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SPRUCH DES JAHRES

Die Zensur ist das lebendige Geständnis der Großen, daß sie nur verdummte Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.

Johann Nepomuk Nestroy

SPRUCH DER WOCHE

Duldet ein Volk die Untreue von Richtern und Ärzten, so ist es dekadent und steht vor der Auflösung.

 

Plato

 

LUSTIGES

Quelle: Aus dem umgestülpten Papierkorb der Weltpresse (1977)

Rubrik: Das süße Leben

Dallas, Texas - Vor einem Gericht gab Jack Stinney an, er habe seine Frau nur des Spaßes wegen verprügelt. Auf die erstaunte Frage des Staatsanwaltes ergänzte Stinney dann seine Aussage: "Allerdings verprügelte ich meine Frau nur wegen des Spaßes, den sie mit drei anderen Männern gehabt hatte."

Die Lehmänner
Die Lehmänner

Stolz und Vorurteil

Jane Austen

 

Capitel 11-19

 

Elftes Capitel.

 

Kaum sah sich Elisabeth allein, als sie, ordentlich um ihren Zorn gegen Darcy noch zu vermehren, alle seit ihrem Aufenthalt in Kent von Johannen erhaltenen Briefe noch einmal durchlas. Sie enthielten weder wirkliche Klagen, noch Anspielungen auf vergangene Zeiten, oder Erwähnung jetziger Leiden. Aber Elise vermißte darin jene Heiterkeit eines mit sich selbst einigen Gemüths, jene Genügsamkeit und Zufriedenheit mit der Außenwelt, welche ihre Briefe in frühern Zeiten charakterisirt hatten. Sie studirte jede Zeile mit der größten Aufmerksamkeit durch, und fand auf diese Weise allerdings mehr als beim ersten Durchlesen. Darcy's übermüthige Prahlerei gegen seinen Vetter, sein Selbstlob, etwas Gutes gestiftet zu haben, steigerte ihr Gefühl für der Schwester Leiden. Der Gedanke, daß sein Aufenthalt in Rosings nur noch bis übermorgen dauerte, gewährte ihr eine gewisse Beruhigung; und sie freute sich, spätestens in vierzehn Tagen wieder mit Johannen vereint zu sein, und ihr durch zarte Sorgfalt und schwesterliche Liebe die Unbeständigkeit der Männer vergessen zu machen.

An die Trennung von Fitzwilliam dachte sie mit mehr Betrübniß; sein Umgang, seine angenehme Unterhaltung hatten ihr den Aufenthalt in Hunsford verschönert; doch ihr Herz war glücklicher Weise frei geblieben, und so konnte sie auch nach der letzten Unterredung mit Unbefangenheit an ihn denken.

Während sie noch mit diesen und ähnlichen Betrachtungen beschäfftigt war, hörte sie die Hausthür rasch öffnen. Es konnte niemand anders sein als Fitzwilliam, der schon öfterer in der Abendstunde gekommen war, und sich jetzt vermuthlich selbst nach ihrem Befinden erkundigen wollte. In dieser festen Ueberzeugung richtete sie den Blick auf die Thür, und sah zu ihrem größten Erstaunen Herrn Darcy eintreten. Er begann mit ungeduldiger Eile nach ihrem Befinden zu fragen und fügte hinzu, daß nur der Wunsch, sich selbst von ihrem Bessersein zu überzeugen, ihn zu diesem späten Besuch veranlaßt, Sie antwortete hierauf mit kalter Höflichkeit. Er setzte sich einige Augenblicke nieder, stand dann rasch wieder auf und ging ungleichen Schritts das Zimmer auf und ab. Elisabeth sah ihn verwundert an, sagte aber kein Wort. Nach einem kurzen Schweigen näherte er sich ihr mit dem Ausdruck innerer heftiger Bewegung und sagte:

»Vergebens habe ich gekämpft! Ich vermag es nicht länger! Meine Empfindungen lassen sich nicht unterdrücken. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich Sie heiß und innig liebe.«

Elisabeths Erstaunen schildern keine Sorte. Sie fuhr erschrocken zusammen; hohe Röthe wechselte mit Todesblässe auf ihren Wangen – sie war keiner Antwort fähig. Diese Symptome reichten hin, seinen Muth zu beleben, und es erfolgte das Geständniß alles dessen, was er fühlte und schon lange gefühlt hatte. Er sprach mit Wärme und Innigkeit; doch nicht allein von den Empfindungen seines Herzens, sondern auch von den Hindernissen, die sich dem Aussprechen derselben entgegengesetzt, und war über den letzten Punkt nicht minder beredt, wie über den ersten. Er erwähnte seiner Verhältnisse und der ihrigen, seines innern Kampfes, sich von ihr loszureißen, der mannigfachen Schwierigkeiten, die er hinsichtlich seiner Familie zu überwinden hätte, und sprach mit einer Wärme, die nicht dazu geeignet war, seinen Antrag annehmlicher zu machen.

Trotz ihres tiefgewurzelten Widerwillens konnte Elisabeth doch nicht unempfindlich bei der Liebeserklärung dieses Mannes bleiben; und wenn gleich keinen Augenblick unschlüssig, verursachte es ihr dennoch ein unangenehmes Gefühl, seine Hoffnungen zerstören zu müssen. Als er aber schonungslos fortfuhr, – sie auf die Ungleichheit ihrer Verhältnisse, auf das, jedes Zartgefühl verletzende Benehmen ihrer Mutter und jüngern Schwestern aufmerksam zu machen, verwandelte sich ihr Mitleid in Zorn; und sie mußte alle Kräfte der Selbstüberwindung aufbieten, sich zu einer ruhigen Antwort vorzubereiten. Er schloß sein Bekenntniß mit der Hoffnung, daß sie seine unbesiegbare Liebe erwiedern und ihn durch das Geschenk ihrer Hand belohnen würde,

Der Ausdruck seiner Züge verrieth auch nicht den leisesten Zweifel einer günstigen Antwort; und obgleich sein Mund die Worte »Angst und Besorgniß« aussprachen, war die Ueberzeugung gewisser Annahme dennoch deutlich in seinen Blicken zu lesen. Diesen hohen Grad von Uebermuth konnte sie nicht länger ertragen. Im Gefühl tiefen Unwillens sagte sie, nachdem er geendet:

»Der Gebrauch erfordert eine Art Dank für das Aussprechen solcher günstigen Besinnungen, selbst wenn sie keine Erwiederung finden. Ich fühle, daß ich Ihnen dadurch eine gewisse Verbindlichkeit schuldig bin, und möchte Ihnen gern für Ihre gute Meinung danken; aber ich kann es nicht. Sie zu erlangen, war nie mein Wunsch und Streben, und Sie haben sie mir so höchst ungern zugestanden, daß Ihr Bekenntniß dadurch zur Beleidigung geworden ist. Es thut mir leid, Ihnen eine unangenehme Empfindung verursachen zu müssen; doch habe ich alle Hoffnung zu vermuthen, daß sie nicht von langer Dauer sein wird. Dieselben Gründe, welche Sie, nach eignem Bericht, bis jetzt abgehalten, mir Ihre Liebe zu gestehen, werden stark genug sein, Ihnen die Bekämpfung derselben zu erleichtern.«

Darcy, mit dem Rücken an den Ofen gelehnt, die Blicke fest auf Elisen gerichtet, schien ihre Worte mit nicht geringerem Unwillen als Staunen zu vernehmen. Die Blässe des Zorns überzog sein Gesicht, und in jedem Zug desselben drückte sich eine gewaltsame innere Erschütterung aus. Er rang nach äußerer Fassung und wollte nicht eher sprechen, bis er sie erlangt. Diese Pause dünkte Elisen schrecklich, kaum zu ertragen. Endlich sagte er mit erzwungener Ruhe:

»Und ist dieß die ganze Antwort, die ich von Ihnen zu erwarten habe? Der Wunsch zu erfahren, weshalb ich mit so geringer Berücksichtigung der Höflichkeit auf solche Weise abgewiesen worden bin, möchte vielleicht verzeihlich sein.«

»Und ich möchte dagegen fragen,« erwiederte sie, »warum Sie mir, augenscheinlich in der Absicht mich zu kränken und zu beleidigen, erzählen, daß Sie mich gegen Ihren Willen, gegen Ihre Vernunft, gegen Ihre Ueberzeugung, ja sogar den Grundsätzen ihres Charakters entgegen lieben? War dieses mich erniedrigende Geständniß nicht eine Entschuldigung meiner Unhöflichkeit, wenn ich wirklich unhöflich gewesen? Doch ich habe auch noch andre Gründe hierzu, und diese sind Ihnen bekannt. Sie können Sie mich fähig halten, die Anträge eines Mannes anzunehmen, den ich mit vollem Recht beschuldige, die Ruhe und das Glück einer innigst geliebten Schwester vielleicht auf ewig gestört zu haben? Nein! Und wenn mein Herz, auch keine Abneigung gegen Sie empfunden, wenn es gleichgültig, ja sogar wenn es günstig für Sie gewesen, würde diese Erinnerung allein schon hinreichen, mich für immer von Ihnen zu entfernen.«

Bei diesen Worten wechselte Darcy die Farbe, die Bewegung schien jedoch vorübergehend, und er hörte ihr, ohne Versuch sie zu unterbrechen, mit scheinbarer Ruhe zu, als sie folgender Maaßen fortfuhr:

»Ich habe alle mögliche Gründe, schlecht von Ihnen zu denken. Nichts ist im Stande, diese ungerechte und unedle Handlung zu entschuldigen. Sie können und werden es nicht läugnen wollen, daß Sie die Hauptursache, wenn nicht die Einzige gewesen sind, dieses Paar zu trennen; den Einen wegen Laune und Unbeständigkeit dem gerechten Tadel der Welt auszusetzen, die Andre wegen getäuschter Erwartung zum Gegenstand des Spotts und Hohns zu machen, und beide Theile ins Elend zu stürzen.«

Sie hielt hier inne und gewahrte mit Unwillen, daß er ihr ohne das geringste Zeichen von Reue zuhörte, ja sie sogar mit einem Lächeln erkünstelter Ungläubigkeit anblickte.

»Können Sie es läugnen, dieß gethan zu haben?« fragte sie.

Mit mühsam errungener Rune erwiederte er: »Ich läugne weder, daß ich alles, was in meiner Macht stand, that, um meinen Freund von Ihrer Schwester zu trennen, noch daß ich mich über das Gelingen dieses Werks freute. Mit ihm habe ich es besser gemeint, wie mit mir selbst.«

Elisabeth würdigte würdigte dieser höflichen Bemerkung keine Antwort In Band I sind Wendungen dieser Art nicht zu finden, wohl aber hier und in Bd. II. In Bd. III werden dagegen Wendungen mit »würdigen« plus Genitivobjekt parallel zu jenem mit Dativ verwendet. Es muss offen bleiben, ob hier unterschiedliche Setzer arbeiteten oder die Übersetzerin für beide Sprachgebräuche verantwortlich ist. In ihrer Übersetzung von Chatherine Cuthbertsons »Adelaide« war jedenfalls die Dativ-Version nicht zu beobachten.; aber der Sinn derselben war ihr nicht entgangen, und diente nicht dazu, sie milder gegen ihn zu stimmen.

»Doch nicht hierauf allein,« fuhr sie fort, »gründet sich meine Abneigung. Lange vorher schon war mein Urtheil über Sie entschieden, ich lernte Ihren Charakter vor einigen Monaten aus Herrn Wickhams Erzählungen kennen. Was haben Sie in dieser Angelegenheit zu Ihrer Entschuldigung zu sagen? Können Sie Thatsachen abläugnen? oder haben Sie auch hierbei irgend Jemandem einen Freundschaftsdienst erwiesen?«

»Sie nehmen ein sehr lebhaftes Interesse an dieses jungen Mannes Angelegenheiten,« sagte Darcy in einem weniger ruhigen Ton, und mit erhöhtem Colorit:

»Wer mit seinem unglücklichen Schicksal bekannt ist, muß ihm inniges Mitleid zollen.«

»Mit seinem unglücklichen Schicksal!« wiederholte Darcy verächtlich, »ja! er hat freilich viel Unglück zu ertragen gehabt.«

»Und durch Ihre Schuld,« rief Elisabeth mit Nachdruck. » Sie haben ihn in seinen jetzigen Zustand der Armuth versetzt, ihn dessen beraubt, worauf er gerechte Ansprüche machen konnte. Sie haben ihm seine schönsten Jahre verkümmert, ihn um seine zu erwartende Unabhängigkeit gebracht. Dieß alles haben Sie gethan, und können dennoch seiner Unglücksfalle mit dem Lächeln der Verachtung erwähnen!«

»Und ist dieß,« rief Darcy, mit großen Schritten das Zimmer messend, »ist dieß Ihre Meinung von mir! Dieß Ihre Ansicht meiner Handlungen! Ich danke Ihnen für das unverhohlene Aussprechen derselben. Das Gewicht meiner Schuld ist nach solcher Berechnung allerdings sehr schwer! Doch vielleicht,« fuhr er, in seinem raschen Gang innehaltend, zu ihr gewendet fort, »würden diese Beleidigungen übersehen worden sein, wenn ich Ihren Stolz nicht durch mein ehrliches Bekenntniß der Bedenklichkeiten, die sich meinen ernsten Absichten entgegengestellt, beleidigt hätte. Diese harten Anklagen wären vermuthlich unterdrückt worden, wenn ich meine Bedenklichkeiten mit größerer Politik verschwiegen und Ihnen dagegen versichert hatte, daß nicht allein Liebe, sondern auch Vernunft und Ueberlegung mich zu diesem Schritt bewogen. Doch jede Art von Verstellung ist meiner Natur zuwider. Auch schäme ich mich der ausgesprochenen Gefühle nicht, da sie natürlich und gerecht sind. Konnten Sie Freude von mir erwarten, über die Aussicht mit Menschen verwandt zu werden, die so tief unter mir stehen?«

Elisabeth fühlte ihren Zorn mit jedem Augenblick zunehmen, versuchte jedoch einen ruhigen Ton zu erzwingen und erwiederte so leidenschaftlos als möglich:

»Sie irren, Herr Darcy! wenn Sie der Art und Weise Ihrer Erklärung die Schuld meiner Antwort beimessen. Sie hat höchstens dazu beigetragen, mir das Bedauern zu ersparen, welches ich nothwendig bei Ablehnung Ihres Antrags empfunden haben würde, wenn dieser mir auf eine geziemendere Weise gemacht worden wäre.«

Er fuhr bei diesen Worten, wie von einem elektrischen Schlag getroffen, zusammen, sagte aber nichts und so fügte sie hinzu:

»Seien Sie indeß versichert, daß ich das Anerbieten Ihrer Hand selbst nicht unter den ehrenvollsten Bedingungen, und mit Hinweglassung aller störenden Geständnisse, angenommen haben würde.«

Sein Erstaunen ward abermals sichtbar, und er schaute sie an mit einem Ausdruck, worin sich Ungläubigkeit und gekränkte Eitelkeit zugleich abspiegelten.

