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SPRUCH DES JAHRES

Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.

Johann Nepomuk Nestroy

SPRUCH DER WOCHE

Duldet ein Volk die Untreue von Richtern und Ärzten, so ist es dekadent und steht vor der Auflösung.

 

Plato

 

LUSTIGES

Quelle: Aus dem umgestülpten Papierkorb der Weltpresse (1977)

Rubrik: Das süße Leben

Dallas, Texas - Vor einem Gericht gab Jack Stinney an, er habe seine Frau nur des Spaßes wegen verprügelt. Auf die erstaunte Frage des Staatsanwaltes ergänzte Stinney dann seine Aussage: "Allerdings verprügelte ich meine Frau nur wegen des Spaßes, den sie mit drei anderen Männern gehabt hatte."

Die Lehmänner
Die Lehmänner

Stolz und Vorurtheil

Jane Austen

 

Zweiter Theil

Capitel 1-10

 

 

Zweiter Theil.


Erstes Capitel.

 

Miß Bingley's Brief kam endlich, und machte allen Zweifeln ein Ende. Er bestätigte die Nachricht, daß sie sich sämtlich in London für den Winter eingerichtet, und schloß mit der Versicherung, daß ihr Bruder es sehr bedauert hätte, Netherfield verlassen zu müssen, ohne sich seinen dortigen Freunden vorher zu empfehlen.

Die Hoffnung ihn wiederzusehen war verschwunden; und Carolinens Freundschaftsversicherungen, obgleich Johannens Herzen wohlthuend, waren doch nicht im Stande, ihr Ersatz für die erlittene Täuschung zu gewähren. Der Rest des Briefs enthielt abermals Miß Darcy's Lob, und Caroline erzählte von ihrer täglich zunehmenden Vertraulichkeit, die sie zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. Auch erwähnte sie mit großer Freude des Umstandes, daß ihr Bruder jetzt im Hause seines Freundes Darcy lebe, und dessen Einrichtung zum Modell zu der eignen genommen habe.

Elisabeth vernahm diese Nachrichten mit schweigendem Unwillen. Ihr Herz war getheilt zwischen Mitleid mit ihrer Schwester und Verachtung gegen die Urheber ihrer Leiden. Carolinens Versicherung von ihres Bruders wachsender Neigung zu Miß Darcy maaß sie keinen Glauben bei. daß er Johannen noch eben so zärtlich liebte, wie vorher, bezweifelte sie keinen Augenblick; diese Ueberzeugung vermehrte aber nur ihren Zorn, und so lieb er ihr früher gewesen, so hart beurtheilte sie ihn jetzt. Dieses schwankende Wesen, dieser Mangel an Festigkeit und Entschluß, und vor allem diese Bereitwilligkeit, den Eingebungen seiner Schwestern und seines herrschsüchtigen Freundes zu folgen, setzten ihn in ihren Augen tief herab. Mochte er immerhin ihr Sclave sein, und das eigne Glück ihren Launen aufopfern. daß er aber die Ruhe ihrer vielgeliebten Schwester dabei auf das Spiel setzte, dieses engelreine, arglose Gemüth so bitter täuschte – dieß konnte sie ihm nicht vergeben. Und so oft und lange sie auch über diesen Gegenstand nachdachte, blieb das Resultat doch immer dasselbe.

Mehrere Tage verstrichen, bis Johanne so viel Muth gefaßt hatte, mit Elisen hierüber zu sprechen. Dann erklärte sie ihr mit anscheinender Ruhe, daß sie die Bekanntschaft Bingley's wie einen schönen Traum betrachtete, der sie auf kurze Zeit beglückt, und ihr auch noch in der Erinnerung manche Freude gewähren würde.

»Er wird noch lange als der liebenswürdigste Mann, den ich je gekannt, in meinem Andenken fortleben,« sagte sie; »aber dieß ist auch alles. Wohl uns, daß wir uns Beide nichts vorzuwerfen haben. Von einem lebhaften jungen Mann ist nicht immer die gehörige Vorsicht im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht zu erwarten, und dieses ist oft nur zu geneigt, jede flüchtige Aufmerksamkeit für dauernde Neigung zu erkennen. Der Irrthum war auf meiner Seite, und mir bleibt der Trost, daß niemand, außer ich selbst, darunter gelitten hat.«

»Du bist zu gut!« rief Elisabeth mit Wärme. »Deine uneigennützige Liebe und Deine Sanftmuth sind wahrhaft engelgleich. Ich weiß nicht, was ich hierauf erwiedern soll, und fühle nur, daß ich weit unter Dir stehe und Dich noch lange nicht so liebe und ehre, wie Du es verdienst. Aber meine arme Johanne! mit solchen Gesinnungen wird es Dir im Leben nicht an bittern Täuschungen fehlen! Du hältst die Welt für vollkommen und traust jedem Deiner Mitmenschen so viel Güte, Nachsicht und Langmuth zu, als Du selbst besitzest. Meine Ansichten sind andrer Art. Es giebt nur wenig Menschen, die ich wahrhaft liebe, und noch weniger, von denen ich gut denke. Je mehr ich von der Welt und ihrem Treiben sehe, desto einleuchtender wird mir die Unbeständigkeit des menschlichen Charakters, der Mangel an festem Willen und an Vernunft. Erst kürzlich habe ich wieder zwei, mich in diesem Glauben bestärkende, Beispiele erlebt. Von dem Einen will ich nicht sprechen; das Andre ist Charlottens schneller Heirathsentschluß. Kann man sich etwas Unerklärlicheres, Vernunftwidrigeres vorstellen?«

»Liebste Lizzy! Nur nicht solchen Gefühlen Raum gegeben, oder Du untergräbst Deine ganze Glückseligkeit. Man muß bei diesem Fall doch auch Rücksicht auf Verhältnisse und Temperament nehmen. Bedenke Herrn Collins achtbaren Charakter und Charlottens Klugheit. Vergiß nicht, daß sie die älteste Tochter einer großen Familie ist, daß diese Heirath in pekuniärer Hinsicht bedeutende Vortheile bietet; und hoffe mit mir, daß sie unsern Cousin mit andern Augen ansieht, wie wir, und wenn auch nicht Liebe, doch Achtung für ihn fühlt.«

»Dich zu befriedigen, möchte ich gern alles glauben, was Du wünschest; aber gesetzt auch daß Charlotte ihn wirklich achtet, so sehe ich mich dadurch nur genöthigt, eben so gering von ihrem Verstand zu denken, als ich es schon von ihrem Herzen thue. Es ist doch nicht zu läugnen, daß Herr Collins ein sehr eingebildeter, hochtrabender und unbeschreiblich einfältiger Mann ist, den niemand heirathen kann, der seinen Verstand nur einiger Maaßen beisammen hat.«

»Du beurtheilst sie alle Beide zu streng«, entgegnete Johanne, »und ich hoffe, Du wirst Dich noch selbst davon überzeugen, wenn Du sie glücklich siehst. Aber Du sprachst noch von einem zweiten Beispiel, dessen Erwähnung mich noch weit mehr kränkt. Wir dürfen uns nicht gleich für zurückgesetzt halten, wenn auch der Anschein solchen Glauben manchmal bestärkt. Bingley hat gewiß nicht die Absicht gehabt, mit weh zu thun.«

»Solche Absicht setze auch ich nicht in ihm voraus«, erwiederte Elisabeth; »aber selbst ohne bösen Willen kann viel Unheil angerichtet werden. Gedankenlosigkeit, Mangel an Aufmerksamkeit auf sich selbst, und vor dem Mangel an eignem festen Entschluß sind hierzu allein schon hinreichend.«

»Du beharrst also in dem Glauben, daß seine Schwestern ihn beherrschen, und einen verderblichen Einfluß auf ihn ausüben?«

»Ja; und daß sein Freund ihnen hierbei treulich beisteht.«

»Ich kann es nicht glauben! Weshalb sollten sie es thun? Sie wünschen ja doch nur sein Glück, und wenn er mich wahrhaft liebt, wird ihn kein andres Mädchen glücklich machen.«

»Sein Glück ist in ihren Augen nicht das wünschenswert beste Gut, nicht das Einzige, wornach sie streben. Reichthum, Rang, Macht und Ehre gelten ihnen höher.«

»daß sie Miß Darcy für ihn bestimmt haben, gebe ich zu, nur aus bessern Motiven, als Du vermuthest. Sie kennen Georginen viel länger und genauer als mich, und so finde ich es sehr natürlich, daß sie sie mir vorziehen. Doch ihre Wünsche mögen sein wie sie wollen, so halte ich sie nicht für fähig, sie ihm aufdringen zu wollen. Welche Schwester würde sich auch dazu berechtigt halten! Wenn sie Liebe zu mir in ihm voraussetzten, würden sie gewiß nicht versuchen, uns zu trennen – auch könnte es ihnen ja dann nicht gelingen. Deine Voraussetzung einer solchen Neigung macht Dich aber hart und ungerecht gegen seine Umgebungen, und mich dadurch unglücklich. Betrübe mich nicht durch eine solche herabsetzende Meinung. Ich schäme mich nicht, meinen Irrthum selbst einzugestehen, und finde ihn weit leichter zu ertragen, als die Nothwendigkeit, schlecht von seinen Schwestern denken zu müssen. Laß mir meinen Glauben; laß mich die Sache im besten Lichte betrachten.«

Einem solchen Wunsche konnte Elisabeth nichts entgegenstellen, und von dem Augenblicke an ward Bingley's Namen sehr selten, und nicht mehr in dieser Beziehung von ihnen genannt.

Wickham's angenehme Gesellschaft und Unterhaltung eignete sich ganz dazu, die kleine Verstimmung, in welche einige Glieder der Bennet'schen Familie durch die letzten Nachrichten versetzt worden waren, zu verbannen. Man sah ihn häufig in Longbourn und Meryton, und was er bis jetzt nur Elisen mitgetheilt, seine Ansprüche an Darcy und alles was er durch diesen erlitten und geduldet, ward jetzt ohne Rückhalt erzählt und öffentlich besprochen. Ein jeder freute sich des gerechten Vorwands, Herrn Darcy unangenehm und abstoßend nennen zu können, und Alle versicherten, diese schlechte Gemüthsart gleich Anfangs durchschaut zu haben. Nur Johanne vermochte es nicht, Bingley's Freund ungehört zu verdammen. Ihre Güte, ihre allgemeine Menschenliebe konnte einen solchen Grad von Schlechtigkeit nicht fassen; und wenn gleich unfähig, ihre Vertheidigung durch wahrscheinliche Gründe zu unterstützen, hielt sie doch fest an dem Glauben, daß nur Mißverständnisse, oder sonstige ungünstige Umstände den bösen Schein veranlaßt hätten.

 

Zweites Capitel.

 

Nachdem Herr Collins acht Tage lang den zärtlichen Liebhaber gespielt, und seiner theuren Braut mit bekannter Weitschweifigkeit die künftige häusliche Glückseligkeit mit brennenden Farben ausgemalt hatte, mußte er sich abermals von ihr losreißen. Doch wurde ihm der schwere Abschied dadurch einiger Maaßen versüßt, daß er die kurze Zwischenzeit bis zu seinem nächsten Besuch in Hertfordshire mit Vorbereitungen zum Empfang der geliebten Charlotte ausfüllen, und nach seiner baldigen Zurückkunft hoffen konnte, dieselbe zum Altar führen zu dürfen. Er nahm von seinen Verwandten in Longbourn mit derselben Förmlichkeit, wie das erste Mal, Abschied, wünschte seinen Cousinen von Neuem viel Glück und Gesundheit, und versprach ihrem Vater einen abermaligen Danksagungsbrief.

Wenige Tage darauf hatte Mrß.. Bennet die Freude, ihren Bruder und dessen Frau in Longbourn zu sehen, welche das Weihnachtsfest gewöhnlich daselbst zuzubringen pflegten. Herr Gardiner, ganz das Gegentheil von seiner Schwester, war ein so feiner, gebildeter Mann, daß selbst die Damen in Netherfield ihn nicht für einen, Angesichts feines Waarenlagers wohnenden Kaufmann gehalten haben würden, eben so wenig, wie Mrß. Gardiner für die Frau eines Mannes aus diesem Stande. Sie war mehrere Jahre jünger als Mrß. Bennet und Mrß. Philips, höchst liebenswürdig, unterrichtet und lebendig, und besaß die Gunst ihrer Nichten in einem sehr hohen Grade. Zwischen ihr und den beiden Aeltesten, welche häufig in der Stadt bei ihr gewesen, fand ein wahrhaft freundschaftliches Verhältniß Statt.

Nachdem Mrß. Gardiner die mitgebrachten Geschenke ausgetheilt und die neuesten Moden beschrieben hatte, wartete ihrer eine weniger angenehme Unterhaltung. Mrß. Bennet hatte viel zu berichten, und noch mehr zu klagen. Zwei ihrer Töchter waren auf dem Punkt gewesen, sich zu verheirathen; sie hatte die Sache schon als gewiß betrachtet, im Geist bereits alle Vorkehrungen getroffen, als ein ungünstiges Geschick ihre schönsten Hoffnungen zerstörte.

