Jane Austen
Capitel 13-23
Am folgenden Morgen beim Frühstück kündigte Bennet der versammelten Familie einen Gast zum Mittag an. Mutter und Töchter waren natürlich sehr begierig, Namen und Stand des Kommenden zu erfahren. Es konnte niemand anderes als Bingley sein, und Mrß. Bennet zog die Klingel, um eiligst noch einige Veränderungen und Verbesserungen des Mahls anzuordnen; als Bennet versicherte, daß sie nicht Herrn Bingley, sondern einen ganz fremden Herrn zu erwarten hätten. Und nachdem er sich einige Zeit an ihrem Erstaunen und ihrer Neugier ergötzt, erzählte er, daß er vor vier Wochen einen Brief von seinem Vetter Collins, demselben, der nach seinem Tode Frau und Töchter, sobald es ihm beliebte, zum Hause hinausweisen könnte, erhalten hatte, worin er seinen Besuch auf den heutigen Tag angekündigt.
Mrß. Bennet erschöpfte sich zum hundertsten Mal in Klagen und Verwünschungen über die ungerechte und grausame Einrichtung, einer Wittwe und ihren fünf Töchtern das Gut nach des Mannes Tode zu nehmen, um es einem wildfremden Vetter zu geben. Johanne und Elisabeth bemühten sich ebenfalls zum hundertsten Mal, jedoch vergeblich, ihr die Sache begreiflich zu machen; der Versuch überstieg ihr Fassungsvermögen, und so blieb sie bei ihrer Meinung.
»Es ist allerdings ein höchst unbilliges Verlangen,« sagte Bennet mit erkünsteltem Ernst – »und nichts kann Herrn Collins von der Schuld, Longbourn zu erben, freisprechen. Aber ich hoffe, wenn Du seinen Brief gelesen hast, wirst Du durch seine Art, sich hierüber auszudrücken, milder gegen ihn gestimmt werden.«
»Gewiß nicht; ich finde es im Gegentheil sehr unverschämt und heuchlerisch, daß er schreibt. Solche falsche Freunde sind mir höchst zuwider. Warum fährt er nicht fort, mit uns im Streit zu leben, wie es sein seliger Vater that?«
»Hierüber scheint er selbst einige kindliche Skrupel zu hegen. Doch hört:
Hunsford bei Westerham
Grafschaft Kent
15. October.
Verehrter Herr!
Die zwischen Ihnen und meinem verstorbenen Vater obwaltende Mißhelligkeit hat mir, seit ich so unglücklich war, ihn zu verlieren, schon manche trübe Stunde bereitet. Der Wunsch, den Bruch zu heilen, ist zwar oft in mir aufgestiegen, doch immer wieder durch die Besorgniß zurückgedrängt worden, dem Willen meines seligen Herrn Vaters zuwider zu handeln, da es ihm doch gefallen hatte, auf diesem Fuß mit Ihnen zu leben. Seit Kurzem bin ich indeß über diesen Punkt mit mir selbst ins Reine gekommen, indem ich Ostern ordinirt worden und jetzt glücklich gewesen bin, die Pfarrei dieses Kirchspiels, durch die außerordentliche Huld und Gnade der hochgebornen Lady Katharine von Bourgh Bei den ersten Erwähnungen findet sich in der Vorlage irrtümlich »Borough«; die Stellen wurden sämtlich zu »Bourgh« berichtigt., Wittwe des Sir Louis von Bourgh zu erhalten. Mit der dankbarsten Hochachtung gegen Ihro Herrlichkeit erfüllt, wird es von nun an mein ernstliches Bestreben sein, alle Pflichten eines Geistlichen gewissenhaft zu erfüllen; und da es einem solchen vor allen andern Dingen zukommt, den Segen des Friedens in den Familien seines Bereichs zu befördern: so darf ich mir wohl schmeicheln, daß Sie meinen guten Willen anerkennen und Ihrerseits den Umstand, daß ich der rechtmäßige Erbe des Longbournschen Guts bin, vergessen und den dargereichten Oelzweig nicht verschmähen werden. Es betrübt mich innigst, das unschuldige Werkzeug zu sein, Ihre liebenswürdigen Töchter zu beeinträchtigen; und ich bitte um Erlaubniß, ihnen selbst meine Entschuldigung deshalb machen zu dürfen, so wie sie von meiner Bereitwilligkeit, ihnen jeden möglichen Ersatz zu geben, zu versichern. In der angenehmen Hoffnung, eine freundliche Aufnahme in Ihrem Hause zu finden, bin ich so frei, Ihnen und Ihrer verehrten Familie meine Aufwartung Montag den 18ten November Mittags 4 Uhr zu machen, und bis zum Sonnabend über acht Tage unter Ihrem gastfreien Dach zu verweilen, was ohne Bedenken von meiner Seite geschehen kann, da Lady Katharine mir gütigst gestattet, einen Sonntag abwesend zu sein, wenn ich einen andern Geistlichen zur Verrichtung des Gottesdienstes stelle. Mit den ehrfurchtsvollsten Empfehlungen an Ihr schätzbare Familie habe ich die Ehre zu zeichnen.
Ew. Wohlgeboren
ergebenster Freund und Diener
William Collins.«
Punkt vier Uhr also können wir diesen Vetter mit dem Oelzweig erwarten,« sagte Bennet; indem er den Brief wieder zusammenfaltete – »denn es versteht sich von selbst, daß ich gebührend darauf geantwortet, und ihm im Namen der ganzen Familie die freundlichste Aufnahme zugesichert habe. Er scheint ein sehr gewissenhafter, höflicher, junger Mann zu sein und ich freue mich auf seine nähere Bekanntschaft, besonders wenn Lady Katharine so huldvoll ist, sein öfteres Wiederkommen zu erlauben.«
»Was er über die Mädchen sagt, klingt ganz vernünftig, und wenn er geneigt ist, ihnen irgend einen Ersatz zu geben, werde ich ihn warlich nicht davon abhalten.«
»Der Vorschlag macht seinem Herzen Ehre,« sagte Johanne, »doch sehe ich nicht ein, auf welche Weise er uns entschädigen will.«
Elisabeth konnte nicht aufhören, sich über seine außerordentliche Unterwürfigkeit gegen Lady Katharine zu verwundern, und die Erwähnung seiner Bereitwilligkeit, alle vorfallenden Berufspflichten zu erfüllen, reitzte sie zum Lachen, da es sich ja von selbst verstände, daß ein Pfarrer taufen, confirmiren, copuliren und begraben müßte, so oft es vorfiele. »Es muß ein wunderlicher Kauz sein,« sagte sie – »ich kann mich nicht mit ihm und seinem pomphaften Styl befreunden; und was soll denn die Entschuldigung wegen des Lehns bedeuten? Er kann die Sache ja doch nicht ändern; und würde sie nicht ändern, falls er es auch könnte. Was halten Sie von ihm, lieber Vater?«
»Ich habe die größte Hoffnung, ihn abgeschmackt zu finden. Sein Brief enthält eine so viel versprechende Mischung von Kriecherei und Selbstgefühl, daß ich es kaum erwarten kann, ihn zu sehen.«
»Hinsichtlich der Composition,« bemerkte Marie, »erscheint mir sein Brief nicht fehlerhaft. Die Idee mit dem Oelzweig ist freilich nicht ganz neu, doch hier sehr passend angebracht.
Katharine und Lydia interessirten sich weder für den Brief noch für den Schreiber. Es war höchst unwahrscheinlich, ja fast unmöglich, daß der Vetter in einem rothen Rock kommen sollte, und seit mehreren Wochen gewohnt, ihr Vergnügen einzig in der Gesellschaft der Officiere zu finden, erwarteten sie jetzt gar nichts von einem, in einer andern Farbe gekleideten Mann.
Mrß. Bennet fühlte sich durch den Brief viel milder gegen den Vetter gestimmt und bereitete sich, zum Erstaunen ihres Mannes und ihrer Töchter, vor, ihn mit Ruhe und ohne Empfindlichkeit zu empfangen.
