern die Geschicklichkeit, nicht die geistige Überlegenheit, sondern jene des Willens. Marie Antoinette ist lässig und die Polignacs streberisch, sie ist sprunghaft und jene zäh, sie steht allein, jene aber haben sich zu einem Klüngel geballt, der die Königin planvoll von dem ganzen übrigen Hofe abschließt; sie halten sie fest, indem sie sie unterhalten. Was hilft es, daß der arme alte Beichtiger Vermond seine ehemalige Schülerin mahnt: »Sie sind zu nachsichtig für die Sitten und den Ruf Ihrer Freunde und Freundinnen geworden«, daß er ihr mit bemerkenswerter Kühnheit vorhält: »Schlechtes Benehmen, üble Sitten, ein angekränkelter oder verlorener Ruf sind geradezu ein Mittel geworden, um in Ihrer Gesellschaft Aufnahme zu finden«; aber was hilft ein Wort gegen dies süße und zarte Geplauder bei untergefaßten Armen, was Klugheit gegen diese tägliche berechnende List! Die Polignac und ihr Klüngel haben den magischen Schlüssel ihres Herzens, indem sie die Königin amüsieren, indem sie ihre Langweile füttern, und nach einigen Jahren ist Marie Antoinette dieser kalt berechnenden Bande völlig hörig. Einer unterstützt im Salon der Polignac die Werbungen des andern um Posten und Stellungen, gegenseitig spielen sie sich Pfründen und Pensionen zu, jeder selbst scheinbar nur um das Wohl der andern bemüht, und so fließen unter der Hand der Königin, die nichts merkt, die letzten goldenen Quellen aus den versiegenden Schatzkammern des Staates einigen wenigen zu. Die Minister können diesem Treiben nicht wehren. »Faites parier la Reine«, – »Trachten Sie, daß die Königin zu Ihren Gunsten spricht«, antworten sie achselzuckend allen Bittstellern, denn Rang und Titel, Stellung und Pensionen verleiht in Frankreich einzig die Hand der Königin, und diese Hand wieder führt unsichtbar die Frau mit den Veilchenaugen, die schöne, die sanfte Polignac.

 

Mit diesen ständigen Vergnügungen zieht der Kreis um Marie Antoinette eine unzugängliche Schranke. Die andern bei Hof merken dies bald, sie wissen, hinter dieser Mauer ist das irdische Paradies. Dort blühen die Stellungen, dort strömen die Pensionen, dort pflückt man mit einem Scherz, einem muntern Kompliment eine Gunst, um die sich andere jahrzehntelang mit beharrlicher Leistung bemühten. In jenem seligen Jenseits herrscht ewig Heiterkeit, Sorglosigkeit und Freude, und wer in diese elysäischen Gefilde der königlichen Gunst vorgedrungen, für den sind alle Gnaden der Erde bereit. Kein Wunder, daß all jene sich immer heftiger erbittern, die diesseits der Mauer verbannt sind, die altadeligen, verdienten Geschlechter, die nicht zugelassen werden nach Trianon, deren gleichfalls gierige Hände nie der goldene Regen netzt. Ist man denn weniger als diese verarmten Polignacs, murren die Orléans, die Rohans, die Noailles, die Marsans? Hat man dazu einen jungen bescheidenen honetten König, endlich einen, der nicht Spielball seiner Mätressen ist, daß man nach der Pompadour, der Dubarry abermals von einer Favoritin, von einer Günstlingsfrau sich erbetteln soll, was einem nach Fug und Recht gehört? Soll man wirklich dieses freche Zur-Seite-geschoben-Werden, dies kühle Übersehenwerden von der jungen Österreicherin dulden, die sich mit fremden Burschen und zweifelhaften Frauen umgibt, statt mit dem angestammten, seit Jahrhunderten eingesessenen Adel? Enger scharen sich die Ausgeschlossenen zusammen, jeder Tag, jedes Jahr mehrt ihre Reihen. Und bald blickt aus den verödeten Fenstern von Versailles hundertäugiger Haß hinüber in die sorglose und ahnungslose Spielwelt der Königin.

 

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© Thomas Lehmann

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