»Johanne ist hierbei nicht zu tadeln,« sagte sie mit Heftigkeit, »wohl aber Lizzy, dieses eigensinnige, halsstarrige Geschöpf! Ach, Schwester! Du kennst es nicht das bittre Gefühl der Täuschung. Sie hätte in diesem Augenblick schon Mrß. Collins sein können, wenn sie gewollt. Hier in diesem Zimmer, auf demselben Platz, wo Du jetzt sitzest, bot er ihr Herz und Hand, und sie verwarf den Antrag so schonungs- und rücksichtslos, daß auch jede Aussicht auf eine mögliche Wiederholung verschwand. Was ist die Folge hiervon? daß ich das Herzeleid erleben muß, Charlotte Lukas früher als meine eignen Töchter verheirathet – und was noch schlimmer ist – künftig als Besitzerin von Longbourn zu sehen! Der Gram über diese vielen unverdienten Unglücksfälle hat meine armen Nerven gänzlich zerrüttet; ich fühle mich über alle Beschreibung schwach und angegriffen, und nur Dein erheiternder Besuch, liebe Schwester! und was Du mir so eben von den jetzigen langen Ermeln erzählt hast, sind im Stande, mich einiger Maaßen zu zerstreuen.«

Mrß. Gardiner, schon früher durch ihre ältesten Nichten brieflich von allen diesen Umständen, so wie von der Mutter Betrübniß darüber in Kenntnis gesetzt, erwiederte ihre Klagen nur oberflächlich, und bemühte sich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Doch suchte sie später, theils durch genaue Beobachtung, theils durch Elisens Beistand, den wahren Zustand von Johannens Herz zu ergründen. Ihre Ruhe hatte offenbar einen Stoß erlitten; und so sehr sie auch an sich arbeitete, das verlorne innere Gleichgewicht wieder herzustellen, wollte es ihr doch nicht sogleich gelingen.

»Arme Johanne!« sagte Mrß. Gardiner zu Elisen, nachdem sie ihre Schwester beobachtet und durchschaut, »arme Johanne! Deine weiche Seele ist nicht für solche bittre Erfahrungen geschaffen, und wird sie schwerlich so bald verwinden können. Du, meine Lizzy! würdest leichter über dergleichen hinweggehen und Dich wahrscheinlich bald wieder aus dem liebenden Zustand herauslachen, falls Du auf Augenblicke hineingerathen wärst. Nicht so Johanne mit ihrem reizbaren Gemüth und tiefem Gefühl. Ich erkenne die Nothwendigkeit, sie aus dieser Lage herauszureißen, und werde das Meinige dazu thun. Glaubst Du, daß eine Ortsveränderung wohlthätig auf sie wirken und sie zerstreuen würde?«

Elisabeth freute sich über diesen Vorschlag und war im Voraus der Einstimmung ihrer Schwester gewiß.

»Ich hoffe,« fügte Mrß. Gardiner hinzu, »daß sie sich nicht aus Rücksicht für Bingley abhalten lassen wird, uns nach London zu begleiten. Wir leben in einem ganz andern Theil der Stadt, verkehren mit lauter Menschen, die ihm unbekannt sind, und gehen im Ganzen so wenig aus, daß es nicht wahrscheinlich ist, daß sie ihn sehen sollte, falls er nicht in dieser Absicht zu uns käme.«

»Für diesen Fall glaube ich einstehen zu können,« entgegnete Elisabeth mit einiger Wärme; denn jetzt lebt er ganz unter der Herrschaft seines Freundes, und Herr Darcy würde ihm nimmermehr gestatten, Johannen in diesem Theil der Stadt aufzusuchen. Er hat vielleicht kaum von der Existenz einer solchen Straße als der Grace-church street gehört, und würde sich feiner höhern Cirkel auf längere Zeit für unwürdig halten, wenn er sie jemals betreten. Und Bingley wagt gewiß nicht, ohne seinen Mentor auszugehen.«

»Desto besser. Aber correspondirt Johanne nicht mit seiner Schwester? In diesem Fall würde Miß Bingley doch nicht umhin können, sie zu besuchen.«

»Da haben Sie nichts zu befürchten!« erwiederte Elise mit Bitterkeit. »Miß Bingley wird die Bekanntschaft wahrscheinlich ganz fallen lassen.«

Doch so bestimmt sie sich auch über die Unwahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens zwischen Johannen und Bingley aussprach, hoffte sie dennoch im Geheim, daß ein günstiger Zufall hierzu behülflich sein würde. Und von des jungen Mannes Neigung zu ihrer Schwester war sie so fest überzeugt, daß es, ihrer Meinung nach, nur eines Wiedersehens bedurfte, um ihn zu ihren Füßen zurückzuführen.

Miß Bennet nahm ihrer Tante Einladung mit Freuden an. Der Gedanke an Bingley's hatte hieran nur in so fern Theil, daß sie hoffte, bei Carolinen, welche nicht dasselbe Haus mit ihrem Bruder bewohnte, dann und wann einige Morgenstunden zubringen zu können, ohne Gefahr ihn dort zu treffen.

Die Familie Gardiner blieb eine Woche in Longbourn und Mrß. Bennet trug Sorge, daß kein Tag einsam verlebt wurde. Wenn nicht nach Meryton oder Lukas-Lodge eingeladen, unterbrachen einige Officiere die Einförmigkeit des Familienmahls, und unter dieser Anzahl befand sich fast immer Herr Wickham. Durch Elisens wiederholtes Lob seiner liebenswürdigen Eigenschaften aufmerksam geworden, begann Mrß. Gardiner die jungen Leute genauer zu beobachten. An eine ernstliche Neigung schienen beide Theile für den Augenblick nicht zu denken; doch war ein gegenseitiges Wohlgefallen und Auszeichnen nicht zu verkennen, welche Bemerkung schon hinreichte, die sorgsame Tante zu beunruhigen. Sie beschloß noch vor ihrer Abreise mit Elisen darüber zu sprechen, und ihr die Thorheit, ein näheres Verhältniß anzuknüpfen, vorzustellen. Wickham hatte zwar auch auf sie den angenehmen Eindruck gemacht, den er selten zu machen verfehlte; aber seine Lage war nicht von der Art, eine Verbindung mit einem unbemittelten Mädchen zu gestatten, und so wünschte sie dem Uebel vorzubeugen, ehe es zu weit um sich gegriffen. Außer seiner allgemeinen Liebenswürdigkeit hatte er in ihren Augen noch einen Vorzug, der ihr besonders seine Unterhaltung sehr angenehm machte. In demselben Theil von Derbyshire; wo sie mehrere Jahre vor ihrer Verheirathung gelebt und viel liebe Freunde zurückgelassen, war er geboren und erzogen; und wenn gleich nicht kürzlich von dort hergekommen, konnte er ihr doch neuere Nachrichten mittheilen. – Auch in Pemberley war Mrß. Gardiner oft gewesen, und hatte den verstorbenen Herrn Darcy persönlich gekannt, bei dessen Erwähnung Wickham nicht versäumte, sein Klagelied über die vom Sohn erlittene unwürdige Behandlung anzustimmen: Sie hatte den jungen Darcy nie gesehen, erinnerte sich jedoch seiner als eines stolzen, hochmüthigen Knaben erwähnt gehört zu haben.

 

Drittes Capitel.

 

Der Tag der Abreise kam, und Mrß. Gardiner benutzte eine Stunde des Alleinseins mit Elisen, um sie auf die ihr bevorstehende Gefahr aufmerksam zu machen. Sie lobte Wickhams Charakter, fand es begreiflich, daß er ein junges Gemüth zu beschäfftigen im Stande sei; warnte jedoch ein solches Gefühl nicht überhand nehmen zu lassen, indem der gänzliche Mangel des Vermögens von seiner wie von ihrer Seite eine Verbindung unmöglich machte.

»Ich baue auf Deinen Verstand,« fuhr sie fort, »und hoffe, daß Herz und Fantasie ihm nicht allzusehr entgegen handeln mögen. Dieß erwartet auch Dein Vater. Es ist ein ernster Punkt, und Du wirst seine Erwartungen doch gewiß nicht täuschen wollen!«

»Liebste Tante, Sie behandeln die Sache so wichtig, daß ich fast selbst ernst dabei werde.«

»Dich so zu stimmen, ist auch meine Absicht.«

»Wohlan! Ich bin jetzt so ernsthaft wie Vetter Collins in dem wichtigen Augenblick, als er um mich anhielt, und gelobe in dieser Stimmung über mich und Herrn Wickham zu wachen. Er soll sich nicht in mich verlieben, wenn ich es verhindern kann.«

»Elisabeth! das ist noch nicht der rechte Ton.«

»Verzeihen Sie, wenn es nicht so schnell gelingen will; aber nun bin ich wirklich ernsthaft und versichere, daß ich Herrn Wickham noch nicht liebe, obgleich ich eingestehen muß, daß er der angenehmste, liebenswürdigste Mann ist, den ich bis jetzt kennen gelernt. Und wenn er sich wirklich zu mir gezogen fühlen sollte, möchte ich lieber wünschen, daß wir uns nie gesehen. O, über den abscheulichen Herrn Darcy! Wie so ganz anders könnte manches sein! Meines Vaters gute Meinung von meinem Verstand ehrt und freut mich, und ich werde alles thun, sie zu erhalten. Uebrigens ist Herr Wickham sein wie der ganzen Familie Liebling, und die Aufgabe, ihn mit gleichgültigen Augen zu betrachten, deshalb nicht ganz leicht. Jedoch verspreche ich zu Ihrer Beruhigung, alles zu thun, was in meinen Kräften steht. Da aber die tägliche Erfahrung lehrt, daß ein Paar junge, auf dem Wege der Liebe begriffenen Leute sich selten durch den Mangel irdischer Güter abhalten lassen, in ein näheres Verhältniß zu treten: so würde es Anmaaßung von mir sein, mich weiser und stärker als meine Nebenmenschen dünken zu wollen. Deshalb kann ich nichts unbedingt versprechen und nur versichern, daß ich mich nicht übereilen, und mich nicht zu früh für den erwählten Gegenstand halten will. Mehr können Sie nicht verlangen.«

»Es möchte vielleicht rathsam sein, ihn nicht zum öftern Kommen aufzufordern – die Mutter wenigstens nicht daran zu erinnern, ihn einzuladen.«

»Wie ich es gestern gethan,« entgegnete Elisabeth lächelnd. »Sie mögen wohl Recht haben, liebste Tante! und es soll auch nicht wieder geschehen. Uebrigens muß ich bemerken, daß er früher nie so oft hier gewesen, und daß die wiederholten Einladungen nur Ihretwegen erfolgt sind. Sie kennen ja der Mutter Begriffe von guter Unterhaltung ihrer Gäste, und so glaubte sie sich Ihnen hierdurch gefällig zu bezeigen. Doch genug. Ich gebe Ihnen mein Wort, mich möglichst vernünftig und weise zu benehmen, und so werden Sie hoffentlich beruhigt sein.«

Mrß. Gardiner fühlte sich durch diese Versicherungen befriedigt, und beide Theile trennten sich gegenseitig zufrieden mit einander.

Herr Collins kehrte, gleich nach Gardiners und Johannens Abreise, nach Hertfordshire zurück; da er aber dieses Mal den Aufenthalt in Lukas-Lodge vorgezogen, verursachte sein Besuch der Bennet'schen Familie keine große Unbequemlichkeit. Der Tag seiner Verbindung rückte heran, und Mrß. Bennet war doch endlich so weit gediehen, die Sache als unvermeidlich zu betrachten und dem Brautpaar, wenn gleich nicht mit der besten Art, doch leidlich höflich alles mögliche Glück zu wünschen.

Als aber Miß Lukas am Tage vor der Hochzeit nach Longbourn kam, Abschied von der Familie zu nehmen, hielt die mühsam errungene Fassung nicht länger aus, und Elisabeth mußte ihrer Mutter kaltes, unfreundliches Benehmen durch verdoppelte Herzlichkeit wieder gut zu machen suchen. Der Gedanke einer längern Trennung von der Jugendgefährtin ergriff sie mächtig, und wenn Charlotte ihrem Herzen auch nicht mehr so nahe stand, wie sonst, fühlte sie den Verlust doch schmerzlich. In dieser weichen Stimmung konnte sie ihr daher auch nicht die Bitte, sie im März, wenn Vater und Mutter nach Hunsford kämen, zu besuchen, abschlagen, so wenig Freude sie sich auch von diesem Aufenthalt versprach.

Gleich nach vollzogener Trauung reisten Braut und Bräutigam ab, und Mrß. Bennet genoß nun wenigstens, in so fern Ruhe, daß sie die verhaßten Gegenstände nicht mehr in ihrer Nähe zu dulden brauchte.

Die erstern Briefe von Mrß. Collins, an Elisen wurden von der Bennet'schen Familie mit großer Ungeduld erwartet. Man wünschte zu erfahren, wie sie sich über ihre neue Heimath aussprechen, wie ihr Lady Katharine gefallen, und was sie über ihr eheliches Glück sagen wurde, Charlottens Aeußerungen entsprachen Elisens Erwartungen in jeder Hinsicht; sie schrieb sehr heiter, schien alles so gefunden zu haben, wie sie gehofft, und pries ihr Loos glücklich. Haus, Garten, Einrichtung, Nachbarschaft, Wege – kurz alles entsprach ihren Wünschen, und Lady Katharinens Aufnahme war äußerst freundlich und huldreich gewesen. Ihre Beschreibung von Hunsford und Rosings lieferte mit schwächern Farben dasselbe Bild, was Collins mit den lebhaftesten ausgemalt hatte.

Johanne hatte ihre glückliche Ankunft in London mit wenigen Worten gemeldet, und Elisabeth sah ihrem nächsten Brief mit ungeduldiger Erwartung entgegen. Endlich kam er und berichtete, daß sie eine ganze Woche in der Stadt gewesen, ohne Carolinen zu sehen, oder von ihr zu hören, welchen Umstand sie sich nur dadurch zu erklären vermochte, daß ihr letzter, von Longbourn geschriebener Brief verloren gegangen sein mußte.

»Meine Tante,« so fuhr sie fort; »hat morgen ein Geschäft in diesem Theil der Stadt, und so werde ich die Gelegenheit benutzen, meinen Besuch in Grosvenor-street zu machen.«

Nachdem sie von dort zurückgekehrt, schloß sie ihren Brief:

»Ich fand Caroline nicht recht heiter; doch freute sie sich, mich wieder zu sehen und machte mir Vorwürfe, ihr nicht vorher Nachricht von meiner Ankunft in London gegeben zu haben. So hatte ich also doch Recht, daß mein Brief verloren gegangen war. Auf meine Fragen nach ihrem Bruder erfuhr ich, daß er sehr wohl sei und fast beständig in Darcy's Gesellschaft, so daß sie ihn selten zu sehen bekäme. Miß Darcy wurde zum Mittagsessen erwartet; und da Caroline und Mrß. Hurst im Begriff standen, auszugehen, kürzte ich meinen Besuch sehr ab. Ich hoffe nun die Damen bald bei mir zu sehen.«

Elisabeth schüttelte den Kopf beim Lesen dieses Briefs. Sein Innhalt bestärkte sie in ihrem Glauben, daß nur ein glücklicher Zufall Bingley'n ihrer Schwester Anwesenheit in London verrathen könne.