Herr Collins erschien pünktlich zur bestimmten Stunde und ward von der ganzen Familie mit großer Höflichkeit bewillkommt. Bennet sprach sehr wenig, die Damen desto mehr und Herr Collins bedurfte ebenfalls keiner Aufmunterung zum Sprechen. Er war ein langer, etwas linkisch aussehender junger Mann von 25 Jahren, von ernstem, steifem Aeußern und förmlichem Wesen. Nachdem die ersten Begrüssungen vorüber waren, wandte er sich an Mrß. Bennet und pries sie glücklich, die Mutter solcher schönen Tochter zu sein, von denen der Ruf bei Weitem noch nicht genug gesagt hätte. Hierauf begann er seine Entschuldigungen wegen dem Lehn und fuhr dann fort –
»Ich beklage das harte Schicksal meiner schönen Cousinen und würde noch mehr über diesen Gegenstand sagen, wenn ich nicht befürchten müßte, voreilig und übereilt zu erscheinen. Doch kann ich den jungen Damen versichern, daß ich nur in der Absicht gekommen bin, ihnen meine Verehrung zu bezeigen. In diesem Augenblick etwas Mehreres darüber zu sagen, würde ihr Zartgefühl beleidigen; vielleicht aber, wenn wir uns nach einigen Tagen durch eine genauere Bekanntschaft näher getreten, konnte –«
Hier ward er durch den Eintritt des Bedienten unterbrochen, der das aufgetragene Mittagsessen meldete. Die Mädchen sahen sich verwundert an und lachten. Im Eßzimmer fand er reichen Stoff zum Bewundern und Loben, und Mrß. Bennets Eitelkeit würde sich höchlich dadurch geschmeichelt gefühlt haben, hätte sie den niederschlagenden Gedanken, daß er alle diese Herrlichkeit als sein künftiges Eigenthum betrachtete, verbannen können. Auch den aufgetragenen Speisen ward das gebührende Lob gezollt und er wünschte zu wissen, welcher von seinen schönen Cousinen der Dank für diese vortreffliche Zubereitung gebührte? worauf die Mutter mit einiger Empfindlichkeit erwiederte, ›daß sie Gott lob! in den Umständen wäre, einen Koch halten zu können, und daß ihre Töchter sich nicht um die Küche zu bekümmern hätten.‹ – Er bat um Verzeihung, sie erzürnt zu haben, und obgleich sie hierauf in einem sanftern Ton versicherte, sich nicht beleidigt zu fühlen, fuhr er doch noch eine halbe Stunde fort, sich zu entschuldigen.
Während der Mahlzeit verhielt sich Herr Bennet fortwährend schweigsam; als aber die Bedienten hinausgegangen waren, glaubte er doch auch einigen Theil an der Unterhaltung nehmen zu müssen, und wählte hierzu einen Gegenstand, bei welchem sich sein Gast, wie er hoffte, in seiner ganzen Größe zeigen würde. Er pries ihn nämlich glücklich, in Lady Katharine eine so vortreffliche Gönnerin gefunden zu haben. Collins war unerschöpflich in ihrem Lobe, und versicherte mit etwas mehr Feierlichkeit als gewöhnlich, noch nie ein solches Betragen von einer Dame dieses Rangs gesehen, nie so viel Herablassung und Huld erfahren zu haben, wie von Lady Katharine. Sie hatte seine beiden in Hunsford gehaltenen Predigten anzuhören geruht, ihr bereits zwei Mal zu Tisch nach Rosings eingeladen, und ihn sogar am vorigen Sonnabend holen lassen, um den vierten Mann am Spieltisch abzugeben. Lady Katharine galt bei vielen Menschen für stolz; er aber hatte noch keine Gelegenheit gehabt, dieß zu bemerken, da sie mit ihm wie mit jedem andern Gentleman zu sprechen pflegte. Sie gestand ihm gern die Erlaubniß zu, an den Gesellschaften in der Nachbarschaft Theil zu nehmen, oder seine ferner lebenden Verwandten auf längere Zeit zu besuchen; ja, sie hatte sich herabgelassen, ihm den Rath zu ertheilen, sobald als möglich zu heirathen (nur mit Vernunft zu wählen) und war in ihrer Huld so weit gegangen, seine demüthige Wohnung mit ihrem Besuch zu beehren, und einige kleine Aenderungen daselbst anzuordnen.
Mrß. Bennet war erstaunt über solche seltne Artigkeit und Collins fuhr mit großer Wichtigkeit zu erzählen fort.
»Der Garten, in welchem meine Wohnung steht, ist nur durch einen Beckengang von Rosings-Park, dem Wohnsitz ihrer Herrlichkeit, getrennt, und ich habe täglich die Freude, sie, oder ihre einzige Tochter, die Erbin von Rosings und mehrerer anderer bedeutender Güter, vorbeifahren zu sehen.«
»Einzige Tochter und Erbin mehrerer Güter!« seufzte Mrß. Bennet. »Ist sie hübsch?«
»Eine äußerst liebenswürdige junge Dame. Lady Katharine sagt selbst, daß Miß Bourgh im Punkte wahrer Schönheit die Schönsten ihres Geschlechts durch ein gewisses Etwas in ihren Zügen, durch den Ausdruck hoher Geburt übertrifft. Leider ist sie sehr kränklich, wodurch sie verhindert worden ist, den Grad von Vollkommenheit zu erreichen, den sie sonst ohne Zweifel erlangt haben würde – wie mir ihre Gouvernante, die noch bei ihr ist, gesagt hat. Aber an Liebenswürdigkeit sucht sie ihres Gleichen, so wie an Herablassung, welche sie unter anderm dadurch beweißt, daß sie manchmal in ihrem Phäton bei mir vorfährt.«
»Ist sie bei Hof vorgestellt? Ich erinnere mich nicht, ihren Namen gelesen zu haben.«
»Ihre schwächliche Gesundheit gestattet ihr leider nicht, in London zu leben, wodurch der Hof von England, wie ich neulich schon gegen Lady Katharine erwähnte, einer seiner schönsten Zierden beraubt worden ist, indem Miß Bourgh alle die erhabenen Eigenschaften einer Herzogin besitzt, und dem höchsten Rang Ehre machen würde. Ihro Herrlichkeit schien Wohlgefallen an dieser Idee zu finden und ich versäume keine Gelegenheit, ihr edles Mutterherz durch solche zarte Complimente zu erfreuen.«
»Wohl Ihnen,« sagte Bennet, »daß Sie das Talent besitzen, auf eine feine Weise zu schmeicheln. Darf ich fragen, ob solche gern gesehene Aufmerksamkeiten ihre Entstehung dem Eindruck des Augenblicks verdanken, oder das Resultat vorhergegangenen Nachdenkens sind?«
»Sie entstehen meistens im Moment des Gebrauchs; und obgleich ich mich manchmal damit beschäfftige, solche kleine, elegante Complimente für die gewöhnlich vorkommenden Fälle in Bereitschaft zu halten, so suche ich ihnen doch immer so viel als möglich ein ungesuchtes Ansehen zu geben.«
Collins entsprach Herrn Bennets Erwartungen vollkommen; er war in der That so absurd, als er sich ihn vorgestellt. Doch nicht lange war er im Stande, sich an diesem Geschwätz zu ergötzen, und nach eingenommenem Thee forderte er ihn auf, den Damen etwas vorzulesen. Dazu ließ sich Herr Collins nicht bitten und ein Buch ward sogleich herbeigeholt, bei dessen Anblick (es trug alle Kennzeichen einer Leihbibliothek) er sich jedoch mit Abscheu abwandte und mit vielen Entschuldigungen versicherte, daß er niemals Romane läse. Kitty staunte ihn an und Lydia schrie laut auf. Es wurden andere Bücher gebracht, und nach einigem Ueberlegen erwählte er Fordyce's Predigten James Fordyce, (1720-1796), schottischer presbyterianischer Geistlicher und Poet. Am bekanntesten ist seine 1766 veröffentlichte Sammlung von Predigten ( Sermons for Young Women).. Lydien überfiel ein Entsetzen, als er das Buch öffnete, und ehe er noch drei Zeilen gelesen, unterbrach sie ihn mit –
»Mama, wissen Sie schon, daß Onkel Philips davon spricht, seinen Richard wegzuschicken, und daß ihn Oberst Forster auf diesen Fall miethen will? Die Tante erzählte mir es am Sonntag. Ich muß morgen nur ein Mal nach Meryton gehen, um zu hören, wie die Sache abgelaufen ist, und ob Herr Denny bald aus der Stadt zurückkehrt.«
Lydia ward von ihren beiden ältesten Schwestern zur Ruhe verwiesen; Collins aber legte höchst beleidigt sein Buch zur Seite, und sagte –
»Ich habe schon oft zu bemerken Gelegenheit gehabt, daß junge Damen so wenig Interesse an ernsten Schriften finden, obgleich sie doch hauptsächlich zu ihrem Besten geschrieben sind. Ich muß gestehen, es setzt mich in Erstaunen; denn gewiß kann ihnen nichts vortheilhafter sein als Belehrung. Ich will indeß meinen schönen Cousinen nicht beschwerlich damit fallen.«
Hierauf wandte er sich zu Herrn Bennet und forderte ihn zu einer Parthie Tricktrack auf, welche dieser bereitwillig annahm, und ihm den Rath ertheilte, die leichtsinnigen Mädchen ihrer eigenen läppischen Unterhaltung zu überlassen. Die Mutter nebst Johanne und Elisabeth bemühten sich, Lydiens unartige Unterbrechung zu entschuldigen und versicherten, daß dergleichen nicht wieder vorfallen sollte, wenn er die Güte haben wollte, noch ein Mal mit Lesen anzufangen. Herr Collins aber verharrte mit aller Höflichkeit auf seiner Verneinung, indem er jedoch wiederholt betheuerte, daß er dem Cousinchen die Beleidigung längst vergeben hätte. Und somit begann er sein Spiel.