»Vom Anbeginn, ja ich möchte sagen vom ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft, erfüllte mich Ihr Betragen mit dem Glauben an Ihren Dünkel und Ihren Hochmuth, und die egoistische Verachtung der Gefühle Andrer legte den ersten Grundstein zu dem Mißfallen, welches durch die darauf folgenden Begebenheiten sehr bald in völlige Abneigung ausartete; und als ich Sie kaum einen Monat kannte, fühlte ich, daß Sie der letzte Mann in der Welt wären, den zu heirathen ich mich je entschließen könnte.«

»Sie haben genug gesagt. Ich kenne jetzt Ihre Gesinnungen und schäme mich, die meinigen ausgesprochen zu haben. Verzeihen Sie den Raub, den ich an Ihrer kostbaren Zeit begangen, und empfangen Sie meine besten Wünsche für Ihr Wohl und Glück.«

Nach diesen Worten verließ er schnell das Zimmer, und Elisabeth hörte ihn im nächsten Augenblick aus dem Hause eilen.

Ihr Gemüth war schmerzlich aufgeregt; sie fühlte sich im höchsten Grade angegriffen und machte dem gepreßten Herzen durch einen heißen Thränenstrom Luft. Ihr Erstaunen über das eben Gehörte nahm mit jedem Augenblick zu. Einen Heirathsantrag von Darcy zu erhalten, von ihm selbst zu hören, daß er sie schon seit mehreren Monaten liebte, und in einem solchen Grade liebte, daß er sie, trotz dem daß er seines Freundes Verbindung mit ihrer Schwester zu hintertreiben gesucht, jetzt selbst heirathen wollte, war ein fast unglaublicher Gedanke. Sie konnte es sich kaum vorstellen, eine solche Leidenschaft erweckt zu haben. Aber sein Stolz, sein abscheulicher Stolz, sein unverschämtes Eingestehen dessen, was er hinsichtlich Johannens gethan, ohne sich jedoch deshalb rechtfertigen zu können, und die gefühllose Art Wickham's zu erwähnen, so wie die von ihm nicht abgeläugnete Grausamkeit gegen denselben, überwogen sehr bald das flüchtige Gefühl des Mitleids, welches seine unglückliche Liebe ihr für den Augenblick eingeflößt hatte.

In diesem aufgeregten Zustand blieb sie, bis das Rollen des Wagens sie in die Wirklichkeit zurückrief. Unfähig Charlottens forschende Blicke zu ertragen, eilte sie in ihr Zimmer, und ließ sich durch heftiger gewordene Kopfschmerzen entschuldigen.

 

Zwölftes Capitel.

 

Elisabeth erwachte am folgenden Morgen mit denselben Gedanken und Betrachtungen, womit sie am Abend vorher die Augen geschlossen. Sie konnte sich immer noch nicht von ihrem Erstaunen erholen, es schien ihr unmöglich, an etwas Andres zu denken, und unfähig sich auf die gewöhnliche Weise zu beschäfftigen, beschloß sie nach dem Frühstück einen weitern Spaziergang zu machen. Schon war sie auf dem Wege zu ihrem Lieblingsplätzchen, als ihr plötzlich einfiel, daß auch Darcy manchmal hierher zu gehen pflegte; deshalb kehrte sie am Eingang des Parks wieder um und schlug einen Seitenpfad ein, der sie weiter von der Landstraße abführte. Nachdem sie diesen einige Mal auf und abgegangen war, lockte sie der schöne Morgen und das frische Grün der Bäume, noch einen Gang durch den Park zu machen, welcher jeden Tag an Pracht und Lieblichkeit zunahm. Vorsichtig schaute sie um sich, und als sie das Terrain sicher gefunden, schritt sie muthig vorwärts.

Doch nicht lange sollte sie sich dieser wohlthuenden Einsamkeit erfreuen: denn kaum war sie einige Schritte tiefer in das junge Gehölz hineingegangen, als sie von fern eine männliche Gestalt auf sich zukommen sah. Sie wandte schnell um, war jedoch schon gesehen und erkannt worden, und hörte jetzt zu ihrem nicht geringen Schrecken ihren Namen laut von Darcy rufen. Hier, half kein Widerstreben. Sie blieb stehen und erwartete den Gefürchteten, der ihr mit einem Brief in der Hand entgegentrat. Sie griff mechanisch nach dem ihr dargebotenen Blatt.

»Ich bin,« so hub er mit einem Blick stolzer Ruhe an, »schon einige Zeit hier auf und abgegangen, in der Hoffnung, Ihnen zu begegnen. Wollen Sie mir die Ehre erzeigen, diesen Brief zu lesen?«

Und hierauf wandte er sich nach einer leichten Verbeugung wieder in das Gehölz, und war bald aus ihren Augen verschwunden.

Ohne freudige Erwartung, doch voll Neugier eröffnete Elisabeth den Brief, und fand zu ihrer größten Verwundrung nicht allein zwei ganze Bogen, sondern auch sogar das Couvert eng vollgeschrieben. Sie las wie folgt:

»Rosings. 8 Uhr des Morgens.

Beunruhigen Sie sich nicht über den Anblick dieser Zeilen, welche weder eine Wiederholung meiner Gefühle, noch eine Erneuerung des Ihnen gestern Abend so unangenehm gewesenen Antrags enthalten. Auch geschieht es nicht in der Absicht, Sie zu kränken, oder mich zu demüthigen, daß ich noch ein Mal auf jene Wünsche zurückkomme, die zu unserm beiderseitigen Glück nicht zu bald vergessen werden können. Gern hätte ich mir die Anstrengung, diesen Brief zu schreiben, und Ihnen die Unbequemlichkeit ihn zu lesen, erspart; doch zur Rechtfertigung meines Charakters mußte er geschrieben und gelesen werden. Verzeihen Sie deshalb meiner Bitte um gütige Aufmerksamkeit; Ihr Gefühl wird sie mir ungern bewilligen, aber ich fordre sie von Ihrer Gerechtigkeit,

Sie haben mir gestern zwei Beleidigungen von sehr verschiedener Natur, und keineswegs von gleicher Wichtigkeit, zur Last gelegt. Die Erste bestand in dem Vorwurf, meinen Freund Bingley von Ihrer Schwester getrennt zu haben, ohne Rücksicht auf ihre beiderseitige Neigung; und die zweite, daß ich, der Ehre und Menschlichkeit zum Trotz, Herrn Wickhams gerechte Ansprüche an jetziges Glück und zukünftige Aussichten muthwillig zerstört hätte. – Muthwillig und grundlos den Gefährten meiner Kindheit, den anerkannten Liebling meines Vaters, einen jungen Menschen, der keine andre Stütze als unsre Gunst besaß, und in dem Glauben an unsern fernern Beistand aufgewachsen war – einen solchen Jüngling aus Laune oder Uebermuth von mir zu stoßen und meinem Schutz zu entziehen, würde einen Grad von Schlechtigkeit verrathen, der keinen Vergleich mit dem Vergehen, ein Liebespaar, dessen Neigung nur erst einige Wochen alt, zu trennen, aushält. – Doch diesen schweren Vorwurf, den Sie mir gestern so schonungslos machten, hoffe ich in Zukunft von mir abgewälzt zu sehen, wenn Sie folgenden Bericht meiner Handlungen und deren Motive gelesen haben werden. Sollte ich zu meiner eignen Rechtfertigung manchmal genöthigt sein, Empfindungen auszusprechen, welche den Ihrigen entgegen sind, oder sie sogar beleidigen: so kann ich nur versichern, daß mir diese Umstände sehr leid thun. Ich muß der Nothwendigkeit gehorchen, und allzugroße Schonung würde hier nicht am rechten Ort sein.

Ich war noch nicht lange in Hertfordshire gewesen, als auch ich, wie so viele Andre, die Bemerkung machte, daß Bingley Ihre älteste Schwester sehr auszeichnete. Doch nicht eher als am Abend des Balls in Netherfield erkannte ich sein Gefühl für eine ernstere Neigung, als manche frühere. Auf diesem Ball, während ich die Ehre hatte, mit Ihnen zu tanzen, ward ich zuerst durch Sir William Lukas darauf aufmerksam gemacht, daß Bingley's Galanterien gegen Ihre Schwester Veranlassung zu der Vermuthung einer daraus entstehenden Heirath gegeben hatte. Er sprach davon als von einer ausgemachten Sache, die nächstens bekannt werden würde. Von diesem Augenblick an beobachtete ich meinen Freund genauer, und bemerkte, daß seine Vorliebe für Miß Bennet tiefern Grund gefaßt hatte, als es sonst bei ihm der Fall zu sein pflegte. Auch Ihre Schwester ward nun von mir beobachtet; aber ihr offner Blick und ruhiges Wesen, die sich stets gleich bleibende heitre, liebenswürdige Unbefangenheit verriethen auch nicht das kleinste Symptom einer ernsten Neigung, und nach den Bemerkungen dieses Abends zu schließen, war ich fest überzeugt, daß ihr seine Huldigungen zwar Vergnügen machten, aber ihr Herz nicht tiefer berührten. Wenn Sie sich also in diesem Punkt nicht geirrt haben, muß ich mich selbst des Irrthums anklagen, und ich erkenne Ihre gründlichere Kenntniß des schwesterlichen Herzens. Wenn dem wirklich so ist, wenn ich, durch meinen Irrthum verleitet, Ihnen Summer verursacht habe, ist Ihre Erbitterung gegen mich nicht ohne Grund, Aber ich versichere nochmals, daß die gleiche Heiterkeit Ihrer Schwester den schärfsten Beobachter über den wahren Zustand ihres Herzens irre führen mußte. daß ich es wünschte, sie gleichgültig zu finden, läugne ich nicht; wohl aber, daß ich mich durch Furcht oder Hoffnung zu einem solchen Glauben bestimmen ließ. Ich glaubte es aus unpartheiischer Ueberzeugung, so gewiß als ich es aus Vernunft wünschte. Meine Einwendungen gegen diese Heirath waren nicht bloß die, welche ich gestern Abend im eignen Fall nur durch die Gewalt der Leidenschaft möglicher Weise zu überwinden im Stande erklärte; (der Mangel an Connectionen konnte meinem Freunde nicht so nachtheilig werden wie mir) ich hatte andre Gründe für meine Abneigung – Gründe, die zwar immer noch, und für beide Fälle im gleichen Grade fortdauern, die ich aber zu vergessen gesucht hatte, weil sie mir für den Augenblick ferner lagen. Diese Gründe muß ich leider genauer zergliedern. Der Stand Ihrer Mutter so wie deren Familie, obgleich ein großes Hinderniß, war doch nichts im Vergleich mit dem gänzlichen Mangel des Gefühls für Schicklichkeit, den ich sowohl bei Ihrer Mutter, als auch bei ihren jüngsten Schwestern und selbst zuweilen bei Ihrem Vater oft zu bemerken Gelegenheit hatte. – Verzeihen Sie. – Es thut mir leid, Sie zu beleidigen. Möge das tröstende, Sie und Ihre älteste Schwester durch das Leben begleitende Gefühl sich, umgeben von den Mängeln und Fehlern Ihrer nächsten Verwandten, frei von denselben erhalten zu haben, und sich in jeder Hinsicht höchst vortheilhaft vor ihnen auszuzeichnen, Ihnen eine Art Beruhigung gewähren, und meine willenlose Härte einiger Maaßen mildern! Ich habe nur noch hinzu zu fügen, daß meine Meinung durch alles, was an diesem Abend vorging, noch mehr Bestätigung erhielt, und daß ich es für heilige Pflicht erkannte, meinen Freund aus der, seiner in dieser Verbindung wartenden Gefahr zu erretten. – Er reiste am folgenden Tag nach London, wie Sie sich erinnern werden, in der Absicht, bald nach Netherfield zurückzukehren. – Was hierauf meinerseits geschah, sollen Sie nun erfahren, Bingley's Schwestern theilten meine Furcht hinsichtlich seiner Verbindung mit Miß Bennet. Unsre Uebereinstimmung that sich bald kund; und da keine Zeit zu verlieren war, beschlossen wir, ihm gleich nach London nachzufolgen. Dort angekommen, bemühte ich mich meinem Freunde die nachtheiligen Folgen einer solchen Wahl anschaulich zu machen. Ich schilderte sie mit nachdrücklichem Ernst. Doch, wenn gleich sein Entschluß durch meine dringenden Vorstellungen etwas wankend geworden war, würden sie ihm dennoch schwerlich von der Heirath abgehalten haben, hätte ich sie nicht durch die Versicherung von der Gleichgültigkeit Ihrer Schwester (an welch ich damals selbst keinen Augenblick zweifelte) unterstützt. Bis jetzt hatte er sich mit der Hoffnung geschmeichelt, Erwiederung seiner Liebe bei Ihrer Schwester zu finden; aber bei seiner großen natürlichen Bescheidenheit, und dem unbedingten Vertrauen zu meiner richtigern Erkenntniß ward es mir nicht schwer, ihn zu überzeugen, daß er sich in diesem Punkt geirrt. daß es nach solcher Aufklärung nur eines Wortes bedurfte, um seine Rückkehr nach Netherfield zu verhindern, werden Sie bei greifen. Ich kann mein Verfahren im Ganzen nicht tadelnswerth finden. Nur an einen einzigen Punkt denke ich mit Mißbilligung zurück, und dieser besteht darin, daß ich mich zu dem niedrigen Kunstgriff herabließ, ihm Ihrer Schwester Anwesenheit in der Stadt zu verheimlichen. Ich erfuhr sie sogleich durch Miß Bingley; ihr Bruder weiß aber noch jetzt nichts davon Vielleicht hätten sie sich ohne Gefahr sehen können; doch möchte ich fast das Gegentheil behaupten, da es mir schien, als ob seine Neigung noch nicht verflogen wäre. – Diese Verheimlichung, dieses Eingehen in den fremden Plan, war unter meiner Würde. Es ist indeß geschehen, und ich kann wohl sagen, daß ich die beste. Absicht dabei gehabt. Und somit bliebe mir über diesen Gegenstand nichts weiter zu sagen, keine Entschuldigung mehr zu machen übrig. Wenn ich so unglücklich gewesen bin, das Gefühl Ihrer Schwester zu verwunden, so versichere ich nochmals, daß es ohne meinen Willen geschah; und wenn die mich hierzu bestimmenden Gründe Ihnen auch nicht hinreichend erscheinen, habe ich doch nicht gelernt, sie zu verdammen.

