Ludwig Bechstein
Arnstadt
Die Drei Gleichen
Gotha
Wartburg
Waltershausen und Tenneberg
Reinhardsbrunn
Der Candelaber
Arnstadt
In heitrer Vormittagsstunde, welche Erfurts ungemein mannichfaltig angenehme Umgebung, besonders den Steigerwald mit seinem vielbesuchten Lusthause, und das entferntere Schiesshaus, nicht minder die Gartenanlagen des beliebten Dreienbrunnen mit ihren Brunnkressklingern, auch nähere und fernere Rebenberge in anmuthigster Beleuchtung erscheinen liess, fuhren die Reisenden aus dem Brühler Thore Erfurts, über eine wohlerhaltene gothische Brücke; verliessen aber die nach Gotha führende Hauptstrasse, und schlugen den Thalweg ein, der zunächst unterhalb der wohlbefestigten Citadelle Cyriaksburg an einem ebenfalls gothischen Denkmale, einem uralten hohen Bildstock, dem Sibyllenthürmchen, vorbeiführte, um das sich manche örtliche Sage rankt.
Der Blick auf eine weite Flur, mit Dörfern wie besäet, ward frei, und malerisch traten aus ihr die Bergkegel der Gleichischen Burgen, während die Vorberge des Thüringer-Waldes den Hintergrund bildeten. Möbisburg mit hochgelegener Kirche wurde als die Stelle den Freunden von Otto bezeichnet, wo die Sage den altthüringischen Herrscher Merovig residiren lässt, daher Merovigsburg des Ortes alter Name sei. Schüttelt auch die strenge Geschichtforschung zu solcher Angabe bedenklich das Haupt, so deuten doch der Ortsname, wie alte Mauerfundamente auf das Vorhandengewesensein einer Burg hin. Der, schöne Fernsichten, wie die reichhaltigste Flora darbietende Steigerwald hat bei diesem Dorf und dem gräflichen Rittersitze Stedten ein Ende. Dort, wo ein Weg längs des in die Gera einfallenden Flüsschens Apfelstedt vom Thale der Gera abwärts nach den drei Gleichen zuführt, zeigte Otto rechts hinüber und sprach: »Da drüben liegt in fruchtbarer Ackerflur die friedliche Herrnhuterkolonie Neu-Dietendorf, die einzige evangelische Brüdergemeinde in Thüringen, und dort vor uns hebt sich schon Molsdorf mit seinem Schloss und dem grossen Garten, an Sommerfeiertagen als Rendezvous der Städter rund umher beliebt und besucht, vor unsern Blicken. Einst prangte dieser Garten im Geschmacke von Versailles, hohe Buchen- und Taxusgänge schatteten, fabelhafte Gestalten von Buxs, Götterbilder von Stein verschönten ihn, Wasserkünste rauschten und sprangen. Graf Gotter führte hier mit Gleichgebornen und Gleichgesinnten ein freudenreiches Leben, der heiterste Gesellschafter, der liebenswürdigste Epikuräer. Noch sind in einer Portrait-Gallerie von Gotters Freunden und Freundinnen im Molsdorfer Schlosse die ungeschriebenen Memoiren dieser »schönen Tage von Aranjuez,« an denen der Gothaische Hof vielfach Antheil nahm, zu lesen; freilich nur von dem Kundigen, der den Hieroglyphenschlüssel solcher physionomischen Geheimschrift in sich trägt. Wir eilen vorüber, da es einen weit unerfreulichern Eindruck macht, die verblühte und verlassene Herrlichkeit von Ehegestern zu überschauen, als das, was seit Jahrhunderten ernstvoll auf uns niederblickt.«
»Studien für den Rococostyl!« spottete Lenz gegen Otto in des Schlosses und Gartens Nähe, während Wagners Blick wie gefesselt auf den Gleichen ruhte, die in immer wechselnder Erscheinung, je nach des Weges Wendungen, sich neben oder vor einander stellten. Bald war Ichtershausen erreicht, wo kurzes Verweilen beliebt wurde, um im Herzogl. neuen Schloss ein grosses und sehenswerthes Schlachttableau, angeblich von Rugendas: die Entsetzung Wiens durch Sobiesky, zu betrachten, dem ein zwar steifes, aber wahrscheinlich historischtreues Planbild der Schlacht bei Lützen im dreissigjährigen Kriege gegenüber hängt. Auch nannte Otto den Ort als die ehemalige Residenz des Ahnherrn des S. Meiningischcn Fürstenhauses, Herzogs Bernhard I.
Schon grüsste der grünbedachte Schlossthurm einer nahen Stadt; Burg Mühlberg trat in den Hintergrund, die steile Wachsenburg war jetzt in Stundenweite das nächste der unter dem gemeinschaftlichen Namen: die drei Gleichen begriffenen Nachbarschlösser, denen ein baldiger Besuch zugedacht wurde, und dem heitern Eindruck der romantischen Gegend und ihren stets wechselnden Bildern sich behaglich überlassend, langten die Freunde wohlgemuth in dem zwar nicht grossen, nur 800 Häuser zählenden, aber reinlichen und freundlichen Arnstadt an, das, wie der Weg, von Landleuten wimmelte, die der Wochenmarkt herbeizog.
Während im Gasthause zur Henne das Mittagsmahl eingenommen wurde, fand Otto Veranlassung, seinen Gefährten einige kurze Andeutungen über Arnstadts frühere Geschichte zu geben. »Diese Stadt,« begann er: »ist eine der ältesten Thüringens, und kommt schon in Urkunden des achten Jahrhunderts vor. Sie war Königliche Villa, und wurde durch Kaiser Otto I. Eigenthum der Abtei Hersfeld, doch besassen auch die Grafen von Kefernburg, deren Stammschloss nur eine halbe Stunde von hier lag, einen Theil Arnstadts, welcher später an die Grafen von Orlamünde kam, von denen er an die von Schwarzburg überging, die nun den Hersfeldischen Antheil dazu erwarben. Die Arnstädter Linie dieser Grafen starb im vorigen Jahrhundert aus, Arnstadt fiel an Schwarzburg-Sondershausen, und hörte auf, Residenzstadt zu sein; doch blüht es erfreulich fort, gehoben durch Gewerbfleiss und Handel, welcher namentlich durch den Verkehr mit dem Walde ausserordentlich lebhaft ist. Arnstadt ist der Getraide- und Holzmarkt für einen grossen Theil Thüringens. Auch ist es als Hauptstadt der Schwarzburgischen Oberherrschaft Sitz einer Regierung, wie eines Consistoriums, und diente öfter und längere Zeit mehren Gliedern seines Fürstenhauses zur Residenz.«
In der That bestätigte ein Blick aus den Fenstern des Gasthofes auf das Rieth, einen marktähnlichen Platz, das, was so eben über den Handel erwähnt worden, denn in ununterbrochnem Zuge strömten Landleute, die vom Markt heimkehrten, dem nahen Thore zu, der Platz stand voll Holzwagen, und als bald darauf Otto seine Freunde an den mit bunten Freskobildern bemalten Häusern vorbei- und eine Strasse zum eigentlichen Markt emporführte, mussten sie sich durch das lebhafte Gewühl drängen. Dabei ergötzten sich Wagner und Lenz an den Volkstrachten, zumal der Frauen und Mädchen, darunter meist sehr hübsche und lebensfrische Gesichter erblickt wurden. Schon auf dem Wege von Ichtershausen her war den Fremden die besondre Nettigkeit des Anzugs der Dörferinnen aufgefallen, der sich auch durch einen eigentümlichen Luxus an gold- und buntgestickten Hauben, breiten schwarzen Spitzenbesatz und einer grossen Bänderfülle daran, auszeichnete, wie denn überhaupt sich ein gewisser Wohlstand fast überall kund that.
Es gewährte Vergnügen, dem Marktgewühl, das unter einem Portikus, die Gallerie genannt, am lebhaftesten war, eine Weile zuzusehen, dazu gab auch das stattliche Rathhaus, mit künstlich- beweglichem Uhrwerk und der Statue des ehemaligen Schutzheiligen Bonifacius, ein Objekt der Betrachtung ab. Otto aber säumte nicht, auch hier einem und dem andern Freunde seine Anwesenheit kund zu thun, und fand sowohl herzlichen Empfang, als offne Bereitwilligkeit, den Fremden zu Liebe, zur Beschauung der Merkwürdigkeiten zur Hand zu sein.
Unter diesen Merkwürdigkeiten steht, alles Uebrige fast in Schatten stellend, die Liebfrauenkirche oben an, und zu ihr wurde zunächst gewandelt, da es ohnedies nicht im Plane Otto's lag, die Freunde auch in den, etwas verwaisten Schlossgarten zu den fast verschwundnen Ruinen des ehemaligen Schlosses, zur grossen und berühmten Günthersmühle, oder zur kleinen Kunstsammlung im Waisenhause, »Mon plaisir« genannt, zu führen.
»Diese Kirche,« – nahm, ihr nahend, Otto das Wort: »ist Arnstadts schönste Zier; lange ward sie vernachlässigt, missachtet, und erlitt in frühern Zeiten manche Entstellung, in spätern manche Zerstörung, namentlich in den letzten Kriegen, wo sie als Magazin und als Lazareth dienen musste. Doch wurde sie wieder gesäubert, und eine Zeitlang Frühgottesdienst in ihr gehalten.«
Bei der Kirche angekommen, sahen nun die Freunde bewundernd den schönen byzantinischen Bau, den gewölbten Kuppelthurm, der noch wohltönende Glocken trägt, und die beiden schlanken kunstreichen Thürme am westlichen Ende; alterthümliches, halbzerstörtes Bildwerk von aussen, und im bald geöffneten Innern gewahrten sie die löbliche Absicht einer zweckgemässen, ruhig fortschreitenden Restauration. Schon waren störende Uebelstände, morsche Emporen und verstaubtes Gerümpel entfernt. Die leider sehr destruirten, noch in ihrem Ruin schönen Glasmalereien waren gegen fernern Frevel und Staub gesichert, ein verdunkelnder, das Chor vom Schilfe trennender Bogen war hinweggebrochen und dadurch mehr Harmonie des Ganzen gewonnen worden, in welchem noch an guterhaltnen Altarschnitzereien, an Sculpturen, vornehmlich aber an kunstreichen Kenotaphien Günthers des Streitbaren und Günthers XXV. manches Merkwürdige gewahrt wird.
»Ich denke mir,« sprach Wagner, aus der Kirche tretend, zu den Begleitern: »dieses schöne Gotteshaus wieder hergestellt, an einem festlichen Tage von Neuem geweiht, und eine andächtige Menge von harmonischem Glockengeläute hineingerufen. So will ich es, gleichsam prophetisch in die Zukunft schauend, in mein Skizzenbuch eintragen!«
Gesagt, gethan; die Freunde sahen ihn unter Wünschen für das Eintreffen solcher Vorhersagung eine Weile zeichnen, dann traten sie einstweilen in den freundlich angelegten, doch nicht öffentlichen Lustgarten des dicht an der Kirche liegenden Prinzenhofes ein.
Ein Pförtchen leitete in dieser Stadtgegend hinaus in das Freie, zu angenehm schattenden Alleen, und trauliche Pfade führten zum Schönenbrunnen, dem vielbesuchten Ziele der Freunde des gut und stark gebrauten Arnstädter Waizenbieres, zu den gut gelegenen Lokalen des Schiesshauses, endlich in ein enges und einsames Thal, wo eine schroffe Felswand, unter dem Namen des Jungfernsprunges bekannt, Echo einer vielfach begegnenden Sage wird. Von hier aus rückkehrend führten die Freunde ihre Besuchenden eine Strecke an dem dicht über Arnstadt sich südlich erbebenden Berge, die Altenburg empor, wo eine lachende Flur und die weite Ebene bis nach Erfurt hin überblickt ward, zur Linken die Gleichen, zur Rechten mannichfaltige Höhen, theils mit Ackerland, theils mit Waldung, näher aber mit Gärten und kleinen Villen bedeckt. Unten, dicht an des Berges Fuss gelagert, breitete sich die noch ummauerte Stadt anmuthig und gesichert aus. Von diesem Standpunkt aus ward auch der Hügel gezeigt, der vor alten Zeiten die Kefernburg trug.
Um aber noch weiteren Begriff von Arnstadts wahrhaft freundlicher Gegend zu geben, wurde der Spaziergang noch etwas verlängert, die forellenreiche Gera wurde überschritten und dem Vergnügungshause der Eremitage zugewandert, von wo aus unter und neben steilen Felsenhängen, grünendem Gebüsch und passenden Anlagen sich eine reizende Aussicht nach Süden hin, auf einen Theil des Thüringer-Waldes, über welchen der Schneekopf langgestreckt emporragt, und in den Plauischen Grund, eröffnet.
Nicht wenig überrascht waren die Fremden, als Otto ihnen das Städtchen Plaue und die darüber liegende Ruine Ehrenburg zeigte, sich plötzlich wieder der Gegend so nahe zu wissen, die sie bereits in der Nähe Ilmenau's von weitem erblickt; und indem ihr Führer sich erinnerte, ihnen dort auf jener Höhe einen vaterländischen Dichter, den Verfasser des Ardinghello, genannt zuhaben, unterliess er nicht, jetzt Neubeck's zu gedenken, des Sängers der »Gesundbrunnen,« der in Arnstadt geboren wurde, und im Beginn seines geschätzten Gedichts die »jungfräuliche Nymphe der Gera« anruft, des mäandrischen Flusses, den man im Thalgrunde durch kräuterreiche Wiesen sich schlängeln sah. Was damals des Dichters Begeistrung im Zaubertraume der Poesie schaute und sang, erblickten die heimwärts Wandernden in der Wirklichkeit:
»Hinter den Waldungen sank hinab der scheidenden Sonne
Schwimmendes Gold, und heiter entstieg im Rosengewande
Einer bestrahlten Wolke der Abend dem thauenden Himmel.