Herr Collins war kein sehr geistreicher Mann, und die fehlenden Naturgaben hatten bei ihm weder durch eine sorgfältige Erziehung noch durch den Umgang der Welt ersetzt werden können, da er den größten Theil seines Lebens unter der Leitung eines unwissenden und geizigen Vaters zugebracht, und späterhin auf der Universität keine Gelegenheit gehabt hatte, sich durch geselligen Verkehr auszubilden. Die Unterwürfigkeit, in welcher ihn sein Vater auferzogen, hatte ihm eine gewisse äußere Demuth gegeben, die jedoch schlecht mit dem Eigendünkel übereinstimmte, den er, wie alle schwachen Köpfe in hohem Grabe besaß. Durch einen glücklichen Zufall hatte er Lady Katharinens Bekanntschaft gerade in dem Augenblicke gemacht, als die Pfarre von Hunsford eben erledigt gewesen und da er ihr besonders empfohlen worden war, und sich durch seinen unbegrenzten Respekt vor ihrem hohen Rang selbst zu empfehlen wußte, so erhielt er die Stelle.
Sehr begreiflich also, daß dieses frühe, unverdiente Glück seine hohe Meinung von sich selbst um ein Beträchtliches vermehren, so wie seine Dankbarkeit und Verehrung für die erhabene Gebieterin erhöhen mußte, und dieses Gefühl seiner Würde, verbunden mit der angebohrnen Unterwürfigkeit seiner kleinlichen Seele machten ihn zu dem seltsamsten Gemisch von Stolz und Gehorsam, Selbstgefühl und Demuth.
Im Besitz einer einträglichen Stelle und eines bequemen Hauses dachte, er jetzt ernstlich daran, sich zu vermählen; und da er längst schon eine Aussöhnung mit der Familie Bennet gewünscht, beschloß er nun eine ihrer Tochter zur Gattin zu erwählen, falls sie nämlich wirklich so schön und liebenswürdig sein sollten, als der Ruf sie geschildert.
Darauf bezogen sich seine Anspielungen auf Vergütung und Ersatz für das Erbe ihres Vaters; und das Glück, an seiner Seite zu leben, erschien ihm selbst so groß, daß er den Vorschlag zur Vergütung nicht allein als sehr passend erkannte, sondern sich im Stillen auch wegen seiner Großmuth und Uneigennützigkeit pries.
Der erste Anblick der versammelten Schwestern entschied seine Wahl. Miß Bennets Schönheit so wie der glückliche Umstand ihrer Erstgeburt, bestimmten ihn augenblicklich; und bis zum folgenden Morgen betrachtete er sie im Geheimen als die Auserkohrene seines Herzens. Doch ein kurzes tête-à-tête mit Mrß. Bennet vor dem Frühstück, welches er geschickt dazu benutzte, seine Wünsche vorläufig zu erkennen zu geben, belehrte ihn, daß er wegen Johannen zu spät gekommen. Mit schlauem Lächeln bedeutete ihn die Mutter, daß Johanne so gut als versagt sei, die übrigen Töchter hingegen, so viel sie wisse, alle noch frei wären und über Herz und Hand gebieten könnten.
Dem heirathslustigen Pfarrherrn genügte dieser Wink, und auf Elisabeth, dieser Johannen hinsichtlich der Geburt und Schönheit zunächststehenden Schwester, richtete er jetzt sein Augenmerk. Die Wahl war getroffen, während Mrß.. Bennet das Feuer im Kamine anschürte, und der Mutter abermals mitgetheilt. Die erfreuliche Aussicht, zwei Töchter in kurzer Zeit verheirathet zu sehen, beglückte sie ausnehmend; und derselbe Mann, von dem sie noch den Tag vorher nicht ohne Verachtung und Widerwillen hatte sprechen können, war jetzt plötzlich hoch in ihrer Gunst gestiegen.
Lydiens Vorschlag, nach Meryton zu gehen, war nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen. Sämmtliche Schwestern, Marie ausgenommen, fanden sich zum Mitgehen bereit und Herr Collins mußte sie auf des Vaters Bitte begleiten.
Gewohnt sein Studirzimmer für sich allein zu behalten und dort ungestört von dem Lärm und Geschwätz seiner Frau und jüngern Töchter der Lieblingsbeschäfftigung zu leben, war es ihm jetzt sehr lästig geworden, Herrn Collins bei sich zu dulden, der ihn nach dem Frühstück dorthin begleitet und so lange von seinem Haus und Garten vorerzählt hatte, bis er ihn endlich durch den dicksten Folianten seiner Bibliothek zum Schweigen gebracht. Da er jedoch bald gewahrte, daß der würdige Vetter keinen großen Geschmack an solcher Art Unterhaltung fand, lud er ihn höflichst ein, seine Töchter auf ihrem Spaziergang zu begleiten, welchen Vorschlag er freudig einging.
Unter nichtssagenden Gesprächen von seiner Seite und höflichen Erwiederungen von Seiten der jungen Damen hatten sie Meryton erreicht. Kitty und Lydia konnten ihm nun ferner keine Aufmerksamkeit mehr schenken, indem sie jetzt andere Dinge zu beachten gefunden. Ein junger, ihnen ganz unbekannter Mann wandelte Arm in Arm mit Herrn Denny, von dessen Zurückkunft aus London Lydia sich zu überzeugen gekommen war, am andern Ende der Straße. Unter dem Vorwand, einige kleine Einkäufe in dem gegenüber befindlichen Kaufladen zu machen, führten die beiden jüngern Schwestern den Zug dahin an; in demselben Augenblick kehrten auch die Spaziergänger um und begrüßten die Damen, als diese eben den Laden erreicht hatten. Der Fremde mußte einem Jeden angenehm auffallen, sowohl wegen seiner schönen Gestalt, als wegen seines feinen, edlen Anstands. Herr Denny bat um Erlaubniß, den Damen seinen Freund, Herrn Wickham, vorstellen zu dürfen, den er gestern mit aus der Stadt hierhergebracht, und der zu seiner größten Freude eingewilligt hatte, eine Officierstelle in ihrem Corps anzunehmen. Und wirklich fehlte ihm nur die Uniform, um ihn ganz unwiderstehlich zu machen.