Vier Wochen verstrichen, ohne daß Johanne ihn oder seine Schwestern gesehen. Sie suchte sich selbst zu überreden, daß sie sich durch diese Vernachlässigung nicht gekränkt fühlte, konnte aber doch nicht länger in ihrer Verblendung über Miß Bingley's Unhöflichkeit verharren. Nachdem sie 14 Tage lang jeden Morgen in Erwartung des Besuchs zu Hause geblieben, und jeden Abend eine neue Entschuldigung für das Ausbleiben desselben erfunden, stellte sich Miß Bingley endlich ein. Aber die Kürze dieser Visite, und noch mehr die sichtbare Veränderung in Carolinens Benehmen, benahmen Johannen jeden noch übriggebliebenen Zweifel. Sie schrieb an Elisen:

»Caroline erwiederte meinen Besuch nicht eher als gestern, und in dieser langen Zwischenzeit hörte ich kein Wort, erhielt ich keine Zeile von ihr. daß sie auch jetzt nur aus Pflichtgefühl und nicht aus freier Wahl zu mir kam, sprach sich deutlich genug aus. Sie machte eine leichte Entschuldigung, nicht früher gekommen zu sein, sagte aber nicht, daß sie mich öfterer zu sehen wünschte und erschien mir im Ganzen so verändert, daß ich fest beschloß, diesen Umgang ganz aufzugeben. Ich bedauere und tadle sie zugleich. Es war offenbar Unrecht von ihr, mich so auszuzeichnen, wie sie es gethan, mir mit so vieler Freundlichkeit und Liebe entgegen zu kommen. Und doch muß ich sie auch bedauern, weil sie ihr Unrecht gewiß später erkennen wird. Es geschieht alles nur aus Angst für ihren Bruder; und wenn wir diese Angst auch als völlig grundlos erkennen, müssen wir sie doch in der liebenden Schwester verzeihlich finden. Er weiß, daß ich hier bin – so muß ich wenigstens aus ihren Aeußerungen schließen – und hat dennoch keinen Versuch gemacht, mich aufzusuchen. Caroline ist bemüht, sich und mich fortwährend von ihres Bruders aufkeimender Liebe zu Miß Darcy zu überzeugen, und erwähnt ihrer häufig in dieser Beziehung. Zu welchem Zweck? Ich kann ihn nicht ergründen. Fürchtete ich mich nicht zu streng zu urtheilen, so möchte ich fast sagen, daß aus diesem Allen eine gewisse Absichtlichkeit, ein gewisses zweideutiges Wesen spricht. Doch ich will jeden schmerzlichen Gedanken zu verbannen suchen, und nur an das denken, was mich beglückt, an Deine aufopfernde, treue Schwesterliebe, meine theuerste Lizzy! und an die stets gleichbleibende Güte meines Onkels und meiner Tante. Laß bald von Dir hören. MiB Bingley erwähnte beiläufig, daß ihr Bruder schwerlich wieder nach Netherfield zurückkehren und wahrscheinlich die Pachtung ganz aufgeben würde. Sprich lieber hiervon nicht gegen die Mutter. Es freut mich, daß die Nachrichten von unsern Freunden aus Hunsford gut lauten. Ich rathe Dir sehr, Charlottens Einladung zu folgen und Sir William zu begleiten. Du wirst Dich gewiß recht wohl dort befinden.«

Dieser Brief erfüllte Elisens Herz mit Betrübniß, aber zugleich auch mit Freude über Johannens endlicher Erkenntniß des Unwerths ihrer vermeintlichen Freundin. Von Bingley hoffte und erwartete sie nichts mehr; ja, sie wünschte selbst eine Erneuerung seiner Aufmerksamkeiten nicht mehr. Ihr Glaube an seine Vortrefflichkeit hatte einen bedeutenden Stoß erlitten; sie konnte seinen Charakter nicht mehr achten und sah seine bevorstehende Verbindung mit Miß Darcy (eingedenk Wickhams Schilderung dieser jungen Dame) für eine wohlverdiente Strafe an.

Unterdessen hatte Mrß. Gardiner nicht versäumt, Elisen an das Versprechen ihr Nachricht über Wickhams ferneres Benehmen zu geben zu erinnern; und die Nichte konnte der Tante befriedigend darauf antworten. Seine anscheinende Vorliebe für Elisen war vorüber, er zollte seine zarten Aufmerksamkeiten einer Andern. Sie hatte sich ihre Unbefangenheit, in so weit zu erhalten gewußt, um diesen Wechsel bemerken, und ihn ihrer Tante ohne Schmerz melden zu können. Ihr Herz war nur leicht berührt gewesen und ihre Eitelkeit flüsterte ihr zu, daß sie unstreitig von ihm erwählt worden wäre, wenn sie Vermögen besessen. Eine unerwartete Erbschaft von zehntausend Pfund war der hauptsächlichste Reiz derjenigen jungen Dame, welcher er jetzt sein Herz zugewendet. Doch zeigte sich Elisabeth bei diesem Fall weniger hellsehend als bei Charlotten, und verzieh ihm den Wunsch, sich durch diese Verbindung einige Unabhängigkeit zu sichern, großmüthig. Nichts konnte natürlicher sein! In der festen Ueberzeugung, daß ihm dieser Entschluß hinsichtlich seiner Vorliebe für sie schwer geworden, war sie sogar im Stande, die Wahl vernünftig zu finden, und ihm von Herzen Glück dazu zu wünschen.

Nachdem sie ihrer Tante alles dieses mitgetheilt, fuhr sie fort –

»Ich bin fest überzeugt, ihn nicht wahrhaft geliebt zu haben: denn wäre dieß der Fall gewesen, würde ich jetzt seinen Namen nicht mit Ruhe aussprechen hören, und ihm nicht alles Gute wünschen können. Aber mein Gefühl für ihn ist nicht allein herzlich geblieben, auch Miß King wird mit unpartheiischen Blicken von mir beurtheilt, und für ein harmloses, gutmüthiges Geschöpf erklärt, gegen welches ich keinen Groll hege. Kitty und Lydia nehmen sich die Sache mehr zu Herzen, als ich. Sie sind noch zu jung und unerfahren in der Welt, um es zu begreifen, daß die hübschen und liebenswürdigen Jungen Männer (wenn sie leben wollen) eben so gut auf Vermögen Rücksicht nehmen müssen, als die häßlichen und unliebenswürdigen.«

 

Viertes Capitel.

 

Ohne merkwürdige Ereignisse und besondere Vorfälle, nur durch Besuche und keine Feste in Meryton und Longbourn unterbrochen, waren die Monate Januar und Februar verstrichen und der März herangekommen, welcher Zeitpunkt für Elisens Reise nach Hunsford bestimmt war. Sie hatte anfänglich zwar nicht ernstlich an deren Ausführung gedacht; als sie aber gehört, daß Charlotte die Idee mit großer Beharrlichkeit fest hielt, und sich durch ihre Weigerung sehr gekränkt fühlen würde, eingewilligt. Die Entbehrung der Freundin hatte den Wunsch, sie wieder zu sehen, in ihr erregt, und die längere Abwesenheit Herrn Collins Unerträglichkeit etwas gemildert. Ueberdieß gewährte die Reise eine kleine Abwechselung, und sie sehnte sich, die Gesellschaft der stets verstimmten ewig klagenden Mutter, so wie der thörichten Schwestern auf einige Zeit mit einer andern zu vertauschen. Nebenbei stand ihr die große Freude, Johannen auf der Durchreise in London zu sehen, bevor, und je näher der Zeitpunkt heranrückte, desto mehr wuchs ihre Sehnsucht. Nur der Gedanke an den zurückbleibenden Vater trübte ihre Freude: Sie wußte, daß er sie schmerzlich vermissen würde; und wirklich that ihm der Abschied so weh daß er sie aufforderte, ihm zu schreiben, und ihr zu antworten versprach.

Der Abschied von Wickham war ihrerseits ganz freundschaftlich, von seiner Seite noch etwas mehr. Seine gegenwärtige Huldigung ließ ihn nicht vergessen, daß Elisabeth die Erste gewesen, die seine Aufmerksamkeit erregt, die ihm ein williges Ohr geliehen und Mitleid geschenkt, der er gehuldigt, und die Art, wie er ihr Lebewohl sagte, ihr viel Glück und Freude wünschte, sie auf Lady Katharine von Bourgh und alles was sie in Rosings finden würde, aufmerksam machte, überzeugte sie, daß er immer noch ein warmes Interesse an ihrem Schicksal nähme. So schied sie von ihm in dem festen Glauben, daß er, verheirathet oder unverheirathet, in ihren Augen stets das Muster eines liebenswürdigen, angenehmen Mannes bleiben würde.

Früh am andern Morgen trat sie die Reise in Gesellschaft Sir Williams und seiner Tochter Marie, eines gutmüthigen aber ihrem Vater hinsichtlich der Geistesarmuth sehr ähnlichen Mädchens, deren Unterhaltung, keine größere Wirkung als das Gerassel des Wagens auf sie hervorbrachte. So sehr Elisabeth eine absurde Conversation zu würdigen, und sich daran zu ergötzen verstand: so kannte sie Sir William und alles, was er zu sagen hatte, doch zu genau, um etwas Neues, noch nicht Gehörtes in dieser Art erwarten zu können. Die nähern Details seiner Vorstellung in St. James, so wie seiner Erhebung in den Ritterstand wußte sie auswendig, und der enge Raum im Wagen gestattete ihm nicht, seine unermüdliche Höflichkeit in ihrer ganzen Ausdehnung zu zeigen.

Schon gegen Mittag erreichten sie London und fanden Johannen, die ihre Ankunft an einem untern Fenster erwartet hatte, zu ihrem Empfang bereit. Elisabeth blickte ihr nach der ersten herzlichen Begrüssung forschend ins Gesicht, und freute sich ihres heitern, blühenden Aussehens. Auf der Treppe begegnete ihnen ein Trupp rothwangiger Knaben und Mädchen, deren Neugier, die andre Cousine zu sehen, sie nicht länger am Zimmer geduldet hatte. Freude erfüllte das ganze Haus. Der Tag verstrich wie ein glücklicher Augenblick, der Rest des Morgens ward Geschäfften und Einkaufen gewidmet, der Abend dem Theater.

Erst spät gelang es Elisen, zu einer ruhigen Unterredung, mit ihrer Tante zu gelangen, deren Hauptgegenstand Johanne war. Sie erfuhr zu ihrer Betrübniß, daß die Schwester, trotz aller Anstrengung, die vorige Seelen- und Gemüthsruhe wieder zu erlangen, dennoch oft sehr niedergeschlagen, und nicht immer gleich heiter sei. Doch tröstete sie Mrß. Gardiner mit der Versicherung, daß auch diese kleine Ungleichheit sich bald wieder verlieren, und die frühere Unbefangenheit in ihr Herz zurückkehren würde, indem sie hierzu schon den ersten großen Schritt gethan, und den Umgang mit Bingley's aufgehoben habe. Hierauf neckte die muthtwllige Tante ihre Nichte über Wickhams plötzliche Entweichung, und wünschte ihr Glück, Diesen Verlust so heldenmüthig ertragen zu haben.

»Doch sage mir nur,« fuhr sie fort, »in welcher Art Miß King ist. Es sollte mir in der That sehr leid thun, unsern Freund bloß merkantilische Absichten zutrauen zu müssen.«

»Als Sie vorige Weihnachten bei uns in Longbourn waren, beunruhigte Sie der Gedanke, daß er mich heirathen könnte, welches Unternehmen Sie für unvernünftig erklärten, weil ich arm bin. Und nun nennen Sie ihn merkantilisch, weil er sich um ein Mädchen bemüht, das zehntausend Pfund besitzt. Ist das nicht ungerecht?«

»Ich will ja nur wissen, welche Vorzüge Miß King außer ihren zehntausend Pfund besitzt.«

»Sie ist ein gutes, harmloses Geschöpf, das keinem Menschen etwas zu Leide thut.«

»Und er zeichnete sie nicht eher aus, bis sie durch ihres Großvaters Tod in Besitz dieses Vermögens gelangte?«

»Weshalb hätte er es auch früher thun sollen? Wenn ihm nicht gestattet wurde, sich ernstlich um mich zu bewerben, weil ich arm war, sehe ich auch nicht ein, weshalb er nöthig gehabt, sich um Miß King zu bemühen, so lange sie ebenfalls nichts hatte.«

»Aber sich ihr sogleich nach einem solchen Vorfall huldigend zu nähern, erscheint mir doch etwas unzart.«

»Ein Mann in schlechten Vermögensumständen hat nicht so viel Zeit, alle jene kleinen, eleganten Decorums zu beobachten, die von wohlhabenden Männern geheischt werden. Und wenn Miß King keinen Anstoß daran genommen, warum sollten wir es thun?«

» Ihr Nichtachten dieses Umstandes rechtfertigt ihn nicht. Es beweißt höchstens ihren Mangel an Gefühl und Verstand.«

»Erklären Sie sich die Sache, wie Sie Lust haben, liebste Tante! Meinetwegen mögen Sie ihn merkantilisch und sie einfältig nennen.«

»Nein, Lizzy! so streng will ich nicht urtheilen. Im Gegentheil sollte es mir sehr leid thun, schlecht von einem jungen Mann denken zu müssen, der so lange in Derbyshire gelebt hat.«

»Wenn das sein größter Vorzug ist, bedauere ich ihn sehr. Ich habe eine äußerst geringe Meinung, sowohl von den jungen Männern aus Derbyshire, als auch von ihren in Hertfordshire lebenden Freunden. Dem Himmel sei gedankt, daß ich morgen einem Mann entgegen gehe, der auch keine einzige angenehme Eigenschaft besitzt, und sich weder durch äußere noch durch innere Vorzüge auszeichnet. Dumme Männer sind die einzigen, deren Bekanntschaft sich im Leben noch der Mühe verlohnt!«

»Lizzy, Lizzy! Nimm Dich in Acht! Diese bittre Aeußerung macht Dich verdächtig – sie zeugt von getäuschter Erwartung.