Hesperus funkelte fern ob den Burgruinen der Gleichen.«
Die Drei Gleichen
Am frühen Morgen trug ein leichtes Fuhrwerk die Reisenden auf etwas schlechten Feldwegen den Gleichen und zunächst der noch im bewohnbaren Zustande erhaltenen Wachsenburg zu. Die Stadt hüllte sich den Blicken der Rückwärtsschauenden bald in Duft, der Weg bot nichts Anziehendes dar, und niedrige Höhenzüge beschränkten zu beiden Seiten die Fernsicht; daher suchte Otto die Aufmerksamkeit seiner Gefährten um so mehr auf das zunächst zu betretende Gebiet zu lenken. »Der vulgäre Name dieser Nachbarburgen,« begann er: »die drei Gleichen, ist durchaus unrichtig, denn einmal war nur eine derselben Gräflich Gleichische Veste, und hiess Gleichen, und dann sind sie weder von gleicher Höhe, noch gleicher Entfernung von einander; indess sie scheinen letzteres von gewissen Standpunkten aus gesehen, zu sein, und der volkstümliche Gebrauch mag die Benennung rechtfertigen, welche absolut verdrängen zu wollen, eben so zwecklos als thörigt wäre. Das nichts weniger als malerisch sich von hier ausnehmende, hinter die Mauern sich verkriechende Haus auf dem steilen Berge vor uns ist die Wachsenburg, die höchste ihrer Schwestern, von einem Commandanten noch bewohnt, und durch ihre Schicksale, wie durch ihre Räume, an denen die Beschaffenheit so vieler in Ruinen liegenden Bergschlösser erkannt werden mag, nicht ohne Interesse. In früher Zeit stand ein Kloster auf diesem Berge, das später auf den Walpurgisberg bei Arnstadt verlegt wurde, jene Felsenhöhe, unter welcher wir am gestrigen Tage, bei der Eremitage, weilten. Später liessen die Territorialherren, die Aebte von Hersfeld, zur Sicherung ihres Gebietes, hier eine Burg erbauen. Von jenen Besitzern gelangte die Veste an die Grafen von Kefernburg und Schwarzburg, und einige der Letztern sahen sich genöthigt, die Burg zu verkaufen. Von zwei Liebhabern dazu, der Stadt Erfurt und den thüringischen Landgrafen, erlangten, nicht ohne Gewalt, die Letztern die Veste, und behaupteten sie fortwährend, so dass sie endlich auch dem Hause Wachsen zufiel und bis jetzt noch S. Gotha gehört. Während die Sachsenburg Landgrafeneigenthum war, wurde sie dem berüchtigten Apel von Vitzthum verpfändet, und als dessen blutigrother Stern unterging, entstand noch ein harter Kampf um dies alte Nest; es hielt eine dreiwöchentliche Belagerung aus, wurde tüchtig beschossen und endlich mit Hülfe eines von Bergleuten angelegten Stollens erobert. Die Erfurter thaten dabei das Beste, und gewannen nicht nur grosse Beute, sondern auch für ihre Stadt politische Vortheile. Unter Herzog Ernst dem Frommen wurde sie zu einem Zucht- und Waisenhause eingerichtet, doch ging Beides wieder ein, und die Burg diente später nur noch bisweilen zu einem Staatsgefängniss.«
Im Dorfe Holzhausen, am Fusse des Burgberges, musste der Wagen halten und die Freunde stiegen zu der steilen Höhe hinauf. Vor dem Burgthore, welch ein schöner, zum Verweilen einladender, lindenumgrünter Platz! Weithin vermögen die Blicke zu streifen und überall, wie honigdurstige Bienen, von der blühenden Aussicht zu kosten. Dort grüsst Arnstadt freundlich herüber, dort leuchten Erfurts Festungsmauern, ragen der Dom und die Thürme des Severistifts. Dort ruhen Molsdorf und Ichtershausen mit ihren Gartenwaldungen, grüne Punkte, und die reinlichen Häuser des fleissigen Neudietendorf sind sichtbar, nebst zahllosen andern Dörfern und Höfen. Mühlbergs graue Warte schaut über den Bergrücken, dessen Endpunkt sie bildet; Schloss Gleichen winkt nahe zu sich hinüber, in seine romantischen Trümmer. Weiter westlich hebt sich auf kalkigem Bergrücken die Sternwarte Seeberg, prangt das gothaische Residenzschloss Friedenstein – und fern am äusersten Horizont ragt die hehre Wartburg empor. »Hier liegt vom Buche Thüringen eine der herrlichsten Stellen vor uns aufgeschlagen,« sprach Otto: »diese Burgen, jene Städte, selbst jener jetzt nackte Hügel hinter Arnstadt, darauf einst die Kefernburg herrschend stand, geben dem des Stoffes zum Nachdenken genug, der diese Stelle commentiren möchte. Wir aber klopfen jetzt an und läuten, drinnen erschallt lautes Rüdengebell, endlich erscheint ein Pförtner oder eine Pförtnerin und lässt uns ein, durch einen schmalen Zwinger in den geräumigen, die Burg ganz umziehenden Hof führend.«
Zunächst wurde der sehr tiefe, in Felsen gegrabene Brunnen besehen, dann das Haus, zu dessen Innern ein zweites Thor führt und in welchem freundlich nette Zimmerchen die Wohnung des Commandanten bilden, während noch ausser diesen die (neuere) Kirche, das Staatsgefängniss (eine Stube mit vergittertem Fenster), verschiedene Gewölbe und winkelvolle Gänge gezeigt werden. Gern aus der beklemmenden Enge des alten Baues wandte man sich wieder heraus zum luftigen, zum Theil in Gartenland verwandelten Hof, und liess die Augen an den Aerntefeldern, den lichtgrünen Wiesen, der bunten Färbung des Bodens, der ausgebreitetsten Aussicht sich ergötzen. Der Himmel war rein und klar geworden, es war möglich, die Conturen des fernen Harzes zu erkennen, und das graue Haupt des dreizehn Meilen entfernten Brocken zu grüssen.
Befriedigt wandelten die Freunde bergab; da die Fahrwege in dieser Gegend nichts weniger als einladend sich darstellten, so hiess Otto das Geschirr nach Mühlberg vorausfahren und führte die Begleiter den vorhin erwähnten, nicht hohen bewaldeten Bergrücken, »die Leite,« hinan, welchen überwandelnd, die Landschaft in immer vollerem Reiz erblickt wurde. Anziehend stellte sich weiter zur Linken auf öder, die Fernsicht begrenzender Hochebene die Ruine einer gothischen Kapelle: Heiligkreuz, dar.
Ehe die Wanderer es dachten, lag Mühlbergs einsame Trümmer ihnen ganz nah. Der 70 Fuss hohe Thurmgigant schien eine Steinkrone zu tragen, und er ist es vorzüglich, der dieser Ruine den malerischen Reiz verleiht. Otto musste bedauernd gegen die Begleiter erwähnen, dass er die Hoffnung, sie von den hohen Zinnen herab die Gegend überschauen zu lassen, so eben gescheitert sehe, indem früher im Thurme vorhandene Leitern, auf denen er einst hinan geklimmt, nicht mehr da waren. Aus den noch vorhandnen Ruinen lässt sich wenig auf die ehemaligen Gebäude schliessen, aber hie und da aufgähnende Höhlungen lassen zahlreiche und tiefe Kellergewölbe vermuthen. Der Blick hinab auf den theilweise noch umwallten und ummauerten Flecken Mühlberg ist angenehm, nicht minder macht hie und da eine Maueröffnung den natürlichen Rahmen reizender Landschaftbilder, besonders öffnet sich ein solches gegen Arnstadt und die Wachsenburg hin, das wirklich geeignet wäre, Zeichner anzulocken. Während nun Wagner in der That sich angezogen fühlte, diese Partie seinem Album einzuverleiben, lagerten sich Lenz und Otto auf Fels und Trümmergestein und duftenden Quendel, und der Letztere gedachte im Gespräch des geschichtlichen Dunkels, in welches Mühlbergs Erbauung fällt, die von den thüringischen Chronisten ungemein frühzeitig angegeben wird. Aus diesem Dunkel treten später urkundlich beglaubigte Grafen von Mühlberg, deren Geschlecht aber auch schon im dreizehnten Jahrhundert erlischt, worauf ihre Veste an die Landgrafen von Thüringen fiel und später die Eigenthümer mannichfach und wunderlich wechselte. Geschichtlich Denkwürdiges trug sich auf diesem Mühlberg nicht zu, Fehden und Belagerungen fehlten jedoch nicht, und eine derselben feiert sogar ein altes, noch vorhandnes Gedicht.
Wann die Burg zur Ruine ward, weiss man nicht; ein viereckiger Thurm, angeblich höher, als der noch stehende über dem Thore, stürzte 1768 zusammen.
Nach Mühlberg ging es nun mehr kletternd, als auf gebahntem Wege wandelnd, um eine besonders schöne, auch sagenbekränzte Quelle dieses Ortes in Augenschein zu nehmen, den Spring, dessen Nymphe aus voller Urne Segen dem Orte zuströmen lässt. Man schaut auf einen tiefen goldgrünen Grund; sieht, wie Münzen oder Steine auf unsichtbar emporquellender Fluth geschaukelt, langsam und alsbald grünglänzend zu Boden sinken und unter Conferven verschwinden, die wie Nixenhaar sich auf- und abwärts sanft bewegen. Wenn man lange hinabschaut, ist es, als blicke man der deutschen Sagenpoesie in das sehnsüchtige Auge, in das melancholische Herz.
Rasch trug der Wagen hierauf die Freunde nach Freudenthal. Mit aufmerksamem Auge beobachtete Wagner während der Fahrt die Situation der Schwesterburgen, bis er einen passenden Punkt gefunden zu haben glaubte, sie zu zeichnen. Er wählte ihn mitten in der Feldflur, durch welche in ziemlicher Krümmung der Weg leitete, und belebte aus eigner Phantasie das leere Feld des Vorgrundes mit einer Jagdscene. Er, der Maler, liebte es, den Bildern aus alter Zeit, gleichsam symbolisch, herbstliche Staffagen zu geben, oder der idealen Färbung, die Otto durch das bunte Glas der Poesie und Sage an den Landschaftsbildern erblicken wollte, eine materielle, durch Darstellung ergiebiger Obstärnten, Jagden, oder Heerden – selbst Wurst und Schinken verheissender Schweine – einen Gegensatz aufzudrücken, woran Lenz sich höchlich ergötzte, und wodurch manch heitres, gegenseitig neckendes Gespräch veranlasst wurde.
Im Forsthause Freudenthal, das zugleich mit leiblichen Erquickungen oft einsprechende Fremde zu bewirthen im Stande ist, und an die Stelle einer ehemaligen zur Burg gehörenden Kemnate erbaut wurde, fanden die Reisenden solcher Fremden eine grosse Anzahl, und es schien deren Anwesenheit auf etwas Besondres hinzudeuten. Von allen Seiten kamen sie an, zu Wagen und zu Fusse, doch führte Otto nun seine Gefährten aus dem lauten Gedränge bergempor. Bald sahen sie hohes und starres Gemäuer den Bergscheitel rings umziehend vor sich aufragen, die Thorflügel knarrten in rostigen Angeln, und der grüne Rasen des Burghofes lachte in sonniger Helle die Wanderer an. Der Führer hatte Sorge getragen, dass dieser zum »Tischlein decke dich« des Mährchens wurde; man gedachte in behaglicher Ruhe hier oben zu schmausen, und lagerte an schattiger Stelle, wohlgeborgen vor der Mittagssonnengluth.
»Dies ist denn nun,« sprach Otto: »die romantische Burg Gleichen, hier lebte und hier liebte jener sagenhafte ritterliche Held, dessen Abenteuer und Erlebniss Dichter begeisterte, Kritiker entzweite, Forscher anregte, und dieser alten Veste Berühmtheit bis zum fernen Auslande verlieh, ja über sie und die Sage selbst eine so bändereiche Literatur hervorrief, wie wohl wenige deutsche Burgen sich zu erfreuen haben.«
»Fürwahr,« unterbrach Lenz: »es wird sich die bekannte Sage recht gut noch einmal vernehmen lassen hier auf der sommerluftigen Höhe, am Schauplatze der Historie. Ich sehe dort über der Thüre wahrhaftig noch den gelöw'ten Leoparden aus dem Wappenschilde seine Pranken gegen uns ausstrecken, und uns mit vollem Gesicht anfletschen, dessen Musäus in seiner beliebten Darstellung der Sage erwähnt. Hätte mir, dem damals das Mährchen Verschlingenden, nie träumen lassen, in spätern gesetzten Jahren da zu lagern, wo Melechsala wandelte.«
»Immer am liebsten lasse ich mir,« erwiederte ihm Otto: »an der Stelle, wo Erzähltes sich zutrug, das Geschehene berichten, Traditionen zumal; solche Orte umweht mit stets jungem Flügelschlag die Poesie.« Dann ergriffen von der Vergangenheit, sie als Gegenwart denkend, gleichsam rhapsodisch, halb in sich gekehrt, halb den Blick über die Mauertrümmer hinweg, dem blauen Himmel zugewandt, fuhr er fort zu sprechen, während in der Thaltiefe, bald sanft, bald lauter, volltönender, harmonischer Gesang, ordentlich wie begleitend, in kurzen Pausen, sich vernehmen liess.
»Herolde durchziehen und kaiserliche Boten das deutsche Land. Zum Kreuzeszug gen Palästina! schallt das Gebot, welches den Heerbann zur Folge aufruft. Die Thore der Burgen, der Städte thun sich auf, die Fähnlein wehen, die Eisenharnische rasseln. Zum Thüringer Landgrafenlöwen gesellt sich der Gleichische Leopard. Aus liebend umstrickenden Armen der treuen Hausfrau reisst sich männlich und stark der edle Graf. Zur Wartburg dort drüben wallt der glänzende Zug; dort weint in des Gatten Armen Elisabeth, die Heilige, Thränen des Trennungsschmerzes. Lebe wohl, Vaterland! Deutsches Land! Europa – lebe wohl! Im fernen Süd-Osten wandelt, unter Afrika's glühender Sonne, das Kreuzfahrerheer. Da geht der Lebensstern des Thüringer Landgrafen unter; der fromme Ludwig stirbt in Brundus. Im Lande Aegypten beginnen die Kämpfe mit den tapfern Sarazenenhorden. Graf Ernst von Gleichen, eines Tages allzuweit aus dem gesicherten Lager sich entfernend, wird von einer streifenden Rotte nach tapferer Gegenwehr gefangen, und büsst in harten Fesseln zu Alkair den allzuverwegnen Muth. Den schönen Gefangenen erblickt mit Gärtnerarbeit beschäftigt die Sultanstochter, und ihr Herz neigt sich mit zärtlicher Liebe ihm zu.