Mit jener feinen Leichtigkeit, die jedem, selbst dem gleichgültigsten Gespräch ein gewisses Interesse verleiht, knüpfte er eine Unterhaltung mit den Damen an, die oft durch das Geräusch nahender Pferde unterbrochen wurde. Darcy und Bingley ritten durch die Straße, anfänglich ohne die Gruppe zu beachten, bis sie Miß Bennet und Elisabeth erkannten. Hierauf kamen sie näher, und Bingley berichtete, daß sie auf dem Weg nach Longbourn begriffen gewesen, sich nach Mit Bennets Befinden zu erkundigen. Darcy bestätigte dieß durch eine Verbeugung und bemühte sich eben, seine Blicke von Elisen abzuwenden, als sie auf den Fremden fielen und ihr, die beide Männer zufällig im Auge behaltend, den tiefen Eindruck verrieth, den das unerwartete Zusammentreffen auf beide Theile gemacht: Der Eine wurde roth, der Andre blaß. Nach wenigen Augenblicken lüftete Wickham seinen Hut, welche Begrüssung Darcy kalt erwiederte. Was konnte dieß zu bedeuten haben? Lizzy fand keine Auflösung zu dem unerklärlichen Räthsel. Gleich darauf empfahl sich Bingley, der von dem Vorgegangenen nichts bemerkt zu haben schien und ritt mit seinem Freund weiter.
Denny und Wickham begleiteten die Damen bis an das Haus ihrer Tante, waren aber weder durch Lydiens dringende Einladung, noch durch Mrß. Philips freundlichen Nachruf zu vermögen, ihren Geschäfftsgang aufzugeben und die Gesellschaft zu vermehren.
Mrß. Philips erfreute sich immer des Besuchs ihrer Nichten, aber besonders angenehm waren ihr jetzt die beiden Aeltesten, deren längerer Aufenthalt in Netherfield ihr reichen Stoff zu neugierigen Fragen bot. Auch Herr Collins, den ihr Johanne sogleich als einen Vetter und Gast des Hauses vorgestellt, ward mit der äußersten Höflichkeit aufgenommen, und sie erwiederte seine wortreichen Entschuldigungen, sich als Fremder hier einzudrängen, mit gleicher Artigkeit. Doch über den einen Fremden durfte der andere nicht vergessen werden, und ihre jüngern Nichten brannten vor Verlangen, nähere Nachrichten über Herrn Wickham einzuziehen. Leider wußte sie indeß nicht mehr, als was ihnen Denny schon mitgetheilt hatte; und ihre Beobachtungen durch das Fenster waren ohne Erfolg geblieben. Lydia und Kitty bemühten sich dieselben fortzusetzen; doch unglücklicher Weise passirten nur einige andere Officiere vorüber, die ihnen im Vergleich mit dem Fremden unbedeutend und albern erschienen. Einige derselben waren zum folgenden Mittag zu Herrn Philips eingeladen und seine Gattin versprach ihren Nichten, ihn zu vermögen, den Neuangekommenen noch heute zu besuchen und ihn ebenfalls einzuladen, wenn die Longbourn'sche Familie sich den Abend einstellen wollte. Dieß versprachen sie sämmtlich, und Mrß. Philips verhieß ihnen ein lustiges Spiel mit kleinen Lotterieloosen und zum Beschluß ein einfaches Abendessen. Somit trennte sich die kleine Gesellschaft glücklich in Erwartung der bevorstehenden Freude.
Auf dem Rückweg theilte Elisabeth Johannen ihre Bemerkungen über das seltsame Betragen der beiden Herrn mit und so geneigt die gutmüthige Schwester auch war, beide Theile zu entschuldigen, so konnte sie deren Betragen doch eben so wenig ergründen wie Lizzy.
Collins war voll des Lobes und der Bewundrung der höflichen Aufnahme, die er bei Mrß. Philips gefunden. Er versicherte, außer bei Lady Katharinen und ihrer Tochter noch nie so viel Artigkeit und feine Bildung vereinigt gesehen zu haben, wie bei Mr. Philips; und obgleich er manche ihrer höflichen Redensarten auf Rechnung der Verwandscht setzte, meinte er doch auch viele seinem eignen Werth zuschreiben zu können; denn sie hatte ihn nicht allein mit äußerster Artigkeit empfangen, sondern ihn, den ganz Fremden, auch in die morgende Einladung mit eingeschlossen. Und solch eine Aufmerksamkeit war ihm im ganzen Leben noch nicht widerfahren.
Da Herr und Mrß. Bennet keine Einwendungen gegen die erhaltene Einladung der jungen Leute machten, und des Vetters höfliches Anerbieten, ihnen zur Gesellschaft zu Hause zu bleiben, standhaft ablehnten, fuhr er mit seinen schönen Cousinen nach Meryton, woselbst Lydia sogleich mit der angenehmen Nachricht empfangen wurde, daß Herr Wickham ihres Onkels Einladung angenommen habe und sich im Hause befinde.
Bis die Tischgäste erschienen, hatte Collins Muße, seine Umgebungen zu mustern und zu bewundern; und er war so frappirt von der geschmackvollen Ausstaffirung des Gesellschaftszimmers, daß er erklärte, sich nach Rosings, in eins der schönsten Sommergemächer versetzt zu sehen geglaubt. Eine Vergleichung, die zwar anfänglich nicht die erwünschte Wirkung hervorbrachte; später aber nachdem er berichtet, daß Rosings der Aufenthalt Lady Katharinens, und die Zimmer daselbst im geschmackvollsten, kostbarsten Styl eingerichtet, sehr huldvoll aufgenommen wurde. Durch dieses wohlangebrachte Compliment in die beste Laune versetzt, widmete Mrß. Philips dem gesprächigen Collins nun ihre ganze Aufmerksamkeit und lernte nicht allein die herrlichen Gemächer seiner hohen Beschützerin, sondern auch seine eigne demüthige Wohnung von innen und außen, so weit es durch Beschreibung möglich war, kennen.
Endlich erschienen die Herrn, und Wickham trat mit so viel Anstand in das Zimmer, daß Elisabeth nicht umhin konnte, im Stillen die Bemerkung zu machen, daß er sich sehr vortheilhaft vor den Uebrigen auszeichnete, obgleich die Officiere dieses Regiments meistens sehr feine, gebildete Leute waren und die heutige Gesellschaft aus der Elite bestand.
Wickham war der Glückliche, dem alle Augen sich zuwandten, und Elisabeth die Glückliche, an deren Seite er endlich Platz nahm. Mit der Leichtigkeit und Gewandheit eines Mannes von Welt wußte er dem gleichgültigsten Gespräch eine interessante Wendung zu geben und die Aufmerksamkeit der Zuhörerinnen auf sich zu ziehen.
Der arme Collins war seit dem Eintritt der Officiere in seine eigenthümliche Unbedeutendheit zurückgesunken. An die jungen Damen wagte er sich gar nicht mehr, da sie ihre Ungeduld über die Breite seines Vortrags kaum zu verbergen im Stande waren. Nur Mrß.. Philips lieh ihm dann und wann ein geneigtes Ohr, und versah ihn in den Zwischenzeiten sehr reichlich mit Caffee und Kuchen.