Elisabeth widerlegte Mrß. Gardiners Verdacht durch ein herzliches Lachen, und somit schloß die Unterhaltung. Am selben Abend stand ihr noch die unerwartete Freude bevor, die Einladung zu erhalten, Onkel und Tante nächsten Sommer auf einer Reise zu begleiten. Wie weit sich dieselbe erstrecken sollte, war noch nicht bestimmt, jedoch ging der Plan bis zu den nördlich gelegenen Landseen,

»Geliebteste Tante!« rief Elisabeth voll Entzücken – »welch eine Aussicht auf Seligkeit und Sonne! Sie erfüllt mich mit neuem Leben und neuer Kraft. Fahre hin, getäuschte Hoffnung, trüber Sinn! Was sind die Männer im Vergleich mit Berg und Fels? Wie viel schöne, reiche Stunden stehen mir bevor! Wie wollen wir genießen und einsammeln! nicht nur oberflächlich sehen und hören, wie es die meisten Reisenden thun. Und wenn wir dann glücklich zurückgekehrt sind mit einem reichen Schatz der Erinnerung, Seen, Berge, Thäler und Flüsse noch klar und deutlich vor unsrer Fantasie – dann wollen wir allen denen, die uns nur im Geiste begleiten konnten, ein treues Bild der genossenen Herrlichkeiten entwerfen!«

 

Fünftes Capitel.

 

Am folgenden Morgen setzten die Reisenden ihren Weg weiter fort, und alle Gegenstände erschienen Elisen jetzt neu und anziehend. Sie befand sich in der heitersten Stimmung, denn sie hatte ihre Schwester besser gefunden als sie gehofft, und die Aussicht auf die schöne Sommerreise erfüllte ihr Gemüth mit freudiger Erwartung.

Jetzt wandte sich der Wagen von der Landstraße ab, und jedes Auge war von Sehnsucht vorwärts gerichtet, die Pfarrwohnung zu entdecken. Der Park von Rosings trat ihnen zuerst entgegen, und Elisabeth lächelte in der Erinnerung alles dessen, was sie von den Bewohnern dieser Besitzung gehört hatte. Endlich erblickten sie das, mitten im Garten stehende Pfarrhaus, und Herrn Collins nebst Charlotten in der offnen Thür, ihre Gäste zu empfangen. Letztere äußerte eine so lebhafte Freude, Elisen wieder zu sehen, daß sie des Vetters Förmlichkeit im ersten Augenblick darüber vergaß. Doch wurde es ihr bald klar, daß er sich seit seiner Verheirathung noch nicht verändert hatte, und noch eben so unerträglich wie vorher war. Er hielt sie an der Thür mit Erkundigungen nach dem Befinden eines jeden einzelnen Familiengliedes auf, und bewillkommte sie, nachdem sie das Zimmer erreicht, nochmals mit pomphafter Förmlichkeit und gebührenden Danksagungen, daß sie seine demüthige Wohnung mit ihrem Besuch beehrt.

Elisabeth hatte sich darauf vorbereitet, ihn in seiner ganzen Glorie zu sehen, und fand sich jetzt nicht getäuscht. An sie wandte er sich hauptsächlich mit Lob und Preis seines Glückes; ihr zeigte er die Vorzüge und Bequemlichkeiten seines Hauses, und machte sie auf alle Vortheile seiner Lage aufmerksam. Aber kein Seufzer, ein solches Glück muthwillig verscherzt zu haben, entwand sich ihrer Brust; und wenn sie gleich Wohnung und Einrichtung hübsch und zierlich fand, konnte sie doch nicht umhin, ihre Freundin voll Erstaunen, über die Möglichkeit mit diesen Gefährten zu leben, zu betrachten. Unwillkührlich richtete sie ihre Blicke auf Charlotten, wenn Collins, was nicht selten geschah, etwas Albernes sagte. Einige Mal glaubte sie ein leichtes Erröthen bei ihr wahrzunehmen; gewöhnlich aber that sie klüglich, als hörte sie nichts.

Nachdem die Reisenden sich gehörig ausgeruht, jedes im Zimmer befindliche Stück Möbel sattsam bewundert, und genauen Bericht von ihrer Reise und dem Aufenthalt in London abgestattet, forderte Herr Collins sie auf, nun auch den Garten in Augenschein zu nehmen, an dessen Bearbeitung er selbst thätigen Antheil nahm. Er erklärte dieses Geschäfft für eine seiner größten Freuden, und Elisabeth bewunderte Charlottens Fassung, mit welcher sie solche Leibesübung als der Gesundheit förderlich rühmte. Der Garten ward nun in allen Richtungen durchstrichen, auf jeden merkwürdigen Punkt, auf jede Baumgruppe aufmerksam gemacht. Doch keine Aussicht in der ganzen Grafschaft, ja selbst im ganzen Königreich war zu vergleichen mit dem, durch Aushauung einiger Bäume erlangten Blick auf Rosings. Es war ein hübsches, modernes, auf einer Anhöhe errichtetes Gebäude.

Aus dem Garten wollte Herr Collins seine Gäste nun auch hinaus auf seine beiden Wiesen führen; da aber die Damen nicht mit dem gehörigen Fußwert versehen waren, um dem aufgezogenen Frost damit Trotz bieten zu können, mußte er sich mit Sir Williams Begleitung begnügen, während Charlotte die Schwester und Freundin im Hause herum führte. Dieses war zwar klein, aber so bequem und geschmackvoll eingerichtet, daß Elise Charlottens Wert darin erkannte. Ohne Collins lästige Gesellschaft würde sie selbst den Aufenthalt darin angenehm gefunden haben, und Charlottens Heiterkeit bewies, daß sie seine Nähe manchmal zu vergessen im Stande sei.

Von Lady Katharinens Anwesenheit in Rosings hatte Collins seine Gäste gleich beim Empfang unterrichtet; während des Mittagessens nahm er den Gegenstand wieder auf und versicherte Elisen, daß sie nächsten Sonntag in der Kirche Gelegenheit haben würde, diese unvergleichliche Dame kennen zu lernen, deren Herablassung und Freundlichkeit alles überträfe, was man je in dieser Art gesehen.

»Ihr Benehmen gegen meine theure Charlotte,« sagte er, »ist wahrhaft huldreich. Wir speisen regelmäßig zwei Mal die Woche in Rosings und werden jedes Mal in einer ihrer Equipagen nach Hause gefahren. Auch bezweifle ich nicht, daß wir nächstens eine Einladung zum Thee, mit Einschluß unsrer lieben Gäste, erhalten werden.«

»Lady Katharine ist in der That eine sehr achtenswerthe, verständige Dame, und eine sehr aufmerksame Nachbarin,« fügte Charlotte hinzu.

Der Rest des Abends ward mit Gesprächen über Hertfordshire und allen daselbst vorgefallenen Neuigkeiten ausgefüllt, und erst in der Einsamkeit ihres eignen Zimmers fand Elisabeth Muße, über alles Gehörte und Geschehene nachzudenken, und daraus auf die Freuden und Langweiligkeiten ihres Aufenthaltes in Hunsford zu schließen.

Am folgenden Morgen, als sie eben in ihr Zimmer gegangen war, sich zu einem Spaziergange zu rüsten, hörte sie unten ein Geräusch und gleich darauf Jemanden die Treppe schnell hinauflaufen und ihren Namen rufen. Sie öffnete die Thür und begegnete Marien, die ihr athemlos zurief – »Kommen Sie schnell herunter, liebste Elise! es giebt unten etwas Merkwürdiges zu sehen.«

Da sie auf ihre Fragen keinen Aufschluß über die zu erwartende Merkwürdigkeit erhielt, eilte Elisabeth ihrem Vorläufer nach und fand einen Phäton mit zwei Damen am Gartenthor halten.

»Und ist dieß alles?« fragte Elisabeth. »Ich glaubte wenigstens sämmtliche kleinen Schweine in dem Garten wühlen zu sehen und nun erblicke ich nur Lady Katharine und ihre Tochter!«

»Die ältliche Dame ist nicht Lady Katharine,« entgegnete Marie, fast erschrocken über den Irrthum, »sondern Mrß. Jenkinson, die bei der Lady lebt. Die Andre aber ist Miß von Bourgh, und diese wollte ich Ihnen eben zeigen. Sehen Sie nur ein Mal, wie klein und mager sie ist! Wer hätte sie sich so vorgestellt!«

Es ist unverantwortlich, Charlotten bei diesem Wind so lange vor der Thür aufzuhalten,« sagte Elisabeth. »Warum kommen sie nicht herein?«

»O, das geschieht sehr selten, wie mir Charlotte gesagt hat. Es ist eine große Vergünstigung, wenn Miß von Bourgh ein Mal aussteigt.«

»Ihr Aeußeres gefällt mir,« sagte Elisabeth, mit andern Ideen beschäfftigt. »Sie sieht kränklich und widerspenstig aus. – Ja, sie paßt für ihn und wird eine würdige Lebensgefährtin für ihn sein.«

Collins und Charlotte standen Beide am Wagen in Unterhaltung mit den Damen begriffen, während Sir William zu Elisens größter Ergötzlichkeit in ernstlicher Betrachtung der vor ihm haltenden Sonnen in der offnen Thüre stand, und jedes Mal, wenn Miß von Bourgh ihre Blicke nach ihm richtete, einen tiefen Bückling machte.

Endlich hatten die Damen nichts mehr zu sagen und fuhren weiter. Collins aber kehrte triumphirend ins Haus zurück und verkündete Elisen und Marien, daß die ganze Gesellschaft auf den folgenden Tag zum Mittagsessen eingeladen sei.

 

Sechstes Capitel.

 

Der Gedanke, welchen Eindruck die Huld und Gnade seiner hohen Gönnerin, der Anblick ihrer Wohnung, Dienerschaft und übrigen Umgebung auf seine Gäste machen würde, beschäfftigte Herrn Collins seit dem Augenblick der Einladung ausschließend; und am andern Morgen beim Frühstück war nur von diesem einen Gegenstand die Rede. Er bemühte sich, sie auf den Glanz der Zimmer, auf die reichgekleideten Bedienten und auf das splendide Mittagsmahl vorzubereiten, damit sie alles würdig erkennen, und nicht dadurch aus der Fassung gebracht werden möchten. Und als die Damen sich entfernten, um Toilette zu machen, sagte er zu Elisen:

»Liebste Cousine, beunruhigen Sie sich nicht wegen Ihres Anzugs. Lady Katharine ist weit davon entfernt, von ihren Untergebenen dieselbe Pracht und Eleganz der Kleidung zu erwarten, die ihr und ihrer Tochter zukommt. Ich rathe Ihnen nur, das Beste anzuziehen, was Sie mit hergebracht, und sich übrigens keine Sorge zu machen. Lady Katharine wird nicht geringer von Ihnen denken, weil Sie einfach gekleidet sind. Im Gegentheil, sie liebt es, den Rang auch im Aeußern ausgedrückt zu sehen.«

Während des Anziehens kam er mehrere Mal an ihre Thüren, um sie zur Eile zu ermahnen, indem Lady Katharine nicht gewöhnt sei, auch nur einen Augenblick später zu essen, Alle diese wichtigen Vorbereitungen, und ehrfurchtsvollen Rücksichten versetzten die arme, nicht sehr an vornehme Gesellschaft gewohnte Marie Lukas in eine solche Furcht, daß sie dem ersten Besuch in Rosings mit nicht geringerer Angst entgegenging, als ihr Vater seiner Vorstellung in St. James.

Das Wetter war schön, und Collins führte seine Gäste durch den Park, der wie jeder andre Park Schönheiten und herrliche Punkte enthielt, dennoch aber auf Elisen nicht den eminenten Eindruck machte, den ihr Vetter vorausgesetzt.

Jetzt stiegen sie die Treppen zum Vorzimmer hinan. Mariens Angst nahm mit jedem Augenblick zu, und selbst Sir William, der Hofmann, schien nicht ganz ruhig zu sein. Elisabeths Muth verließ sie nicht. Sie hatte nichts Außerordentliches von Lady Katharinens Talenten, Kenntnissen oder Tugenden gehört, und Rang und Reichthum waren nicht hinreichend, ihr Ehrfurcht einzuflößen.

Durch das Vorzimmer, in welchem Collins nicht versäumte, die Fremden mit entzückten Blicken auf alle Schönheiten aufmerksam zu machen, folgten sie den Dienern noch durch mehrere andere Gemächer bis in das innerste Heiligthum, woselbst sich Lady Katharine mit ihrer Tochter und Mrß. Jenkinson befand. – Ihro Herrlichkeit erhob sich, ihre Gäste zu empfangen, und da sich Charlotte im Voraus das Geschäfft des Vorstellens ausbedungen, ging diese erste Ceremonie ohne Weitläuftigkeit ab. – Trotz der so oft erwähnten Vorstellung in St. James fühlte sich Sir William durch die ihn umgebende Größe dennoch so niedergedrückt, daß er keines Wortes mächtig war und nur mit einem unendlich tiefen Bückling den ihm angewiesenen Platz einnahm, während Marie, ihrer Sinne kaum bewußt, sich auf die Ecke eines Stuhls niederließ und nicht wußte, wohin sie ihre Blicke richten sollte. Elisabeth fühlte nichts von diesem allen, und hatte Ruhe und Muße genug, das Kleeblatt zu beobachten.