Theilnehmender Annäherung folgt ein süsses Bekenntniss, und schmerzlichen im Christenthum bedingten Weigerungsgründen seinerseits die unbefangene Unbedenklichkeit der Bekennerin des Islam. Liebe weiss nichts von Dogmen – will nichts von solchen wissen, und Liebe braucht ihre siegreichen Ueberredungskünste; Hoffnung hilft bitten, Freiheit winkt dem, der sehnsüchtig ihrer harrte. Die Liebenden fliehen; ein Schiff trägt sie treuer, als jenes, das Hüon mit Rezia trug, nach Europa's Küste, und williger, als der Papst Urban dem armen Tanhäuser verzieh, verzeiht Gregor der Grosse die Bigamie, denn es gilt, eine Seele dem Christenglauben zu gewinnen. Die Sarazenin nimmt ihn willig an. Um Alles dieses wird die Gräfin, die daheim den Gatten schmerzlich beweint und sich Wittwe glaubt, freilich nicht gefragt; aber als sie nun von des Gatten Rückkehr hört, den Lauf der Geschicke vernimmt, fügt sie sich beruhigten Herzens in das Unvermeidliche, geht freudig der Befreierin des geliebten Gatten entgegen und umarmt sie als Schwester. Von diesem schmerzlichen Freudengange trägt noch heute jenes Haus am Bergesfuss den Namen Freudenthal; der Weg, den wir aufwärts gewandelt sind, heisst noch heute der Türkenweg, und im Dome zu Erfurt sahen wir bereits den alten Stein, der die Gebeine der innig Verbundenen deckte, ein stummer und doch beredter Sagenzeuge. Lange Jahre hindurch ward auch in der sogenannten Junkerkammer, einem Zimmer dieses öden, verfallenden, doch noch bedachten Baues, das dreischläfrige Bett gezeigt, das eine so seltne Liebe weihte; doch ward diese Reliquie, deren Splitter man als Antidot der Eifersucht pries, im Laufe der Zeit aufgerieben, anderer bewahrheitender Dokumente nicht zu gedenken!« –
Lenz hatte die Becher gefüllt, und mit den Freunden anklingend rief er: »Den hoffentlich noch vereinten Schatten dieser Drei!«
Gern hätte Otto noch gegen die Gefährten jetzt Erwähnung gethan der Geschichte der Burg, ihres hohen Alters, des weitverzweigten, reichen und angesehenen Geschlechts der Grafen von Gleichen, der Kriegshändel um die Burg, und ihres Verfalles; allein kaum damit begonnen habend, gewahrte er, dass der Hof sich mit lauten Lustwandlern füllte, mehr und mehr kamen der Waller jeden Geschlechtes und Alters fröhlich zu dem alten Burgthore hereingewimmelt, verbreiteten sich über den geräumigen Rasenteppich des Burghofes, überkletterten die Gemäuer, die deutlich ältesten Bau verkünden, krochen spähend betrachtend in die zahlreichen Keller hinab, lagerten sich am alten viereckigen Wartthurme, wagten sich über morsches Treppengebälk in die obern Stocke des überdachten neuern Hauses, deren Estrich an manchen Stellen bereits durchgebrochen, und begrüssten zutraulich die Fremdlinge. Jetzt schallte näher und näher vollstimmiger Männergesang im lebendigen Marschtakt, und singend zogen, begleitet von Hunderten, die nicht sangen, gegen 500 Männer und Jünglinge in den Burghof.
Den überraschten Freunden löste Otto das Räthsel. Neun Liedertafeln der Umgegend waren es, die zu einer grossen Liederfahrt vereinigt, sich im Freudenthal zusammengefunden, dort einzelne Productionen aufgeführt, und nun vereinigt mit gemeinsamer Sangeslust die Burg begrüssten. Von Gotha, von Erfurt, von Arnstadt, von Ohrdruf, von Georgenthal und andern Orten waren sie gekommen, und es war eine Lust, die kunstgeübten Männerchorgesänge zu hören, das bunte Gewimmel erfreuter Hörer und Hörerinnen zu sehen, die den alten Bau so jugendfrisch und lebendig schmückten. Die Gegenwart hing ihren schönsten Kranz an den Grabstein der Vergangenheit auf, und mehr als dreitausend Menschen freuten sich hier in Eintracht und Liebe, geistig emporgehoben auf den Schwanenfittigen der allveredelnden Gesangeskunst.
Otto konnte der Befreundeten viele unter den Gekommenen begrüssen, in deren Kreise seine Freunde sich alsbald mit der den Thüringern eignen Herzlichkeit aufgenommen sahen, und Jene fanden hohen Genuss an diesem Wahrnehmen eines edelgemüthlichen Volkslebens, für dessen langedauerndes Fortblühen sie die besten Wünsche aussprachen.
Erst als die Sonne sinkend noch die Schwesterburgen und die liebliche Gegend mit flammendem Gold übergoss, verlor sich die frohe Menge, sagten sich die nach allen vier Winden Ziehenden Lebewohl, mit dem Versprechen baldigen Wiederbegegnens, und die Freunde fuhren nun rasch im Geleite der Liedertafel von Gotha, umschwärmt von lustigen Reitern, und unter die spätere Dämmerung noch melodisch durchschallenden Gesängen nach Gotha zu. Auf steilem und sterilem Kalkberge zur Linken thronte einsam die Sternwarte Seeberg; sie konnte nicht besucht werden, aber es glühten im Herzen Manches der Fahrenden die Dioskuren der Freundschaft und Liebe, und machten ihren innern Himmel in der äussern Sternennacht sonnenhell.
Gotha
Der nächste Morgen fand die Reisenden zeitig wach. Sie gaben sich dem angenehmen Eindrucke willig hin, den das Gefühl erregt, mitten in einer volkreichen, nicht unbedeutenden, dabei wohlgebauten Stadt zu sein, in die man sich plötzlich wie durch Zauber versetzt sieht, wenn man spät Abends oder zur Nachtzeit eintraf, und vorher weder Zeit gewann, ihre Profile, noch ihre Physiognomie näher zu betrachten. Den mit stattlichen Häusern besetzten Markt überschauten aus den Fenstern ihrer Zimmer im Gasthofe zum Riesen die Freunde; sie sahen diesen Markt sich sanft zum Berg emporheben und oben das herrliche Residenzschloss seine weiten Flügel ausbreiten. Gegenüber dem Gasthause, isolirt mitten auf dem untern Theile des Marktes nahmen sie das grosse und geräumige alte Rathhaus wahr, und auf Strassen und Plätzen das erwachende Leben eines vielbesuchten Markttages. Buden bauten sich mit Geräusch auf, Waaren wurden ausgelegt; zum wechselvollen und mannichfaltigen Verkehr boten sich auch heute Stadt und Land einträchtig die Hände im Tausch unentbehrlicher Bedürfnisse, während auch die mehr entbehrlichen, die man mit dem Namen Luxusartikel bezeichnet, keinesweges unberücksichtigt blieben.
»Gotha ist vorzugsweise thüringische Handelsstadt,« nahm Otto das Wort: »Inmitten eines mit Fruchtbarkeit gesegneten, ergiebigen und dabei mit tüchtigem Fleisse kultivirten Landes gelegen, strömen ihm Wald und Feld, Bach und Weiher die Erzeugnisse der Natur, nicht minder technische Industrie die Produkte ihres Gewerbfleisses zu, während es zugleich weder Künstler in allen gesuchten Fächern, noch wissenschaftlicher Anstalten hohen Ranges entbehrt. Seine geographische Lage ist eine höchst glückliche zu nennen, indem mehre grosse Hauptstrassen hier zusammenstossen, und eine Menge Nebenstrassen, sich diesen vereinigend, vollen Verkehr erleichtern. Vom schönsten Theile des Thüringer Waldgebirges nur wenige Stunden entfernt, und dieses in reizender Ausdehnung panoramenartig hingelagert erblickend, ist auch Solchen idyllischer, wie hochromantischer Genuss nahe gerückt, die sich am Rauschen von Wald und Wasserfall, an Resten des Alterthums, überhaupt am Naturfrieden gern erfreuen mögen, oder bisweilen von ernsten und trocknen Berufsgeschäften rastend, aufathmend die Frische und Freiheit der allmütterlichen Natur geniessen wollen.«
Während man das Frühstück einnahm, berührte Otto im Gespräche flüchtig Gotha's Vorzeit und Geschichte, jedoch vorausbemerkend, dass die Zeit viel zu kurz, um mehr als nur andeutende Uebersicht geben zu können.
»Gotha,« begann er: »dankt seinen Namen wohl nicht den Gothen, wie Manche meinen, vielleicht eben so wenig seinem Schutzheiligen: St. Gotthart. Das anfängliche Dorf erhob sich früh zur Stadt, Kaiser Heinrich I. soll es mit Mauern umgeben haben. Ein Eigenthum des Stiftes Hersfeld, kam Gotha später in den Besitz der Schutzherren dieses Stifts, der Landgrafen von Thüringen, die eine Kemnate hier erbauten, aus welcher allmälig die starke Veste Grimmenstein wurde, darauf sie oft wohnten. Als die Landgrafen erloschen, kam auch Gotha an das Haus Sachsen. Die neuere politische Geschichte des Landes und Fürstenhauses von Gotha darf ich als euch bekannt voraussetzen, und erwähne nur, dass auch die Stadt selbst so sehr durch Mauern, Wälle, Gräben und Bastionen geschützt wurde, dass sie für eine vollkommene Festung galt. Unter Karl V. wurde der Grimmenstein rasirt, aber alsbald wieder fester und stärker aufgebaut, mehr zum Unglück, als zum Glück der Stadt, denn in seinen sichernden Mauern gewährte Herzog Johann Friedrich II. dem geächteten Ritter Wilhelm von Grumbach und dessen Anhang ein Asyl; dessen Rathschlägen zur Erstrebung und Erlangung der Churwürde willig Gehör gebend, und das Schloss mit eben so lobenswerther Freundestreue, als unpolitischer Hartnäckigkeit gegen des Kaisers Achtsvollstrecker vertheidigend, so dass er dadurch eine für alle Theile höchst beklagenswerthe Katastrophe herbeiführte, die der Stadt und ihrem Gebiete nachhaltigen Schaden brachte, ihm, dem Herzog, lebenslängliche Haft zuzog, und den Grimmenstein der Erde gleich machte. In Herzog Ernst dem Ersten, dem Frommen, den das Volk noch in dankbarer Erinnerung unter dem Namen Bet-Ernst kennt und ehrt, ging der Stadt und dem Lande ein neuer Glücksstern auf. Dieser würdige Ahnherr der jetzigen Herzogl. Sächsischen Regentenhäuser, der nicht minder den Namen des Weisen, wie des Frommen, verdiente, erbaute das jetzige Schloss und nannte es Friedenstein. Durch ihn geschah für Kunst und Wissenschaft, wie für Gesetzgebung und Staatsverwaltung unendlich viel, das immer noch, nachhaltig und segensreich, unverkennbar fortwirkt. Seiner Kunstliebe vornehmlich dankt Gotha das in vielem Betracht ausgezeichnete Museum. Mitkämpfer im dreissigjährigen Kriege, bevor er durch die nachherige Erbtheilung mit seinen Brüdern zur Regierung über das Land Gotha gelangte, um in ruhiger, von den Stürmen des Krieges sich erholender Zeit alle Segnungen dss Friedens über sein Land durch weises und thatkräftiges Regentenleben herbeizuführen – erwarb er auf rechtliche Weise, nicht mit der Raublust eines Eroberers, einen grossen Theil der Literatur- und Kunstschätze, die des Museums Anfang und Grundlage bilden halfen; Anderes fiel ihm als Miterbe des grossen Bernhard von Weimar zu. Als er Schloss Friedenstein erbaute, war er besorgt, ausgedehnte Räume auch zur Aufbewahrung seiner sich mächtig mehrenden Sammlungen zu gewinnen. Und was sein wackrer Sinn zu sammeln, zu ordnen und zu pflegen bemüht war, achteten glücklicherweise auch seine Nachfolger hoch, strebten zu mehren, zu sichern, zu erhalten, und so ist es für Gotha ein unberechenbarer Gewinn geworden, dass selbst in Theilung drohender Zeit, als der Fürstenthron auf dem Friedenstein verwaist stand, der Erbberechtigten Weisheit, zwar ohne rechtliche Ansprüche aufzugeben, doch nicht eigensüchtig an Trennung der Literatur- und Kunstschätze dachte, sondern auf deren dauerndes Beisammenbleiben und zweckgemässes Vermehren bedacht war.«
So im Allgemeinen die Freunde auf den Standpunkt führend, von welchem aus das Gothaische Museum ernst und bedachtsam zu betrachten ist, wurde es Otto leicht, als man nun in nächster Vormittagsstunde jene würdigen Kunsthallen selbst betrat, an Ort und Stelle viel des Erläuternden dem, was gefällige und freundliche Beamte und Custoden den Fremden zu sagen hatten, hinzuzufügen. Es war der stattliche Bau des herzoglichen Residenzschlosses, von aussen und innen umwandelt, von den Freunden bewundert worden, und Lenz hatte ausgerufen: »Wahrhaftig, ein Schloss, in welchem ein König sich keinesweges schämen dürfte, zu residiren!« worauf Otto ihm eine bekannte Medaille beschrieb, auf welcher das prangende Schloss zu ersehen ist, mit der nicht ohne politische Beziehung gewählten Legende: Hier ist gut thronen.
Das chinesische Cabinet that zuerst sich auf, und man sah auf die verschiedenartigste Weise den Kunstfleiss, ja das ganze Leben eines fernen wunderbaren Volkes sich nahe gerückt, und hier in manchem Gegenstande immerwährendes Stehenbleiben auf niedriger Kunststufe, dort bewundernswerthe Technik und geschmackvollste Arbeit in Geräth und Schmuck zur Schau gelegt. Und was nicht von häuslichem und öffentlichem Leben der Chinesen in unverfälschter Aechtheit der Trachten, der Architektur, der Idole u. s. w. dort vorliegt, das helfen kostbare Bücher, Originale theils, theils höchst werthvolle europäische Bilderwerke erläutern, die dem sinnenden Beschauer sagen, dass nur absprechender Unverstand es über sich gewinnen mag, mit einem wegwerfenden Urtheile des »himmlischen Reiches« zu gedenken. – In angemessener Weise wird der Fremde nun zum Beschauen einer zwar minder reichhaltigen, doch belehrend unterhaltenden Sammlung von Waffen, Geräthen, Musikinstrumenten, Trachten und Schmuck fremder Völkerschaften geleitet, in welcher er manches Seltne zu bewundern hat; auch leiten einige Reliquien Napoleons zur Erinnerung an den Mann, der nach einer Weltherrschaft strebte, daher sie nicht ohne tiefe Bedeutung mitten unter den Repräsentanten orientalischer und occidentalischer Nationen und neben kostbaren Waffen aufgestellt erscheinen. – Otto unterliess nicht, hier mit anerkennender Verehrung des kunstsinnigen, feingebildeten Herzogs Emil Leopold August zu gedenken, dessen hoher Geist auch auf diese Sammlungen sich richtete, und namentlich das chinesische Kabinet dem bereits Vorhandenen hinzufügen liess.