Was nun die andre, ohne Zweifel viel wichtigere Beschuldigung, Herrn Wickham unverantwortlich behandelt zu haben, betrifft; so kann ich sie nur durch den treuen Bericht seiner Bekanntschaft und seines Benehmens gegen unsre Familie widerlegen. Ob er mich noch besonderer Unthaten beschuldigt hat, weiß ich nicht; doch von der Wahrheit dessen, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, können Sie sich durch das Zeugnis mehrerer wahrheitsliebender Männer überzeugen. Herr Wickham ist der Sohn eines sehr achtbaren Mannes, der mehrere Jahre die Verwaltung der Pemberley'schen Güter treu und redlich besorgt hat, wofür mein Vater sich ihm verpflichtet fühlte und seine Erkenntlichkeit an Georg Wickham, seinem Pathen zu beweisen suchte. Durch die Verschwendung seiner Frau außer Stand gesetzt, dem Sohn eine anständige Erziehung zu geben, erkannte er dankbar meines Vaters Beistand, der den jungen Menschen erst auf Schulen, und dann auf der Universität erhielt. Sein angenehmes Aeußeres, seine geselligen Tugenden so wie sein einschmeichelndes Wesen hatten ihn meinem Vater sehr empfohlen; er liebte ihn wie einen Sohn, hatte die beste Meinung von seinem Charakter und war entschlossen, ihm, falls er den geistlichen Stand erwählen sollte, in demselben beförderlich zu sein. Meine Ansichten über ihn waren schon seit mehreren Jahren verschieden von denen meines Vaters. Sein Hang zur Ausschweifung, der gänzliche Mangel an guten Grundsätzen, die er sorgfältig vor den Augen seines besten Freundes zu verheimlichen suchte, konnten mir, einem jungen, fast im gleichen Alter mit ihm stehenden Mann, der Gelegenheit hatte, ihn in unbewachten Augenblicken zu beobachten, nicht lange verborgen bleiben. Schon wieder muß ich Ihnen Schmerz verursachen – in welchem Grad kann ich nicht beurtheilen – doch von welcher Art die Gefühle auch sein mögen, die Herr Wickham so glücklich gewesen ist in Ihnen zu erregen, soll und darf diese Rücksicht mich doch nicht abhalten, seinen wahren Charakter zu enthüllen. Fünf Jahre darauf starb mein vortrefflicher Vater; und seine Vorliebe für Wickham hatte in dieser Zeit so zugenommen, daß er es mir in seinem letzten Willen zur Pflicht machte, ferner auf die beste Art für Georg zu sorgen und ihm, falls er wirklich noch das Studium der Theologie ergreifen sollte, bei der nächsten Vakanz eine sehr einträgliche Familienpfründe zu geben. Außerdem hinterließ er ihm noch ein Legat von tausend Pfund. Sein Vater überlebte den meinigen nicht lange, und ein halbes Jahr darauf erhielt ich einen Brief von Wickham, in welchem er mir seinen Entschluß, den geistlichen Stand aufzugeben, mittheilte und die Hoffnung aussprach, daß ich es unter solchen Umständen begreiflich finden würde, wenn er, zum Ersatz für die verheißene Pfründe, der er hierdurch förmlich entsagte, Anspruch auf eine Unterstützung in Geld machte. Schließlich fügte er noch hinzu, daß er sich nun entschlossen, Jura zu studiren, was indeß von den Interessen Damals auch in der Bedeutung »Zinsen«. von tausend Pfund unmöglich geschehen könne. Der Wunsch, diesen Plan ernsthaft von ihm verfolgt zu sehen, war größer, als mein Glaube daran, doch willigte ich mit Freuden in seinen Vorschlag. Ich glaubte ihn nicht für den geistlichen Stand geschaffen, und somit war das Geschäfft abgemacht. Er erhielt drei tausend Pfund und entsagte dagegen für die Zukunft allen Ansprüchen auf Beförderung im geistlichen Stand, falls er sich diesem wieder zuwenden sollte. Alle Verbindung zwischen uns schien nun aufgelößt. Meine Meinung von ihm war zu gering, um ihn nach Pemberley einzuladen, oder seine Gesellschaft in der Stadt zu suchen. Hier hielt er sich hauptsächlich auf, doch keineswegs studirend; sondern um frei von jedem Zwang ein müssiges, zügelloses Leben zu führen. Drei Jahre verstrichen, ohne daß ich viel von ihm gehört. Da starb der alte Prediger, dessen Stelle ihm in früherer Zeit versprochen gewesen, und nun wandte er sich wieder schriftlich an mich, und bat um dieselbe. Seine Versicherung, daß er sich in sehr schlechten Umständen befinde, glaubte ich gern. Er hatte das erwählte Fach nicht sehr einträglich gefunden, und sich nun entschlossen, sich ordiniren zu lassen, falls ich ihm mit der erwähnten Pfründe beschenken wollte, woran er nicht zweifelte, erstlich weil, wie er wohl wisse, Niemand auf meine Versorgung rechnete, und zweitens, weil ich meines ehrwürdigen Vaters Bestimmung darüber wohl nicht vergessen haben würde. Können Sie mich tadeln, daß ich diese Bitte, so wie alle Wiederholungen derselben unerfüllt ließ? Sein Zorn gegen mich nahm in dem Grade zu, als sich seine Umstände verschlimmerten, und seine Urtheile über mich waren, ohne Zweifel eben so ungerecht und hart, als die Vorwürfe, die er mir selbst darüber machte. Jeder Schein von Bekanntschaft hörte nach diesem Vorfall natürlich auf, und ich wußte lange nicht, wie und wo er lebte, bis die Gewißheit seiner Existenz mir vorigen Sommer auf eine sehr schmerzliche Weise kund gethan wurde. Ich muß nun eines Umstandes erwähnen, den zu vergessen ich mich schon länger bestrebe, und den ich nur durch diese Veranlassung bestimmt werden konnte, einem menschlichen Wesen mitzutheilen. Nach dieser Einleitung bedarf es keiner besondern Bitte um Ihre Verschwiegenheit. Meine Schwester, welche zehn Jahre jünger als ich ist, ward nach unsers Vaters Tode meiner und Oberst Fitzwilliams (Neffen meiner Mutter) Vormundschaft übergeben, Ungefähr vor einem Jahr verließ sie die Pension, um unter der Aufsicht von Mrß. Younge, einer ältern Dame, ihre Ausbildung in London zu vollenden. Mit dieser ging sie vorigen Sommer nach Ramsgate, wohin ihr Wickham bald nachfolgte, wahrscheinlich absichtlich, wie sich später ergab. Zwischen ihm und Mrß. Younge, über deren Charakter wir uns unglücklicher Weise sehr getäuscht hatten, schien schon früher eine Bekanntschaft Statt gefunden zu haben. Durch ihren Beistand gelang es ihm, sich Georginen, deren zärtliches Herz ihm noch aus der Kinderzeit, wo er sich viel mit ihr beschäfftigt hatte, gewogen war, zu nähern, und sie dergestalt zu bethören, daß sie ihn zu lieben glaubte und einwilligte, mit ihm zu entfliehen. Zu ihrer Entschuldigung, sage ich, daß sie damals erst funfzehn Jahr alt war, und freue mich hinzufügen zu können, daß ich aus ihrem Munde die erste Nachricht davon erhielt. Als ich nämlich ein Paar Tage vor der verabredeten Flucht unerwartet in Ramsgate eintraf, erkannte Georgine ihr Vorhaben, wodurch sie einen geliebten Bruder, den sie bis jetzt als Vater zu betrachten gewohnt gewesen, tief gekränkt haben würde, für schweres Unrecht und gestand mir das Ganze. Was ich dabei empfand, und wie ich verfuhr, können Sie sich leicht vorstellen. Aus Rücksicht für den Ruf meiner Schwester und um ihr Gefühl zu schonen, mußte ich vorsichtig auftreten und durfte Wickham nicht, wie er es verdiente, öffentlich zur Strafe ziehen. Aber ich schrieb ihm in ernsten Ausdrücken, worauf er Ramsgate sogleich verließ. Auch Mrß. Younge ward natürlich ihres Amts augenblicklich entsetzt. Wickhams Hauptzweck bei dieser Intrigue war ohne Zweifel meiner Schwester Vermögen, bestehend in 30,000 Pfund; doch kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß er nebenbei die Absicht gehabt, sich auf das Empfindlichste an mir zu rächen. Und wäre es ihm gelungen, so würde sein Triumph allerdings vollständig gewesen sein. – Somit hätte ich Ihnen also getreuen Bericht über alles, was vom Anbeginn unsrer Bekanntschaft zwischen mir und Wickham vorgefallen, abgestattet; und wenn Sie denselben nicht als falsch verwerfen, darf ich hoffen, in Zukunft nicht wieder der Grausamkeit gegen meinen Jugendfreund beschuldigt zu werden. In welcher Art, unter welcher Form der Falschheit er mich bei Ihnen angeklagt, ist mir unbekannt; doch wundre ich mich nicht über seinen glücklichen Erfolg, da Sie von dem Vorhergegangenen keine Kenntniß hatten und haben konnten. Ein solches Ahnungsvermögen war nicht in Ihnen vorauszusetzen, ebenso wenig wie Argwohn von Ihnen zu erwarten. Sie werden sich vermuthlich wundern, daß ich Ihnen diese Umstände nicht schon gestern Abend erzählt habe, aber in dem ersten Augenblick war ich noch nicht so vollkommen Herr meiner selbst, um entscheiden zu können, was hierauf erwiedert oder entdeckt werden mußte. Hinsichtlich der Wahrheit der so eben erzählten Begebenheiten berufe ich mich auf das Zeugniß des Obersten Fitzwilliam, der theils als naher Verwandter und genauer Freund, theils aber auch als einer der Vollstrecker des letzten Willens meines verstorbenen Vaters nothwendig von allen diesen Verhandlungen unterrichtet werden mußte. Sollte Ihr Widerwillen gegen mich Sie abgeneigt machen, meinen Versicherungen Glauben beizumessen, so kann derselbe Grund Sie doch nicht abhalten, meinem Vetter zu vertrauen. Und um Ihnen die Möglichkeit, sich mit ihm hierüber zu besprechen, zu verschaffen, werde ich mich bemühen, diesen Brief noch heute Morgen in Ihre Hände zu bringen. Gott segne Sie.

 

Fitzwilliam Darcy,«

 

Dreizehntes Capitel.

 

Wenn Elisabeth, als Darcy ihr den Brief einhändigte, auch keine Erneuerung seines Antrags darin erwartet hatte, konnte sie sich doch nicht vorstellen, was er sonst möglicher Weise enthalten mochte. Sein Innhalt ward daher mit eiligen Blicken durchflogen. Er erregte die verschiedenartigsten Bewegungen in ihrem Innern, und ihre Gefühle beim ersten Lesen desselben waren schwer zu beschreiben. Mit Staunen ersah sie aus dem Anfang, daß er eine Entschuldigung seines Benehmens nicht allein beabsichtigte, sondern auch für möglich hielt, während sie fest überzeugt war, daß er keine Erklärung geben könnte, welche ein richtiges Gefühl der Schaam nicht verschweigen würde. Mit dem stärksten Vorurtheil gegen alles, was er zu sagen haben mochte, begann sie die Erzählung der Vorfälle in Netherfield. Sie las mit einem Eifer und einer Schnelligkeit, die ihr kaum einen Begriff von der Sache gaben, und aus Ungeduld, den nächsten Satz zu erfahren, gönnte sie sich nicht die nöthige Zeit, den Sinn des frühern richtig aufzufassen. Seinen Glauben an die Gleichgültigkeit ihrer Schwester wollte sie nicht für Wahrheit erkennen; und sein unverhohlenes Aussprechen des wahren, schlimmsten Hindernisses ihrer Verbindung mit Bingley erfüllte sie dergestalt mit Zorn, daß sie auch nicht den Wunsch hatte, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Er äußerte kein Bedauern über das Geschehene; sein Styl war nicht reuig, sondern hochmüthig. – Stolz und Verachtung sprachen sich durchgängig darin aus.

Doch als er nun, nachdem dieser Gegenstand abgehandelt war, seine Erzählung von Wickham begann, als sie, mit etwas mehr Aufmerksamkeit einen Bericht von Begebenheiten las, die, wenn sie wirklich wahr, ihre gute Meinung von Wickham's Werth nothwendig umstoßen mußten und die unläugbar die größte Aehnlichkeit mit seiner eignen Geschichte von sich selbst hatten – da wurden ihre Empfindungen noch schmerzlicher, und noch schwerer zu beschreiben. Erstaunen, Furcht, ja selbst Schrecken drückten sie nieder. Sie wünschte die ganze Sache bezweifeln zu können, und rief wiederholt: »Es muß falsch sein! Es kann nicht so sein! Der Brief enthält die gröbsten Unwahrheiten!« Dann las sie ihn wieder durch, jedoch kaum wissend, was sie gelesen, sann von Neuem nach, steckte ihn ein und versicherte, daß sie nicht mehr darüber nachdenken, ihn nie wieder ansehen wollte.

In diesem aufgeregten Gemüthszustand, unfähig ihre Gedanken fest auf einen Punkt zu richten, ging sie immer rascher fort; aber auch die körperliche Bewegung vermochte den Aufruhr in ihrem Innern nicht zu stillen. Sie zog den Brief wieder hervor, suchte ihre Lebensgeister zu sammeln und begann Wickham's Geschichte noch ein Mal mit angestrengter Aufmerksamkeit zu lesen. Die Erzählung seiner Bekanntschaft mit der Familie in Pemberley stimmte genau mit dem überein, was er ihr früher selbst darüber mitgetheilt; und des verstorbenen Herrn Darcy's Güte gegen ihn, deren weite Ausdehnung sie bis jetzt noch nicht gekannt hatte, ließ sich ebenfalls sehr gut mit seinen eignen Worten verbinden. Bis so weit trafen die Berichte zusammen. Doch schon beim Testament zeigte sich eine große Verschiedenheit. Alles, was Wickham ihr über die Pfründe gesagt hatte, war noch deutlich in ihrem Gedächtniß, und indem sie sich seine Worte hierüber wiederholte, ward es ihr nur zu klar, daß der eine oder der andre Theil einer unerhörten Falschheit beschuldigt werden mußte. Eine kurze Zeit schmeichelte sie sich mit Hoffnung, Wickham von solchem schmählichen Verdacht gereinigt zu sehen; doch beim Weiterlesen ward diese immer geringer, und als sie an die Stelle kam, wo er, gegen Erhaltung der beträchtlichen Summe von dreitausend Pfund, allen Ansprüchen an die Pfründe entsagt, sah sie sich zu neuen Zweifeln berechtigt. Sie wog jeden Umstand mit vermeintlicher Unpartheilichkeit ab, überlegte die Wahrscheinlichkeit der einzelnen Thatsachen, jedoch ohne zu einer gewissen Ueberzeugung zu gelangen. Es waren und blieben immer nur Behauptungen von beiden Seiten. Sie las den Brief zum dritten Mal, und mußte sich jetzt gestehen, daß das, was sie anfänglich dem größten Scharfsinn nicht auszuführen zugetraut, die Möglichkeit, Darcy's Benehmen in einem minder schlechten Licht betrachten zu können, ihr nun deutlich aus jeder Zeile entgegen leuchtete, daß er Wickham so schonungslos der Ausschweifung und eines schlechten Lebenswandels beschuldigte, empörte sie doppelt, weil sie keine Beweise von der Ungerechtigkeit dieser Anklage aufzuweisen hatte. Bevor er, auf Zureden eines Bekannten, den er zufällig in der Stadt getroffen, in das Landwehrbataillon in *** getreten war, hatte sie ihn nie gesehen, oder von ihm gehört. Von seiner frühern Lebensweise wußte man in Hertfordshire nichts, als was er selbst davon zu erzählen für gut befunden; und genauer nach seinem wahren Charakter zu forschen, würde ihr, wenn sie auch Gelegenheit dazu gehabt, nie eingefallen sein. Sein gefälliges Aeußere, seine wohlklingende Stimme, und sein einschmeichelndes Wesen waren hinreichend, ihn im Besitz jeder andern Tugend zu glauben. Sie versuchte sich Beispiele von Gutmüthigkeit, von Offenherzigkeit, von Gefühl ins Gedächtniß zurück zu rufen, um ihn von Darcy's Anklagen zu befreien, oder wenigstens diese guten Eigenschaften den ihn gemachten Vorwürfen eines früher müssigen, unordentlichen Lebens entgegen zu setzen. Aber keine solche Erinnerung kam ihr zu Hülfe. Sie sah ihn vor sich mit allem Zauber der männlichen Schönheit und Anmuth, konnte sich aber auf keine, seinen Charakter bezeichnende Handlung besinnen und wußte nur, daß er sich durch seine geselligen Tugenden, wie durch sein bescheidenes Wesen die ganze Umgegend zu Freunden gemacht hatte.