Jetzt wurden die Spieltische arrangirt und Herrn Collins sein Platz beim Whist angewiesen. Wickham, der kein Whistspieler war, fand am andern Tisch zwischen Elisabeth und Lydia eine willige Aufnahme. Anfänglich schien es, als ob Letztere ihn ganz in Beschlag nehmen würde; denn sie besaß eine unerschöpfliche Unterhaltungsgabe und ließ den gefaßten Gegenstand schwer wieder los. Sobald aber das Lotteriespiel begann, theilte sich ihre Aufmerksamkeit; und sie war so sehr beschäfftigt mit den Gewinnen und Wetten, daß sie sich keinem Einzelnen widmen konnte. Wickham benutzte ihren Spielenthusiasmus, sich Elisen wieder zuzuwenden, und diese war bereit ihn anzuhören. Am Liebsten hätte sie die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Darcy gehört; – wagte aber nicht den Namen dieses Mannes zu nennen. Doch Wickham selbst leitete die Unterhaltung darauf hin, indem er fragte, wie weit Netherfield von Meryton entfernt sei? und wie lange Herr Darcy sich dort aufgehalten habe? –
»Ungefähr einen Monat,« entgegnete Elisabeth und fuhr dann, das Gespräch festhaltend, fort – »er soll, wie ich höre, ein schönes Gut in Derbyshire besitzen?«
»Ja,« erwiederte Wickham – »Sein Besitzthum ist eins der einträglichsten in der ganzen Gegend; man taxirt es auf 10,000 des Jahrs. Sie hätten sich an niemand wenden können, der Ihnen darüber so genaue Auskunft zu geben vermag, als ich, da ich von meiner Kindheit an mit seiner Familie bekannt bin.«
Elisabeth sah ihn voll Erstaunen an.
»Diese Versicherung scheint Sie in Erstaunen zu setzen, Miß Bennet, und ich finde es sehr begreiflich, nachdem Sie gestern Zeuge unseres kalten Zusammentreffens gewesen sind. Kennen Sie Herrn Darcy genauer?«
»So genau, wie ich ihn kennen zu lernen wünsche,« rief Elisabeth mit Wärme. – »Ich habe vier Tage mit ihm in einem Hause gelebt, und ihn sehr unangenehm gefunden.«
»Ich habe kein Recht zu entscheiden, ob er angenehm oder unangenehm ist,« sagte Wickham. »Ich kenne ihn zu lange und zu genau, um über ihn richten zu dürfen, auch ist es mir unmöglich, ihn unpartheiisch zu beurtheilen; aber ich glaube, Ihre Meinung würde im Allgemeinen Erstaunen erregen – und vielleicht sprächen Sie sie auch nicht überall mit gleicher Wärme aus. – Hier sind Sie unter Ihrer eigenen Familie.«
»Ich sage hier nicht mehr, als ich in jedem andern Hause, Netherfield ausgenommen, sagen würde,« entgegnete Elisabeth rasch. »Er ist in Hertfordshire durchaus nicht beliebt. Jedermann ist empört über seinen Stolz, und Sie werden nirgends ein günstigeres Urtheil über ihn hören.«
»Das ist allerdings wunderbar, so wenig er auch ein günstigeres verdient. Aber ich bin gewohnt, die Welt durch sein großes Vermögen geblendet, oder durch sein hochmüthiges und gebieterisches Wesen eingeschüchtert zu sehen.«
»Und ich bin geneigt, ihn trotz meiner geringen Bekanntschaft seines Charakters, für keinen guten Menschen zu erklären.«
Wickham schüttelte den Kopf, und fuhr dann nach einer Pause fort – »Ich möchte wohl wissen, ob er noch lange in hiesiger Gegend zu bleiben gedenkt?«
»Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben, aber ich hörte nichts von seiner baldigen Abreise, als ich in Netherfield war. Ich hoffe, Ihre Pläne werden durch seine Gegenwart keine Umänderung erleiden?«
»O, nein! Ich bin nicht gesonnen, mich durch Herrn Darcy vertreiben zu lassen. Wenn er mich zu vermeiden wünscht, mag er gehen. Wir stehen nicht auf dem freundschaftlichsten Fuß, und es giebt mir alle Mal einen Stich durchs Herz, wenn ich ihn sehe; aber ich habe keinen Grund, ihn zu vermeiden, und das will ich der ganzen Welt beweisen. Er hat mich unverantwortlich schlecht behandelt. Sein Vater war ein vortrefflicher Mann, und der treueste Freund, den ich je besessen. Der Anblick des Sohnes erweckt tausend Erinnerungen in meiner Seele; alles, was er mir gethan, wollte ich ihm gern verzeihen, nur nicht, daß er meine schönsten Hoffnungen getäuscht, und dadurch das Andenken seines Vaters entehrt hat.«
Elisabeth hörte dem Sprecher mit steigendem Interesse zu, wagte, aber nicht weiter zu fragen.
Wickham ging nun auf allgemeinere Gegenstände über, rühmte die angenehme Lage von Meryton, den Vorzug der guten Gesellschaft und fuhr dann fort: »Diese Gründe haben mich auch bewogen, in das Corps einzutreten. Geselliger Umgang ist mir unentbehrlich. Ich bin in meinen schönsten Erwartungen getäuscht worden, und kann jetzt die Stille der Einsamkeit nicht mehr ertragen. Ich muß Beschäfftigung und Zerstreuung haben, und nur die Notwendigkeit macht mir das militairische Leben, für welches ich nicht erzogen worden bin, erträglich. Zum Geistlichen war ich bestimmt und hätte jetzt im Besitz einer einträglichen Stelle sein können, wenn es dem Herrn, von dem wir eben sprachen, beliebt hätte.«
»Wie so?« –
»Der verstorbene Herr Darcy, mein Pathe und theuerster Wohlthäter, der mir nur Gutes und Liebes im Leben erwiesen, wollte auch noch nach seinem Tode für mich sorgen, und verhieß mir die erste erledigte Stelle in seinem Kirchspiel. Es wäre eine angemessene Versorgung gewesen; sie wurde mir aber nicht zu Theil – der Sohn bestimmte sie einem Andern.«.
»Gütiger Gott!« rief Elisabeth – »ist es möglich, dem letzten Willen des Vaters so entgegen zu handeln? Warum suchten Sie Ihre Ansprüche nicht auf dem Wege des Rechts geltend zu machen?«
»Leider machte dieß eine kleine Unregelmäßigkeit in der Form unmöglich. Die Absicht meines verstorbenen Wohlthäters war mir und jedem rechtlichen Mann klar; aber dem jungen Herrn Darcy beliebte es sie zu bezweifeln, oder als eine bedingungsweise Belohnung zu betrachten, die ich durch Unverstand, Thorheit oder dergleichen verscherzt haben sollte. Genug, die, Stelle ward einem andern gegeben, obgleich ich mir bewußt bin, nichts gethan zu haben, was mich ihrer unwürdig gemacht hätte – es mußte denn eine zu freimüthige Aeußerung über sein Betragen ihn erzürnt haben. Ich bin zwar von lebhaftem Temperament, kann mir aber nichts Böses in dieser Art vorwerfen. Soviel ist gewiß, daß wir ganz verschiedene Gesinnungen und Ansichten haben, und daß er mich haßt.«
,Schrecklich! Sein Betragen verdient öffentlich bekannt gemacht zu werden.«
»Früher oder später wird es ans Tageslicht kommen, doch nicht durch mich. So lange mir das Andenken des Vaters noch so theuer und werth ist, kann ich den Sohn nicht Preis geben.«
Elisabeth lobte seinen Edelmuth, und fand ihn in diesem Augenblick hübscher und anziehender als je.
»Aber,« fuhr sie nach einer Pause fort – »was kann ihn dazu bewogen haben, so grausam gegen Sie zu verfahren?