Das Kunstkabinet sucht mit seiner überreichen Fülle von Sehenswürdigkeiten nicht bloss die Schaulust zu befriedigen. Antike, mittelalterliche und neue Kunst begegnen sich hier erfreulich, und Alles ist harmonisch geordnet, so dass einem autopsisch Lernenden das Buch reichhaltigster Kunstoffenbarung hier aufgeschlagen vorliegt. Wie aber jedem Künstler hinwiederum die Natur belehrende Fingerzeige geben muss, und ihre ewigen Gebilde zum Studium der Schönheit in Form und Farbe anregende Muster darbieten, so reiht sich passend an das Kunstkabinet das Naturalienkabinet mit reichhaltigen Sammlungen an, darunter sich wieder das Conchilienkabinet durch musterhafte wissenschaftliche Anordnung, wie durch die grosse Menge der Gattungen und Arten auszeichnet. Wenn nun diese Anstalten dem mit Ernst Betrachtenden genug zu denken geben, und auf den nicht blos oberflächlich Beschauenden fast ermüdend wirken können, so öffnet auch noch die Gemäldegallerie ihre zahlreichen Säle, und bietet weit über 800 Bilder aus allen Zeiten und Schulen, darunter Ausgezeichnetstes von besten Meistern, dar. Dieses Alles besehen habend, gönnten die Freunde sich Ruhe, um in mancherlei Wechselmittheilungen sich den gehabten Genuss noch mehrmal zu vergegenwärtigen, und wählten zum Besuch der Bibliothek, mit welcher das bedeutende und berühmte Münzkabinet verbunden ist, eine andre Stunde. Auch diese Schätze sind so reichhaltig, dass es fast vermessen wäre, von Einzelheiten beschreibend zu sprechen. Museen überhaupt lassen sich nicht auf wenigen Seiten schildern, es gehören Bände dazu,Mit gründlicher Gelehrsamkeit und nach idealer Anordnung ist ein Werk begonnen worden: »Beschreibung des Herzogl. Museums zu Gotha, von Georg Rathgeber,« das den bisherigen Mangel an einer wissenschaftlichen Uebersicht erfreulich abzuhelfen verspricht. und dennoch lassen auch diese Vieles dunkel, was oft ein Blick der Selbstanschauung in volles Licht stellt. –
Es wurde nicht versäumt, die schönen und reizenden Anlagen um Gotha, und den Park zu durchwandeln. In milder Sommerabendstunde weilten die Freunde auf jener stillen Insel, wo die letzten Herzoge schlummern; der Teich lag wie ein klarer Spiegel, ein Schwanenpaar durchruderte ihn, als wolle es hinüberziehen in endlose Fernen nach den Inseln der Seligen. Die Fernen erglänzten in unbeschreiblicher Schönheit. Die alten Bäume schatteten schon düster über den blumenvollen Gräbern, wie ein hochgewölbter Dom, und der Odem des Weltgeistes säuselte durch ihre Wipfel. Hochgestengelte Blumen hoben schlaftrunken die farbigen Kronen aus kunstgärtnerisch gepflegten Boskets, von Phalänen umsurrt. Da sprach Otto den Freunden mit gedämpfter leiser Stimme Welckers Gedicht vor: Die Ahnenfrau des Friedensteins:
Durch die Gänge, durch die Hallen,
In dem alten Friedensteine,
Schleicht die Ahnenfrau des Hauses
Oft bei trübem Mondenscheine.
Sind die Fürsten froh und glücklich,
Bleibt sie tief im Grabesschweigen;
Aber nahet das Verhängnisse
Muss sie sich dem Volke zeigen.
Ach! zuletzt, gesenkten Hauptes,
Kummervoll im Mondenscheine
Stand sie, mit bethräntem Auge,
Drüben an dem Inselhaine! – –
Am andern Morgen machten sich die Freunde zeitig reisefertig, doch dachte Otto nicht daran, sie eilig und schleunig auf befahrener Heerstrasse weiter befördern zu lassen. Zwar musste ein zur Fahrt gemiethetes Geschirr bereit sein, allein nur, um zu gelegenen Orten zu tragen und den verweilend Umschauenden jede erwünschte Rast zu gönnen. Daher wurde zunächst nach dem stattlichen Schiesshause gefahren, wo man sich freilich das Volksgewimmel des berühmten Vogelschiessens hinzudenken musste. Ein mit Otto befreundeten Gothanern dort gemeinschaftlich eingenommenes Frühstück regte zu lebhaften Gesprächen an, und diese dienten den mehr zuhörenden als mitsprechenden Süddeutschen zu Commentaren mancher im Laufe des vergangenen Tages gehörten Andeutung. Dabei wechselten Schilderungen mancher Einzelnheit auf eine theils ergötzliche, theils ernste Weise ab, so dass sie denselben Eindruck machten, den die Erscheinung dem Auge gewährt, wenn eine wolkenüberflogene Landschaft bald im Lichte, bald im Schatten steht, und die Schattenstellen überraschend schnell erleuchtet glänzen, während was früher hell war, nun in Dunkel gehüllt erscheint.
Um einen recht erfreulichen Rückblick auf Gotha zu gewinnen und auf ein heitres Totalbild seiner schönen Lage für die Erinnerung der Fremden bedacht zu sein, wurde der Weg zu Arnoldi's Berggarten und Thurm eingeschlagen, der sich mit liberalster Gastlichkeit der Eigenthümer dem Vergnügen Fremder und Einheimischer öffnet. Dieser Thurm vornehmlich lässt Schloss und Stadt und Gegend nicht nur vortheilhaft malerisch, sondern auch in jener Uebereinstimmung erblicken, welche zur vollendeten Schönheit eines Landschaftbildes so nothwendig ist; dabei gewährte sich in ihm noch in einem freundlichen Zimmer die Unterhaltung, durch farbige Scheiben verschiedenartige, freilich grelle Töne über das ganze Gefilde verbreitet zu sehen, von denen der Blick durch schwarzbraunes Glas unheimlich und grauenerregend wirkt, indem sich Sonne, Himmel und Land darstellen, wie von einem Weltbrand in schwarzer Gewitternacht überlodert.
Wie sehr auch Alles in der freundlichen Anlage, die den Namen des Begründers eines der verdienstlichsten deutschen Institute trägt, zum längern Verweilen einlud, es musste geschieden und die allgemeine Strasse wieder gewonnen werden. Die Gesellschaft aus Gotha aber, die einmal sich geleitgebend angeschlossen, wollte nicht so bald umkehren, sondern zog es vor, auch noch bis zu dem Thüringer-Haus, einem Gasthof an der Strasse, die von Gotha nach Eisenach führt, nur eine Stunde von ersterer Stadt entfernt, zu folgen, hauptsächlich um Zeuge der Freude jener Fremden über eine hier sich trefflich darstellende ausgedehnte Fernsicht zu sein, zugleich auch sich selbst willig den Eindrücken hinzugeben, die ein grossartiges Panorama im Gemüthe des Naturfreundes hervorbringt. Ein heitrer Himmel begünstigte ausnehmend die verweilende Betrachtung, und liess in mannichfacher und malerischer Beleuchtung die Bergkette des Thüringer-Waldes erscheinen, die sich, mit buntem Landschaftreiz geschmückt, vor den Blicken ausbreitete.
Otto nahm nun zu den Freunden, die mit guten Fernröhren versehen, bereit waren, seinen Angaben zu folgen, das Wort: »Wenn ich euch beim Antritt unsrer thüringischen Reise von Dolmar aus die Thüringer Waldkette von der südwestlichen Seite zu zeigen hatte, wobei uns Schaubach ein guter Geleitsmann war, so durfte ich nicht unterlassen, euch hierher auf einen 1174 F. hohen Aussichtpunkt zu geleiten, von welchem aus ihr die nordwestliche Seite des Gebirges fast ganz zu überblicken vermögt. Hier leistet uns, wenn nicht in Person, doch durch ein gelungenes und nützliches Werk und Halbpanorama ein andrer rüstiger Gebirgsfreund die erspriesslichste Hülfe,Der Thüringer Wald. Schilderung dieses Gebirges nach den neuesten Beobachtungen, als Commentar zu einer Ansicht der Nordseite des nordwestlichen Theils desselben u. s. w. Von J. v. Plänckner, Herzogl. S. C. Gothaischen Capitain. Gotha, J. Perthes. 1830. und ich folge im Allgemeinen seiner Anleitung, wenn ich euch die vorzüglichsten Aussichtpunkte nenne; ihr habt dabei nichts zu thun, als meinem Deuten mit dem Auge zu folgen, ruhig zum Fenster hinausschauend.«
»Einige ferne, nicht zum Thüringer Walde gehörende Höhen bilden am östlichsten Endpunkte dieser Aussicht den Hintergrund, auf welchen sich malerisch neben einander gruppirt die drei Gleichen zeichnen, zwischen denen wie ein Punkt das Vorwerk Käfernburg sichtbar wird. Nahe im Mittelgrunde, diesseits der langgedehnten Baumreihen der Chaussee von Gotha nach Ohrdruf und Georgenthal, liegt einsam in fruchtbarer Flurmarkung eine Kirchentrümmer; ebenso ist auch hier der geringe Rest der Wallfahrtkirche Heiligkreuz sichtbar, den ich euch von den Gleichischen Schlössern aus zeigte. Waldige Höhen in der Nähe Arnstadts überragen die langgedehnten Hochebenen nächst dem Felsberge, der die Reinsburg bei Plaue trug. Da und dort zwischen Aeckern, Wiesen und malerisch verstreutem Buschwerke hebt sich ein Kirchthurm, treten friedliche Gehöfte zu Gruppen und ganzen Dörfern zusammen, die sich in dämmernder Ferne allmälig dem spähenden Auge entziehen, wie dort am Saume des plötzlich hochaufstrebenden Gebirgszuges Wölfis und Crawinkel, über welchem letztern wir den fernen Gückelhahn bei Ilmenau wieder begrüssen. Wir sehen Höhen, Meridianzeichen und Bürschhäuser einer Gegend, die uns befreundet wurde, weil wir sie durchwandelten, und ihr erblickt dort, wo sich die runden Kuppen der Berge zu Haufen drängen und übereinander aufthürmen, neben andern die Spielmannsleite, den Sachsenstein, den Schneekopf, den Beerberg, den Oberhof. Tief unten aber, scheinbar im Thale, in das diese beginnende Bergkette den Fuss setzt, seht ihr Thürme und Häuser von Ohrdruf, einer der ältesten thüringischen Städte, in welcher Bonifacius nächst Altenberga die erste christliche Kirche gründete. Hammer- und Mühlwerke begrenzen breite Wiesenflächen mit Torfgräbereien, und über Wiesen, Feldern und Ortschaften heben sich die Berge mit Laub- und Nadelhölzern und lichtgrünen Blössen bis zum fernhinziehenden Kamm, den der Donnershauk überragt. Rechts dort unter einem Berge, dessen Vorsprung nach Norden absetzt, dessen linke Seite sich hell beleuchtet und als Blösse darstellt, erhebt sich eine Steinsäule, der Candelaber, zu dessen naher Anschauung ich euch zu geleiten hoffe.«
Die aufmerksam zuhörenden Freunde konnten Alles gewahren, was ihnen der Sprecher zu bezeichnen für wichtig genug hielt, und dieser ungestört fortfahren: »Recht zu unsern Füssen erblicken wir, die zunächst um uns ausgebreitete einförmigere Flur anmuthig unterbrechend, das grosse Dorf Trügleben, grösstentheils zwischen Bäumen und Büschen traulich vorschauend, und lassen dann das Auge die gehügelte Feldfläche bis zum Walde überfliegen. Da ist ihm in der Nähe von Reinhardsbrunn verweilendes Niederlassen zu gönnen, mag es nun auf dem Abtsberg, am Sperrweg in der Höhe, oder auf dem stattlichen Schlosse in der Tiefe ruhen, dessen gothischen Bau euch vielleicht von hier aus schon die Ferngläser erkennen lassen. Wie blanke Wächter am Eingang jenes romantischen Thales stehen die elegant freundlichen Gebäude der Erziehungsanstalt Schnepfenthal, und hohe Berge decken weitverbreitet den Rücken. Nur wenig weiter zur Rechten schweifend erblickt ihr malerisch schön, scheinbar in einem Walde gelegen, da ein solcher es deckt, ein Städtchen, darüber ein fürstliches Schloss mit Nebengebäuden auf der Spitze eines weithin sich streckenden Berges, das sich imposant in die Ferne winkend darstellt: Waltershausen und Tenneberg. Darüber nun, abermals zur Rechten, gipfelt sich stolz über alle die umgebenden niedrigem Höhen hochragend der König des Gebirgs, der Inselberg empor, von dessen erhabenem Scheitel ihr demnächst herabschauen sollt, wenn günstig, wie heute, der Himmel meine Wünsche für euch gewähren mag.«
Die Schauenden fragten nun erst nach dem Namen manches gewahrten Einzelpunktes, den Otto übersehen oder übergangen, und als ihre Wissbegierde befriedigt war, fuhr der Cicerone fort:
»Haben wir jene höchste Bergspitze, den Inselberg, allmälig erreicht und dort geruht, so steigen wir nun, in Gedanken wandernd, leicht und rasch abwärts, und gehen mit Siebenmeilenstiefelschritten über eine Menge Berge, deren Namen euch doch nicht im Gedächtniss bleiben würden, wenn ich sie auch aussprechen wollte, dem nördlichsten Ende unserer Fernsicht zu. Ansehnliche Dörfer breiten sich im Vorgrund aus, Langenhain, der Geburtsort des Naturforschers Bechstein, Fröttstedt, Laucha, Teutleben, Asbach, letztere beide mit mythischem Namensanklange, Mechterstedt und andre. Wir sehen weit zur Rechten das weisse Band der Strasse, die wir selbst fahren werden, stückweise über die Felder gelegt, sehen Eisenachische Felsberge mit schroffen Abhängen, die Drachensteine, und enden am schroff aufgegipfelten, unheimlich kahlen und sagenreichen Hörseelberg, dessen Zauberbezirk wir nicht vorbeigehen wollen, ohne ihn zu betreten.«
Die befriedigten Fernseher schoben ihre optischen Gläser zusammen, um nach denen zu greifen, in welche die Gothaischen Freunde einen Valettrunk perlen liessen; bald darauf trug sie der Wagen rasch dem erwähnten Ziele zu.
Wartburg
Vom Dorfe Sättelstädt, das ein mythischer Name, der an den im Hörseelberge spukenden Satan erinnern soll, und ein unüberwindlicher Lanzenbrecher, Herr Waltmann von Sättelstädt, sagengeschichtlich interessant machen, führt ein steiler Pfad den schroffen Berg empor, den die Thüringische Sage zu einem ihrer liebsten, aber auch düstersten Sitze erwählte. Diesen Pfad beschritten die Wanderer, erfreuten sich auf der kahlen, luftigen Höhe einer ähnlichen herrlichen Fernsicht, wie die jüngst geschaute, und horchten nebenbei den Erzählungen ihres Führers, der von den Berichten thüringischer Chronikbücher, von fortlebender Sage im Volke selbst und allen Liedern über diesen Berg genug zu erzählen wusste. Vornehmlich war er bemüht, die Mähr vom edlen Tanhäuser und dem treuen Eckart mit denen von diesem Berg in Einklang zu bringen, Beweisstellen citirend aus alten Werken, und mit neuen Forschungen längst Angenommenes bestätigend.