Nachdem sie ziemlich lange über diesen Punkt nachgedacht, fuhr sie mit Lesen fort. Doch ach! die darauf folgende Geschichte seiner niedrigen Absichten auf Miß Darcy erhielt einige Bestätigung durch das am vorigen Morgen Statt gefundene Gespräch zwischen ihr und Oberst Fitzwilliam. Und an diesen Mann, dessen Charakter offen vor ihr lag, von dem sie kürzlich selbst erfahren, daß er genau mit allen Angelegenheiten seines Vetters bekannt war, hatte Darcy sie verwiesen, falls sie ferner noch an der Wahrheit seiner Aussprüche zweifeln sollte. Einen Augenblick schwankte sie; doch nur einen Augenblick. Das Unpassende einer solchen Frage, – und die feste Ueberzeugung, daß Darcy diesen Vorschlag nimmermehr zu machen gewagt hätte, wenn er der Beistimmung seines Vetters nicht gewiß gewesen wäre, leuchtete ihr ein.

Sie erinnerte sich genau jedes Worts ihrer ersten Unterhaltung mit Wickham bei Mrß. Philips. Jetzt erst fiel ihr die Unschicklichkeit einer solchen Mittheilung gegen eine völlig Fremde auf; und sie begriff nicht, wie es zugegangen, daß sie nicht früher zu dieser Erkenntniß gelangt. Sie fühlte die Unzartheit, sich; wie er es gethan, auf solche Weise hervor zu thun, und ärgerte sich über die wenige Uebereinstimmung zwischen seinen Versicherungen und seinem Betragen. Er hatte sich gerühmt, sich nicht zu fürchten, mit Herrn Darcy zusammen zu treffen, und dabei gesagt, daß dieser eher seinetwegen die Gegend verlassen müsse, aber nicht umgekehrt: und doch war er gleich darauf dem Ball in Netherfield aus dem Wege gereist. Auch erinnerte die sich, daß er, so lange Bingley's mit ihrem Gast in Hertfordshire geblieben, die Geschichte seiner Leiden nur ihr allein mitgetheilt; nach deren Abreise aber überall davon gesprochen, und sich nicht gescheut hatte, Darcy's Charakter von der schwärzesten Seite zu schildern, obgleich er ihr früher gesagt, daß Achtung für den Vater ihn stets abhalten würde, den Sohn Preis zu geben.

Wie verschieden erschienen ihr nun mit einem Male alle Dinge, worin er verflochten war! Auch seine Aufmerksamkeiten gegen Miß King betrachtete sie jetzt in einem andern Licht, und sah darin nicht mehr die Nothwendigkeit, bei der Wahl seiner Gattin Rücksicht auf einiges Vermögen zu nehmen; sondern nichts als merkantilische Habsucht, eifriges Verlangen nach dem schnöden Metall. Sein Benehmen gegen sie selbst konnte auch keinen edlen Beweggrund gehabt haben, entweder war er hinsichtlich ihres Vermögens auf der unrechten Spur gewesen, oder es hatte ihm geschmeichelt, daß sie so unvorsichtig ihm ihr Wohlgefallen an seiner Unterhaltung gezeigt. Das Bestreben, ihn zu vertheidigen, ward immer schwächer und schwächer, erlitt einen Stoß nach dem andern. Dagegen trat Darcy immer mehr gerechtfertigt hervor, Sie gedachte des Balls in Netherfield, wo Bingley, auf Johannens Fragen nach den nähern Umständen der Bekanntschaft der beiden Herrn, versichert hatte, daß sein Freund sich bei dieser Geschichte tadellos benommen habe und frei von jedem Vorwurf sei. Ferner daß, so stolz und abschreckend sein Wesen im Ganzen auch gewesen, sie doch nie im Lauf ihrer Bekanntschaft Gelegenheit gehabt zu bemerken, daß er irgend etwas gesagt oder gethan, was auf Ungerechtigkeit und Härte, oder auf unmoralische, irreligiöse Sitten schließen ließe. Sie mußte sich selbst sagen, daß er von seinen genauern Bekannten sehr geliebt und geachtet wurde, daß sogar Wickham ihm das Lob eines guten Bruders gegeben, und daß sie ihn oft mit einer Zärtlichkeit von dieser Schwester sprechen gehört, die nothwendig Herz und Gefühl voraussetzten. daß, wenn seine Handlungen wirklich so gewesen, wie sie Wickham geschildert, eine solche Verletzung des Rechts unmöglich der Welt verborgen geblieben In der Vorlage: »verborgen geblieben worden«. wäre, und die Freundschaft eines so liebenswürdigen Mannes wie Bingley unfehlbar zerstört haben müßte.

Sie fing an, sich ihres Benehmens gegen Darcy und Wickham zu schämen, und konnte weder an den einen noch an den andern denken, ohne zu fühlen, wie blind, wie partheiisch, wie vorurtheilsvoll, wie albern sie gewesen war.

»Wie verächtlich habe ich gehandelt!« rief sie aus. »Ich, die ich mir so viel auf meinen Scharfsinn einbildete, die ich eine so hohe Meinung von meiner Klugheit hatte, die edle Offenheit meiner Schwester tadelte und meiner Eitelkeit in unnützem und tadelnswerthem Mißtrauen nachgab. – Wie demüthigend ist diese Entdeckung! aber wie gerecht diese Demüthigung! Wäre ich von Liebe befangen gewesen, hätte ich nicht verblendeter sein können. Aber Eitelkeit; nicht Liebe war meine Thorheit. – Geschmeichelt durch die Auszeichnung des Einen, und beleidigt durch die Vernachlässigung des Andern habe ich vom Anfang dieser Bekanntschaft an Vorurtheil und Unwissenheit gehegt, und die Stimme der Vernunft überhört. Jetzt erst habe ich mich selbst kennen lernen.«

Ihre Gedanken kehrten nach diesem Monolog zu Johannen und Bingley zurück. Darcy's Erklärung über diesen Punkt erschien ihr höchst unbefriedigend und sie las die Stelle des Briefs noch ein Mal durch. Doch welch einen verschiedenen Eindruck machte sie jetzt. Wie konnte sie seinen Versicherungen in dem einen Fall mißtrauen, wenn sie genöthigt war, ihnen in dem andern unbedingten Glauben beizumessen? Er betheuerte, keine Ahnung von Johannens Neigung gehabt zu haben; und sie gedachte eines frühern Gesprächs mit Charlotten, die ebenfalls dieser Meinung gewesen. Auch konnte sie nicht läugnen, daß Johanne nie ein Symptom der Liebe verrathen, und immer dieselbe gleichmäßige Heiterkeit gezeigt hatte.

Als sie an den Theil des Briefs kam, in welchem er ihrer Familie mit so kränkenden, aber gerechten Beschuldigungen, erwähnte, stieg die Röthe der Schaam in ihre Wangen. Die Wahrheit seiner Worte litt keinen Zweifel, dieß fühlte sie deutlich, und die Erwähnung der einzelnen Umstände auf dem Ball in Netherfield erinnerte sie an alle ausgestandenen Qualen dieses Abends, an alle jene kleinen Verletzungen des Anstands, die auf ihn keinen stärkern Eindruck gemacht haben konnten, wie auf sie.

Das Compliment, welches er ihr und ihrer Schwester zollte, verfehlte seinen Zweck nicht ganz. Es schmeichelte ihr, wenn es sie auch nicht über die Verachtung trösten konnte, die sich der übrige Theil der Familie durch eignes Betragen zugezogen. Und als sie nun nach genauerer Ueberlegung zu der Erkenntniß gelangte, daß eben dieses unwürdige Betragen ihrer nächsten Verwandten hauptsächlich, und fast allein Schuld an Johannens getäuschter Hoffnung war – da fühlte sie sich so gebeugt und niedergedrückt, wie vorher noch nie im Leben.

Nachdem sie mit so verschiedenartigen Gedanken beschäfftigt; wohl gegen zwei Stunden in dem Heckengang auf und abgegangen war, mahnte sie endlich körperliche Ermüdung und die Erinnerung ihrer langen Abwesenheit hart an die Rückkehr; und sie betrat das Haus mit dem Bestreben, so heiter wie gewöhnlich auszusehen, und alle fremdartigen Gedankten zu verbannen, um Theil an der allgemeinen Unterhaltung nehmen zu können.

Sie ward mit der Nachricht empfangen, daß die beiden Herrn aus Rosings während ihrer Abwesenheit da gewesen; Darcy hatte nur Abschied genommen und sich wenige Minuten aufgehalten, Fitzwilliam hingegen länger als eine halbe Stunde auf ihre Rückkehr gewartet und dann das Haus verlassen, um sie im Park aufzusuchen. Elisabeth freute sich dieses Versehens, und war kaum im Stande, das erwartete Bedauern darüber auszusprechen. Sie hatte jetzt nur einen Gedanken, und dieser beschäfftigte sie mehr als ihr lieb war.

 

Vierzehntes Capitel.

 

Die beiden Herrn verließen Rosings am nächsten Morgen, und Collins, der am Eingang des Parks Wache gehalten, um seine Abschiedsreverenz zu machen, konnte die erfreuliche Nachricht zu Hause bringen, daß die Reisenden so wohl und heiter ausgesehen, wie es nach einer so traurigen Scene, als der Abschied in Rosings, möglich sei. Hierauf eilte er selbst aufs Schloß, Lady Katharine und ihre Tochter zu trösten, und brachte zu seiner größten Freude eine Einladung von Ihrer Herrlichkeit von dort mit zurück. Sie fühlte sich so einsam und niedergeschlagen, daß sie den Mittag unmöglich allein zubringen konnte.

Lady Katharinens Anblick weckte mannigfache Erinnerungen in Elisabeths Seele. Sie lächelte bei dem Gedanken an den Zorn Ihrer Herrlichkeit, wenn sie ihr heute als zukünftige Nichte vorgestellt worden wäre. »Was würde sie gesagt, wie würde, sie sich hierbei benommen haben?«

Lady Katharine sprach zuerst von der Verminderung der Gesellschaft in Rosings. »Ich empfinde diesen Verlust schmerzlich; niemand leidet vielleicht so viel bei der Trennung von seinen Freunden, wie ich. Und bei dieser hauptsächlich, weil ich meine Neffen ungemein liebe, und auch weiß, daß sie mir von Herzen zugethan sind. Es that ihnen so leid, gehen zu müssen; aber das ist jedesmal der Fall. Der arme Oberst strengte sich an, heiter zu scheinen bis auf den letzten Augenblick; doch Darcy kam mir noch betrübter vor, wie im letzten Jahr. Seine Anhänglichkeit an Rosings nimmt immer zu.«

Collins benutzte die Pause, um ein Compliment und eine zarte Anspielung anzubringen, die von Mutter und Tochter mit huldreichem Lächeln aufgenommen wurden.

Lady Katharine machte nach dem Essen, die Bemerkung, daß Miß Bennet nicht heiter sei, welchen Umstand sie sich selbst durch ihre baldige Abreise zu erklären suchte

»Doch,« fügte sie hinzu, »wenn dieß die Ursache Ihrer Niedergeschlagenheit ist, so brauchen Sie ja nur um Verlängerung Ihres Urlaubs zu schreiben. Mrß. Collins wird sich gewiß freuen, Sie noch länger bei sich zusehen.«

»Ich bin Ihnen sehr verbunden für diese gütige Einladung,« erwiederte Elisabeth, »doch steht es nicht in meiner Macht, Gebrauch davon zu machen. – Ich muß nächsten Sonnabend in der Stadt sein.«

»Dann wären Sie ja nur sechs Wochen hier gewesen! Ich glaubte, Sie würden zwei Monate bleiben, und äußerte dieß schon vor Ihrer Ankunft gegen Mrß. Collins. Ihre Abreise wird sich auch wohl noch 14 Tage verschieben lassen, indem Mrß. Bennet Sie gewiß noch so lange entbehren kann.«

»Meine Mutter wohl, aber mein Vater nicht. Er schrieb mir kürzlich, um meine Rückreise zu beschleunigen.«

»Pah! Ihr Vater wird Sie schon entbehren können, wenn es die Mutter kann. Die Gesellschaft der Töchter ist den Vätern gewöhnlich ziemlich gleichgültig. Und wenn Sie noch einen ganzen Monat zugeben wollen, kann ich eine von Ihnen bis London mitnehmen, wohin ich Anfang Juni auf 8 Tage zu gehen gedenke. Wenigstens glaube ich nicht, daß es hinsichtlich des Platzes Schwierigkeiten machen wird; und sollte kühle Witterung eintreten, könnte ich Sie vielleicht alle Beide mitnehmen, da Sie weder schwer sind, noch vielen Platz einnehmen.«

»Sie sind außerordentlich gütig, Madam; aber ich glaube, wir müssen dennoch bei unserm ersten Plan bleiben.«

Lady Katharine schien resignirt. – »Mrß. Collins, Sie werden doch den Damen einen Bedienten mitgeben? Ich kann den Gedanken nicht ertragen, zwei junge Mädchen allein mit der Post reisen zu lasen. Es ist höchst unschicklich. Sie müssen es möglich machen, ihnen Jemand mitzuschicken. Ich habe den größten Widerwillen gegen ein solches Hinwegsehen über das Decorum. Junge Damen sollten eigentlich nie anders, als in passender Gesellschaft reisen. Als mich meine Nichte, Georgine Darcy, vorigen Sommer besuchte, machte ich vorher aus, daß sie von zwei männlichen Bedienten begleitet sein sollte. – Miß Darcy, die Tochter Herrn Darcy's von Pemberley und Lady Annens, konnte schicklicher Weise nicht ohne geringere Begleitung reisen. – Ich bin sehr aufmerksam auf solche Dinge. Mrß. Collins, Sie müssen den jungen Damen Ihren Johann mitgeben. Es freut mich, daß ich noch in Zeiten daran dachte, es würde Ihnen übel ausgelegt worden sein, wenn Sie sie hätten allein fahren lassen.«

»Mein Onkel wird uns einen Bedienten mitschicken.«

»Ihr Onkel! – Ihr Onkel hält also einen Bedienten, das ist mir lieb zu hören, und ich freue mich, daß er daran gedacht hat. So werden Sie Pferde wechseln? Wahrscheinlich in Bromley. – Wenn Sie meinen Namen dort nennen, wird man Sie gut und schnell bedienen.«

Lady Katharine hatte noch manche Frage in Betreff ihrer Reise zu thun; und da sie sie nicht alle selbst beantwortete, mußte ihr einige Aufmerksamkeit gewidmet werden, welchen Zwang Elisabeth für gut erkannte, indem sie sonst mit ihrem zerstreuten Sinn leicht vergessen haben könnte, wo sie war. Das Geschäft, Betrachtungen und Ueberlegungen anzustellen, behielt sie sich für einsame Stunden vor; und so oft sie sich allein sah, wurde dasselbe immer wieder von Neuem vorgenommen. Kein Tag verging, an dem sie nicht einen abgelegenen Spaziergang gesucht, und sich in trüben Erinnerungen verloren hätte.