»Nichts weiter als Abneigung – eine Abneigung, die ich nur aus Eifersucht erklären kann. Seines Vaters Liebe zu mir hat ihm schon als Kind eine Bitterkeit gegen mich eingeflößt, die in spätern Jahren dadurch, daß ich ihm oft vorgezogen worden, in Haß ausgeartet ist.«
»Ich hätte Herrn Darcy nicht für so böse gehalten. Obgleich er mir nie gefallen, hielt ich ihn doch nicht für schlecht; nur für hochmüthig und vorurtheilsvoll; aber solcher Ungerechtigkeit, solcher Grausamkeit glaubte ich ihn nicht fähig. Und doch,« fuhr sie nach einigem Nachdenken fort, »begreife ich die Möglichkeit, wenn ich mich an ein Gespräch in Netherfield erinnere, wo er selbst eingestand, einen unversöhnlichen Charakter zu haben. Es muß wirklich ein schrecklicher Mensch sein!«
»Ich kann nicht über ihn urtheilen,« entgegnete Wickham mit Bescheidenheit, »mir wird es schwer, gerecht gegen ihn zu sein.«
Elisabeth schwieg einige Augenblicke in Gedanken verloren, und rief dann mit Wärme: »den Freund, den Pathen, den Liebling seines Vaters auf eine solche Weise zu behandeln, ist wirklich schrecklich! Und wahrscheinlich sind Sie doch mit einander aufgewachsen?«
»Allerdings. In einem Kirchspiel geboren, brachten wir unsre ganze Jugendzeit unter einem Dach zu, Freud und Leid, Unterricht und Erholung mit einander theilend. Mein Vater hatte früher dasselbe Geschäfft getrieben, wie Ihr Herr Onkel Philips, es jedoch bald aufgegeben, um sich ganz der Sorge für das Pemberley'sche Gut zu weihen. Der verstorbene Herr Darcy erkannte seinen Eifer und äußerte oft, daß er ihm den größten Dank schuldig sei. Er behandelte ihn ganz als Freund, und fühlte sich glücklich, ihm durch das Versprechen meiner künftigen Versorgung für die thätige und zweckmäßige Verwaltung seiner Güter belohnen zu können.«
»Unbegreiflich und abscheulich zugleich,« sagte Elisabeth mit Unwillen, »daß der Sohn nicht wenigstens aus Stolz gerecht gegen Sie gewesen ist. Wenn auch nicht aus einem bessern Motiv, mußte ihn doch sein Stolz vor solcher Unredlichkeit bewahren.«
»Das ist mir selbst ein Räthsel geblieben,« entgegnete Wickham, »da der Stolz alle seine Handlungen leitet, sein bester Freund ist, und ihn oft zur Ausübung der Tugend veranlaßt. Aber wir Menschen sind nun ein Mal nicht immer consequent, und aus seinem Betragen gegen mich sprechen noch stärkere Leidenschaften als der Stolz.«
»Kann ein so abscheulicher Stolz jemals zu etwas Gutem führen?« fragte Elisabeth
»Ja. Er hat ihn oft veranlaßt, freigebig und großmüthig zu handeln – reichlich Geld zu spenden, eine edle Gastfreiheit auszuüben, seinen Unterthanen beizustehen und Arme zu unterstützen. Das hat er aus Familienstolz und Sohnesstolz gethan, um nicht hinter seinem Vater zurückzubleiben, den Einfluß des Pemberley'schen Hauses nicht zu verlieren, und sich so populär zu beweisen, wie diese Familie es immer gethan. Er hat auch brüderlichen Stolz, der ihn in Verbindung mit einiger brüderlichen Liebe zu einem gütigen und sorgsamen Aufseher seiner Schwester macht; und Sie werden ihn gewiß schon als den aufmerksamsten und besten Bruder rühmen gehört haben.«
»Und wie ist seine Schwester?«
»Es thut mir leid, sie nicht liebenswürdig nennen zu können; aber sie ist ihrem Bruder zu ähnlich, stolz, sehr stolz. Als Kind war sie gut und gefällig und mir sehr zugethan, weshalb ich ihr denn auch mit Freuden jede müßige Stunde widmete. Jetzt aber ist sie mir nichts mehr. Sie ist ungefähr 15 bis 16 Jahr alt, und wie man sagt sehr hübsch und auch außerordentlich unterrichtet. Seit ihres Vaters Tode lebt sie in London bei einer ältlichen Dame, die ihre Erziehung leitet.«
Nach mehreren Pausen und Versuchen, die Unterhaltung auf andere Gegenstände zu leiten, kam Elise noch ein Mal auf den ersten zurück. »Ich bin erstaunt,« sagte sie, »über seine genaue Freundschaft mit Herrn Bingley. Wie kann dieser liebenswürdige, gutmüthige Mann sein Freund sein und Gefallen an ihm finden? – Kennen Sie Herrn Bingley?«
»Durchaus nicht.«
»Er ist sanft, liebenswürdig und gut – er kann Herrn Darcy unmöglich kennen.«
»Wahrscheinlich nicht. Herr Darcy kann übrigens sehr liebenswürdig sein, so bald es ihm beliebt. Er besitzt alle dazu erforderlichen Eigenschaften, und ist sogar ein unterhaltender Gesellschafter, wenn er es der Mühe werth hält. Unter seines Gleichen benimmt er sich ganz anders; sein Stolz verläßt ihn zwar nie, aber er ist zugleich freimüthig, unbefangen, verständig und hinsichtlich des Vermögens und der Figur auch vielleicht angenehm.«
Indem erhob sich die Whistparthie; die Spieler mischten sich unter die andere Gesellschaft, und Collins nahm zwischen Elisabeth und Mrß. Philips Platz, welche Letztere ihm ihr Bedauern über seinen Spielverlust an den Tag legte. Er erwiederte sehr ernsthaft, daß ihm ein so geringer Verlust als fünf Schillinge durchaus nicht inkommodire; und daß er, Dank sei es Lady Katharine von Bourgh's Freigebigkeit, solche Kleinigkeiten nicht zu beachten nöthig habe.
Wickham wurde aufmerksam bei Erwähnung des Namens, und nachdem er Collins einige Augenblicke beobachtet, fragte er Elisen leise, ›ob ihr Vetter genau mit der Familie von Bourgh bekannt sei?‹
»Lady Katharine hat ihn vor Kurzem mit einer Pfarre beschenkt,« entgegnete sie, »auf welche Weise es ihm gelungen ist, sich ihr bemerkbar zu machen, weiß ich nicht; aber daß er sie noch nicht lange kennt, hat er erzählt.«
»Es wird Ihnen bekannt sein, daß Lady Katharine von Bourgh und Lady Anne Darcy Schwestern waren, und Erstere deshalb des jetzigen Herrn Darcy's Tante ist.«
»Nein, ich hörte nie davon; überhaupt nichts von Lady Katharinens Bekanntschaft und Verwandschaft; und selbst von ihrer Existenz nicht eher als vorgestern.«
»Ihre Tochter, Miß von Bourgh, wird einst ein beträchtliches Vermögen bekommen, und man glaubt, daß sie für ihren Vetter bestimmt ist.«
Diese Nachricht entlockte Elisen ein Lächeln, indem sie an die arme Miß Bingley dachte. Vergebens also waren ihre Aufmerksamkeiten, ihr Bestreben ihm zu gefallen, ihr Lob seiner Schwester!
»Herr Collins,« sagte sie, »spricht mit großer Verehrung von Lady Katharine und ihrer Tochter; doch vermuthe ich aus einigen kleinen Schilderungen, daß die Dankbarkeit sein Urtheil besticht, und diese hochgepriesene Gönnerin und Patronin eine anmaaßende, hochmüthige Frau sein muß.«
»Sie besitzt beide Eigenschaften in einem hohen Grade,« erwiederte Wickham. »Ich habe sie zwar in mehreren Jahren nicht gesehen, erinnere mich aber sehr wohl, daß ich sie nie leiden mochte, und daß ihr Wesen sehr gebieterisch und hochfahrend war. Sie gilt für außerordentlich fein und gebildet; ich glaube aber, daß sie diesen Ruf theils ihrem Rang und Vermögen, theils ihrem absprechenden Benehmen, und endlich dem Stolz ihres Neffen verdankt, welcher jedem Gliede seiner Familie einen Verstand erster Classe beizulegen für gut findet.«
Elisabeth fand diese Schilderung sehr treffend und charakteristisch; und sie fuhr fort, sich mit Wickham zu unterhalten, bis das Abendessen dem Spiel ein Ende machte, und den andern Damen Gelegenheit gab, ihre Ansprüche an ihn und seine Artigkeiten geltend zu machen. Durch eine allgemeine interessante Unterhaltung konnte sich niemand in Mrß. Philips lärmenden Gesellschaften auszeichnen; aber alles, was Herr Wickham sagte, war gut gesagt, und alles, was er that, mit Anstand gethan. Elisabeth blieb nicht ungerührt von so vielen innern und äußern Vorzügen; sie dachte auf dem Rückweg nur an das, was er ihr gesagt, fand aber keinen Augenblick Muße, seiner zu erwähnen, indem Lydia und Collins ohne Aufhören schwatzten. Erstere von ihren Gewinnsten, von verlornen und gewonnenen Marken, letzterer von Mrß. Philips außerordentlicher Artigkeit und Höflichkeit, die ihn selbst seinen Verlust im Spiel vergessen ließ; und beide waren noch nicht fertig, als der Wagen in Longbourn hielt.