Lady Katharine war eine große, schlanke Frau mit starken Gesichtszügen, die früher wohl ein Mal schön gewesen sein konnten. Ihr Wesen war nicht einnehmend, und die Art und Weise, ihre Gäste zu empfangen, nicht von der Beschaffenheit, ihnen ihren geringern Rang vergessen zu machen. Sie imponirte nicht durch Schweigen, wohl aber durch den absprechenden Ton, wodurch sie ihr Selbstgefühl deutlich an den Tag legte. Elise gedachte augenblicklich Wickhams Schilderung und fand im Verlauf des Tages noch öfterer Gelegenheit, die Treue derselben zu erkennen. Nachdem sie die Mutter genau betrachtet, und sowohl im Gesicht als auch in der stolzen Haltung einige Aehnlichkeit mit Darcy entdeckt hatte, wandte sie ihre Blicke auf die Tochter und stimmte beinah in Mariens Erstaunen über ihre Kleinheit und Magerkeit ein. Sie hatte weder ihrer Mutter Ausdruck noch Gestalt. Ohne gerade häßlich zu sein, waren ihre Züge höchst unbedeutend; sie sprach sehr wenig, und das Wenige nur im leisen Ton zu Mrß. Jenkinson, die einzig und allein für sie da zu sein schien, nur auf ihre Worte lauschte und stets bemüht war, den Lichtschirm in der gehörigen Richtung zu stellen.

Jetzt wurde gemeldet, daß das Mittagsmahl aufgetragen sei, und Elisabeth fand alles so, wie es Herr Collins vorausgesagt. Er erhielt seinen Platz, wie er ebenfalls prophezeit, neben Ihrer Herrlichkeit am obern Ende der Tafel, und sah so glücklich und zufrieden aus, als ob ihm das Leben nichts herrlicheres bieten könnte. Er aß und trank und lobte mit ergötzlicher Heiterkeit; und jede Schüssel ward erst von ihm, und dann von Sir William, welcher sich endlich so weit erholt hatte, alles, was sein Schwiegersohn sagte, zu wiederholen, auf eine Weise gepriesen, die Elise mit Verwundrung erfüllte. Sie begriff nicht, wie Lady Katharine eine solche Unterhaltung, ein so übertriebenes Lob, solche grobe Schmeicheleien ertragen konnte. Aber sie schien erfreut durch die unmäßige Bewundrung, und lächelte höchst wohlgefällig, besonders wenn irgend ein Gericht den Herrn neu war und Collins Erstaunen steigerte. Die übrige Gesellschaft nahm wenig Theil an der Unterhaltung: Elisabeth war zwar bereit zum Sprechen, fand jedoch keine Gelegenheit hierzu, indem sie zwischen Charlotten und Miß von Bourgh saß, welche Erstere beschäfftigt war, Lady Katharine anzuhören, und Letztere während der ganzen Mahlzeit gar nicht sprach. Mrß. Jenkinson bewachte ihres Pfleglings Bewegungen, nöthigte denselben zum Essen, und pries bald dieses bald jenes Gericht. Marie dachte nicht daran, etwas zu sagen, und die Herrn hatten nur Zeit zu essen und zu bewundern.

Nach aufgehobener Tafel, als die Damen sich wieder in Lady Katharinens Wohnzimmer versammelt, blieb ihnen nichts zu thun übrig, als dieser Aufmerksamkeit zu schenken. Sie sprach, bis der Kaffee gebracht wurde, ohne Aufhören, und äußerte ihre Meinung auf eine so bestimmte Weise, daß man deutlich sah, wie wenig Widerspruch sie gewohnt sein mochte. Charlottens häusliche Angelegenheiten schienen sie sehr zu interessiren; sie ging in die Details ein und ließ sich so weit herab, ihr ihren Rath selbst bei den unbedeutendsten Kleinigkeiten zu ertheilen. In den Zwischenräumen des Gesprächs richtete sie eine Menge Fragen an Marien und Elisen, hauptsächlich aber an Letztere, von deren Verhältnissen sie am wenigsten wußte, und die sie für ein sehr wohlgezogenes, artiges Mädchen erklärte. Sie erkundigte sich, wie viel Schwestern sie noch habe, ob sie jünger oder älter wie sie selbst, ob sie hübsch oder häßlich, verheirathet oder versprochen, woselbst sie erzogen, ob ihr Vater Equipage halte, und welches der Familienname ihrer Mutter sei? – Elisabeth fühlte das Unverschämte dieser Fragen, beantwortete sie jedoch mit der höchsten Gemüthsruhe. – Lady Katharine fuhr fort –

»Ihres Vaters Gut wird einst Herrn Collins zufallen, nicht wahr? Ihretwegen (zu Charlotten gewendet) freue ich mich darüber; sonst sehe ich keinen Grund, weshalb die weiblichen Glieder einer Familie von der Erbschaft des väterlichen Guts ausgeschlossen werden. In unsrer Familie ist dieser Gebrauch nicht eingeführt. – Singen und spielen Sie, Miß Bennet?«

»Etwas.«

»O, dann wird es mich freuen, Sie zu hören. Wir besitzen ein sehr vorzügliches Instrument, was Sie gelegentlich versuchen können. Sind Ihre Schwestern alle musikalisch?«.

»Nur eine von ihnen.«

»Warum nichts alle? Miß Webbs spielen alle, obgleich ihr Vater keine so gute Einnahme hat als Herr Bennet. Zeichnen Sie?«

»Nein, gar nicht.«

»Keine von ihnen?«

»Nein.

»Das ist sehr sonderbar. Aber ich vermuthe, Sie hatten keine Gelegenheit, es zu lernen. Ihre Mutter hätte Sie jedes Frühjahr in die Stadt schicken müssen, um Ihnen dort die besten Lehrer zu verschaffen.«

»Meine Mutter würde nichts dagegen eins zuwenden gehabt haben, aber mein Vater haßt London.«

»Haben Sie noch eine Gouvernante im Hause?«

»Wir hatten nie eine.«

»Keine Gouvernante! Wie ist das möglich? Fünf Tochter auf dem Lande erzogen ohne Gouvernante! Das ist unbegreiflich. Da muß sich Ihre Mutter wohl für die Erziehung ihrer Töchter ganz aufgeopfert haben?«

Elisabeth konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie dieser Vermuthung widersprach.

»Aber wer unterrichtete Sie denn? wer hatte die Aufsicht über Sie? Ohne eine Gouvernante müssen Sie ja nothwendig vernachlässigt worden sein.«

»Im Vergleich mit andern Familien sind wir es auch vielleicht; aber denjenigen unter uns, denen es ums Lernen zu thun war, fehlte es nie an Mitteln und Gelegenheit dazu. Wir wurden immer zum Lesen aufgemuntert und hatten stets die nöthigen Lehrer. Diejenigen, welche den Müssiggang vorzogen, mögen vielleicht vernachlässigt sein.«

»Ohne Zweifel, und das hätte eine Gouvernante verhindert. Wäre ich mit Ihrer Mutter bekannt gewesen, würde ich ihr auch gerathen haben, eine solche anzunehmen, indem ich jede Erziehung ohne weibliche Hilfe und Aufsicht für unvollkommen erkläre. Sind einige Ihr er jüngern Schwestern schon in der Welt aufgetreten?«

»Ja, Madam, alle.«

»Alle! – Was, alle fünf auf ein Mal? Sonderbar! – Und Sie sind die zweite! – Die Jüngern im Publikum erschienen, ehe die Aeltern verheirathet sind! – Ihre jüngsten Schwestern müssen ohne Zweifel sehr jung sein?«

»Die Jüngste ist noch nicht 16 Jahre alt – vielleicht zu jung, um schon in Gesellschaften aufzutreten. Aber ich halte es doch für eine Ungerechtigkeit, den jüngern Kindern ihren Antheil an den öffentlichen Vergnügungen und Gesellschaften zu entziehen, weil es den ältern entweder an Gelegenheit oder Neigung gefehlt, sich früh zu verheirathen. Die zuletzt Gekommenen haben dieselben Ansprüche an den Freuden der Jugend, als die Erstgeborenen. – Und bloß aus solchen Gründen zurückgehalten zu werden, möchte wenig Zartgefühl verrathen, und der schwesterlichen Liebe gewaltigen Abbruch thun.«

»Sie sprechen Ihre Meinung sehr bestimmt aus,« sagte Ihro Herrlichkeit einiger Maaßen erstaunt, »ich hörte noch nie eine so junge Dame in diesem Ton reden. Wie alt sind Sie?«

»Da ich noch drei jüngere erwachsene Schwestern habe,« entgegnete Elisabeth lächelnd, »können Ihro Herrlichkeit nicht erwarten, daß ich mein Alter bekenne.«

Lady Katharine schien mehr denn erstaunt, keine direkte Antwort auf ihre Frage zu erhalten; und Elisabeth fühlte in diesem Augenblick, daß sie vielleicht die Erste sei, die es gewagt, solcher vornehmen Unverschämtheit Trotz zu bieten.

»Sie können nicht wohl älter als zwanzig Jahr sein,« fuhr Lady Katharine fort, »und brauchen deshalb Ihr Alter nicht zu verhehlen.«

»Ich bin noch nicht ein und zwanzig.«

Der Eintritt der Herrn unterbrach das Verhör. Nach eingenommenem Thee wurden die Spieltische arrangirt; Lady Katharine, Sir William, Herr und Mrß. Collins setzten sich zur Quadrille nieder, und da Miß von Bourgh Cassino zu spielen beliebte, hatten die beiden jungen Damen die Ehre, nebst Mrß. Jenkinson ihre Parthie auszufüllen. Etwas Langweiligeres in dieser Art war Elisen noch nie vorgekommen. Außer den zum Spiel gehörigen Worten hörte man nur Mrß. Jenkinson's Besorgnisse über der jungen Miß Gesundheit, und Fragen ob der Lichtschirm sie hinlänglich vor den Lichtstrahlen schütze. Am andern Tisch trug sich mehr zu. Lady Katharine sprach beständig, bald im erzählenden, bald im verweisenden Ton, wenn ihre Mitspieler kleine Fehler begingen. Herr Collins versäumte auch hier nicht, sich unterwürfig zu bezeigen, für jeden gewonnenen Fisch zu danken, und Ihrer Herrlichkeit Meisterschaft im Spiel preisend anzuerkennen. Sir William sagte nicht viel; er war beschäfftigt, sein Gedächtniß mit Anekdoten und vornehmen Namen zu bereichern.

Nachdem Lady Katharine und ihre Tochter lange genug gespielt, wurden die Spieltische aufgehoben, der Wagen angeboten, von Charlotten dankbarlichst angenommen und sogleich bestellt. Die kleine Gesellschaft trat ans Feuer um Lady Katharine herum, welche sich über das morgen zu erwartende Wetter mit vieler Bestimmtheit äußerte. Hierauf empfahl sich Herr Collins mit einer langen Tirade voll Dankes und schöner Worte, Sir William mit unzähligen Verbeugungen, die Damen schweigend. Kaum waren sie in den Wagen gestiegen, als Elisabeth von ihrem Vetter aufgefordert wurde, ihr Urtheil aber alles, was sie in Rosings gesehen und gehört, auszusprechen, welches aus Rücksicht für Charlotten günstiger ausfiel, als es sonst wohl geschehen. Doch selbst dieses, gegen ihre Ueberzeugung ausgesprochene Lob genügte dem entzückten Pfarrherrn nicht, und er sah sich daher genöthigt, das Geschäfft des Lobens und Preisens mit gewohnter Wortfülle selbst zu übernehmen.

 

Siebentes Capitel.

 

Sir William blieb nur eine Woche in Hunsford; doch war dieser Aufenthalt vollkommen hinreichend, ihn von dem Glück seiner Tochter zu überzeugen, deren eheliche wie nachbarliche Verhältnisse ihm unverbesserlich erschienen. Während seiner Anwesenheit hatte sich Herr Collins ihm hauptsächlich gewidmet, und besonders die Morgenstunden dazu benutzt, den Schwiegervater in seinem Gig auszufahren, um ihm die Schönheiten der Gegend zu zeigen. Jetzt aber kehrte die Familie zu ihren gewöhnlichen Beschäfftigungen zurück, und Elisabeth erkannte es dankbar, daß sie durch diese Veränderung nicht mehr von der Gesellschaft ihres Vetters zu ertragen hatte als vorher. Die Vormittagsstunden zwischen dem Frühstück und Mittagsessen brachte er entweder im Garten arbeitend, oder lesend und schreibend, auch wohl zur Abwechslung zum Fenster hinaus auf die Landstraße schauend, zu.

Das Zimmer der Damen hatte die Aussicht nach dem Hof hinaus, welche Einrichtung Elisen anfänglich auffiel, indem das Eßzimmer nicht allein schöner und größer, sondern auch freundlicher gelegen war. Nachdem sie aber bemerkt, welchen Werth ihr würdiger Vetter auf die größere Frequenz legte, und daß er seine geliebte Charlotte, wenn sie in diesem Zimmer gewohnt, häufiger mit seiner Gesellschaft beehrt haben würde, konnte sie nicht umhin, ihre Klugheit im Stillen zu preisen. Von ihrem Wohnzimmer aus konnte sie weder die Straße noch den Eingang in den Park übersehen, weshalb denn auch Herr Collins nicht versäumte, jedes Mal zu melden, wenn Miß von Bourgh in ihrem Phäton vorbeigefahren. Dann und wann hielt sie vor der Pfarrwohnung an, um sich einige Minuten mit Charlotten zu unterhalten, war jedoch selten zum Aussteigen zu bewegen.