Darcy's Brief war sie auf dem besten Wege auswendig zu lernen. Sie studirte jeden Satz darin, und ihre Empfindungen gegen den Schreiber wechselten so oft wie ihre Stimmung. Wenn sie an den Ton und die Art und Weise seines Antrags dachte, fühlte sie ihr Herz immer noch von Unwillen erfüllt. Doch wenn sie dagegen überlegte, wie ungerecht sie ihn verdammt und angeklagt hatte, fiel ihr Zorn auf sie selbst zurück, und seine getäuschten Erwartungen wurden ein Gegenstand ihres Mitleids. Seine Liebe heischte Dankbarkeit, sein Charakter Achtung; aber sie konnte sein Verfahren nicht billigen. Auch empfand sie keinen Augenblick Reue über ihre abschlägige Antwort, noch hatte sie den Wunsch, ihn je wieder zu sehen. Die Rückerinnerung an ihr eignes Betragen ward ihr zur steten Quelle des Grams und des Aergers, und der Gedanke an die unverbesserlichen Fehler ihrer Familie erfüllte sie mit banger Sorge für die Zukunft. Ihr Vater begnügte sich damit, über die Thorheiten der Seinigen zu lachen, und that nichts dazu, den grenzenlosen Leichtsinn seiner jüngern Töchter zu steuern; und ihre Mutter, deren eignes Benehmen so weit vom rechten Weg abwich, ahnete nicht, daß irgend etwas Unrechtes geschah. Elisabeth hatte schon oft, von Johannen unterstützt, versucht, Katharinen und Lydien auf ihre unvernünftige Handlungsweise aufmerksam zu machen. Doch was ließ sich hiervon bei der mütterlichen Nachsicht und Verblendung erwarten? Katharine, schwach, empfindlich und ganz von Lydiens Willen abhängend, hatte sich immer durch ihre Rathschläge und Warnungen beleidigt gefühlt, während die eigensinnige, leichtfertige Lydia sie kaum angehört. Sie waren unwissend, faul und eitel – fest entschlossen, sich so lange die Cour machen zu lassen, als noch ein Offizier in Meryton war, und dieser Lieblingsort ihnen erreichbar blieb.

Auch der Gedanke an Johannen erfüllte Elisens Gemüth mit Sorge und Betrübniß; und Darcy's Erklärung, wodurch Bingley in ein helleres Licht getreten, und ihre frühere gute Meinung von Neuem erlangt hatte, machte seinen Werth und Johannens Verlust erst recht fühlbar. daß seine Liebe aufrichtig gewesen, war jetzt unbezweifelt; auch stand sein späteres Betragen, die große Nachgiebigkeit in den Willen seines Freundes abgerechnet, tadellos und gerechtfertigt vor ihren Augen, wie niederschlagend war daher der Gedanke, daß Johanne durch die Thorheiten und Unziemlichkeiten ihrer eignen Familie um das Glück ihres Lebens gebracht worden war!

Gesellen wir noch zu diesen Betrachtungen das schmerzliche Gefühl über die Enthüllung von Wickhams Charakter; so ist es leicht begreiflich, daß die fröhliche Laune unsrer Elisabeth, die sonst nicht leicht durch etwas getrübt werden konnte, jetzt manchmal von ihr wich, und es ihr schwer wurde, nur einiger Maaßen heiter zu scheinen,

Die Gesellschaften in Rosings erfolgten die letzte Woche ihres Aufenthalts in Hunsford eben so oft, wie vor dem Besuch der Neffen. Sogar der letzte Abend ward daselbst zugebracht, und Lady Katharine unterließ nicht, sich nochmals nach den geringfügigsten Umständen ihrer Reise zu erkundigen, so wie ihnen die beste Methode des Einpackens zu lehren. Ja, sie sprach so eindringlich von der Nothwendigkeit, die Kleider auf die einzig rechte Manier einzupacken, daß sich Marie verpflichtet hielt, das Werk des Morgens nach ihrer Zurückkunft zu zerstören, und ihren Koffer nach der vorgeschriebenen Weise umzupacken.

Beim Abschied wünschte Lady Katharine ihnen mit großer Herablassung eine glückliche Reise, und lud sie ein, nächstes Jahr wieder nach Hunsford zu kommen; und Miß von Bourgh strengte sich so weit an, eine Verbeugung zu machen, und ihnen die Hand beim Scheiden zu reichen.

 

Fünfzehntes Capitel.

 

Am Morgen des Sonnabends, als Elisabeth vor dem Frühstück einige Minuten allein mit Herrn Collins zusammentraf, benutzte er die Gelegenheit, ihr diejenigen Abschiedshöflichkeiten zu erzeigen, die er für unumgänglich nöthig hielt.

»Ich weiß nicht, Miß Elisabeth,« hub er an, »ob Mrß. Collins Ihnen schon unsern Dank für Ihre Güte, uns zu besuchen, abgestattet hat; wo nicht, wird sie sicher nicht unterlassen, es zu thun, bevor Sie aus unserm Hause scheiden. Wir erkennen Beide, welch ein Opfer Sie uns gebracht haben, indem unsre demüthige Wohnung nichts enthält, was eine junge Dame anzuziehen vermöchte. Unsre einfache Lebensweise, unsre kleinen Zimmer, unsre geringe Dienerschaft und wenige Nachbarschaft machen Hunsford allerdings zu einem etwas einförmigen Aufenthalt; doch hoffe ich, daß Sie von unsrer Erkenntlichkeit überzeugt sind, so wie von unserm guten Willen, nach besten Kräften für Ihr Vergnügen gesorgt zu haben.«

Elisabeth benutzte die Pause, welche sich ihr Vetter zum Athemholen gestattete, um ihn mit Versicherungen ihres Danks und ihrer Zufriedenheit zu erfreuen. Sie hatte sechs Wochen in Charlottens angenehmer Gesellschaft zugebracht, und die von ihr erhaltenen Beweise zarter Aufmerksamkeit verpflichteten sie zum herzlichsten Dank. Collins fühlte sich befriedigt, und fuhr mit zunehmender Feierlichkeit fort:

»Es macht mich sehr glücklich, zu hören, daß Sie Ihre Zeit nicht unangenehm hier verlebt haben. Es war unser Bestreben, das Mögliche hierzu beizutragen, und glücklicher Weise stand es in unsrer Macht, Sie in die beste, vornehmste Gesellschaft einzuführen. Unsre Bekanntschaft mit der Familie von Bourgh, die häufige Gelegenheit, unsre geringe Wohnung mit den Prachtgemächern von Rosings zu vertauschen, gewährt mir die schmeichelhafte Versicherung, daß Ihr Aufenthalt in Hunsford nicht ganz traurig gewesen sein kann. Unsre Stellung zu Ihrer Herrlichkeit und deren Familie ist in der That ein so seltner Vorzug, eine solche Auszeichnung, wie wenig Andre sich rühmen können. Sie sehen, auf welchem Fuß wir mit Lady Katharine stehen, wie oft wir nach Rosings eingeladen werden! Solche Vortheile sind wohl im Stande, uns für die wenigen kleinen Nachtheile unsrer Lage zu entschädigen.«

Er fand keine Worte mehr für seine Gefühle, und ging, sich zu erholen, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, während sich Elisabeth bemühte, Höflichkeit und Wahrheit auf einige wenige kurze Sentenzen zu vereinigen.

Collins hatte sich unterdessen erholt und fuhr nun fort;

»Sie können hoffentlich einen günstigen Bericht von unserm Leben in Hertfordshire abstatten, meine theure Cousine! wenigstens schmeichele ich mir, daß Sie es thun werden. Von Lady Katharinens außerordentlicher Aufmerksamkeit gegen Mrß. Collins sind Sie täglich Zeuge gewesen; überhaupt wird es Ihnen gewiß deutlich geworden sein, daß Ihre Freundin in keiner Hinsicht ein unglückliches – doch über diesen Punkt möchte es rathsamer sein zu schweigen. Erlauben Sie mir nur, verehrteste Miß Elisabeth! hinzuzufügen, daß mein Herz keinen sehnlicheren Wunsch hegt, als Sie eben so glücklich verheirathet zu sehen. Meine theure Charlotte und ich haben ganz gleiche Wünsche und gleiche Gesinnungen, sind so zu sagen ein Herz und eine Seele. Es findet eine so merkwürdige Aehnlichkeit des Charakters und der Ideen bei uns Statt, daß es mir immer klarer wird, wie wir so ganz für einander geschaffen sind.«

Elisabeth konnte leichten Herzens ihre Freude über solche Uebereinstimmung und häusliche Glückseligkeit aussprechen; doch war sie im Grunde froh, als ihre eintretende Freundin dem Wortschwall ihres Vetters ein Ende machte. Arme Charlotte! – Es war ein trauriger Gedanke, sie in dieser Gesellschaft allein zurückzulassen! Aber sie hatte ihr Loos selbst, und mit offnen Augen erwählt, und obgleich es ihr leid that, Elisens Gesellschaft zu verlieren, schien sie doch nicht des Mitleids zu bedürfen. Ihr Haus und ihre Wirthschaft, ihr Kirchspiel und ihr Federvieh, und alle ihre andern wichtigen oder unwichtigen Angelegenheiten hatten den Reiz der Neuheit noch nicht für sie verloren.

Endlich war der Wagen vorgefahren, die Koffer und Packete aufgebunden, die Schachteln auf dem Rücksitz befestigt. Nach einem herzlichen Abschied von Charlotten begleitete Herr Collins seine Gäste an den Wagen, indem er Elisen noch seine achtungsvollsten Grüsse an ihre ganze Familie, an Herrn und Mrß. Gardiner unbekannter Weise, und eine Wiederholung seines herzlichsten Danks für alle frühere, ihm in Longbourn erwiesene Güte und Freundlichkeit auftrug. Dann hob er erst sie, hierauf Marien in den Wagen und machte die Thür mit einer tiefen Verbeugung zu, als ihm plötzlich mit Schrecken einfiel, daß sie vergessen, ihm ihre Aufträge an die Damen in Rosings zu hinterlassen.

Sie werden mir unfehlbar auftragen, Lady Katharine und Miß von Bourgh Ihre unterthänigsten Empfehlungen, nebst dem verbindlichsten Dank für die Ihnen während ihres hiesigen Aufenthaltes bezeigte Güte, zu hinterbringen.«

Elisabeth hatte nichts dagegen einzuwenden, und somit setzte sich der Wagen in Bewegung.

»Mein Gott!« rief Marie nach einem kurzen Schweigen, »kommt es mir doch vor, als wenn wir erst vor zwei Tagen hier angelangt wären und wie vieles hat sich doch in dieser Zeit zugetragen!«

»Allerdings sehr viel!« entgegnete ihre Reisegefährtin mit einem Seufzer – »Wir haben neunmal in Rosings zu Mittage gespeist, und außerdem noch zwei Mal Thee dort getrunken! – Wie viel werden sich zu erzählen haben! Und wie viel zu verschweigen!« fügte sie leise hinzu.

Ohne viel Worte von beiden Seiten und ohne irgend einen Anstoß erreichten sie nach einer vierstündigen Fahrt Herrn Gardiners Haus, woselbst sie einige Tage zu bleiben gedachten.

Johanne sah wohl aus, und Elisabeth fand in dem steten Wirbel der Zerstreuungen, welche ihre gütige Tante zu ihrer Unterhaltung angeordnet, wenig Gelegenheit, ihr Inneres zu ergründen. Aber Johanne sollte sie in die Heimath zurückbegleiten, und in Longbourn blieb ihr Zeit und Muße genug zu solchen Beobachtungen.

Nicht ohne Anstrengung wartete sie ihre Ankunft in Longbourn ab, um der Schwester Herrn Darcy's Antrag mitzutheilen. Im Besitz eines Geheimnisses zu sein, welches, wie sie wohl wußte, Johannen in das höchste Erstaunen versetzen würde, und das zu gleicher Zeit dem Rest ihrer Eitelkeit, den sie noch nicht hinweg zu vernünfteln im Stande gewesen, so wohl that, ein solches Geheimniß mehrere Tage mit sich herumzutragen, war wirklich keine Kleinigkeit. Aber erstlich fand sich zu dieser Mittheilung weder eine passende Stunde noch Stimmung, und dann war sie noch nicht selbst mit sich übereingekommen, ob und wieviel sie der Schwester von Bingley und dessen Unschuld verkünden sollte.

 

Sechzehntes Capitel.

 

Es war in der zweiten Woche des May's, als die drei jungen Damen London verließen. In einer kleinen Stadt in Hertfordshire sollten sie die Bennet'sche Equipage finden, und als sie sich dem bezeichneten Wirthshause näherten, fanden sie Kitty und Lydia ihrer wartend an einem Fenster in der obern Etage stehen. Sie waren schon vor einer Stunde angelangt, und hatten sich die Zeit unterdessen durch einen Besuch in dem nächsten Kaufladen, und mit der Zubereitung eines Sallats zu vertreiben gesucht.

Nachdem sie die Schwestern bewillkommt, zeigten sie ihnen triumphirend einen gedeckten Tisch mit allerhand kalten Speisen. »Ist das nicht eine allerliebste Ueberraschung?« sagte Lydia. »Und wir hatten die Absicht, Euch Alle zu bewirthen; nun aber müßt Ihr uns das Geld zu diesem Gastmahl borgen, denn wir haben das unsrige eben in dem nächsten Laden ausgegeben. Schaut her, was wir gekauft. Diese Haube ist zwar nicht sehr schön, ich habe sie aber doch genommen, und will sie nun zu Hause auseinander nehmen, und ihr eine andre Gestalt geben.«

Und als die Schwestern sie für ausnehmend häßlich erklärten, fügte sie lachend hinzu: »O, es waren noch viel häßlichere im Laden. Ich denke, wenn ich neuen Atlas kaufe und sie damit aufputze, kann sie doch noch recht leidlich werden. Auch kömmt ja nichts darauf an, wie man diesen Sommer aussieht, wenn das Landwehrregiment Meryton verlassen hat, was in 14 Tagen geschieht.«

»Ist das gewiß?« rief Elisabeth mit dem Ausdruck der Freude.

»Es ist in die Nähe von Brighton verlegt; und ich werde Papa bitten, daß er diesen Sommer mit uns dorthin geht! Es ist ein charmanter Plan, der auch wenig oder gar nichts kosten kann. Ich bin überzeugt, Mamma geht gern mit. Bedenkt nur, was für einen elenden Sommer wir hier verleben würden!«

»Ja,« dachte Elisabeth, » das wäre ein charmanter Plan, ganz für uns gemacht. Großer Gott! Brighton und ein ganzes Lager voll Offiziere für uns, deren Köpfe schon durch ein einziges armes Landwehrregiment und einige wenige Bälle in Meryton verrückt worden sind.«

»Ich habe noch einige andre Neuigkeiten für Euch,« sagte Lydia, indem sie sich zu Tisch setzten. »Was glaubt Ihr wohl? Herrliche, vortreffliche Neuigkeiten! und von einer gewissen Person, die wir alle sehr lieben.«

Johanne und Elisabeth sahen sie an, und geboten hierauf dem Aufwärter fortzugehen, Lydia sagte lachend:

»Daran erkenne ich Deine Förmlichkeit und Vorsicht. Der Aufwärter sollte wohl nicht hören, was ich eben erzählen will! Mir ist es lieb, daß er fort ist – ich sah noch nie ein so häßliches Gesicht, ein solches ellenlanges Kinn! Doch wieder auf meine Nachrichten zu kommen, sie betreffen unsern Liebling, Wickham. Merk wohl auf, Lizzy! Er ist der Gefahr, Marie King zu heirathen, entgangen. Sie ist nach Liverpool zu ihrem Onkel gereist, um dort zu bleiben. Wickham ist gerettet.«

»Und Maria King ist gerettet!« fügte Elisabeth hinzu; »gerettet aus der Gefahr, eine unvernünftige Heirath zu schließen.«

»Wenn sie ihn wirklich gern hat, ist sie eine große Thörin, jetzt gerade wegzureisen.«

»Hoffentlich findet von beiden Seiten keine besondere Neigung Statt,« bemerkte Johanne.