Elisabeth theilte Johannen am andern Morgen den Innhalt ihres Gespräche mit Wickham mit, und diese hörte ihr voll Erstaunen und Betrübniß zu. Es war ihr unmöglich, Darcy'n so schlecht, Bingley's Freundschaft so unwürdig zu halten; und doch lag es nicht in ihrem Charakter, die Wahrheitsliebe eines so liebenswürdigen Mannes, wie Wickham, zu bezweifeln. Die Möglichkeit, daß er alle die genannten Härten und Täuschungen erlitten haben sollte, war schon hinreichend, Johannens Interesse und Mitleid zu erregen, aber unfähig den Angeklagten zu verdammen, suchte sie den Grund seines Betragens in andern Ursachen und bemühte sich, ihre Schwester davon zu überzeugen, daß Beide vielleicht unschuldig, und nur durch Mißverständnisse, fremde Einmischung und andre widrige Umstände veranlaßt worden waren, gegenseitig schlecht von einander zu denken.
Elisabeth bestritt lachend die wohlwollende Meinung ihrer weichherzigen Schwester, und das reichhaltige Thema war noch lange nicht erschöpft, als sie durch der Mutter Stimme herabbeschieden wurden. Besuch zu empfangen. Bingley und seine Schwestern kamen selbst, die Familie zu dem lang erwarteten Ball in Netherfield für den nächsten Dienstag einzuladen. Die Damen waren höchst erfreut, ihre geliebte Johanne wiederzusehen, nannten es eine Ewigkeit, seit sie von einander geschieden, und überhäuften sie mit Zärtlichkeit. Desto weniger Aufmerksamkeit wurde den übrigen Gliedern geschenkt, Mrß. Bennet so viel als möglich vermieden, mit Elisabeth sehr wenig, mit den andern Schwestern, gar nicht gesprochen und der Aufbruch so plötzlich bewerkstelligt, als ob sie den zudringlichen Höflichkeiten der Mutter hätten entfliehen wollen. Die Aussicht auf den Ball in Netherfield erfüllte die weiblichen Herzen der Bennet'schen Familie mit freudiger Erwartung. Mrß. Bennet betrachtete ihn als ein ihrer ältesten Tochter gezolltes Compliment, und fühlte sich sehr durch die persönliche Einladung geschmeichelt. Johanne malte sich im Geist einen glücklichen Abend in der Gesellschaft ihrer Freundinnen und deren Bruder aus; und Elisabeth dachte mit Vergnügen daran, die meisten Tänze mit Wickham zu tanzen, und in Darcy's Blicken und Betragen alles bestätigt zu finden, was er ihr von ihm erzählt hatte. Katharinens und Lydiens erwartete Glückseligkeit hing nicht von einzelnen Umständen oder Personen ab; und obgleich sie wie Elisabeth voraussetzten, den halben Abend mit Wickham zu tanzen; so war es doch keineswegs der einzige wünschenswerte Gegenstand, und ein Ball schon als Ball ein lichter Punkt im Leben. Selbst Marie versicherte den Ihrigen, daß sie nicht abgeneigt sei, Theil an diesem Feste zu nehmen, indem die Gesellschaft an Jedermann Anspruch machen könne; und daß sie, wenn sie den Morgen der Arbeit gewidmet, sich Abends gern eine Erholung in gebildeten geselligen Kreisen zu gönnen pflege.
Elisabeth, sonst nicht aufgelegt unnöthiger Weise mit dem Vetter Collins zu sprechen, konnte jetzt doch im Uebermuth der guten Laune nicht umhin, ihn zu fragen: ›ob er auch gesonnen sei, Herrn Bingley's Einladung anzunehmen, und wie er sich auf diesen Fall hinsichtlich des Tanzens zu verhalten gedenke?‹ Zu ihrem größten Erstaunen vernahm sie hierauf, daß er den Tanz für ein unschuldiges Vergnügen halte, welches ihm weder der Erzbischoff noch Lady Katharine von Bourgh je untersagt habe.
»Ich bin keineswegs der Meinung,« fuhr er fort, »daß ein solcher Ball, von einem jungen Mann von Stande einer auserwählten Gesellschaft gegeben, meiner Reputation schaden kann; und selbst ein thätiger Antheil an dem allgemeinen Vergnügen scheint mir im gegenwärtigen Fall so erlaubt, ja geziemend, daß ich mir mit der Hoffnung schmeichele, von meinen sämmtlichen schönen Cousinen als Tänzer angenommen zu werden. Und so benutze ich denn die günstige Gelegenheit, Sie, Miß Elisabeth, um die beiden ersten Tänze zu ersuchen – ein Vorzug, den meine Cousine Johanne hoffentlich dem wahren Grund, und nicht dem Mangel an Achtung zuschreiben wird.«
Elisabeth war wie vom Donner gerührt. Sie hatte gehofft, diese beiden ersten Tänze mit Wickham zu tanzen, und statt dessen fiel sie nun dem unerträglichen Collins anheim. Ihr Vorwitz war ihr noch nie so schlecht bekommen; aber hier half keine Reue. Wickham's Glück mußte wider Willen noch etwas weiter hinausgeschoben, und Collins Engagement angenommen werden. Doch mehr noch als seine allgemeine Galanterie inkommodirte sie die Anspielung in dem Schluß seiner Rede. Zum ersten Mal wurde es ihr klar, daß er sie unter ihren Schwestern als die Würdigste erwählt hatte, Gebieterin der Pfarrwohnung von Hunsford zu werden, und in Ermangelung standesmäßigerer Gesellschaft den Spieltisch in Rosings zu zieren. Die Idee bildete sich bald zur völligen Gewißheit aus, als sie ihn nun genauer beobachtete, seine häufigen Complimente über ihren Witz, ihre Lebhaftigkeit und gute Laune vernahm, und seine zunehmende Galanterie gewahrte. Kaum hatte sie diese Entdeckung gemacht, die mehr Erstaunen als Freude in ihr erregte, als ihr auch die Mutter schon zu verstehen gab, daß sie sehr einverstanden mit seinen Wünschen und Hoffnungen sei. Elisabeth ließ diesen Wink jedoch unbeachtet, wohl wissend, daß ihre Antwort einen ernstlichen Streit herbeiführen würde. Collins hatte ja seinen Antrag noch nicht gemacht; und bis es so weit kam, war es unnöthig, darüber zu sprechen.
Ohne die Aussicht auf den Ball und die dazu gehörigen Vorbereitungen würden die jüngern Miß Bennets sich in einem kläglichen Zustand befunden haben. Denn von dem Tage der Einladung bis zum Balltag selbst regnete es so unaufhaltsam, daß sie nicht daran denken konnten, nach Meryton zu gehen. Ohne Tante, ohne Officiere, ohne Neuigkeiten mußte der lange Zwischenraum verlebt und selbst die Schuhschleifen für Netherfield durch Boten besorgt werden. Nur die Erwartung des Dienstags konnte Katharinen und Lydien einen solchen Freitag, Sonnabend, Sonntag und Montag überstehen helfen.