Es verging selten ein Tag, an welchem Herr Collins nicht nach Rosings gegangen wäre, und nicht sehr viele, wo seine Gattin es nicht für nöthig befunden, ihn zu begleiten; so daß Elisabeth, bis sie zu der Erkenntniß gekommen, daß Lady Katharine vielleicht noch einträglichere Stellen zu vergeben haben könnte, das Aufopfern so mancher Stunden nicht recht begreifen konnte. Als eine große Auszeichnung ward es betrachtet, wenn Ihro Herrlichkeit sich zuweilen herabließ, in der demüthigen Pfarrwohnung vorzusprechen. Nichts entging bei solchen kurzen Besuchen ihrer Aufmerksamkeit; sie forschte nach den Arbeiten der Damen, sagte ihnen, wie sie dieses und jenes anders machen mußten, tadelte die Einrichtung des Hauses, und wenn sie sich erbitten ließ, einige Erfrischungen anzunehmen, auch diese.

Das Vergnügen in Rosings zu Mittag zu speisen, wiederholte sich wöchentlich zwei Mal; und abgerechnet den Umstand, daß jetzt nach Sir Williams Abreise nur ein Spieltisch zusammengebracht werden konnte, glichen sich diese Feste wie ein Ei dem andern. Auswärtige Vergnügungen gab es außerdem nur wenige, weil die übrige Nachbarschaft zu fern lebte; doch die beklagte Elisabeth durchaus nicht, da sie ihre Zeit im Ganzen ziemlich angenehm verlebte. Die vertrauliche Unterhaltung mit ihrer Freundin gewährte ihr Freude, und der kommende Frühling lockte sie oft ins Freie. Ihr liebster Spaziergang, den sie meistens immer aufsuchte, während Herr und Mrß. Collins ihre Aufwartung in Rosings machten, war ein entlegener Theil des Parks, wo sie ungesehen und ungestört von Lady Katharinens Neugier lustwandeln und ihren Gedanken nachhängen konnte.

Auf diese ruhige Weise waren die ersten 14 Tage verstrichen. Ostern rückte heran und mit diesem Fest die Aussicht auf einen Zuwachs der Gesellschaft in Rosings, der in einem so kleinen Cirkel nothwendig von großer Wichtigkeit erschien. Elisabeth hatte schon gleich nach ihrer Ankunft in Hunsford gehört, daß Herr Darcy nächstens daselbst erwartet würde, und obgleich es nur wenige Menschen in ihrer Bekanntschaft gab, die sie ihm nicht vorgezogen hätte, versprach sie sich dennoch von seinem Kommen eine kleine Abwechslung in den einförmigen Rosingsparthien. Außerdem hoffte sie durch Beobachtung seines Benehmens gegen Miß von Bourgh, der ihm von Lady Katharinen bestimmten Braut, manche Unterhaltung zu finden, und zugleich die Hoffnungslosigkeit von Miß Bingley's augenscheinlichen Bemühungen nochmals bestätigt zu sehen. Lady Katharine schien sehr erfreut über den verheißenen Besuch; sie sprach mit Ausdrücken der höchsten Bewundrung von diesem Neffen, und konnte es kaum begreifen, daß Elisabeth und Marie schon öfterer das Glück gehabt, ihn zu sehen.

Seine Ankunft ward sehr bald im Pfarrhaus bekannt, indem sich Collins den ganzen Morgen in der Gegend des Parks aufgehalten hatte, um die erste Nachricht von dieser außerordentlichen Begebenheit zu erhalten und seinen Damen zu bringen. Am folgenden Morgen eilte er nach Rosings, seine schuldige Aufwartung zu machen, und fand daselbst noch einen zweiten Neffen Ihrer Herrlichkeit, welchen Darcy mitgebracht, Oberst Fitzwilliam, den jüngern Sohn seines Onkels, Lord ***. Nachdem er auch diesen die ihm gebührende Ehrfurcht erwiesen und sich zum Aufbruch gerüstet hatte, äußerten die Herrn, zu Lady Katharinens größtem Erstaunen, den Wunsch, ihn nach Hause zu begleiten, um die Damen zu begrüssen. Charlotte, die aus ihres Mannes Zimmer das Kleeblatt ankommen gesehen, lief eiligst in das ihrige zurück und verkündete den beiden Mädchen die ihnen bevorstehende Ehre.

»Diese Höflichkeit habe ich einzig und allein Elisen zu verdanken,« sagte sie lachend. »Es würde Herrn Darcy gewiß nicht eingefallen sein, mir seinen Besuch so bald zu machen.«

Ehe Elisabeth noch Zeit hatte, ihren Antheil daran abzulehnen, verkündete das Klingeln der Hausthür die Ankunft der Herrn.

Oberst Fitzwilliam, ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, nicht hübsch, aber in Anstand und Haltung den Gentleman verrathend, führte den Zug an. Darcy sah noch eben so aus, wie er in Hertfordshire auszusehen pflegte; er begrüßte Mrß. Collins mit seiner gewöhnlichen Zurückhaltung und deren Freundin mit dem Anschein der höchsten Ruhe. Elisabeth erwiederte seinen Gruß nur durch eine schweigende Verbeugung.

Oberst Fitzwilliam begann sogleich mit der Leichtigkeit und Gewandtheit des Weltmanns eine Unterhaltung anzuknüpfen; sein Vetter aber verfiel, nachdem er eine Bemerkung über das Haus und den Garten gemacht, in seine bekannte Schweigsamkeit und saß eine geraume Zeit, ohne den Mund zu öffnen. Endlich erwachte seine Höflichkeit, und er wandte sich an Elisen mit der Frage nach dem Befinden ihrer Familie, worauf sie ganz kurz antwortete und gleich darauf hinzufügte:

»Meine älteste Schwester ist jetzt drei Monate in der Stadt gewesen. Haben Sie sie nicht zufällig dort gesehen?«

Obgleich fest überzeugt, daß dieß nicht der Fall gewesen, konnte sie die Frage doch nicht unterlassen, um zu sehen, ob er von dem, was zwischen Bingley's und Johannen vorgefallen, unterrichtet war. Seine Antwort, daß er nicht das Glück gehabt, Miß Bennet dort zu treffen, erschien ihr etwas befangen; sie ließ jedoch das Gespräch fallen, worauf die Herren sich sehr bald empfahlen.

 

Achtes Capitel.

 

Oberst Fitzwilliams Liebenswürdigkeit fand vollkommene Anerkennung in der Pfarrwohnung, und die Damen freuten sich des angenehmen Zuwachses der Gesellschaft in Rosings. Es verstrichen indessen mehrere Tage, ohne daß sie eine Einladung dorthin erhalten hätten; (ein Zeichen, daß sie sonst nur in Ermangelung besserer Gesellschaft geheischt wurden) und erst am Osterfeiertag, beinah eine Woche nach der Ankunft der Neffen, erfolgte beim Herausgehen aus der Kirche eine Einladung, den Nachmittag nach Rosings zu kommen. Lady Katharine und ihre Tochter hatten sich während dieser Zeit gar nicht sehen lassen, so wie auch Darcy; Fitzwilliam hingegen war mehrere Mal im Pfarrhause gewesen.

Die Gesellschaft stellte sich zur bestimmten Stunde ein und ward von Lady Katharine zwar sehr höflich empfangen, doch nicht so herablassend wie sonst. Man merkte, daß sie jetzt nicht allein auf den Umgang mit ihrem Geistlichen und dessen Familie reducirt war, und sie unterhielt sich weit mehr mit den jungen Männern, besonders mit Darcy, als mit Herrn Collins oder den Damen.

Oberst Fitzwilliam schien sehr erfreut, sie zu sehen, jede Abwechselung war ihm in Rosings erwünscht, und Elisabeth hatte ihm gleich anfangs außerordentlich gut gefallen. Er setzte sich jetzt zu ihr und unterhielt sie so angenehm von Kent und Hertfordshire, von seinen Reisen, von neuen Büchern und Musik, daß Elisabeth sich selbst gestehen mußte, in diesen Zimmern noch nie so gut unterhalten worden zu sein; und das Gespräch wurde so lebhaft geführt, daß es nicht allein Lady Katharinens, sondern auch Herrn Darcy's Aufmerksamkeit auf sich zog. Er hatte Elisen schon eine längere Zeit beobachtet und ihre Bewegungen mit einer gewissen Neugier verfolgt, ohne es jedoch zu wagen, sich unberufen in die Unterhaltung zu mischen. Lady Katharine hingegen kannte solche zarte Rücksichten nicht und rief, nachdem sie sich vergebens bemüht, aus der Ferne Antheil zu nehmen:

»Wovon ist die Rede, Fitzwilliam? Was erzählen Sie Miß Bennet? Lassen Sie mich es auch hören.«

»Wir sprachen von Musik, Madame,« sagte er, nicht länger im Stande, einer Antwort auszuweichen.

»Von Musik! dann muß ich bitten, laut zu sprechen – es ist mein liebstes Thema. Es giebt gewiß nur wenig Menschen in England, die so viel Freude an der Musik haben, und zu gleicher Zeit so vielen natürlichen Geschmack verrathen, als ich. Hätte ich mich früher damit beschäfftigt, würde ich ohne Zweifel einen hohen Grad von Virtuosität erreicht haben, so wie auch Anna, wenn es ihre Gesundheit gestattet hätte. Wie geht es in diesem Punkt mit Georginen, lieber Darcy?«

Er freute sich, versichern zu können, daß seine Schwester bedeutende Fortschritte gemacht.

»Das ist mir lieb zu hören;« fuhr Lady Katharine fort. »Sagen Sie ihr von mir, daß sie in diesem Punkt nicht zu viel thun könne, und daß ich ihr den Rath gebe, sich fleißig zu üben.«

»Ich kann versichern, Madam,« entgegnete er kalt, »daß sie eines solchen Raths nicht bedarf und ohne denselben aus freiem Antrieb sehr fleißig in der Musik ist.«

»Desto besser. Man kann hierin nicht zu viel thun. Ich werde es ihr nächstens selbst schreiben, daß ohne anhaltenden Fleiß keine Meisterschaft in der Musik zu erlangen ist. Miß Bennet habe ich schon mehrere Mal versichert, daß sie es auf dem Clavier nie weit bringen wird aus Mangel an Uebung. Nun fehlt es ihr freilich bei Herrn Collins an einem Instrument; doch habe ich ihr schon oft gesagt, daß sie jeden Tag nach Rosings kommen kann, sich dort zu üben. In Mrß. Jenkinson's Zimmer steht ein Instrument, und in diesem Theil des Hauses ist sie keinem Menschen in Wege.«

Darcy blickte beschämt über seiner Tante Unart nach einer andern Richtung und antwortete nicht.

Nach eingenommenem Kaffee erinnerte Fitzwilliam Elisen an ihr Versprechen, ihm etwas vorzuspielen. Sie setzte sich ans Clavier, und er rückte seinen Stuhl näher heran. Lady Katharine hörte einige Minuten zu, fuhr dann aber mit ihrem andern Neffen zu sprechen fort, bis dieser sich auch dem Instrumente näherte und seinen Platz so nahm, daß er der anmuthigen Spielerin gerade ins Angesicht schauen konnte. Elisabeth bemerkte es und wandte sich mit einem schlauen Lächeln zu ihm:

»Sie versuchen mich durch Ihr aufmerksames Zuhören aus der Fassung zu bringen, Herr Darcy; aber es wird Ihnen nicht gelingen. Es ist eine gewisse Hartnäckigkeit in mir, die sich alle Mal widersetzt, wenn ich bei andern den Willen, mich zu intimidiren, bemerke. In solchen Fällen nimmt mein Muth eher zu, als ab.«

»Ich sollte Ihnen eigentlich nicht widersprechen, wenn Sie mir solche bösliche Absichten zutrauen, indem ich, seit ich die Ehre habe Sie zu kennen, bereits oft zu bemerken Gelegenheit fand, daß es Ihnen Vergnügen macht, Meinungen auszusprechen, die im Grunde nicht die Ihrigen sind.«

Elisabeth lachte über diese Schilderung ihrer selbst und sagte zu Fitzwilliam: »Ihr Vetter wird Ihnen eine vortreffliche Beschreibung von mir liefern und Ihnen rathen, nicht ein Wort von dem, was ich sage, zu glauben. Ich betrachte es als einen unglücklichen Umstand in diesem Theil der Welt, wo ich hoffen konnte, mich in den besten Credit zu setzen, mit einem Manne zusammen zu treffen, der aus alter Bekanntschaft im Stande ist, meinen wahren Charakter zu entwickeln. In der That, Herr Darcy, es ist nicht edel von Ihnen gehandelt, alles zu berichten, was Sie Nachtheiliges von mir aus Hertfordshire wissen – und unhöflich dazu. Auch möchte mich ein solches Verfahren reizen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, bei welcher Gelegenheit Dinge an den Tag kommen könnten, die Ihre Verwandten nicht ohne Entsetzen anhören würden.«

»Ich fürchte Ihre Anklagen nicht,« sagte er lächelnd.