»Von seiner Seite gewiß nicht,« entgegnete Lydia. »Dafür will ich einstehen; er bekümmerte sich nie viel um sie. Wer kann sich auch um solch ein kleines, garstiges, dickes Ding bekümmern?«

Elisabeth entsetzte sich über die Rohheit ihrer Schwester, schwieg jedoch, um dem Gespräch keine neue Nahrung zu geben. Nachdem die kleine Gesellschaft ihre Mahlzeit beendet, und die älteren Schwestern die Zeche bezahlt hatten, wurden alle Packete und Schachteln, nebst der unwillkommenen Zugabe von Kitty's und Lydiens Einkäufen, wieder eingepackt, worauf der Wagen fortfuhr.

»Wie eng sitzen wir hier eingepreßt!« sagte Lydia. »Es ist nur gut, daß ich die Haube kaufte, damit wir noch eine Schachtel mehr mit im Wagen haben. Jetzt wollen wir aber recht lustig sein, und schwatzen, und lachen, bis wir nach Longbourn kommen. Zuerst müßt Ihr erzählen, was sich mit Euch zugetragen, seit Ihr fort seid. Habt Ihr liebenswürdige junge Herrn kennen gelernt? Ist Euch die Cour gemacht worden? Ich glaubte, Johanne würde sich vielleicht unterdessen in London verheirathen und uns damit überraschen, daß sie als junge Frau zurückkäme. Das wäre ein Spaß gewesen! Alt genug ist sie dazu – schon 23 Jahr! – Meine Tante Philips sagte neulich, Lizzy würde besser gethan haben, den Vetter Collins zu heirathen! aber ich sehe nicht ein, was das für ein Glück gewesen wäre! Himmel! wenn ich mich früher verheirathete als Ihr, und Euch dann unter meinem Schutz mit auf die Bälle nähme! ich könnte mir keinen größern Spas denken! – Neulich hatten wir einen sehr vergnügten Tag bei Oberst Forsters – Ihr müßt nämlich wissen, daß Mrß. Forster und ich intime Freundinnen sind – Kitty und ich waren erst allein dort; da uns Mrß. Forster aber zum Abend einen kleinen Tanz versprochen hatte, lud sie noch die beiden Harringtons ein. Henriette war krank und so mußte ihre Schwester allein kommen. Um uns die Zeit zu vertreiben bis zur Ankunft der Herrn, verkleideten wir den einzigen, der bei uns war, Chamberleyne, als Dame. Niemand wußte um das Geheimniß als Oberst Forster und seine Frau, Kitty und ich und die Tante Philips, die ihre Kleider dazu hergeben mußte. Er sah allerliebst aus, und als nun Denny, Wickham, Pratt und noch mehrere andre Officiere kamen, begriffen sie ihn als eine Dame, und würden ihn sicher nicht so bald erkannt haben, wenn wir nicht fast vor Lachen gestorben wären, und dadurch den Spas verrathen hätten.«

Mit diesen und ähnlichen Geschichten suchte Lydia, von Kitty unterstützt, ihre Schwestern zu unterhalten, bis sie Longbourn erreichten. Elisabeth achtete so wenig wie möglich auf ihr Geschwätz, ward aber dennoch oft unangenehm durch die Erwähnung von Wickhams Namen berührt.

Der Empfang im älterlichen Hause war sehr liebevoll. Mrß. Bennet freute sich, Johannen in unverminderter Schönheit wieder zu sehen, und Herr Bennet äußerte während des Mittagsessens mehrere Mal seine Freude über Elisens Zurückkunft.

Die Gesellschaft im Eßzimmer war ziemlich groß geworden, indem sich fast die ganze Familie Lukas eingefunden hatte, Marien abzuholen, und die neuesten Nachrichten von Charlotten zu hören. Lady Lukas fragte Marien über den Tisch herüber nach dem Befinden ihrer ältesten Tochter und ihres Federviehs; Mrß. Bennet war auf doppelte Weise beschäfftigt. Auf der einen Seite erforschte sie von Johannen die neuesten Moden, und auf der andern theilte sie das eben Gehörte der jüngern Miß Lukas mit, während Lydia, alle andern überschreiend, die Abentheuer und Freuden des heutigen Morgens berichtete.

»Marie!« sagte sie zu ihrer Schwester, »ich wollte, Du wärst mit uns gewesen! Erstlich machten Kitty und ich alle Fenster zu, damit man glauben sollte, es sei niemand im Wagen; und wäre Kitty nicht übel geworden, hätten wir den Spas noch länger fortgetrieben. Im Gasthof bewirtheten wir die drei Ankömmlinge mit dem ausgesuchtesten kalten Frühstück, wovon Du ebenfalls Deinen Antheil bekommen hättest, wenn Du mit gewesen wärst. Als es nun zum Einsteigen kam, war der Wagen so voll Schachteln und Pakete, daß wir kaum sitzen konnten; wir zwängten uns aber doch hinein, und waren unterwegs so lustig, erzählten und lachten so laut, daß man uns gewiß zehn Meilen weit gehört hat.«

»Fern sei es von mir, meine liebe Schwester!« entgegnete Marie mit feierlichem Ernst, »solche Vergnügungen herabsetzen zu wollen; sie sind ohne Zweifel von der Beschaffenheit, dem gewöhnlichen weiblichen Charakter zuzusagen. Doch muß ich für meinen Theil gestehen, daß Freuden dieser Art keinen Reiz für mich haben, und daß ich ein gutes Buch weit vorziehe.«

Von dieser salbungsreichen Antwort hörte Lydia indessen kein Wort. Sie pflegte selten länger als eine halbe Minute zuzuhören, und Mariens Reden nie.

Nach dem Essen schlug sie einen Spaziergang nach Meryton vor, den die andern jungen Mädchen auch bereitwillig annahmen. Elisabeth aber widersetzte sich demselben standhaft; es sollte nicht heißen, daß die Miß Bennets kaum einen halben Tag zurückgekehrt sein konnten, ohne die Gesellschaft der Officiere zu suchen. Auch hatte sie noch einen geheimen Grund. Sie fürchtete, Wickham wieder zu sehen, und wollte dies so lange als möglich vermeiden. Die bevorstehende Verlegung des Regiments erfüllte sie mit Freude. Nur noch 14 Tage sollte es in Meryton bleiben, und diese, kurze Frist hoffte sie glücklich zu überstehen.

Ehe der Tag zu Ende ging, hatte sie schon Gelegenheit zu bemerken, daß der Plan mit Brighton, dessen Lydia schon unterwegs erwähnt, bereits mehrere Mal zwischen ihren Eltern zur Sprache gekommen war. Sie sah deutlich, daß ihr Vater keineswegs gesonnen schien, darauf einzugehen; doch pflegte er seine Antworten immer so unbestimmt und zweideutig einzurichten, daß Mrß. Bennet, obgleich manchmal muthlos gemacht, dennoch die Hoffnung, ihn endlich noch dazu zu bestimmen, nicht ganz aufgegeben hatte.

 

Siebzehntes Capitel.

 

Jetzt trug Elisabeth die Ungeduld, Johannen von allem Vorgefallenen zu unterrichten, nicht länger. Entschlossen ihr nichts von dem mitzutheilen, was Bezug auf sie und Bingley hatte, erzählte sie ihr am folgenden Morgen nur, was sich zwischen ihr und Darcy zugetragen.

Miß Bennets Erstaunen war anfänglich zwar groß; jedoch vermöge ihrer schwesterlichen Vorliebe, die jede, Elisen bezeigte Huldigung natürlich fand, nicht von langer Dauer. Sie beklagte, daß Darcy seine Empfindungen auf eine so wenig empfehlende Weise ausgesprochen, und betrübte sich noch mehr über den Gram, welchen ihrer Schwester Antwort ihm nothwendig gemacht haben müßte.

»Sein Sicherheitsgefühl, die feste Ueberzeugung einer günstigen Aufnahme seines Antrags, waren allerdings tadelnswerth;« sagte Johanne, »wenigstens hätte er solche Voraussetzung nicht durch Mienen und Worte verrathen dürfen, aber bedenke nun auch, wie viel empfindlicher ihn Deine Antwort schmerzen, die getäuschte Erwartung niederschlagen mußte.«

»Freilich,« entgegnete Elisabeth, »es thut mir in dieser Hinsicht auch leid; aber in ihm sind dagegen manche andre Gefühle, die ihm die erlittene Kränkung bald vergessen machen werden. Du kannst mich doch nicht tadeln, seinen Antrag abgewiesen zu haben?«

»Tadeln! O, nein.«

»Aber Du tadelst mich darüber, daß ich mit so viel Wärme von Wickham gesprochen.«

»Auch nicht – ich glaube nicht, daß Du Unrecht thatest, darüber zu sprechen.«

»Aber Du wirst Dich davon überzeugen, wenn ich Dir erzählt habe, was sich Tages drauf zugetragen.«

Und somit theilte sie ihr alle, Georg Wickham betreffende Umstände aus dem Briefe mit.

Johanne war wie vom Schlag getroffen. Ihr so kindlich frommer Sinn hatte es nicht für möglich gehalten, eine solche Masse von Schlechtigkeit in einem Individuum vereinigt zu sehen. Auch war Darcy's Rechtfertigung, obgleich ihrem Gefühl sehr wohlthätig, keineswegs im Stande, sie über diese Entdeckung zu trösten. Mit dem Ernst eines festen Willens versuchte sie nun, die Wahrscheinlichkeit irgend eines obwaltenden Mißverständnisses darzuthun, und bemühte sich, den einen zu entschuldigen, ohne den andern zu beschuldigen.

»Das wird Dir nicht gelingen,« sagte Elisabeth, »es ist unmöglich, sie Beide für unschuldig zu erklären. Wähle daher, aber laß es bei dem Einen bewenden. Hier ist gerade Verdienst genug, um einen guten Mann daraus zu machen; für zwei wäre es schon nicht hinreichend. Ich meinerseits fühle mich nun geneigt, es Herrn Darcy zuzuschreiben, doch Du kannst es damit halten, wie Du Lust hast.«

Es dauerte eine geraume Weile, ehe es Elisen wieder gelang, ihrer Schwester ein Lächeln abzugewinnen.

»Ich kann mich nicht erinnern, jemals so erschrocken gewesen zu sein, wie bei dieser Nachricht. Wickham so schlecht! so über alle Begriffe schlecht! Und der arme Darcy! – Bedenke nur, Lizzy! wie viel er gelitten haben muß. Solch eine bittre Täuschung! Und dazu noch die Ueberzeugung Deiner schlechten Meinung von ihm, und die traurige Nothwendigkeit, die Verirrung seiner Schwester einzugestehen! Armer; armer Darcy! Seine Lage ist wirklich schrecklich – das fühlst Du doch gewiß auch?«

»O, nein! mein Bedauern und mein Mitleid sind jetzt ganz vorüber, da ich Dich so voll davon sehe. Du wirst ihm gewiß so vollkommne Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß ich immer ruhiger und gleichgültiger darüber denken kann. Das Uebermaaß Deines Gefühls läßt mich das meinige sparen; und wenn ich Dich noch länger über ihn jammern höre, wird mein Herz bald so leicht wie eine Feder sein.«

»Armer Wickham! es ist solch ein Ausdruck von Güte in seinen Zügen! so viel Offenheit und Sanftmuth in seinem Wesen.«

»Bei der Erziehung dieser beiden jungen Leute hat offenbar eine schlechte und ungerechte Vertheilung der guten Eigenschaften Statt gefunden. Der eine hat alle Güte, und der andre nur den Schein derselben erhalten.«

»Ich habe Herrn Darcy nie des Scheins so sehr mangelnd gefunden, wie Du.«

»Und ich meinte mich ungewöhnlich klug zu bezeigen durch den grundlosen Widerwillen gegen ihn. Du glaubst nicht, welch ein Sporn für den Geist, welch eine Veranlassung zum Witz es ist, eine Abneigung dieser Art zu haben. Man kann immer anzüglich sein, ohne etwas Wahres zu sagen; aber man kann nicht immer über einen Mann lachen, ohne dann und wann auf den rechten Punkt zu stoßen, und etwas sehr Witziges zu sagen.«

»Lizzy, beim ersten Lesen des Briefs hast Du die Sache doch gewiß nicht auf diese Weise behandelt.«

»Nein, wahrlich nicht! Ich war sehr unglücklich darüber. Und wie verlassen fühlte ich mich! Du fehltest mir, meine theure Schwester! Ich sehnte mich nach Deinem Trost, und war fest überzeugt, daß Du mich für weit weniger schwach, eitel und albern erklären würdest, als ich nach eigner Ueberzeugung gewesen bin.«

»Es ist allerdings sehr unangenehm, daß Du Dich so starker Ausdrücke im Gespräch aber Wickham gegen Darcy bedientest, da sie jetzt nun ganz unverdient erscheinen.«

»Gewiß. Aber die Bitterkeit meiner Worte war die natürliche Folge der Vorurtheile, die mir beigebracht worden waren. Ueber einen Punkt wünschte ich Deinen Rath zu hören. Ich möchte wissen, ob ich unsern Bekannten mittheilen soll, was ich von Wickhams Charakter erfahren habe, oder nicht?«

Johanne überlegte einige Augenblicke und erwiederte dann: »Ich sehe nicht ein, wozu es nützen soll, ihn auf diese schreckliche Weise Preis zu geben. Doch, was ist Deine Meinung?«

»daß es besser sein wird, ganz darüber zu schweigen. Darcy hat mich nicht beauftragt, seine Mittheilungen öffentlich bekannt zu machen, im Gegentheil dringend gebeten, die seine Schwester betreffenden Umstände als Geheimniß zu bewahren. Und wenn ich es ohne dieselben versuchen wollte, die Menschen aus ihrem Irrthum zu ziehen, würden sie mir am Ende nicht glauben. Darcy hat die allgemeine Stimme so sehr gegen sich, daß es den guten Einwohnern von Meryton den Tod bringen würde, sich ihn in einem liebenswürdigen Licht vorstellen zu müssen. Einem solchen Unternehmen fühle ich mich nicht gewachsen. Ueberdem wird Wickham diese Gegend nun bald verlassen; und dann geht es ja keinen Menschen mehr etwas an, ob sein Charakter gut oder schlecht ist. Früher oder später muß die Wahrheit doch ans Licht kommen, und dann wollen wir über der Leute geringen Scharfsinn, dieß nicht früher bemerkt zu haben, lachen, für den Augenblick aber schweigen.«

»Du hast Recht. Eine unzeitige Publicität würde ihn völlig ins Verderben stürzen. Jetzt bereut er vielleicht, was er gethan, und bemüht sich, es wieder gut zu machen. – Wir dürfen ihn nicht zum Aeußersten bringen.«

Elisabeth fühlte sich beruhigter in ihrem Innern nach dieser Unterredung. Zwei Geheimnisse hatten während der letzten 14 Tage wie eine drückende Last auf ihrem Herzen gelegen; diese waren jetzt abgewälzt, und sie fand in Johannen eine stets bereitwillige Hörerin, so oft sie über diese Gegenstände mit ihr zu sprechen wünschte. Nur ein Umstand störte ihre vertrauliche Unterhaltung. Die Klugheit verbot ihr, der Schwester die andre Hälfte von Darcy's Brief mitzutheilen. Sie durfte nicht erfahren, wie herzlich und innig sie von Bingley geliebt gewesen, ja vielleicht noch immer geliebt wurde. Eine solche Entdeckung konnte ihrer Ruhe gefährlich werden. Vielleicht war ihr vom Schicksal noch die Freude beschieden, eine solche Erklärung aus seinem eignen Munde zu hören; aber bis zu diesem glücklichen Augenblick mußte Elisabeth schweigen, und sie that es mit Widerstreben.