»Der Hörseelberg« sprach Otto: »war den umwohnenden Vorfahren und auch weiter Entfernten Fegefeuerstätte, Sitz des wilden Heeres, und unterirdischer Liebeshof der Frau Venus; sein Sagenkreis umschliesst den Schauplatz des schaurigschönen, süssgrauenvollen und weithin verbreiteten Tanhäuserliedes. Ich will euch mit Citaten aus halb und ganz vergessnen Büchern nicht ermüden, ich will euch nur sagen, dass die Sage so reizend und verlockend das Innere des Berges schildert, auf dem wir eben wandeln, dass man gar zu gern ein süsses Abenteuer hier bestehen, und sich trotz Papst und Spruch von ewiger Verdammniss in die zärtlichumstrickenden Liebesarme des schönen Götterweibes stürzen möchte, welches, herausgetreten aus dem Kreise der antiken Mythe, nicht mehr Olympierin, nicht Fee, nicht skandinavische Gottheit, sondern nur ein herrliches deutsches Fabelwesen geworden, nichts von Asketik weiss, und keine andern Götter über sich hat. Das alte Lied nennt die Frau Venus nur deshalb eine Teufelin, weil es für heidnische Göttin keinen andern Namen kennt, und der Tauhäuser kehrt in Gottes Namen mit gutem Vertrauen wieder in den Berg, sagend:
Ich will zu Venus meiner Frauen zart,
Wo mich Gott hin will senden.« –
Dicht unter einer schroffen Felskante, die längs des sich sehr steil in das Thal absenkenden Berges hinläuft, erblickten nun, von Otto zum Herabklettern genöthigt, die Fremden das enge Hörseelloch, die zu einer schmalen Oeffnung zusammengeschrumpfte Pforte des Zauberberges, den Ausgang des wilden Heeres, und konnten sich einen Felsblock als Sitz des treuen Eckardt denken, von dem der Schluss des Heldenbuches kündet:
Man vermeynet auch der getreu Eckarte sey noch vor fraw fenus berg, und sol auch do belyben bisz an den jungsten tag, un warnet alle die in de berge gan wöllen.
Lenz vermochte nicht die Bemerkung zu unterdrücken: »Solcher Anblick des einfach Natürlichen, nichts weniger als imposant Wirkenden zerstört eigentlich alle Illusion – ganz anders habe ich mir nach allem jetzt und früher Gehörten und Gelesenen den Hörseelberg und seine Höhle gedacht, in die ich nicht drei Schritte weit eindringen kann. Das mag ein Loch für die magern Wind- und Dachshunde des wilden Jägers sein, den ich mir ebenfalls nicht wohlbeleibt denke; ein halbwegs korpulenter Tanhäuser kann nicht eingehn, es winke nun Himmel oder Hölle.«
Wagner entgegnete hierauf: »Man sieht recht, dass Du mit Phantasie nicht sonderlich bedacht bist; ich denke mir eine reizende Mondnacht, glühende Sterne, und dann weicht dieser todte Fels leise nach beiden Seiten zurück, dann ist ein Blick vergönnt in die glanzüberfüllte, blendendhelle Bergeshalle. Schaue um Dich, die Eigentümlichkeit dieser sterilen Felsenmassen, die schwindelnde Tiefe hier hinunter, der einsame Ort, Alles wirkt phantastisch anregend, horch, es rauscht wie Windesheulen – in der Tiefe brauset es hohl.«
»Es ist oft der Fall,« setzte Otto hinzu, während er über eine von Epheu umgrünte, sanft abwärts sich senkende Matte hinunter leitete: »dass man unbefriedigt das erblickt, davon oft die Rede war, zumal wenn eine gewisse Vorliebe mit bestochenen Augen sah und schilderte; allein Erinnerung wirkt auch in diesen Fällen freundlicher ausgleichend, und das verschönend, was die Wirklichkeit darbieten konnte.« –
Bald war wieder die Fahrstrasse erreicht, der bereit stehende Wagen nahm die Wanderer auf und rollte in einem nicht breiten, von den langgedehnten schroffen Hörseelbergen einerseits gebildeten, mit Wiesen und Dörfern geschmückten Thale fort, über welchem bald der hohe Bau der Wartburg zur Linken sichtbar ward.
Eisenach lag vor den Blicken der Reisenden; ein altertümlicher Thorthurm mit Ludwig des Bärtigen verwittertem Steinbilde zeugte noch vom frühen Ursprunge der Stadt.
»In der Stadt ist das Merkwürdige bald gezeigt,« sprach Otto, während man durch ziemlich schmale, von wenig hohen und bunt angestrichenen Häusern gebildete Gassen fuhr, und auf den Marktplatz gelangte, den ein geräumiges Rathhaus, ein geschmackvoller Fürstenbau, das Residenzhaus genannt, die alte, von Linden umgrünte St. Georgenkirche, vor ihr ein schöner achteckiger Brunnen mit dem Standbilde des heiligen Lindwurmtödters und Stadtschutzheiligen, und das schöne Gebäude der neuen Bürgerschule ziert. Von den Fenstern des beliebten Gasthofes »zum Rautenkranz« aus, in welchen die Freunde einkehrten, erblickten sie nun nahe vor sich die vielgepriesene Wartburg. Während einiger Rast und Entledigung des Reisestaubes entwickelte Otto den Freunden seinen Plan, sie zu raschem Ueberschauen des vorhandnen Merkwürdigen zu führen. »Ich zeige euch,« sprach er, »zunächst an und in der Georgenkirche die Monumente Johannes Hiltens, eines prophetischen Mönches, der das Auftreten eines Eremiten vorhersagte, welcher den römischen Stuhl reformiren würde, und das des berühmten Nicolaus von Amsdorf, Luthers langjährigen Freundes, der hier als Kirchenrath starb. Diese Epitaphien mögen vorbereitend auf den Besuch der Wartburg wirken; dann machen wir einen kleinen Gang durch die über 1,400 Häuser, doch nur 8000 Einwohner zählende Stadt; ihr beseht den verschönert wieder aufgebauten Explosionsplatz, auf welchem 1810 das Auffliegen von drei mit Pulver, Kugeln und Haubitzenpatronen beladenen Wagen eine schreckliche, der ganzen Stadt mit Vernichtung drohende Katastrophe herbeiführte. Allmälig emporsteigend, werdet ihr durch die naturpark-ähnlichen Anlagen des Röse'schen Hölzchens zu einer verfallenen Burg geführt, und von dieser erst der noch erhaltenen, die ich Thüringens Palladium nennen möchte, nahe gebracht. Möchtet ihr in diesem allmäligen Gewinnen der Höhe etwas Symbolisches erblicken, ein rückwärts in die Gefilde der Weltgeschichte blickendes Emporsteigen per aspera ad astra.«
Die Sonne neigte sich dem Westen zu; ihr Strahlengold umfloss wie ein Heiligenschein die altergraue Wartburg. Vom Ruinenberge des Mittel- oder Mädelsteins aus, der früher als jene, ihn hoch überragende Veste erbaut, und im thüringisch-hessischen Erbfolgekriege zerstört wurde, stellte diese sich malerisch und schön mit ihren mannichfaltigen Gebäuden und dem viereckigen Wartthurme dar. Stadt und Gefilde lagen nicht minder in herrlicher Beleuchtung; von spiegelnden Teichen blitzte Feuer auf; Gärten und anmuthige Wiesenthäler, nackte Felsgruppen, tiefgrüne Laubwälder, ferne Bergzüge des Hessenlandes nach nordwestlicher Richtung, im Südost der über niedrigern Nachbarbergen gigantisch aufgethürmte Inselberg zogen wechselnd die Blicke an, und wussten sie zu fesseln. Die Stadt selbst zeigte sich heiter an den Fuss der Burgberge hingebaut, mit manchem stattlichen Gebäude neuer wie älterer Zeit, von welchen letztern mehrere, wie namentlich die Karthause und die Klemde, jetzt nützlichen und freundlichen Zwecken, die erste als herrschaftliches Gewächs- und Treibhaus, die letzte einer geschlossenen Gesellschaft der Honoratioren Eisenachs dienen. Endlich war in nächster Nähe eine pittoreske Felsgruppe zu betrachten, zwei nachbarlich isolirt aufragende Steinkolosse, Mönch und Nonne genannt.
»Wenn wir droben auf der Wartburg stehen,« nahm Otto zu den Gefährten das Wort, »will ich eure Blicke herüber lenken nach diesem – Naturspiele, dann werden euch diese Felsen als ein sich liebend küssendes Paar erscheinen. Nicht blos die klassisch antike, auch die deutsche Sage weiss mit sinnigen Metamorphosen zu unterhalten. In zwei Klöstern Eisenachs hatte der Pfeil der Liebe zwei Herzen getroffen, und die Getrennten suchten ersehnte Vereinigung herbeizuführen. Die Liebenden Beide liessen die Klosterriegel hinter sich und trafen sich hier oben an einsamer Stelle, und küssten sich liebedurstig, endlos. Sie wurden in Stein verwandelt und küssen sich immer noch; die Sage verschweigt, ob die Verwandlung als Strafe geschah, weil sie sich küssten, oder als Zeichen, dass Mönche und Nonnen sich in Gottes Namen küssen sollen.«
»Letzteres war Luthers Auslegung, und er that also,« äusserte Lenz lächelnd. »Und that wohl daran,« fügte Wagner hinzu.
»Wir wandern jetzt in einem Gebiete, meine Freunde,« nahm Otto wieder das Wort, während alle Drei auf wohlgepflegten Wegen vom Mittelsteine herabgingen und dann den durch Gebüsch aufwärtsführenden Felsenpfad langsam emporstiegen: »das von der Sage, wie von der Geschichte, mit so vielem Erwähnenswerthen gleichsam überschüttet wurde, dass es nicht ganz leicht ist, mit sicherm Takt Vorzüglichstes hervorzuheben, und minder Wichtiges nur anzudeuten, wo nicht ganz zu übergehen. Die Wartburg ist der Centralstern der thüringischen Geschichte, und schmückend klammerte sich grüner Sagenepheu rings umher an Burgmauern, Felszacken und Höhlengeklüft, gleichsam den heiter bestätigenden oder erläuternden Bilderschmuck solch reichhaltigen Buches abgebend. Die Geschichte der Stadt Eisenach erscheint ganz in mythisches Dunkel gehüllt, aus diesem tritt sie, doch immer noch sagengeschichtlich, zu Attila's Zeit, doch an andrer Stelle, als jetzt, gelegen. In den Zeiten der Frankenherrschaft über Thüringen erhob sich der Mittelstein als Veste, später krönten neben ihm und Wartburg noch viele andre Burgbaue die nachbarlichen Berghäupter. Eine verderbliche Hunnenschlacht unter dem Thüringer-Herzog Burkard, in welcher dieser fiel, wurde in der Nähe des alten Eisenach geschlagen, dann ist bis auf Ludwig den Springer Stadt und Land in tiefes Schweigen gehüllt. Dieser aber, hier herum jagend, ersah den nahen Berg, sprach mit Wohlgefallen: Wart' Berg, du sollt mir eine Burg werden, und wurde Wartburgs Begründer und Erbauer. Das neue Schloss ward zum dauernden Herrensitz erwählt, und unter seine Flügel eine jugendlich erwachsende Stadt, das jetzige Eisenach, gestellt. Von den Burgzinnen aus überblickten die Thüringer Landgrafen einen grossen Theil ihres Gebietes. Ludwig der Eiserne thronte bald auf der Wartburg, bald auf seiner Freyburger Nauenburg; sein Sohn, Ludwig der Milde, ward der Gründer von der Kirche St. Georgs in Eisenach.