»Lassen Sie hören, welcher Unthaten er beschuldigt werden kann,« rief Oberst Fitzwilliam. »Ich brenne vor Begierde zu erfahren, wie er sich unter Fremden benimmt.«

»Sie sollen alles wissen – aber bereiten Sie sich auf etwas Schreckliches vor. Unser erstes Zusammentreffen war auf einem Ball – und was glauben Sie wohl, was er auf diesem Ball that? Er tanzte nicht mehr als vier Tänze! Es thut mir leid; solche unglaubliche Dinge berichten zu müssen; aber er tanzte wirklich nur vier Tänze, obgleich es sehr an Tänzern fehlte, und mehr wie eine junge Dame in Erwartung eines solchen da saß. Herr Darcy, können Sie es läugnen?«

»Ich hatte damals noch nicht die Ehre, mit irgend einer andern Dame außer meiner Gesellschaft bekannt zu sein.«

»Sehr richtig, und in einem Ballsaal giebt es auch keine Gelegenheit, sich den Tänzerinnen vorstellen zu lassen. Oberst Fitzwilliam, was soll ich nun spielen? Meine Finger erwarten Ihre Befehle.«

Vielleicht,« sagte Darcy, »würde ich milder beurtheilt worden sein, wenn ich Bekanntschaften zu machen gesucht; aber ich habe nicht die Gabe, mich bei Fremden zu empfehlen.«

»Sollten wir Ihren Herrn Vetter um die Ursache befragen?« sagte Elisabeth, sich fortwährend an Fitzwilliam wendend. »Sollen wir ihn fragen: weshalb ein gebildeter, wohlgezogener Mann, welcher lange genug in der großen Welt gelebt, sich nicht bei Fremden empfehlen kann?«

»Diese Frage kann ich Ihnen ohne seine Hülfe beantworten. Weil er es nicht will, und es meistens nicht der Mühe werth hält.«

»Mir geht,« sagte Darcy, »allerdings das Talent gewisser Personen ab, mich mit Leichtigkeit mit Menschen zu unterhalten, die ich nie vorher gesehen. Ich kann mich nicht gleich in Jedermanns Ton finden, oder mich für seine Angelegenheiten zu interessiren scheinen, wie ich so viele thun sehe.«

»Meine Finger,« sagte Elisabeth, »behandeln dieses Instrument nicht so meisterhaft, wie so manche andre junge Damen. Sie haben nicht dieselbe Kraft und Fertigkeit, verstehen auch nicht den Tönen den rechten Ausdruck zu geben; aber dieses mangelhafte Spiel betrachte ich nur als eigne Schuld, als Folge versäumter Uebung, und glaube nicht, daß meine Finger unfähiger als andre sind, eine gewisse Virtuosität zu erlangen.«

Darcy erwiederte lächelnd: »Sie haben Recht. Sie haben Ihre Zeit besser angewendet. Wer das Glück hat, Ihnen zuzuhören, wird sicher nichts vermissen.«

Er schien noch mehr sagen zu wollen, ward aber durch Lady Katharine unterbrochen, welche laut nach dem Gegenstand ihrer Unterhaltung fragte. Elisabeth begann wieder zu spielen und Ihro Herrlichkeit sagte zu Darcy, nachdem sie einige Minuten zugehört:

»Miß Bennet würde ungleich besser spielen, wenn sie sich mehr übte und einen guten Londoner Lehrer haben könnte. Ihre Fingersatzung ist nicht übel, obgleich sie hinsichtlich des Geschmacks und Vortrags Annen weit nachsteht. Diese wäre gewiß eine ausgezeichnete Clavierspielerin geworden, wenn ihre Gesundheit ihr gestattet hätte fortzufahren.«

Elisabeth warf einen Blick auf Darcy, um den Eindruck zu sehen, den das freigebige mütterliche Lob seiner Braut auf ihn gemacht; aber er verrieth weder bei dieser, noch bei irgend einer andern Veranlassung das geringste Zeichen von Liebe; und aus seinem ganzen Benehmen gegen Miß von Bourgh schöpfte sie für Miß Bingley den Trost, daß er sie, wenn sie seine Verwandte gewesen, eben so gern oder ungern heirathen würde, als seine Cousine Anne.

Lady Katharine fuhr fort, Bemerkungen über Elisens Spiel zu machen, und sie mit manchen guten Lehren in Betreff des Ausdrucks und Vortrags zu beehren, die sie mit höflicher Nachsicht ertrug. Auf Bitten der beiden Herrn blieb sie am Flügel sitzen, bis der Wagen die Gesellschaft nach Hunsford führte.

 

Neuntes Capitel.

 

Als Elisabeth am folgenden Morgen, während Mrß. Collins und Marie einen Geschäfftsgang im Dorf machten, an Johannen schreibend ganz allein zu Hause war, verkündete ein Klingeln an der Thür Besuch. Aus Furcht, von Lady Katharine überrascht zu werden und deren indiscrete Fragen aushalten zu müssen, verbarg sie ihren halbbeendeten Brief, als die Thür aufging und zu ihrem großen Erstaunen Herr Darcy allein hereintrat.

Er schien selbst verwundert, sie allein zu finden, und entschuldigte sein Kommen durch die Versicherung, daß er geglaubt, sämmtliche Damen zu Hause zu treffen. Hierauf nahm er Platz, und nachdem Elise die gewöhnlichen Fragen nach dem Befinden der Bewohner von Rosings gethan, die er auf seine bekannte lakonische Manier beantwortete, schien eine gänzliche Stille eintreten zu wollen. Diesem Unglück vorzubeugen, sann Elise auf einen Gegenstand der Unterhaltung; sie gedachte ihres letzten Zusammentreffens in Hertfordshire und neugierig zu erfahren, was er über die schnelle Abreise der Netherfielder Gesellschaft sagen würde, begann sie:

»Sie verließen Netherfield im November vorigen Jahrs sehr plötzlich, Herr Darcy. Es muß für Herrn Bingley eine angenehme Ueberraschung gewesen sein, Sie und seine Schwestern so bald in London zu sehen, wohin er, wie ich mich erinnere, selbst erst den Tag vorher abgegangen war. Ich hoffe, Sie verließen ihn und die Seinigen wohl?«

»Ganz wohl.«

Da sie keine andre Antwort zu erwarten hatte, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort:

»Wie ich gehört habe, gedenkt Herr Bingley nicht wieder nach Netherfield zurück zu kehren.«

»Er sprach diesen Vorsatz nie gegen mich aus; doch ist es nicht wahrscheinlich, daß er eine längere Zeit dort zubringen wird. Er hat so viele Freunde in der Stadt, und ist in einem Alter, wo man täglich neue Freundschaften und Verbindungen schließt.«

»Wenn er wirklich nicht die Absicht hat, nach Netherfield zurückzukehren, würde es für die Nachbarschaft besser sein, die Pachtung ganz aufzugeben, damit wir die Freude hätten, eine ansässige Familie dorthin zu bekommen. Aber es ist freilich auch nicht von Herrn Bingley zu erwarten, daß er solche Rücksichten nehmen sollte.«.

»Ich glaube, daß er nicht abgeneigt ist, die Pachtung wieder aufzugeben, sobald es unter annehmlichen Bedingungen geschehen kann,« entgegnete Darcy.

Elisabeth schwieg. Sie wagte nichts mehr über seinen Freund zu sagen, und da sie keinen andern Gegenstand wußte, überließ sie ihm die Mühe, einen aufzufinden.

Er verstand den Wink und begann: »Dieß scheint ein sehr bequemes Haus. Ich glaube, Lady Katharine hat viel dazu beigetragen, es für Herrn Collins bestmöglichst einzurichten.«

»So glaube ich auch, und bin zugleich überzeugt, daß sie diese Wohlthat keinem dankbareren Gegenstand erweisen konnte.«

»Herr Collins scheint sehr glücklich in der Wahl seiner Gattin gewesen zu sein.«

»Allerdings. Seine Freunde haben alle Ursache, ihm hierzu Glück zu wünschen; es wird nicht viel Frauen in dieser Art geben, die ihn geheirathet, oder wenn auch dieß, die ihn so glücklich gemacht hätten, wie Charlotte. Ich erkenne ihren vortrefflichen Verstand an, obgleich ich ihre Wahl nicht für das Klügste, was sie je gethan, erkläre. Doch sie scheint glücklich zu sein, und von Seiten der Vernunft betrachtet, ist diese Heirath allerdings sehr vortheilhaft für sie.«

»Es muß ihr sehr angenehm sein, in einer so geringen Entfernung von Familie und Freunden zu leben.«

»Nennen Sie die Entfernung von fünfzig Meilen gering?«

»Was sind fünfzig Meilen guten Wegs? Nicht viel mehr als eine halbe Tagereise. Ja, das nenne ich eine sehr geringe Entfernung.«

»Diesen Umstand würde ich nimmermehr unter die Vortheile oder Vorzüge der Heirath gezählt haben,« rief Elisabeth. »Ich würde niemals sagen, daß Mrß. Collins in der Nähe ihrer Familie lebt.«

»Sie geben dadurch einen Beweis Ihrer eignen Anhänglichkeit und Vorliebe für Hertfordshire. Alles, was nicht zur nächsten Nachbarschaft von Longbourn gehört, erscheint Ihnen fern.«

Diese Worte sprach er mit einem Lächeln aus, welches Elisabeth zu verstehen glaubte; er hatte dabei an Johannen und Netherfield gedacht, und sie erwiederte erröthend:

»Ich will damit nicht sagen, daß eine junge Frau nicht auch zu nahe bei ihrer Familie leben kann. Das Nahe und Ferne ist relativ und hängt von mannichfachen Umständen ab. Wo Vermögen genug ist, um die Ausgaben einer Reise nicht fühlbar zu machen, hört die Entfernung auf, ein Nebel zu sein. Aber das ist hier nicht der Fall. Herr Collins hat zwar sein reichliches Auskommen, aber dennoch nicht genug, um häufig solche Reisen machen zu können; und ich bin überzeugt, daß meine Freundin selbst die Hälfte des Wegs kaum für eine geringe Entfernung von ihrer Familie gelten lassen würde.«

Darcy rückte seinen Stuhl näher an den ihrigen und sagte: » Sie können unmöglich eine solche Anhänglichkeit an Ihre Heimath haben. Sie können nicht immer in Longbourn gewesen sein.«

Elisabeth sah ihn erstaunt an. In seinem Innern ging augenscheinlich eine Aenderung vor; er zog seinen Stuhl wieder zurück, ergriff ein auf dem Tisch liegendes Zeitungsblatt, überflog es rasch und sagte hierauf im kältern Ton:

»Wie gefällt es Ihnen in Kent?«

Hierauf folgte eine kurze, von beiden Seiten sehr ruhig und lakonisch geführte Unterhaltung über das Leben in dieser Grafschaft, welche zum Glück bald durch Charlottens und ihrer Schwester Zurückkunft unterbrochen wurde. Das tête-à-tête schien sie in Erstaunen zu setzen. Darcy berichtete, daß er aus einem Mißverständniß Miß Bennets Einsamkeit unterbrochen hätte, und stand, nachdem er noch ein paar Minuten schweigend da gesessen, auf, sich zu empfehlen.

»Was kann seine Absicht sein!« sagte Charlotte, als er das Zimmer verlassen. »Liebste Elise! Du mußt nothwendig Eindruck auf sein Herz gemacht haben, sonst würde er uns nimmermehr auf diese familiäre Weise mit seinem Besuch beehren.«

Als Elise aber hierauf erzählte, wie stumm er neben ihr gesessen, und wie viel Mühe sie sich gegeben, nur eine ganz gewöhnliche Unterhaltung im Gang zu bringen, mußte Charlotte gegen ihre Wünsche selbst eingestehen, daß ihn nur der Mangel anderer Beschäftigung hierher getrieben. Die Zeit der Jagd war vorüber. Im Schloß gab es Lady Katharine, Bücher und ein Billiard; aber Männer können nicht immer zu Hause bleiben, und die Nähe der Pfarrwohnung, oder der angenehme Weg dahin durch den Park, oder vielleicht auch die darin wohnenden Personen veranlaßten die beiden Vettern, fast täglich dort vorzusprechen. Sie kamen zu verschiedenen Zeiten des Vormittags, bald einzeln, bald zusammen, zuweilen auch in Gesellschaft ihrer Tante. Oberst Fitzwilliam augenscheinlich, weil er Gefallen an ihnen fand, welche Ueberzeugung sehr zu seinem Gunsten ausgelegt wurde, und ihn allen noch mehr empfahl. Elisabeth ward, sowohl durch sein deutlich ausgesprochenes Wohlgefallen an ihr, als wie auch durch ihre eigne Freude an seinem Umgang, wieder lebhaft an ihren frühern Liebling Georg Wickham erinnert; und wenn Oberst Fitzwilliam diesem auch an äußerer Schönheit und einnehmendem Wesen nicht gleich kam, übertraf er ihn dafür an Bildung und gründlichem Wissen.

Aber weshalb Darcy seine Besuche im Pfarrhause so oft wiederholte, blieb allen ein unergründliches Räthsel. Aus Liebe zur Geselligkeit konnte es nicht geschehen: denn er saß oft zehn Minuten, ohne den Mund zu öffnen, und wenn er sprach, geschah es offenbar mehr aus Gefühl der Nothwendigkeit, denn aus Wahl oder Freude an der Unterhaltung. Er schien selten belebt. Mrß. Collins wußte nicht, was sie aus ihm machen sollte. Fitzwilliam lachte oft über seine vielsagende Schweigsamkeit, und suchte den Damen begreiflich zu machen, daß sie aus verschiedenen Gründen entstehe; aber so viel Mühe Charlotte sich auch gab zu erforschen, ob Liebe, nämlich Liebe zu ihrer Freundin Elisabeth einer dieser Gründe sei, konnte sie doch nie ins Reine darüber kommen. Sie beobachtete ihn nun genauer, wenn sie in Rosings, oder er in Hunsford war; jedoch ohne ihrem Ziel näher zu kommen. Er betrachtete sie oft lange und anhaltend, aber der Ausdruck dieses Blicks war zweifelhaft, verrieth mehr Geistesabwesenheit und Zerstreutheit als Bewundrung und Liebe.

Sie hatte einige Mal der Möglichkeit einer solchen Neigung von seiner Seite gegen Elisen erwähnt, war aber von dieser darüber ausgelacht worden; und da Mrß. Collins es für unrecht hielt, Erwartungen in ihr zu erregen, die aller Wahrscheinlichkeit zu Folge nur mit Täuschung endigen konnten, schwieg sie selbst darüber. daß ihrer Freundin Abneigung gegen ihn augenblicklich verschwinden würde, so bald er wirklich ernstliche Absichten äußern sollte, bezweifelte sie keinen Augenblick; wohl aber daß er sich je so weit herablassen sollte, ihr Herz und Hand zu bieten. Deshalb gab sie ihn in diesem Sinn bald ganz auf, und richtete nun ihr Augenmerk auf Fitzwilliam. Er war unbezweifelt viel liebenswürdiger als Darcy, bemühte sich augenscheinlich um Elisens Gunst, und seine Verhältnisse, wenn gleich nicht so vortheilhaft und glänzend wie die seines Vetters, waren immer noch glänzend genug für ein armes Mädchen.