Sie war nun wieder vollkommen in der Heimath eingewohnt, und im Stande, ihre Schwester genauer zu beobachten. Johanne schien nicht glücklich zu sein, die Erinnerung an Bingley störte ihren Frieden. Mit ihm hatte sie die Liebe kennen gelernt; in ihm sah sie das Ideal männlicher Vollkommenheit; und selbst sein unerklärliches Benehmen, seine anscheinende Gleichgültigkeit vermochten nicht sein Andenken zu schwächen. Konnte sie ihn auch nicht mehr entschuldigen, so fühlte sie sich doch unfähig, sein Bild aus ihrem Herzen zu reißen; und eine innere leise Stimme flüsterte ihr zu, daß er einst noch gerechtfertigt vor ihr stehen würde.

Mrß. Bennet äußerte sich mehrere Mal in ihrer bekannten Manier gegen Elisen über den Herzenszustand ihrer ältesten Tochter, erlangte jedoch von dieser keine befriedigende Auskunft, und hörte nur die trostlosen Umstände bestätigt, daß Johanne Herrn Bingley in London nicht gesehen, und daß derselbe schwerlich je wieder nach Netherfield zurückkehren würde.

 

Achtzehntes Capitel.

 

Die erste Woche nach ihrer Zurückkunft war auf diese Weise vergangen. Das Regiment hatte nochmals Ordre bekommen, Meryton binnen 8 Tagen zu verlassen, und alle jungen Damen in der ganzen Nachbarschaft härmten sich zusehends. Es herrschte eine allgemeine Betrübniß. Nur die beiden ältesten Miß Bennets waren noch im Stande zu essen, zu trinken, zu schlafen, und ihren gewöhnlichen Beschäfftigungen nachzugehen. Dafür wurden sie aber auch oft der Gefühllosigkeit von Kitty und Lydia beschuldigt, deren Jammer keine Gränzen kannte, und die einen solchen Grad von Hartherzigkeit nicht zu fassen vermochten.

»Barmherziger Himmel! Was soll aus uns werden! Was sollen wir beginnen!« riefen sie oft im Uebermaaß ihres Schmerzes. »Lizzy! wie kannst Du nur noch lachen?« – Die zärtliche Mutter theilte ihren Gram; sie gedachte ihrer eignen Jugend und erinnerte sich vor 25 Jahren bei einer ähnlichen Gelegenheit eben so viel gelitten zu haben. »Ich weiß noch ganz genau,« sagte sie, »daß ich zwei Tage geweint habe, als Oberst Millar's Regiment wegging. Ich glaubte, mein Herz würde brechen.«

»Ich bin überzeugt, daß das meinige brechen wird,« sagte Lydia.

»Wenn man nur den Trost hätte, nach Brighton zu gehen,« bemerkte die Mutter.

»Ja, freilich – wenn wir nach Brighton gingen,« seufzte Lydia. »Aber Papa ist so eigensinnig!«

»Das Seebad würde meinen armen Nerven sehr heilsam sein.«

»Und Tante Philips ist überzeugt, daß es mir ebenfalls gut thun würde,« fügte Kitty hinzu.

Solche Klagelieder ertönten jetzt häufig in Longbourn. Elisabeth bemühte sich, die Sache von der lächerlichen Seite zu betrachten; aber das Gefühl der Schaam war überwiegend. Noch nie hatte sie die Richtigkeit von Darcy's Einwendungen in diesem Grade erkannt, sich noch nie so geneigt gefühlt, ihm Verzeihung wegen seiner Einmischung in Bingley's Angelegenheiten zu gewähren.

Die dunklen Wolken, die sich über Lydiens sonst so heitern Horizont gezogen hatten, sollten nicht von langer Dauer sein. Sie erhielt eine Einladung von Mrß. Forster, der Frau des Obersten des Regiments, sie nach Brighton zu begleiten. Diese unschätzbare Freundin war eine ganz junge, erst kürzlich verheirathete Frau. Eine gewisse Aehnlichkeit der Gesinnungen und des Temperaments hatte Beide zu einander geführt, und sie nach einer dreimonatlichen Bekanntschaft zu unzertrennlichen Gefährtinnen gemacht.

Lydiens Entzücken, ihr Lobpreisen der unvergleichlichen Freundin, Mrß. Bennets Freude und Kitty's Verdruß waren nicht zu beschreiben. Ohne Rücksicht auf die Gefühle ihrer Schwester stürmte sie mit lauten Ausbrüchen der Wonne durch das ganze Haus, alle Glieder desselben zu Glückwünschen auffordernd, heftiger lachend und dümmer schwatzend wie je; während die trostlose Kitty, still brütend über ihr trauriges Geschick, bei ihren Schwestern saß, und nur dann und wann ihren Unmuth durch Worte verrieth.

»Ich sehe doch nicht ein, weshalb Mrß. Forster mich nicht eben so gut wie Lydien zum Mitreisen aufgefordert hat,« klagte sie, »obgleich ich nicht ihre vertraute Freundin bin. Ich habe gerade eben so viel Recht dazu, wie sie, und wohl noch mehr, da ich zwei Jahr älter bin.«

Vergebens versuchte Elisabeth, sie vernünftig, und Johanne, sie ergeben in ihr Schicksal zu machen. Sie wollte und konnte sich nicht fassen. Elisabeth betrachtete diese Einladung mit ganz andern Blicken als Lydia und ihre thörichte Mutter. Sie erkannte sie für das Grab des letzten Restes ihrer Vernunft, für das sicherte Mittel, noch leichtsinniger und kopfloser zu werden, als sie bis jetzt gewesen; und so schwer ihr auch der Schritt wurde, konnte sie doch nicht umhin, ihrem Vater ins Geheim den Rath zu geben, sie nicht gehen zu lassen. Sie stellte ihm vor; wie unbesonnen und unschicklich Lydia sich schon im gewöhnlichen Leben benähme, welchen geringen Vortheil ihr die Freundschaft einer solchen Frau wie Mrß. Forster gewähren könne, welchen Versuchungen sie unter dieser Leitung an einem Ort wie Brighton ausgesetzt sein würde. Er hörte ihr aufmerksam zu und erwiederte dann:

»Lydia wird nicht eher ruhen, bis sie sich an diesem oder jenem öffentlichen Ort gehörig blamirt hat und so kann es nirgends anders mit weniger Kosten und Unbequemlichkeit für ihre Familie geschehen, als gerade dort.«

»Wenn Sie wüßten,« sagte Elisabeth, »welchen Nachtheil aus diesem öffentlichen Darlegen eines so leichtsinnigen Betragens, wie es von Lydien zu erwarten steht, für uns Alle entstehen kann, ja schon entstanden ist; so wurden Sie gewiß anders verfahren.«

»Schon entstanden ist!« wiederholte Herr Bennet. »Was, hat sie vielleicht einige Eurer Liebhaber dadurch verscheucht? Arme, kleine Lydia! Doch sei nur nicht so niedergeschlagen. Solche zarte Jünglinge, die nicht ein Bischen Absurdität vertragen können, sind des Bedauerns nicht werth. Komm, laß mich die Liste der bemitleidenswerthen Knaben sehen, die sich durch Lydiens Thorheit haben abschrecken lassen.«

»Sie irren, lieber Vater. Ich habe keine solchen Klagen zu führen. Ich spreche nicht von einzelnen bestimmten, sondern von den allgemeinen Uebeln, die daraus entstehen. Unser Ansehen, unsre Würde in der Welt muß durch Lydiens ungezügelte Ausgelassenheit, durch ihr Selbstvertrauen und durch ihre gänzliche Nichtachtung alles Anstandes, leiden. Verzeihen Sie, daß ich so rücksichtslos spreche; aber, lieber Vater! wenn Sie sich nicht die Mühe nehmen wollen, ihrem Leichtsinn Gränzen zu setzen, und ihr begreiflich zu machen, daß ihr gegenwärtiges Streben sie nicht zum Zweck des Lebens führt, wird bald keine Besserung mehr von ihr zu erwarten sein. Nur noch eine kurze Zeit auf diesem Wege fortgewandelt und ihr Charakter hat sich im 16ten Jahre vollkommen ausgebildet; ausgebildet zur gewöhnlichsten Coquetterie, die ohne irgend einen andern Reiz als Jugend und ein leidliches Aeußeres sehr bald ihrer Hülfsmittel beraubt sein wird, um dann, bei einer unbezähmbaren Sucht zu gefallen und Bewundrung zu erregen, zum Gegenstand des Gespötts und der Verachtung der Welt zu werden. Dieselbe Gefahr droht unsrer Kitty, welche Lydien in allem unbedingt folgt. Eitel, unwissend, träge und ganz ohne alle Aufsicht! O, geliebter Vater! glauben Sie nicht, daß sie überall, und mit Recht getadelt und verachtet werden, und daß ihre Schwestern auch mit darunter leiden?«

Bennet sah, wie sehr ihr die Sache am Herzen lag, und zärtlich ihre Hand ergreifend, sagte er:

»Beunruhige Dich hierüber nicht, meine Liebe. Wer Dich und Johannen kennt, wird Euch achten und ehren; und es kann Euch nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß Ihr ein Paar, nein, drei alberne Schwestern habt. Da nun aber kein Frieden in Longbourn zu erwarten ist, wenn Lydia nicht nach Brighton geht, so mag sie in Gottes Namen hinziehen. Oberst Forster ist ein vernünftiger Mann und wird über sie wachen; auch ist sie glücklicher Weise zu arm, um die Beute eines Glücksritters zu werden. In Brighton wird sie als gewöhnliche Coquette von geringerer Bedeutung sein als hier, indem die Officiere dort würdigere Gegenstände ihrer Bewundrung finden. Laß uns daher hoffen, daß dieser erste Ausflug sie von ihrer eignen Unbedeutendheit überzeuge. Auf jeden Fall kann sie nicht viele Grade schlimmer werden, ohne uns zu berechtigen, sie für den Rest ihres Lebens einzuschließen.«

Mit dieser Antwort mußte sich Elisabeth beruhigen, obgleich sie ihr den erwarteten Trost keineswegs gewährte. Sie verließ ihren Vater in sehr betrübter Stimmung; doch nicht gewohnt, über unabänderliche Dinge zu grübeln, tröstete sie sich mit dem Bewußtsein, ihre Pflicht gethan zu haben, und überließ die Folgen dieses Schritts ihrem Vater.

Hätten Lydia und Mrß. Bennet den Innhalt dieser Unterhaltung geahnt, würde ihre vereinigte Rednergabe nicht ausgereicht haben, ihren Zorn auszudrücken. Lydiens Fantasie malte sich den Aufenthalt in Brighton mit allem, was irdische Glückseligkeit zu bieten im Stande ist, aus. Sie sah die Straßen des belebten Badeorts mit Officieren angefüllt, sich selbst als Gegenstand der Bewundrung von Hunderten. Sie sah das Lager in seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit; lange Reihen glänzender Zelte, in welchen sich alles, was jung und schön, angethan in rothen Uniformen, lustig bewegte; und um den Anblick vollständig zu machen, sah sie sich selbst unter dem reichsten Zelt sitzen, zärtlich tändelnd mit wenigstens sechs Officieren auf einmal. Mit solchen entzückenden Bildern suchte sie die Tage bis zu ihrer Abreise auszufüllen.

Elisabeth rollte Herrn Wickham nun zum letzten Mal sehen. Da sie seit ihrer Zurückkunft schon öfterer mit ihm in Gesellschaft gewesen, war das erste unangenehme Gefühl längst übers wunden, so wie auch ihre frühere Vorliebe gänzlich verschwunden. Sie hatte sogar gelernt, die Sanftmuth, welche sie bei seinem ersten Erscheinen so sehr an ihn gefesselt, für Affektation, und die allgemeine Artigkeit, wodurch er sich bei Jedermann empfahl, für geflissentliches Streben nach Beifall zu erkennen. Sein jetziges Benehmen gegen sie erregte ebenfalls ihr Mißfallen. Es beleidigte ihren Stolz zum zweiten Mal, als Gegenstand einer so frivolen und leichten Galanterie auserkoren zu sein; und während sie dieselbe mit einiger Strenge von sich wies, fühlte sie dennoch den innern Vorwurf, den er ihr durch die Erneuerung seiner Huldigung machte. Sie sah daraus, daß ihre frühere Eitelkeit und die ihm bewiesene Auszeichnung ihn zu dem Glauben berechtigten, daß es, trotz seines Abfalls, nur eines einleitenden Schritts von seiner Seite bedürfe, um das alte Verhältniß wieder herzustellen.

Er war mit einigen andern Officieren den letzten Tag ihres Aufenthaltes in Meryton, nach Longbourn eingeladen; und so sehr er sich auch bemühte, Elisens gute Meinung in dem frühern Grade wieder zu erlangen, wollte es ihm doch nicht gelingen. Ja, sie war so wenig aufgelegt, in guter Stimmung von ihm zu scheiden, daß sie auf seine Fragen, wie sie ihre Zeit in Hunsford zugebracht, beiläufig erwähnte, daß Oberst Fitzwilliam und Herr Darcy drei Wochen in Rosings gewesen, und ihn fragte, ob er mit Ersterm bekannt sei?