Dessen Bruder Hermann war der Sängerfreund, der an seinem Hof auf Wartburg die berühmten Minnesänger Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen, Heinrich von Rispach, Walther von der Vogelweide, Reinhard von Zweter und Biterolf versammelt hatte, wo sie den bekannten Singerkrieg mit einander in änigmatisch-dramatischer Weise stritten, zu dessen Entscheidung Klinsor aus Ungerland herbeigerufen wurde, der in seiner wunderbaren Person und Erscheinung den Nekromanten, Astrologen und Sänger vereinigte. Sein Auftreten fand nach den alten Nachrichten unter dämonischer Mitwirkung und Begleitung Statt, und so wurde vornehmlich durch ihn dem anziehenden Stoffe des Wartburger Sängerkriegs jener eigenthümliche Reiz verliehen, der sich in den besten mittelalterlichen Dichtungen offenbart, und sich in dem Gegensatze des Christenthumes zum Heidenthum und einem steten Ringen des erstern zur Ueberwindung des letztern lebendig kund thut. Klinsor ist hier der Träger des heidnischen Zauberwesens, das versuchend und umstrickend dem christlichen Ritter nahe tritt, durch Frömmigkeit und Weisheit aber überwunden wird; Er schlichtet den Sängerstreit und kehrt, reich von Hermann beschenkt, nach Ungarn zurück. Dorthin schickte bald nachher der Landgraf eine ansehnliche Gesandtschaft, für seinen Sohn Ludwig um des Königs Andreas Tochter Elisabeth zu werben. Als vierjähriges Kind kam diese auf die Wartburg, um in der Geschichte derselben später als ein schöner Stern zu strahlen. Sie, die Heilige, erblicken wir mit ihrem Gatten, dem Heiligen, in der schönsten Verklärung und Weihe einer seltnen Seelenharmonie; ihr ganzes Walten athmete nur Gottseligkeit, Frömmigkeit und Wohlthun; das seine that sich in Unerschrockenheit, strenger Handhabung des Rechtes und der mildesten Nachsicht für der Gattin übergrosse Freigebigkeit und Herablassung gegen Arme kund; da ist hier umher fast keine Stelle, die nicht von Elisabeth zeugte, die vielen schönen Sagen von ihr sind als allbekannt anzunehmen, und keine andre Heilige der katholischen Kirche lebt in einem protestantischen Lande in so gefeiertem und verehrtem Andenken fort, wie die thüringische Elisabeth. Fast brach ihr das Herz der Tod des Gemahls, der, auf seinem Kreuzzuge begriffen, in der Ferne starb, und sie sah kummerschwere Tage hereinbrechen, ja sie musste, von ihrem Schwager Heinrich Raspe unrühmlich verstossen, mit Thränen von der Wartburg scheiden. Sie war nicht die einzige hohe Frau, die dem Schlosse, worin sie herrschend, glückliche Zeiten gesehen, im tiefsten Leide den Rücken kehren musste.« –
Indem Otto fortfuhr, den Freunden einige geschichtliche Hauptmomente der Bewohner der alten Landgrafenresidenz mitzutheilen, und nicht unterliess, des thüringischen Erbfolgekrieges, dessen Schauplatz zumeist Eisenach und die Wartburg mit der Umgegend waren, und des trotzigfesten Rathsherrn Heinrich von Velsbach zu gedenken, der auf einer Wurfmaschine von der Burg herabgeschleudert wurde, und noch im Fluge durch die Luft rief: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant! – kam man der Veste immer näher, und Lenz fand auf dem steilen, oft gekrümmten Felsenwege, dessen eingehauene Ruhesitze einigemale benutzt wurden, Anzeichen einer an Phanärogamen und Kryptogamen reichhaltigen Flora, und machte die Bemerkung, dass das häufig als Felsmasse zu Tage stehende Gestein aus dem Conglomerat des Todtliegenden bestehe. Otto hatte noch des Landgrafen Albrecht und dessen unglücklicher Gemahlin Margaretha zu gedenken; er war der Burg so nahe gekommen, dass er, zur Rechten gewandt, an der düster umschatteten westlichen Mauer die Stelle zeigen konnte, wo die Genannte flüchtend sich niederliess, nachdem ihr Mutterschmerz dem Kinde Friedrich den allbekannten Beinamen in einem blutigen Verzweiflungskusse gab – und man stieg nun zur Burg empor, die malerisch vor den Blicken aufragend, wohnlich grüsste, um über alte Befestigungen und durch mehr als ein Thor in das Innere zu gelangen. Durch das hohe gewölbte Thor geschritten, zeigte sich ein gut zu vertheidigender Gang, welcher zunächst in den Burghof nach der Wohnung des Kastellans und den Restaurationszimmern leitete. Da der Tag sich bald neigen wollte, führte Otto am liebsten sogleich die Freunde zur Besichtigung der Burg. Das Ritterhaus wurde betreten; über einen Corridor wandelnd und eine alte Treppe emporsteigend, öffnete sich Luthers einfache Zelle. Hier war das Asyl im Pathmos des unter dem Namen Ritter Georg symbolisch genug verborgen und geborgen auf Wartburg lebenden Reformators. Einfaches Geräth, ein Bild und eine Büste Luthers erinnern an den Bewohner, der in diesem Stübchen zehn Monate lang weilte, einen grossen Theil der Bibel hier übertragend. Der Kastellan wird nie unterlassen, jenen sagenhaften Fleck und Eindruck in der Wand zu zeigen, welchen das dem Teufel an den Kopf geworfene Dintenfass verursachte. Von den Beschauenden überliess sich ein Jeder seinem eignen Nachdenken und seinen Gefühlen in dieser Zelle, in welche glühender Abendsonnenschein wie ein verklärender Schimmer durch die kleinen Scheiben fiel.
Von da wurden die Fremden in das anstossende Hohe- oder Landgrafenhaus geleitet, und hier zunächst in die Schlosskapelle geführt. Deren einfacher Bau bewahrt manches Alterthümliche, besonders an einigen Säulenknäufen, Reliefs, Bildern. Sie gefiel dem begleitenden Maler so wohl, dass er sie zeichnete.
»Von dieser Kanzel predigte Luther täglich zweimal den Bewohnern der Wartburg, wie er selbst an einen Freund schrieb,« bemerkte Otto seinen Begleitern, und machte sie noch auf ein Gemälde aufmerksam, die heilige Elisabeth darstellend, wie sie Armen und Krüppeln die Fülle ihrer Wohlthaten spendete.
Im Rittersaale und der nahe dabei befindlichen Rüstkammer gab es an alten, zum Theil sehr schönen Harnischen thüringischer Ritter, Waffen, Feldschlangen und altertümlichen Bildnissen Vieles zu betrachten. Hier konnte man sich die Versammlung der Minnesänger denken, und alle Fürstenlust der Landgrafenzeit. Die meisten Harnische, darunter einige vollständige Ritter zu Ross, führen die Namen derer, welche sie getragen haben sollen – darunter sind sogar einige Damen-Rüstungen. Auch wurden hier, wie an andern Orten mehr, die Kleider der geraubten sächsischen Prinzen Ernst und Albert gezeigt, und selbst Kunzens von Kauffungen hohe Gestalt ist durch eine Rüstung vergegenwärtigt, die seinen Namen trägt. »Der Historiker wird hier ein Auge zudrücken und Niemandes Illusion stören,« flüsterte Einer aus der Gesellschaft, um nicht lebhaften Widerspruch zu erwecken. Anziehend ist in der Rüstkammer ein altes und lebensgrosses Bild Ludwigs des Eisernen, der darauf, gepanzert, im Hut und reichen Schmuck erblickt wird. Im Hintergrunde zeigt sich die bekannte Execution, und es war den Freunden nun doppelt anziehend, im Verweilen vor diesem Bilde des Tages zu gedenken, an welchem sie den Schauplatz jener Handlung bei Freiburg erblickten.
Nach genügendem Verweilen in diesen Sälen voll alterthümlichen Interesses wurden die Fremden auch einigen modern sich darstellenden Zimmern zugeführt, in deren einem ein neues Gemälde, von der geübten Hand einer weimarischen Künstlerin, die heil. Elisabeth, Gaben spendend, mit Antheil betrachtet ward. Indess war das Tagesende so weit nahe, dass die Freunde eilen mussten, den nicht hohen Thurm zu besteigen, um das entzückende Schauspiel eines schönen Sonnenunterganges zu geniessen. Während die Tageskönigin sank und gesunken war, überflammte sie noch mit glühendem Purpur die Höhen und Haine. Das Wäldermeer zu Füssen der Wartburg, das einst Margaretha's irrendflüchtiger Fuss durchwandelte, lag in friedlichster Stille; über der Stadt, auf der entgegengesetzten Seite des Burgberges, schwamm zarter Abendduft. Die Thüringer-Waldkette zog sich düster im Süden hin und liess den Blick frei auf die ferne, blaue Rhön; der Inselberg aber ragte mit seinem Königshaupt in den Heiligenschein des Abendgoldes. Der gespenstige Riesensarg des Hörseelberges, dem Einige Aehnlichkeit mit dem schweizerischen Rigi, Andere mit dem Tafelberg in Bezug auf seine Form zuschreiben, hob sich schroff und kahl empor; die Wachsenburg schien als Grenzsäule der Aussicht am Saume des Horizonts zu stehen. Immer schöner prangten, ganz in Sonnenröthe getaucht, des Himmels Wolkenschäfchen, und erfreut, wie bewundernd, in schweigendes Entzücken über alle das umgebende Schöne, Nahes wie Fernes, versunken, weilten die Freunde noch lange auf dem flachen Dache des Thurmes. Glücklich und frei, schöner Zeiten, auch schöner, einst auf Wartburg lebendig ausgesprochener Hoffnungen gedenkend, trugen sie kein Belieben, Verliesse und Kerker zu besuchen. Im Herabsteigen und nachherigem Rasten knüpfte Otto wieder den zuvor abgebrochenen Faden seiner Mittheilungen über die Geschichte der Burg und ihrer Besitzer an, und die Freunde, um solche zu dauernder Erinnerung aufzubewahren, erwarben von dem gefälligen Kastellan Thons oft aufgelegtes, gründliches Buch: Schloss Wartburg.
Gern blieben die Besuchenden noch in den freundlichen Zimmern der Restauration, sich mit Speise und Trank und heitern Tischreden erquickend, bis Otto selbst zum Aufbruch ermahnte. »Scheiden wir,« sprach er, »nun von der altehrwürdigen Wartburg, von der ich mich stets ungern trenne, und suchen die Ruhe. Morgen haben wir einen starken Wandertag über Berg und Thal; der ganz wolkenfrei werdende Himmel verheisst uns treues Geleit. Wir betreten den schönsten, den romantischsten Theil des Thüringer-Waldes, Schlösser und Burgen begrüssen uns, Sagen und Mährchen flüstern aus Busch und Bach, und vielleicht tritt uns, ich ahne es, manche liebe Gestalt entgegen.«
Waltershausen und Tenneberg
Den reisenden Freunden hatten holde Traumbilder aus der Erinnerung den Schlummer verschönt, aber auch gekürzt; sie wanderten in der Morgenfrühe bereits durch das herrliche felsgekrönte Marienthal bei Eisenach. Otto sprach: »Ihr gewahret in diesem felsgeschmückten, mit grünen Matten, darauf Heerden da und dort verstreut, oder anmuthig hingelagert erscheinen, und mit düstern Klüften abwechselndem Thal eines der schönsten und malerischesten Thore des Thüringer-Waldes, der von hier aus in gerader Richtung nach Süden nur wenige Stunden breit ist. Dort zeigt sich eine an die fromme Wohlthäterin Elisabeth erinnernde Grotte, die Armenruhe; ein kolossales M in jene feuchte Felswand gehauen, deutet den Namen der hohen Fürstin an, welcher zu Ehren man diese reizende Partie Marienthal nannte. Weiter hinaufwärts gelangen wir zum Landgrafenloch, einer schattigen Felsenschlucht, darin nach der Sage Friedrich der Gebissene sich barg, als er die Wartburg zu stürmen dachte; eine andre Höhlung, gegenüber auf steiler Höhe, trägt den Namen das verfluchte Jungfernloch, und es ist an sie die oft wiederholende Sage einer verwünschten, bisweilen erscheinenden und niesenden Jungfrau geknüpft. Steiler hebt sich nun am gehauenen Stein die Strasse empor, wir aber schlagen einen schattigen, für Fussgänger sanft geebneten Waldpfad ein.«
Nach anderthalbstündiger Wanderung war das Forsthaus, die hohe Sonne, erreicht; noch einen Rückblick der Wartburg, die sich von dieser Seite aus mit ihrem Thurme ganz einsam und wie verfallen zu erheben scheint, dann thalhinab auf trefflicher, zum Theil ganz dem Fels abgerungener, an tiefen Abgründen vorbeiziehender Hochstrasse. Dort überraschte auf grauer Marmortafel ein Denkspruch als Chronodistichon:
Des WohLthätIgen HerrsChers kräftIges Wort gab Den WanDerern
hIer sIChre Strasse aVs WV̈sten GebV̈rgen,
und bald wurde das äusserst freundliche, in die waldumgebene Thalbreite hineingebaute Grossherzogl. Lustschloss Wilhelmsthal mit seinem schönen Naturparke, seinen spiegelnden Teichen und mannichfaltiger Benutzung dienenden Nebengebäuden erblickt, einer der beliebtesten und besuchtesten Vergnügungsorte der ganzen Umgegend. Diese Anlage athmet rings heitern Frieden, und entzückte die Wanderer, die sie, vom hellen Morgenlicht übergossen, malerisch beleuchtet erschauen durften und auch ihre Einzelschönheiten besuchten und besahen.
Das Gasthaus hatte den Ruhenden seine Labe gespendet, wenn auch die prosaisch plumpe Aufschrift der Trinkgläser: Gestohlen in Wilhelmsthal, ihre überraschende Wirkung nicht verfehlte, mindestens auffallen musste in der Nähe einer Hofhaltung, wie beim Besuche gesitteter und gebildeter Gäste – und Otto führte seine Lieben zu fernerer Wanderung wieder dem Walde zu. Ueber eine Thalbucht, wo Hirsche sich friedlich äseten, durch schattigen Buchenhochwald, ward wie in einem schönen Garten emporgewandelt, einer senkrechten, moosüberkleideten Felswand vorbei, einer Grotte, darin die zarten Goldblüthen des Chrysosplenium leuchteten, und unvermerkt sahen sich die Fremden, und überrascht, wieder auf der Hohensonne anlangen, während sie in dem Wahne gestanden, weitab in Waldestiefen sich zu verlieren.
Otto lächelte bei ihrer Verwunderung, und entschuldigte sich: »Ich konnte nicht umhin, euch den zurückgelegten, äusserst reizvollen Fusspfad bis wieder hier herauf zu führen, da wir von hier aus unsern fernen Weg verfolgen. Wir betreten den Rennsteig, der hier die Eisenacher Hochstrasse durchschneidet, erfreuen uns weiter Aussicht vom Gipfel des nahen Hirschsteins, und verfolgen dann südostwärts den einsamen Waldpfad.«
So geschah es; von erfrischender Kühle umflossen, ging es eine gute Strecke auf dem Waldkamme fort, in tiefer, menschenleerer Einsamkeit. Die Grenzsteine des Rennsteigs bezeichneten immer die Richtung, bis dieser verlassen und ein Seitenweg zur Linken nach Ruhla hinab eingeschlagen werden musste. Es ging sich gar herrlich und wohlgemuth in diesen weitausgedehnten Waldungen, die mit ihrer ganzen vollen Herrlichkeit und Frische die Wandrer umfingen. Dabei wurde in das schaurichtiefe Thal des Moosbachs hinabgeblickt, zur furchtbaren Klippenburg des Hangesteins, und mit Verwunderung an der kolossalen Felsgruppe des Wachtsteins verweilt, die mit Zacken und Steinthürmen der Ruine eines düstergrauen Waldschlosses gleicht, und nur ¼ Stunde seitab des Weges liegt. Bald gesellte sich auch ein rollendes Bergwasser den Pilgern zu, und geleitete sie nach der merkwürdigen, in ein durchaus enges Thal mit 526 Häusern eingeklemmten, gewerbthätigen Ruhl, wie der Stadtflecken Ruhla vom Volk allgemein genannt wird. Der Ort war erreicht, wo der Waldschmiedt den Thüringer Landgrafen eisenhart schmiedete, wo Waffenfabriken blühten und verfielen, wo aber aus Messermachern und Pfeifenkopffabrikanten, und was sonst zu letztern gehört, fast die ganze männliche Einwohnerschaft besteht. Mit Vergnügen wurde diese lebhafte Gewerbsthätigkeit, nicht minder vor Augen tretende Vorliebe für Blumistik und Singvögel, die fast jedes Fenster beurkundete, wahrgenommen, und der eigenthümlichen schnarrenden Sprachweise des örtlichen Dialekts gelauscht. Die Fremden bemühten sich vergebens, Otto die schnell vorgesprochenen Worte im Ruhlaer Dialekte: »Guller, Giller, Galler, Krischscher, Quiker, Tropser,« nachzusprechen, die allzumal einen Weinenden bezeichnen. Nicht minder erfreute den Maler die Nationaltracht geputzter Mädchen, die sich freilich immer mehr mit städtischen Moden verschmilzt.