 

Zehntes Capitel.

 

Es hatte sich jetzt mehrere Mal hintereinander getroffen, daß Elisabeth Herrn Darcy auf ihren einsamen Spaziergängen in den abgelegenern Theil des Parks begegnet war. Sie fühlte das Peinliche eines solchen Zusammentreffens, und um es für die Zukunft zu verhindern, erzählte sie ihm beiläufig, daß dieß ihr Lieblingsspaziergang sei. Wie es nun möglich war, ihn dennoch wieder dort zu finden, begriff sie nicht; aber dieser Fall ereignete sich nicht ein Mal, sondern zwei und drei Mal. Es schien als ob er ihr geflissentlich, aus bösem Vorsatz oder aus selbstaufgelegter Buße in den Weg träte; denn er ließ es alsdann nicht bei bloßen Höflichkeitsfragen und stummen Pausen bewenden, sondern hielt es sogar für nothwendig, mit ihr umzukehren und sie nach Hause zu begleiten. Er pflegte bei solchen Gelegenheiten nicht mehr zu sprechen wie sonst; und auch sie war jetzt auf den Punkt gekommen, sich nicht anzustrengen, und die Unterhaltung ihren langsamen Gang gehen zu lassen. Desto auffallender erschienen ihr beim dritten Zusammentreffen einige seltsame Fragen über die Freuden ihres Aufenthalts in Hunsford, über ihre Vorliebe für die einsamen Spaziergänge, und über Herrn und Mrß. Collins eheliches Glück. Ferner sprach er von der innern Einrichtung des Schlosses von Rosings, die ihr noch nicht ganz bekannt war, und setzte voraus, daß sie bei ihren nächsten Besuch in Kent dort, statt in Hunsford wohnen würde. Seine Worte ließen sich nicht anders deuten. Sollte er an Fitzwilliam dabei denken? Diese Anspielungen kamen ihr höchst unerwartet, und sie freute sich, das Pfarrhaus erreicht zu haben, einer solchen Unterhaltung ein Ende zu machen.

Als sie eines Tages mit dem Lesen eines Briefs von Johannen, der nicht von ihrer gewöhnlichen Heiterkeit zeugte, beschäfftigt, den geliebten einsamen Spaziergang wieder aufgesucht hatte, ward sie abermals durch ein Geräusch gestört. Sie verbarg eiligst ihren Brief und erzwang ein Lächeln, um Herrn Darcy (denn niemand anders konnte sie hier erwarten) unbefangen entgegen zu treten, als ihr Auge Oberst Fitzwilliam erblickte.

»Ich wußte nicht, daß auch Sie diesen einsamen Spaziergang zuweilen aufsuchen,« sagte sie gezwungen.

»Ich habe eben die Tour durch den ganzen Park gemacht, was gewöhnlich jedes Jahr ein Mal geschieht,« entgegnete er unbefangen; »und jetzt war es meine Absicht, einen Besuch im Pfarrhause abzustatten. Gedenken Sie noch weiter zu gehen?«

»Nein, ich war im Begriff dahin zurückzukehren.«

Und somit kehrten sie zusammen um.

»Wollen Sie Kent wirklich nächsten Sonnabend verlassen?« fragte sie.

»Ja – wenn Darcy die Abreise nicht abermals verschiebt. Ich hänge hier von seinem Willen ab, und er richtet alles nach seinem Gefallen ein.«

»Und wenn er sich auch selbst seinen Gefallen dadurch erzeigt, genießt er doch wenigstens die Freude, alles nach eigner Wahl einrichten zu können. Ich kenne keinen Menschen, der so viel Werth auf den Vorzug, nur dem eignen Willen zu folgen, legt, als Herr Darcy.«

»Er liebt es, seinen eignen Weg zu gehen,« entgegnete Oberst Fitzwilliam, »und das thun wir im Grunde alle. Nur mit dem Unterschied, daß er es in Folge seines Reichthums öfterer so haben kann, als andre ärmere Menschenkinder. Ich spreche aus eigner Erfahrung. Die jüngern Söhne sind, wie Sie wissen, an Entsagung und Abhängigkeit gewöhnt.«

»Ich sollte meinen, der jüngere Sohn eines Grafen müßte wenig davon empfinden. Sie werden gewiß die Härte der Entsagung und Abhängigkeit noch nicht gefühlt haben; durch Mangel an Geld nicht abgehalten worden sein, so viel von der Welt zu sehen, als Ihnen gefällt, oder sich alles zu verschaffen, wornach Ihr Sinn strebt.«

»Wohl möglich, daß ich in dieser Art noch nichts zu entbehren und zu entsagen nöthig gehabt habe; aber in wichtigern Punkten leide ich allerdings durch meine beschränktern Vermögensumstände. Die jüngern Söhne können nicht heirathen, wann und wen sie wollen.«

»Wenn sie nicht reiche Frauen erwählen, wie es doch meistens der Fall ist.«

»Unsere Lebensweise macht uns nur zu abhängig von den irdischen Gütern; deshalb können nur wenige Männer meines Standes und Vermögens ohne solche Nebenrücksichten wählen.«

»Soll dieß ein Wink für mich dein?« dachte Elisabeth und erröthete bei der bloßen Idee; doch sich schnell wieder fassend, sagte sie im scherzhaften Ton: »wie viel bedarf denn der jüngere Sohn eines Grafen? sollten 50,000 Pfund ihm wohl genügen?«

Er antwortete ihr in demselben Ton; und nachdem das Gespräch eine Zeit lang so fortgegangen, erfolgte eine kleine Pause, die Elise jedoch, aus Furcht mißverstanden zu werden, sehr bald wieder unterbrach.

»Ich bilde mir ein, Ihr Herr Vetter hat Sie hauptsächlich aus dem Grunde mit hierher gebracht, um immer jemanden zu haben, der ihm zu Gebote steht. Es wundert mich, daß er noch nicht verheirathet ist; eine Frau, wenigstens seine Frau, sicherte ihm doch dieses Vergnügen auf die Dauer; doch bis jetzt hat wohl die Schwester diese Lücke ausgefüllt, und da er ihr alleiniger Aufseher ist, muß sie wohl thun, was ihm beliebt.«

»Die Aufsicht über seine Schwester hat er bis jetzt noch mit mir theilen müssen,« entgegnete Fitzwilliam, »da ich ihm als Vormund von Miß Darcy zur Seite gestellt worden bin.«

»Sie?« fragte Elisabeth voll Erstaunen. »Und wie benehmen Sie sich als solcher? Hat Ihnen dieses Amt schon Sorge gemacht? Junge Damen in dem Alter sind manchmal schwer zu leiten, und wenn Miß Georgine von dem ächten Darcy'schen Geist beseelt ist, liebt sie vielleicht auch ihren eignen Weg zu gehen.«

Bei diesen Worten wurde Fitzwilliam auffallend ernst; und die Art, wie er Elisen fragte, was sie zu solcher Vermuthung berechtigte? überzeugte sie, daß sie wirklich der Wahrheit nahe gekommen war. Sie erwiederte rasch:

»Erschrecken Sie nur nicht. Ich habe nie etwas Beunruhigendes von Miß Darcy gehört, sie vielmehr immer als eins der lenksamsten Geschöpfe rühmen hören. Sie ist ein großer Liebling einiger Damen meiner Bekanntschaft, Mrß. Hurst und Miß Bingley's. Wenn ich nicht irre, haben sie auch das Glück, von Ihnen gekannt zu sein.«

»Ich habe sie einige Mal gesehen. Ihr Bruder ist ein angenehmer Mann, Darcy's genauer Freund.«

»O, ja!« sagte Elisabeth trocken, »Herr Darcy ist außerordentlich gütig gegen Herrn Bingley, und sorgt wahrhaft brüderlich für ihn.«

»Sorgt für ihn? – Ja, ich glaube Darcy sorgt für ihn in solchen Punkten, wo er fremder Sorge und Aufsicht bedarf. Nach einigen, auf der Reise hingeworfenen Aeußerungen zu schließen, muß ich glauben, daß Bingley ihm vielen Dank schuldig ist. Doch kann ich mich auch in der Person irren, da er keinen Namen genannt hat. Es ist bloße Vermuthung.«

»Was meinen Sie?«

»Ich spreche von einem Umstand, den Darcy natürlich nicht gern bekannt gemacht sieht, weil er der Familie der jungen Damen unmöglich angenehm sein kann.«

»Verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

»Gut, aber bedenken Sie auch, daß Bingley nur in meiner Vermuthung die bewußte Person ist. Darcy pries sich nämlich glücklich, kürzlich einen Freund von einer thörichten Heirath abgehalten zu haben, jedoch ohne Namen oder andre näher bezeichnende Umstände zu nennen; und ich glaube nur deshalb, daß es Bingley sein muß, weil er mir ihn als leicht zu fesseln geschildert, und weil ich weiß, daß sie fast den ganzen letzten Sommer zusammen verlebt haben.«

»Gab Herr Darcy Ihnen seine Gründe, diese Verbindung zu hintertreiben, an?«

»Wenn ich nicht irre, waren manche Einwendungen gegen die junge Dame zu machen.«

»Und welcher Kunstgriffe bediente er sich, das Paar zu trennen?«

»Er erwähnte dieser Kunstgriffe nicht,« sagte Fitzwilliam lächelnd, »und erzählte mir nur, was ich Ihnen so eben mitgetheilt.«

Elisabeth war keiner Antwort fähig; das Herz voll Unmuth und Verachtung, ging sie einige Augenblicke schweigend neben dem Obersten her, bis dieser sie fragte, ›weshalb sie plötzlich so gedankenvoll geworden?‹

»Ich denke über das nach, was Sie mir eben erzählt haben. Ihres Vetters Benehmen bei dieser Gelegenheit kann ich nicht gut heißen. Wer hatte ihn zum Richter gemacht?«.

»Sie möchten seine Einmischung viel eher für Zudringlichkeit erklären!«

»Ich sehe wenigstens nicht ein, mit welchem Recht er über seines Freundes Herzensangelegenheiten entscheidet, und warum er sich zutraut, besser zu wissen, was zu Herrn Bingley's Glück erforderlich ist, als dieser selbst. Doch,« setzte sie, sich schnell fassend, hinzu: »da wir die nähern Umstände nicht wissen, kommt es uns auch nicht zu, ihn zu verdammen. Man muß voraussetzen, daß die Liebe bei diesem Fall keine große Stimme gehabt hat.«

»Das ist allerdings keine unnatürliche Vermuthung,« entgegnete Fitzwilliam, »die jedoch meines Wetters Triumph bedeutend schmälert.«

Diese im Scherz hingeworfene Aeußerung erschien ihr so ganz in Darcy's Geist, daß sie nichts mehr darauf zu erwiedern wagte, und schnell ein andres Gespräch begann. Jetzt hatten sie die Pfarrwohnung erreicht, und nachdem der Oberst sich empfohlen, konnte sie ohne Störung über das Gehörte nachdenken. Es war nicht wahrscheinlich, daß er andre, als die ihr bekannten Personen gemeint haben sollte; es konnten nicht zwei Menschen in der Welt existiren, über welche Darcy solchen unbegrenzten Einfluß ausübte. daß er geschäfftig gewesen, Bingley von Johannen zu entfernen, hatte sie keinen Augenblick bezweifelt, jedoch Miß Bingley die größere Schuld beigemessen. Nun aber ward ihr mit einem Male klar, daß er die Ursache war, daß Johanne durch seinen Stolz und Eigensinn so viel gelitten hatte, und noch leiden würde. Er hatte das zärtlichste, edelste Herz um seine schönsten Hoffnungen betrogen, vielleicht auf ewig unglücklich gemacht.

»Es waren bedeutende Einwendungen gegen die junge Dame zu machen gewesen,« hatte Oberst Fitzwilliam gesagt; und diese bestanden vermuthlich darin, daß einer ihrer Onkels Advokat in einem Landstädtchen war, und der andre Kaufmann in London.

»Gegen Johannen selbst konnte er doch unmöglich Einwendungen zu machen haben,« sagte sie zu sich selbst. »Sie ist ja die Güte und Liebenswürdigkeit selbst, voll Verstand, Anmuth und Liebreiz. Auch hoffentlich nicht gegen meinen Vater, der, obgleich nicht ganz frei von Eigenheiten, dennoch Vorzüge besitzt, die Herrn Darcy Achtung abnöthigen müssen.«

Der Gedanke an ihre Mutter verminderte ihr Selbstvertrauen allerdings etwas; doch konnte sie unmöglich zugeben, daß diese im Stande gewesen sein sollte, ein Hinderniß zu werden. Nein! Darcy's Stolz hatte es nicht ertragen, seinen Freund mit einer, hinsichtlich des Ranges und Vermögens so weit unter ihm stehenden Familie näher verbunden zu sehen. Dieser unwürdige Stolz, und der Wunsch der Schwester, den Freund als zukünftigen Gatten zu erhalten, hatten ihn zu einer so unedlen Handlung veranlaßt.

Das längere Verweilen bei diesen kränkenden Gedanken und die hierbei vergossenen Thränen hatten ihr heftige Kopfschmerzen zugezogen, die gegen Abend noch zunahmen und sie, verbunden mit dem Widerwillen Herrn Darcy zu sehen, bestimmten, nicht mit nach Rosings zu gehen, wohin die ganze Gesellschaft zum Thee eingeladen war. Charlotte widersetzte sich diesem Vorhaben nicht, nachdem sie gesehen, daß ihre Freundin wirklich unwohl war, und verhinderte so viel als möglich, daß ihr Mann sie ebenfalls mit Zureden verschonte; doch konnte Herr Collins seine Besorgniß, daß Lady Katharine ihr Zurückbleiben nicht wohl aufnehmen würde, nicht ganz verhehlen.

 

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© Thomas Lehmann

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