Seine Blicke drückten unverkennbar Erstaunen, Unruhe und Mißvergnügen aus; doch reichste ein Augenblick hin, das gewohnte Lächeln auf sein Gesicht zurückzubringen. Er erwiederte mit scheinbarer Fassung, daß er ihn früher öfterer gesehen; und nachdem er die Bemerkung gemacht, daß er ein sehr feiner, gebildeter Mann sei, fragte er, wie er ihr gefallen habe? Ihre Antwort lautete sehr günstig. Mit gleichgültiger Miene fügte er nach einiger Zeit hinzu: »Wie lange waren die Herrn in Rosings?«

»Beinah drei Wochen.«

»Sahen Sie Oberst Fitzwilliam oft?«

»Ja, fast jeden Tag.«

»Sein Wesen ist sehr verschieden von dem seines Vetters.«

»Ja, sehr verschieden. Doch habe ich gefunden, daß Herr Darcy bei näherer Bekanntschaft gewinnt.«

»Wirklich!« rief Wickham mit einem Blick, der ihr nicht entging. »Und darf ich fragen?« – aber sich schnell fassend, fügte er in einem heiterern Ton hinzu – »gewinnt er durch vermehrte Lebensart? hält er es der Mühe werth, seiner gewohnten Weise einige Höflichkeit zuzufügen? denn ich wage nicht zu hoffen,« fuhr er im leisern und ernstern Ton fort, »daß er sich im Wesentlichen, in der Hauptsache gebessert haben sollte.«

»O, nein!« entgegnete Elisabeth. »In der Hauptsache ist er, wie ich glaube, immer noch so, wie er früher war.«

Während sie so sprach, sah Wickham aus, als ob er nicht wisse, ob er sich über ihre Worte freuen, oder betrüben solle. Es lag ein gewisser Ausdruck in ihrem Gesicht, der ihn ganz irre machte, und mit ängstlicher Aufmerksamkeit hörte er ihr zu, als sie hinzufügte:

»Wenn ich behaupte, daß er bei näherer Bekanntschaft gewinnt, will ich damit nicht gesagt haben, daß sein Inneres oder sein Wesen der Verbesserung bedarf; sondern daß man seine Gesinnungen durch öfteres Sehen und Sprechen besser verstehen lernt.«

Wickhams Unruhe drückte sich immer deutlicher in seinen Zügen aus. Mehrere Minuten schwieg er ganz still, dann, nachdem er seine Verlegenheit bemeistert, wandte er sich wieder zu Elisen und sagte im einschmeichelndsten Ton:

»Sie, die meine Empfindungen in Betreff Herrn Darcy's so genau kennen, werden leicht begreifen, wie aufrichtig ich mich freue, daß er jetzt wenigstens so klug ist, den Schein des Rechts zu beobachten. Sein Stolz wird auf diese Weise, wenn auch nicht ihm selbst, doch Andern zum Nutzen gereichen, indem er ihn abhält, sich gegen seine Nebenmenschen auf eine so unverantwortliche Art zu benehmen, wie gegen mich. Ich fürchte nur, daß diese Vorsicht, worauf Sie anspielen, bloß Folge der Gegenwart seiner Tante gewesen ist, auf deren gute Meinung er großen Werth legt. Seine Furcht vor ihr hat, wie ich weiß, alle Mal auf sein Betragen gewirkt, wenn sie zusammen waren; auch mag viel auf Rechnung seines Wunsches, in Beziehung auf die beabsichtigte Verbindung mit Miß von Bourgh geschrieben werden, die ihm außerordentlich am Herzen liegt.«

Elisabeth konnte ein Lächeln bei dieser Bemerkung nicht unterdrücken, doch antwortete sie hierauf nur mit einer leichten Bewegung des Kopfes. Sie sah, daß er gern das alte Capitel seiner Klagen wieder anstimmen wollte, fühlte aber keine Neigung, darauf einzugehen. Der Rest des Abends verging in Bemühungen, den Schein zu beobachten, von seiner Seite den Schein unbefangener Heiterkeit, von der ihrigen, als ob sie in Hunsford nichts Aufklärendes erfahren. Er versuchte nicht wieder, sie auszuzeichnen, und so schieden sie mit gegenseitiger Höflichkeit, beide im Stillen wünschend, sich nie wieder zu begegnen.

Lydia kehrte mit Mrß. Forster nach Meryton zurück, von wo sie den nächsten Morgen sehr früh abreisen wollten. Der Aktus des Scheidens von der Familie war eher lärmend als feierlich zu nennen. Kitty allein vergoß Thränen, doch nicht des Schmerzes, sondern des Unmuths und des Neids. Mrß. Bennet war unerschöpflich in guten Wünschen für das Glück ihrer Tochter, so wie in Ermahnungen, keine Gelegenheit zu versäumen, sich zu amüsiren, welchen Rath zu befolgen Lydia so laut und geräuschvoll versprach, daß sie darüber die ruhigern Abschiedswünsche ihrer ältern Schwestern überhörte.

 

Neunzehntes Capitel.

 

Hätte Elisabeth sich nach dem, was sie in der eignen Familie sah, ein Bild ähnlicher Glückseligkeit und häuslichen Lebensgenusses machen wollen, würde sie ein sehr trauriges erhalten haben. Ihr Vater hatte, durch Jugend und Schönheit und die damit so häufig verbundene heitere Gemüthsstimmung gefesselt, ein Mädchen geheirathet, dessen schwacher Verstand und leichtfertiger Sinn sehr bald jede Spur von Liebe in ihm erloschen mußten. Na ja, zur Zeugung von immer fünf Kindern innerhalb von acht Jahren hat's zumindest dann doch gereicht, Miss Austen! Achtung, Vertrauen und Neigung waren für immer verschwunden, so wie alle Aussicht auf häusliche Glückseligkeit. Nicht geneigt, Trost und Ersatz in solchen Freuden und Ergötzlichkeiten zu finden, wodurch sich so viele seiner Leidensgefährten zu entschädigen suchen, beschränkte er sich einzig auf sich selbst und seine Bibliothek. Die Gesellschaft und Unterhaltung seiner Frau konnte ihn höchstens auf kurze Zeit amüsiren, doch sehr diese Freude ward ihm sehr oft durch ihre unglaubliche Geschwätzigkeit vergällt, und so zog er sich immer mehr und mehr wie ein wahrer Philosoph von der kleinen Welt des eignen Hauses zurück.

Elisabeth war nie blind für die Fehler ihrer Eltern gewesen, und hatte es schmerzlich gefühlt, wie unrecht ihr Vater als Ehemann gehandelt, wie Vieles er schlimmer gemacht, wie Manches er hätte ändern können. Doch aus Achtung für seine mannigfachen vortrefflichen Eigenschaften, und aus Dankbarkeit für die ihr von frühester Jugend an bezeigte Liebe suchte sie zu vergessen, was sie nicht zu übersehen vermochte, und so wenig wie möglich an das zu denken, was zu ändern nicht in ihrer Macht stand. Doch noch nie waren ihr die Nachtheile, die den Kindern aus einer so unpassenden Ehe nothwendig entspringen müssen, so deutlich erschienen als gerade jetzt, wo Uebereinstimmung der Gesinnungen mehr als je erfordert wurden, um ihre Erziehung zu vollenden. Sie sah dieses wichtige Werk den Händen einer Mutter überlassen, die weder hinsichtlich des Verstandes noch des Gefühls einem solchen Geschäfft gewachsen war; während der Vater, mit allen Hülfsmitteln und Talenten dazu ausgestattet, sich demselben aus Egoismus und Bequemlichkeit entzog, und selbst da nicht durchgriff, wo unvermeidliche Uebel zu erwarten standen, wie bei Lydiens Aufenthalt in Brighton.

Außer der Freude über Wickhams Entfernung fand Elisabeth keinen andern Grund, ihre Zufriedenheit über den Abgang des Regiments zu äußern. Die auswärtigen Gesellschaften waren weniger belebt als sonst, und die zu Hause von ihrer Mutter und Kitty geführten Klagen über das ewige Einerlei und die kaum zu ertragenden Langweiligkeiten des Lebens, machten den häuslichen Cirkel allerdings nicht zu dem erfreulichsten. In dieser Lage ward es ihr zum Bedürfniß, den Blick auf eine reichere, vielversprechendere Zeit zu richten; und glücklicher Weise gewährte ihr die Aussicht auf die bevorstehende Reise so viel Freude, daß sie, hätte sie Johannen in den Plan mit einschließen können, gern die unbehaglichen Stunden in Gesellschaft der mißvergnügten Mutter und Schwester ertragen haben würde. Nur der Gedanke, Johannen in dieser Umgebung zurück lassen zu müssen, störte ihr Glück.

Lydia: hatte beim Abschied versprochen, oft und ausführlich an ihre Mutter und an Kitty zu schreiben, doch ließen sich ihre Briefe immer lange erwarten, und waren dann sehr kurz und flüchtig. Die an die Mutter enthielten In der Vorlage: »erhielten«. nicht viel mehr als, daß sie eben aus der Leihbibliothek zurückgekehrt wären, wohin sie von mehreren Officieren begleitet worden, und wo sie so viel Schönes gesehen hätten, daß sie nicht wußte, wo ihr der Kopf stände. Oder sie schrieb von einem neuen Kleid oder Sonnenschirm, die sie sich gekauft, und welche Stücke sie eben genau zu beschreiben Willens gewesen, als sie von Mrß. Forster abgerufen worden wäre, sie ins Lager zu begleiten. – Aus der Correspondenz an ihre Schwester, ließ sich gleichfalls nicht viel lernen; denn obgleich die Briefe länger waren, fanden sich doch zu viel unterstrichene Worte darin, um den Innhalt allgemein bekannt zu machen.

Nach 14 Tagen oder 3 Wochen begann alles in Longbourn wieder eine fröhlichere Gestalt anzunehmen. Gesundheit, gute Laune und Heiterkeit stellten sich endlich wieder ein; die Familien, welche der Winker in der Stadt zugebracht, kehrten aufs Land zurück und die Sommerfreuden nahmen ihren Anfang. Auch Mrß. Bennet verfiel wieder in ihren gewöhnlichen Ton, und Kitty gelangte bis zur Mitte des Juni so weit, Meryton ohne Thränen betreten zu können; welcher Umstand Elisen zu der kühnen Hoffnung berechtigte, daß sie bis zum nächsten Weihnachtsfest so vernünftig werden würde, täglich nur ein Mal der abgegangenen Officiere zu erwähnen, wenn nicht ein grausames Geschick bis dahin ein andres Regiment nach Meryton führte.

Die Zeit bis zum Anfang ihrer Reise war nun bis auf wenige Tage verstrichen, als ein Brief von Mrß. Gardiner anlangte, der sie nicht allein weiter hinausschob, sondern auch die Reiseroute verkürzte. Herr Gardiner sah sich durch unvermuthete Geschäffte bis über die Mitte des Juli in London festgehalten, wohin er auch nach Monatsfrist zurückkehren mußte; und da dieser Zeitraum zu kurz war, um so weit zu gehen und so viel zu sehen, als sie sich vorgenommen, mußte die Tour sehr abgekürzt werden. Man durfte nicht weiter nördlich als Derbyshire gehen; doch gab es in dieser Grafschaft genug zu sehen, um drei Wochen angenehm daselbst zuzubringen, und für Mrß. Gardiner besonders hatte dieser Plan viel Anziehendes. Die Stadt, in welcher sie mehrere Jahre gelebt, interessirte sie eben so sehr, als alle berühmte Schönheiten dieses Distrikts.

Elisabeth hingegen fand sich sehr in ihren Erwartungen getäuscht; sie hatte sich unendlich viel von der größern, nördlichen Tour versprochen, und meinte, daß man immer noch Zeit genug dazu gehabt hätte. Doch es war ihre Pflicht, mit dem zufrieden zu sein, was das Schicksal ihr beschieden, und so suchte sie sich auch über diese Verkürzung zu beruhigen.

Die Erwähnung der Grafschaft Derbyshire erweckte mannigfache Erinnerungen in ihrem Innern. Es war unmöglich, das Wort geschrieben zu sehen, ohne dabei an Pemberley und dessen Besitzer zu denken.

Vier Wochen mußten noch verstreichen, bevor Onkel und Tante sie abzuholen kamen. Aber sie verstrichen, und Herr und Mrß. Gardiner langten endlich mit ihren vier Kindern an, welche, zwei Mädchen von sechs und acht Jahren und zwei jüngere Knaben, unter Johannens specieller Aufsicht in Longbourn bleiben sollten, bis die Eltern sie rückwärts wieder abholten. So war denn auch für diese Lieblingsschwester ein Ersatz für die Entbehrung des Umgangs ihrer treuen Lizzy gefunden. Johanne liebte die Kinder, welche ihr zärtlich anhingen, von ganzer Seele und fand volle Beschäfftigung in ihrer Wartung und Pflege.

Gardiners blieben nur eine Nacht in Longbourn und reisten am folgenden Morgen mit Elisabeth weiter der Freude und vielem Schönen entgegen. Eines Genusses war sie gewiß, des wohlthuenden Gefühls, diese Reise mit gleichgestimmten, ihrer würdigen Gefährten zu machen.

Es ist hier nicht der Ort, eine Beschreibung von Derbyshire zu liefern, eben so wenig die Merkwürdigkeiten der auf dieser Route liegenden Orte Oxford, Blenheim, Warwick, Kenelworth, Birmingham und mehrere andere zu erwähnen. Die kleine Stadt Lambton, woselbst Mrß. Gardiner früher gewohnt, und in welcher, wie sie jetzt erfahren, sich noch mehrere ihrer Bekannten aufhielten, war nun das Ziel ihrer Reise, nachdem sie die vorzüglichsten Wunderwerke in Augenschein genommen hatte; und nur fünf Meilen von Lambton lag Pemberley, jedoch nicht auf dem geraden Weg dahin, sondern ein bis zwei Meilen seitwärts. Abends vorher, als über die Tour des folgenden Tages gesprochen und berathschlagt wurde, äußerte Mrß. Gardiner den Wunsch, Pemberley wieder zu sehen; ihr Gatte erklärte sich hierzu bereit, und nun ward auch Elisabeth um ihre Meinung gefragt.

»Es wird Dir gewiß Freude machen,« sagte ihre Tante, »einen Ort kennen zu lernen, von dem Du schon so viel gehört hast, und der zugleich der Schauplatz mehrerer Deiner Bekannten ist. Wickham brachte seine ganze Jugend dort zu.«

Elisabeth gerieth in Verlegenheit. Sie fühlte, daß sie nichts in Pemberley zu thun hatte, und sah sich deshalb genöthigt, eine Abneigung, es zu sehen, vorzugeben. Sie versicherte, durch den Anblick so vieler großen Häuser ermüdet zu werden, nachdem sie auf dieser Reise schon mehrere der Art gesehen, und keine Freude an glanzvollen Einrichtungen, köstlichen Tapeten und seidnen Gardinen zu finden.

Mrß. Gardiner schalt sie einfältig. »Wenn dort nichts als ein schönes, wohleingerichtetes Haus zu sehen wäre, würde ich auch nicht darnach verlangen. Aber die Gegend ist entzückend schön; man sieht dort die herrlichsten Waldungen, wie man sie im ganzen Königreich nicht antrifft.«

Elisabeth sagte nichts weiter; doch mit leichtem Herzen konnte sie in diesen Plan nicht einwilligen. Die Möglichkeit, Darcy dort zu treffen, drang sich ihr unwillkührlich auf - und diese wäre schrecklich! Sie erröthete bei der bloßen Idee, und hielt es für rathsamer, ihrer Tante alles zu entdecken, als sich solcher Gefahr auszusetzen. Doch diesem Entschluß stellten sich nach weiterer Ueberlegung auch manche Hindernisse entgegen, und so beschloß sie, ihn nur im äußersten Nothfall auszuführen, wenn ihre geheimen Erkundigungen über die Abwesenheit der Gutsherrschaft ungünstig ausfallen sollten.

Noch am selben Abend fand sie Gelegenheit, sich hierüber Gewißheit zu verschaffen. Eine mit dem Bettmädchen angeknüpfte Unterhaltung über Pemberley und dessen Besitzer beruhigte sie über Darcy's Abwesenheit. Nun hatte sie nichts zu befürchten, und von eigner Neugier getrieben, gab sie am folgenden Morgen mit ziemlicher Gleichgültigkeit ihre Zustimmung zu dem projektirten Abstecher.

Nach Pemberley also richteten sie ihren Lauf.

 

Ende des zweiten Theils.

 

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© Thomas Lehmann

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