Lenz erfreute sich im Weiterwandern an der Formation der Glimmerschieferberge, welche Ruhla umgeben; dem rauschenden Thalwasser entlang wurde eines der lieblichsten Thäler durchwandert; da grüsste der einsame Rest des Klosters Weissenborn, bald darauf ein besuchtes Gasthaus, der Heiligenstein, endlich trat die Ruine Scharfenberg malerisch über dem Dörfchen Thal hervor. Otto kürzte den Weg mit Erzählungen. »Hier ist der Schauplatz von Ludwig Storch's beliebter Novelle:
Förberts Henns,« sprach er: »und dort am Ende des Dorfes zeige ich euch das kleine Haus, das der prophetisch begabte Wundermann bewohnte.«
Dann wusste er zahllose Sagen von dem hohen Wartberg, der sich den Wanderern zur Linken aufthürmte, zu berichten, von dessen Höhle und von goldsuchenden Venetianern, von Wunderblumen und spukhaften Erscheinungen. »Kaum weiss ich noch eine Gegend so sagenreich wie diese; hier hat der Hauch der deutschen Sagenpoesie Bach und Berg, Hain und Höhle belebt.« Willig und gern hörten zu und folgten dem Sprecher die Freunde durch die grünen Waldlabyrinthe, die idyllisch einsamen Thäler, und standen nach ziemlichem Marsche staunend unter der schroffen, 200 Fuss hoch senkrecht aufragenden Felswand des Meissensteins, der aus porphyrartigem Gesteine besteht. Die Sage lässt in ihn ein Schloss verzaubert sein. Von dieser pittoresken Partie aus wurde nach Winterstein hinabgewandert, wo es wieder eine malerische Burgruine zu besehen gab. Hier ward nun für eine kurze Zeit der Wald verlassen; auf guten Feldwegen, in aussichtreicher Gegend, ging man durch die nahe beisammen liegenden Dörfer Fischbach, Cabarz und Klein-Tabarz, welche letztere von Bergleuten angelegt worden sein sollen, die vom Harze kamen und diese Gegend zuerst bebauten, und hatte nun schon den Tenneberg im Gesichte. Noch eine Anhöhe empor, durch die Pforte eines Wildzaunes, durch trauliche Waldung, und unversehens war, aus dieser heraustretend, die heitre Waldstadt Waltershausen mit fast 500 Häusern und über 3000 Einwohnern noch bei guter Zeit erreicht.
Waltershausen und das darüber liegende Schloss Tenneberg gewähren sich dem Auge von allen Seiten durchaus malerisch, und Wagner säumte nicht, noch einen Spaziergang um die, von freundlichen Gärten umgebene Stadt vorzuschlagen, obgleich die heutige Wanderung in etwas die Freunde ermüdet hatte – um einen Punkt zu zeichnen, von dem aus vorzüglich das Schloss sich pittoresk darstellen, und der friedliche Charakter der Stadt, die von Linden und Weiden umgrünt ist, angedeutet werden sollte. Als Otto gesprächsweise der hier betriebenen bedeutenden Wurstfabrikation erwähnte, trug Wagner scherzend eine Heerde Schweine auf seine Skizze über, die eben des Weges getrieben wurde.
Der Abend war allzuschön, um ihn nicht noch zu einem Ausfluge zu benutzen, nachdem man sich einigermaassen ausgeruht. Da bot denn der Sehnsucht nach Naturgenuss Tenneberg das würdigste, schönste Ziel. Otto führte die Freunde über den schöngebauten Markt und durch einige Strassen, darin die, kleinen Städten noch häufig eigne, alterthümliche Holzconstruction an den Gebäuden von Wagner für höchst malerisch erklärt wurde, dem Burgberge zu, und liess nicht unerwähnt, als man bei einem, dicht am Fusse desselben liegenden ritterlichen Freigute, die Kemnote genannt, vorbeikam, dass in ihm zuerst der Naturforscher Bechstein sein Forstinstitut begründet, bevor dasselbe nach Dreissigacker verlegt wurde, was einen natürlichen Grund abgab, dieses alte steinerne Haus mit mehr als gewöhnlichem Antheile zu betrachten.
»Nicht um in einem halbverödeten Bergschlosse, dessen weitläuftige Räume zum Theil noch als Amtslokal, Amtsvogtei und Beamtenwohnung dienen, uns herumführen zu lassen,« sprach Otto, als die Freunde durch schattende Waldung emporstiegen: »geleite ich euch hier herauf und lasse die obern Zimmer öffnen, sondern einen reizenden Aussichtgenuss euch darzubieten.«
Daher wurde auch dem alten Mobiliar, den gedrechselten Stühlen mit Rohrlehnen, mit Sammt- und Ledersitzen, den Schreinen und Truhen von eingelegter Arbeit, obgleich darunter manches antiquarisch Kostbare, eben so wenige Aufmerksamkeit geschenkt, als den Jagdgemälden und Portraits, von denen zumal Letztere auf alten Schlössern so unheimlich anstarrend, befremdend blickend erscheinen, und nur mit halbem Ohre dem zuhgeört, was nebenbei Sagenhaftes von der weissen Frau, dem Burggespenst und einer historisch denkwürdigen Pseudokönigin aus England, die hier als erstere umgeht, der Schliesser erzählte. Otto leitete seine Gefährten einem Fenster zu und liess sie hinausschauen, während er selbst sich an ein anderes stellte, um momentan mit einer ihn süss und schmerzlich zugleich überwallenden Empfindung allein zu sein und einen Gedankenkuss in die weite Ferne zu senden.
Freundlich umlagerte die Stadt den Bergesfuss; zur Linken thürmten sich malerisch Berge über Berge der Waldkette; geradeaus hob sich der nackte Riese des Hörseelberges, ein schräges Horn emporstreckend, wie eine Alpenzinke, und auch fast so rosig, wie eine solche, vom späten Abendschein überglüht. In duftiger Ferne liess der göttlich heitere Abend den Brocken erblicken, und das zu Näherem zurückkehrende Auge eine unendlich ausgedehnte, wellenförmig gehügelte Flur überfliegen, deren reizenden Mittelpunkt ein Theil von Gotha mit dem weithin glänzenden Schlosse Friedenstein bildete, und deren Ende von diesem Standpunkt aus der Flötzgebirgszug, welchen die Seeberge bilden, begrenzt.
»In der That, himmlisch schön! Höchst reizend!« riefen die Fremden, und zollten gern und aufrichtig der Natur dieses mit Wald und ergiebigen Fluren gesegneten Landstriches ihre volle Bewunderung. »Wie oft, und wie gestern, so auch heute wieder, weisst Du,« sprach Wagner zu Otto: »zum Finale die melodischsten Farbentonwellen aufzusparen und erklingen zu lassen. Es ist eine geistige Musik in diesen Landschaften, die dauernd auf die Seele wirkt und aus dem Chaos von Wäldern und Felsmassen, Bergbächen, Kaskadellen und Thaltiefen immer wieder zum friedlich hingebreiteten offenen Gefilde leitet.«
Als die Freunde sich erquickt hatten am Reize mannichfacher Aussicht, lustwandelten sie noch auf dem Rücken des Tenneberges hinter dem Schloss, und während Otto berichtete, dass dessen Alter so hoch hinaufreiche, dass man den Erbauer nicht zu nennen wisse, äusserte sich Lenz auf das Höchste erfreut, denn er fand sich nicht nur von einer Fülle nicht häufig vorkommender Blumen und Buschhölzer überrascht, sondern auch im Muschelkalke des Berges und dessen aufgelagerten Mergelschichten Enkriniten und Trochiten, Ostraziten und Ammonshörner. Otto brach eine hier wildwachsende Feuerlilie, die durch die einbrechende Dämmerung leuchtete, und sprach: »Diesen Salamander im Reiche Flora's lasst uns als Glücksblume vom Tenneberge hinwegtragen; vielleicht öffnet er den Zaubergarten der Liebe; mir ist, als hörte ich aus ihm ein endämonisches Flüstern: Wahrlich, ich sage euch, morgen werdet ihr mit mir im Paradiese sein! « –
Reinhardsbrunn
Und der Morgen brach paradiesisch an. Die Reisenden grüssten ihn etwas minder früh, wie am vorigen Tage; sie besuchten sogar noch die blühende Puppenfabrik Waltershausens, einiges Niedliche zum Andenken kaufend, bevor sie längs eines weidenbeschatteten Baches weiter schritten durch die lachende Flur, den Burgberg mit seinem Schlosse und seinem Jagdzeughause zur Rechten lassend. Es dauerte nicht lange, so lagen auf vorspringender Bergzunge eine Anzahl moderner und stattlicher Gebäude inmitten freundlicher Gartenanlagen und blühender Akazienbäume vor ihren Blicken, welche Otto den Gefährten als das berühmte, 1784 von Salzmann errichtete, Erziehungsinstitut Schnepfenthal bezeichnete.
Eine muntere Knabenschaar, sämmtlich in gut kleidenden scharlachrothen Jacken, tummelte sich in eingetretener Erholungsstunde auf dem Platze; die Fremden sahen sich überall mit Freundlichkeit begrüsst, und eben so bereitwillig zur Besichtigung der Lehrsäle, des Bet- wie des Speisesaales, der Büchersammlung, der Buchdruckerei und des Naturalienkabinets geleitet. Letzteres enthält manches Interessante und Seltene, darunter das vollständige Habit einer Lappin. Die Erziehungsgrundsätze des Begründers dieser immer noch blühenden und thätig fortschreitenden Anstalt haben sich in der langen Jahresreihe ihres Bestehens als höchst erfolg- und segensreich bewährt, und Viele, die in dem, alle Zöglinge mit gleicher Liebe umfassenden Familienkreise dort ihre erste Jugendbildung empfingen, denken immer noch dankbar an Schnepfenthal zurück.
Als Vorstehern, Lehrern und Zöglingen von den weiter Wandernden Lebewohl gesagt war, nahm Otto das Wort: »Abermals betreten wir eines der Thore des Waldes; dieses Mal ist es keine Felsen-, sondern eine Pforte von dunkelgrünem Tannenlaube; wir grüssen ein idyllisch und hochromantisches Klosterthal mit blitzenden Teichen, einem prangend im Geiste der Ritterzeit erneuten Fürstenschlosse, einer Kirche mit alten Grabsteinen der thüringischen Landgrafen. Hier im Klosterfrieden wollten an heiliger Stätte schlummern, die auf Wartburg gethront, und schlummerten hier. Ich sagte euch schon, dass die Reue Adelheids und Ludwigs des Springers Kloster Reinhardsbrunn gründete. Oben über dem Thale thronte die Schauenburg, das Stammhaus der thüringischen Landgrafen, von Ludwig dem Bärtigen erbaut; das friedliche, einsame Thal war für einen Klosterbau ganz geeignet. Ein Wunder, die Erscheinung ungewöhnlicher meteorischer Lichter, die ein hier angesiedelter Töpfer, Reinhard, in der Nähe des Brunnens wiederholt erblickte, bestimmte Ort und Namen des Klosters, das mit Benediktinern besetzt wurde, fast fünfthalb Jahrhunderte blühte, und im Bauernkriege seinen Untergang fand.«
Während der Weg sich durch die grüne Tannenwaldung hinzog, wurde im tiefern Grunde des Thales eine Reihe spiegelnder Teiche erblickt, die nur durch schmale Dämme geschieden waren, und bald stellte sich dem Auge ein stattliches Gasthaus dar, zur Einkehr ladend. Die Freunde sahen zugleich thalabwärts einen Reisewagen angefahren kommen, der ihre Blicke ablenkte von dem weiter aufwärts gelegenen Schlosse. Dieser Wagen – man hatte ihn schon einmal irgendwo gesehen – wäre es möglich? – man sah drei Damen aussteigen – die Wanderer blickten scharf hin, die Augen der Freunde Otto's leuchteten, Freude klärte ihr Antlitz – kein Zweifel mehr, es war Frau Arenstein mit ihrem holden Töchterpaare. Ein überraschend freudiges Wiedersehen, ein unerwartetes, und darum doppelt anziehendes Begegnen. Es währte gar nicht lange, so sass die kleine Reisegesellschaft traulich beisammen an ländlichen Tischen unter schattenden Bäumen, als sei sie schon lange bekannt; denn leichter und harmloser schliesst man sich auf Reisen an, als in den Salons, es ist mehr Bedürfniss der Mittheilung, oft auch gegenseitiger Hülfleistung, selbst mehr innerer Antrieb zur Ablegung lästigen und beengenden socialen Formenwesens vorhanden.
»Wir kamen erst vor Kurzem von Kissingen im Bade Liebenstein an,« erzählte Frau Arenstein: »und benutzten den herrlichen Tag zu einem Ausfluge hierher. Früher sahen wir beiweiten noch nicht alle Schönheiten dieser Gegend, auch sieht man immer wieder mit anderm Auge und entdeckt Interessantes, das man beim erstenmal Schauen übersah.«
»Wie glücklich würde es uns machen, könnten wir in Ihrer Gesellschaft nahe schöne Partieen gemeinsam besuchen,« sprach Lenz mit bittenden Blicken zu der Mutter; Otto aber spottete boshaft: »Meiner Begleitung scheint dieser Freund müde zu sein, er schliesst sich der schöneren Erscheinung an.« Natürlich widersprach Lenz solcher Vermuthung lebhaft, und es kam ein heiterbeflügeltes Gespräch in Gang; rasch wechselten Worte und freundliche Blicke und das endliche, allen Theilen erfreuliche Resultat war die Uebereinkunft, von Reinhardsbrunn aus einen Exkurs nach dem thüringischen Candelaber, nach den pittoresken Thalgründen in der Nähe Tambachs, zu machen, und von da zurückkehrend das Felsenthal zu durchwandeln, den Inselberg zu besteigen und von seinem Gipfel sich wieder nach Liebenstein zu begeben; Alles dieses lag ohnehin so, wie es hier ungesucht beschlossen worden, in Otto's Reiseplan. Frau Arenstein machte aber durchaus zur Bedingung, früher empfangener Gefälligkeit dankbar eingedenk, dass Otto während dieser Zeit ihr wieder als erläuternder, sprachseliger Cicerone zur Seite stehe, denn sie war eine jener schau- und wanderlustigen Damen, denen man immer die Worte Wagners im Faust in den Mund legen könnte: zwar weiss ich viel, doch möcht' ich Alles wissen. Die liebliche Engelbertha, die schlanke Rosabella stimmten, befragt, ob auch sie mit Plan und Begleitung einverstanden? gar gern bei; es schien ihnen, aus sehr natürlichen Gründen, die Begleitung einiger jungen Männer gar nicht unlieb, welche so sichtlich das Bestreben, ihnen nicht zu missfallen, durch jede sittigzarte Huldigung an den Tag legten; daher ward in rechter Herzensfröhlichkeit auf gutes Reiseglück angeklungen.
Als man die wohlbesetzte Frühstückstafel aufhob, war Otto so gefällig gegen seine Freunde, der Dame Arenstein mit einiger Grandezza den Arm zu bieten: »Ich trete mein gewohntes Amt feierlichst an, meine Hochverehrten,« sprach er: »und führe Sie nun in diesen reizenden Park, zu dem prangenden Schlosse, zu der alternden Kirche.« Die Freunde folgten dem willkommenen Beispiele des Gefährten, führten die unbefangenen und doch höher erglühenden Töchter, und so wandelten Alle in glücklichster Stimmung harmlos durch die Schlangenpfade, an üppig blühenden Boskets vorüber, von balsamisch wohlthätiger Naturfrische umweht und überhaucht.
Vor den Augen stand zunächst in voller deutscher Architekturschönheit prangend, die Kunst byzantinischen, alt- und spätgothischen Baustyles in sich vereinigend, das herrliche Schloss mit seinen Eckthürmen, seiner Steinballustrade, seinen Balkonen, welches der jetzt regierende Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Ernst III., auf den Fundamenten eines ältern Hauses geschmackvoll aufbauen liess. Das Aeussere ward allzuanlockend befunden, um nicht das Innere für sehenswünschenswerth zu erachten welcher Wunsch jedoch nicht in unbeschränkter Ausdehnung Erfüllung finden konnte, da, wie schon die auf dem Giebel wehende grün-weisse Flagge verkündete, die Landesherrschaft anwesend war. Doch konnte Manches beschaut werden, was lebhaft den Sinn der Schönheit und des guten Geschmackes eben so kund that, wie ansprach, und nirgend sah sich der Fuss der Lustwandelnden in den lieblichen Anlagen gehemmt. Die Reihe alter Grabsteine thüringischer Landgrafen, von späterer Pietät nachgebildet, ziert die Aussenseite der Kirche zu Reinhardsbrunn, die mit dem Hinterhause des neuen Schlosses zusammenhängt, und sich wohl bald im edlen, reingothischen Style verjüngen wird. Sind auch die Monumente nicht alle gleichzeitig, so sind sie doch nicht ohne Kunst, und immer noch, so viel Zeit und Wetter nicht daran verstümmelten, der Betrachtung werth. Es sind folgende:
Ludwig der Springer. Adelheid, seine Gemahlin. Landgraf Ludwig I. Landgraf Ludwig II., der Eiserne. Jutta, seine Gemahlin. Landgraf Ludwig III., der Milde. Landgraf Ludwig IV., der Heilige. Landgraf Hermann II, der Jüngere. Markgraf Friedrich der Gebissene. Elisabeth, seine Gemahlin.
Wagner vertiefte sich so sehr in die Unterhaltung mit Rosabella, dass Otto für gut fand, ihn zu erinnern, er möge nicht vergessen, das Schloss zu zeichnen; nun halfen sogleich die Damen bitten, und freuten sich schon dem Abend entgegen, wo gegenseitige Schilderung der Reisen und die Ansicht des Gesammelten und Gezeichneten mitgetheilt werden sollte. Es ward eine Stelle gewählt, wo die Hauptfaçade des Schlosses lebhaft in's Auge fiel, sich spiegelnd in dem leise bewegten, grossen Bassin, das eine bewimpelte Gondel und stolzrudernde Schwäne trug. Die Kirche blickt hinter dem Schlosse hervor, und es zeigt sich, halb im Gebüsche verborgen, ein Theil zahlreicher, neuer und alter, der herrschaftlichen Stallung, Gärtnerei und Oekonomie gewidmeter Gebäude.
Otto schlug, nachdem Alles erfreut besehen und belobt worden war, einen Spaziergang auf den dicht über Reinhardsbrunn waldig sich streckenden Abtsberg vor, einmal um Allen und auch sich selbst den äusserst lohnenden Herabblick zu gönnen, anderntheils um ganz in der Stille für sich zu entnehmen, was den Damen im Bezug auf Bergersteigung und kleine Fusstouren zuzumuthen sei, um sie nicht durch Ermüdung zu verstimmen, und nicht am Ende, bei zu grosser Anstrengung, lamentable Klagen zu vernehmen.
Doch seine halben Befürchtungen bewiesen sich als ungegründet; die jungen Fräulein kletterten, dass es eine Lust war, und der Mutter schien die Mühe durchaus keine ungewohnte. Oben aber auf der Höhe, an des Berges Mitte, lohnte ein geebneter Raum mit Ruhebänken entschädigend für die anstrengende Bewegung, denn man hatte das ehemalige Kloster mit seinen zahlreichen Gebäuden, und vor Allem das Schloss mit dem blitzenden Bassin davor, zu Füssen; die Teiche schienen in einen grossen Thalsee vereinigt, und aus der Thalenge reichte der Blick weit in die Ferne, nach Gotha hin, und Otto konnte den Freunden das Thüringer Haus bezeichnen, von wo aus sie kürzlich in dieses Thal, auf diese Höhen geblickt hatten. Als die kleine Gesellschaft vom Abtsberge wieder hinunter kam, war es belebter von Fremden geworden, die in kleinen Gruppen sich theils lustwandelnd ergingen, theils Ruheplätze und leibliche Erfrischungen gesucht hatten, und das Ganze bot den wohlthuenden Anblick einer, heiterer Geselligkeit geöffneten, dem sittlich harmlosen Vergnügen zu vollem Genuss und froher Anschauung von höchster Huld vergönnten Parkanlage in reizender Waldung gelegen, dar.
Mit heitern Reden und Reiseplänen wurde das Mittagsmahl gewürzt, dann brach Otto mit seinen Freunden auf, um einstweilen voranswandernd einen Vorsprung zu gewinnen, ehe der Wagen nachkam, der die Damen nach Altenberga bringen sollte.
Der Candelaber
Freudenvoll, mit jenem seligen Gefühl in der Brust, das aufkeimende Liebe gewährt, schritten die jungen Freunde im Geleit ihres Führers dem einfachen Waldstädtchen Friedrichrode zu und ohne Aufenthalt hindurch, da es in einer Viertelstunde von Reinhardsbrunn aus zu erreichen ist. Die bedeutenden Leinwand- und Garnbleichereien dort, wie der Handel mit solchen Waaren konnten denen kein sonderliches Interesse abgewinnen, welchen die Gestalten zweier Huldinnen vorschwebten, die den ausschliesslich alleinigen Gegenstand ihrer Unterhaltung bildeten.
»Meine Rolle ist ausgespielt,« scherzte Otto zu den Freunden: »was fange ich mit verliebten Leuten an? Sage ich, dies vor uns liegende Dörflein heisst Engelsbach, so seufzt ihr nach euern Engeln; mache ich im Vorbeigehn euch auf eine Sculptur an der Kirchhofmauer aufmerksam, das Paradies genannt, so denkt ihr an das Paradies der Liebe, das euch gestern mein prophetisches Ahnen verkündete, und deute ich nach der Höhe des hier zur Rechten noch liegenden Ruinenberges der verschwundenen Schauenburg, so schaut ihr euch, statt nach ihm, nach dem Arensteinischen Reisewagen um. Nicht wahr, ich habe mich als Vates bewährt?«
»Vollkommen!« stimmten die Befragten bei, und schauten in der That rückwärts, nicht nach dem Paradiese, sondern nach dem Wagen; dieser kam aber noch nicht so bald, und Otto gewann Zeit, Jene auf einem freundlichen Fusspfade durch Haselnuss- und Hainbuchengebüsch allmälig emporzuführen, um über den Dörfern Altenberga und Catterfeld einen Standpunkt zu gewinnen, von welchem aus nicht nur der Thalgrund mit den ihn schmückenden beiden Dörfern und der hochgelegenen, lindenumgrünten Immanuelskirche sich malerisch schön ausnehmen, sondern von wo aus auch gerade über der genannten Kirche eine durch die Fichtenwaldung des, dieser Aussichthöhe gegenüber liegenden Berges gehauene Stallung den Candelaber, das schöne Denkmal an des heiligen Bonifacius segensreiches Walten in Thüringen, erblicken lässt. Nächstdem ist dem Auge vergönnt, weit umher zu schweifen, und sich auf der zahllosen Menge von Berggipfeln, Bergrücken, Berghalden des Thüringer-Waldes zu ergehen, welche bald ein Jagdhaus, bald eine trigonometrische Warte, bald eine Ruine in mannichfachem Wechsel, in verschiedenartiger Beleuchtung, schmücken.
Während solches Alles auf der Höhe von Otto angedeutet wurde, rief Lenz plötzlich: »Dort kommt der Wagen!« und raschen Schrittes ging es, mit wehenden Tüchern bewillkommnend und signalisiernd, bergab, und Altenberga zu.
Die froh begrüssten Damen stiegen aus; dem Kutscher ward ein Wegweiser aus dem Dorfe zugegeben, und er bedeutet, nach Georgenthal vorauszufahren, worauf die Anhöhe erstiegen wurde, welche der Candelaber schmückt.
»Dies ist die schöne, würdige Stelle,« nahm Otto droben das Wort: »an welcher, wie die Sage erzählt und die Geschichte bestätigt, Winfried-Bonifacius den Umwohnern zuerst den Heiland kennen lehrte, und dessen sanfte Lehre verkündete. Der Apostel Thüringens, in diesen Einöden dem Mangel Preis gegeben, sah sich durch ein Wunder gespeist, ein Adler liess einen Fisch aus den Lüften vor ihm niederfallen; er sah auf sein Bannwort eine Rabenschaar, deren lautes Geschrei sein Predigen störte, entweichen, und so gründete er hier glaubens- und vertrauensvoll den ersten Christenaltar, die erste Kirche, im Jahre Siebenhundert vier und zwanzig. Sanct Johannes dem Täufer geweiht, von Zeit zu Zeit erneuert, stand diese zuletzt den Einsturz drohend, und die Sage verkündet, dass, als man sie habe abtragen wollen, um sie im Thale aufzubauen, das Material immer am andern Morgen wieder auf dem Berge gelegen habe. Doch wurde statt ihrer unten am Berge Siebzehnhundert und zwölf die Immanuelskirche erbaut.«
Zuhörend hatten sich die Damen auf die Stufen des steinernen Riesenleuchters niedergelassen, und blickten mit Ernst nach der von Otto bezeichneten nahen Stelle hin, wo Kalk und Ziegelstücke das Vorhandengewesensein eines Gebäudes andeuteten. Otto sprach weiter: »In dem Kirchlein auf dieser Höhe empfing Ludwig der Springer die Taufe. Als es längst verfallen war und der Platz öde Waldung werden wollte, vermachte ein armer Holzhauer, Nikolaus Brückner, unten aus Altenberga zwanzig Meissnergülden zu einem Denkmal hier oben; der Gedanke fand grossen Anklang, es wurde öffentlich zu weitern Beiträgen aufgefordert, der damals regierende Herzog August von Sachsen-Gotha und Altenburg bestimmte sinnig die äussere Form des Denkmals und wählte die des Kirchenleuchters, um würdig die Stelle zu bezeichnen, von welcher aus sich die Morgenröthe des Glaubenslichtes über die Gefilde Thüringens ergoss. Im Juni des Jahres Achtzehnhundert und elf konnte der Grundstein dieses Denkmals feierlich gelegt werden, dann erhob es sich so, wie es hier vor Augen steht, auf sieben Stufen und acht Kugeln ruhend, in edler Form eines Candelabers, unten mit Akanthusblättern, oben mit drei Engelköpfen geziert, welche ein Flammenbecken tragen. Es war ein herrlicher Weihetag, als aus Nähe und Ferne Tausende auf diesem Berge zusammenströmten, und zur Feier desselben, zur Einweihung des Denkmals sich die drei deutschen Hauptconfessionen brüderlich die Hände reichten. Unter Glockengeläute und Musik bewegte sich ein langer Zug, voran zwei katholische Kirchenfahnen mit den Bildern der Heiligen Bonifaz und Benedikt, den Berg empor; Schulkinder mit ihren Lehrern, Schulzen und Vorsteher der umliegenden Gemeinden, Beamte, Künstler, welche das Denkmal gearbeitet, Land- und Stadtgeistliche, namentlich ein katholischer Prälat aus Erfurt, ein lutherischer Superintendent aus Gotha, ein reformirter Diakon aus Schmalkalden, folgten. Jeder der drei Letztern hielt eine Rede, und mit kirchlichem Gesänge wurde die Feier beschlossen.«
Die Zuhörerinnen des Sprechers blieben nicht ungerührt bei der Erinnerung an die Vergangenheit; Otto machte sie noch auf einen, im nahen Gebüsche, verborgenen uralten Taufstein mit Akanthusverzierung aufmerksam, und lenkte dann ihre Blicke auf das reizend hingebreitete Waldgebirge, vom nicht mehr fernen Inselberg überragt, hin, auf die grünenden Thäler, und auf das niedrigere Land, an dessen Beginn sich die Stadt Ohrdruf zeigt, die nicht minder an Bonifacius Wirken und Walten erinnert.
Lange genug weilten auf der geweihten, bedeutungsvollen Stätte die Reisenden, sich der Aussicht erfreuend und mancher traulichen Mittheilung pflegend, dann schlug Otto ihm wohlbekannte Waldpfade ein, führte durch ein umzäuntes Wildgehege, und auf äusserst angenehmen Wege durch einen jungen Tannenforst, in welchem hie und da Ruhesitze sich darboten. Dann auf etwas steilem Bergpfad abwärts schreitend, machte er aufmerksam auf die schöne Lage des Gothaischen Ortes Georgenthal, das im romantischen Thalgrunde neben drei spiegelnden Teichen, von herrlichen Wiesen, Felswänden, Waldungen umgeben, erblickt wird, an einem jener laut über das Gestein hinrollenden Bergwasser, die so sehr den Reiz wie den Schmuck dieser traulich heimischen Thäler erhöhen. Von dem ehemaligen reichen und berühmten Cistercienser-Kloster des stattlichen Amtsortes ist wenig mehr zu erblicken, und das Erhaltene wurde in öffentlichen Zwecken dienende Räumlichkeiten umgeschaffen.
Nach einem Spaziergange durch Georgenthal, an den Teichen und dem freundlichen Schützenhofe vorüber, gönnten sich die Damen einige Ruhe, und die Herren fanden in der trefflichen Brauerei nach bairischem Vorbilde, für die noch kurze Strecke, die heute zu durchwandern war, ein erlabendes Stärkungsmittel. Sie brachen hierauf nach Tambach auf, den herrlichen Thalgrund im Lichte des hellen Nachmittags durchwandernd, in welchem Lenz, neben dem Todtliegenden des Bodens, noch mancherlei mandelstein- und lavaähnliche Mineralien zu Tage anstehend fand.