Bis Elisabeth in den Ballsaal eintrat und den ersehnten Wickham vergebens unter dem dichten Haufen der Rothröcke suchte, war kein Zweifel, ihn nicht hier zu finden, in ihr aufgestiegen. Sie hatte sich mit besonderer Sorgfalt gekleidet, die heiterste Laune für den Ball mitgebracht, und sich im Stillen mit der Hoffnung geschmeichelt, den letzten Rest seines uneroberten Herzens an diesem Abend zu gewinnen. Jetzt stieg plötzlich der schreckliche Argwohn, daß Bingley ihn aus Rücksicht für Darcy nicht mit eingeladen, in ihr auf. Dieß war jedoch nicht der Fall, wie sie sehr bald erfuhr; sondern Wickham hatte, so berichtete sein Freund Denny auf Lydiens angelegentliche Nachfrage, Geschäffte halber Tages vorher nach London reisen müssen, und war noch nicht zurückgekehrt. »Ich glaube nicht,« fügte er mit schlauem Lächeln hinzu, »daß das Geschäfft so dringend ist, ihn gerade heute entfernen zu müssen, und vermuthe eher, daß er einen gewissen Herrn hier zu vermeiden wünschte.«
Dieser von Lydien unbeachtete Zusatz entging Elisen nicht; und da sie daraus ersah, daß Darcy doch gewisser Maaßen die Schuld seiner Abwesenheit trug, vermehrte sich ihr Widerwillen gegen denselben so sehr, daß sie seine höflichen Fragen nach ihrem Befinden kaum mit der erforderlichen Artigkeit erwiederte. Aufmerksamkeit, Nachsicht, Geduld gegen Darcy war Beleidigung für Wickham. Sie war entschlossen, sich in keine längere Unterhaftung mit ihm einzulassen, und äußerte sogar einige üble Laune gegen Bingley, dessen blinde Partheilichkeit sie empörte. Doch ihr heiterer Sinn war nicht für die üble Laune geschaffen, und obgleich alle Aussicht auf Freude für diesen Abend verloren schien, kehrte ihre natürliche Fröhlichkeit doch bald zurück. Und nachdem sie ihrer Freundin, Charlotte Lukas, die sie eine ganze Woche nicht gesehen, ihre Leiden geklagt, machte sie sie auf ihren Vetter und dessen Umständlichkeit und Albernheit aufmerksam, und berichtete, wie sehr er die Familie, und vor allen ihren Vater langweilte.
Jetzt begann der Ball, und die beiden ersten Tänze erneuerten ihren Gram; es waren Tänze der Qual und Demüthigung. Collins, linkisch und feierlich, machte Entschuldigungen statt Touren, drehte sich verkehrt um, ohne es zu wissen, und machte ihr so viel Schande und Kummer, als ein schlechter Tänzer möglicher Weise vermag. Der Augenblick der Erlösung war ein ersehnter, und erfüllte sie mit Freude.
Hierauf tanzte sie mit einem Officier und hörte von Wickham erzählen, und wie er so allgemein beliebt sei. Nach Beendigung der Tänze kehrte sie zu Charlotten zurück und war eben im tiefen Gespräch mit dieser begriffen, als Darcy sich ihr mit der Bitte um die nächsten beiden Tänze näherte, und sie dergestalt dadurch in Erstaunen setzte, daß sie sie ihm, ohne zu wissen was sie that, zusagte. Kaum hatte er sich indeß wieder entfernt, als sie sich über ihren eigenen Mangel an Geistesgegenwart beklagte, und das Geschehene gern ungeschehen gemacht hätte. Charlotte suchte sie zu trösten und sagte –
»Du wirft ihn gewiß noch recht angenehm finden.«
»Das verhüte der Himmel! – Den Mann angenehm zu finden, den ich zu hassen entschlossen bin, würde mir als das größte Unglück erscheinen. Wünsche mir nicht das Schlimmste.«
Elisabeth folgte ihrem Tänzer in die Reihen, selbst erstaunt sich ihm gegenüber zu erblicken, und Erstaunen in den Augen aller Umstehenden lesend. Anfänglich standen sie Beide ohne ein Wort zu sprechen, und sie bereitete sich schon vor, in diesem schweigsamen Zustand zu verharren, so langweilig er ihr auch erschien, als ihr einfiel, daß es ihm eine größere Strafe sei zu sprechen als zu schweigen, und deshalb warf sie eine leichte Bemerkung über den Tanz hin. Er erwiederte das unumgänglich Nothwendige, und schwieg dann wiede4r. Nach einer kleinen Pause begann sie zum zweiten Mal –
»Jetzt ist die Reihe etwas zu sagen an Ihnen, Herr Darcy. – Ich sprach über den Tanz, und Sie können nun einige Bemerkungen über das Lokal, und über die Anzahl der tanzenden Paare machen.«
Er lächelte, und versicherte, daß er alles sagen würde, was sie gesagt zu haben wünschte.
»Sehr wohl. – Diese Antwort genügt für den Augenblick, – Vielleicht mache ich nun gelegentlich die Bemerkung, daß Privatbälle viel unterhaltender sind als öffentliche. Aber dann schweigen wir wieder Beide.«
»Ist es bei Ihnen Gesetz, während des Tanzes zu sprechen?«
»Zuweilen. Sie wissen ja, man muß mitunter ein Paar Worte reden, es sieht gar zu seltsam aus, eine halbe Stunde schweigend neben einander zu stehen, und die Unterhaltung kann so eingerichtet werden, daß man so wenig wie möglich sagt.«
»Berücksichtigen Sie bei diesem Vorschlag Ihre Gefühle, oder glauben Sie den meinigen dadurch zu willfahren?«
»Beides vereinigt,« entgegnete Elisabeth muthwillig; »denn ich habe längst schon eine große Aehnlichkeit in unsrer beiderseitigen Denkungsart bemerkt. Wir sind beide ungeselliger, schweigsamer Natur; nicht aufgelegt zum Sprechen, als wenn wir uns bewußt sind, etwas zu sagen, was alle Anwesende in Erstaunen setzt, und werth ist, gleich einem Sprüchwort auf die Nachwelt überzugehen.«
»Dieß ist keine getreue Schilderung Ihres eignen Charakters,« sagte er. »In wie fern sie dem meinigen gleicht, kann ich nicht entscheiden. – Sie halten sie aber vermuthlich für getroffen?«
»Ich darf nicht über meine eigne Arbeit urtheilen.«
Er antwortete nicht, und so schwiegen sie wieder Beide bis zu Ende des Tanzes, wo er sie fragte, ob sie und ihre Schwestern noch oft nach Meryton gingen?
Sie bejahte, und konnte der Versuchung nicht widerstehen, hinzuzufügen – »Als Sie uns neulich dort sahen, hatten wir eben eine neue Bekanntschaft gemacht.«
Der Eindruck dieser Worte war sichtbar. Ein höherer Ausdruck des Selbstgefühls überflog seine Züge, drückte sich in seiner Haltung aus; aber er sagte nichts, und Elisabeth, ihre Schwäche verdammend, schwieg ebenfalls. Endlich begann Darcy wieder im gezwungenen Ton –
»Herr Wickham ist so glücklich, im Besitz eines so anziehenden Wesens zu sein, daß es ihm leicht wird, sich Freunde zu erwerben – ob er auch die Gabe hat, sich solche zu erhalten, ist nicht so gewiß.«
»Er ist so unglücklich gewesen, Ihre Freundschaft zu verlieren,« entgegnete Elisabeth mit Nachdruck, »und dieser Umstand äußert sich auf eine für sein ganzes Leben nachtheilige Weise.«
Darcy erwiederte hierauf nichts, und schien einen andern Gegenstand der Unterhaltung zu wünschen. In diesem bedrängten Augenblick erlöste ihn Sir William Lukas, dessen Höflichkeit ihm nicht erlaubte, schweigend an dem Paar vorbei zu gehen. Mit der ihm zur andern Natur gewordenen Verbindlichkeit sagte er Herrn Darcy viel Schmeichelhaftes über sein vorzügliches Tanzen und über die Wahl seiner Tänzerin, wodurch er einen nicht minder vortrefflichen Geschmack als sein Freund Bingley verriethe. Diese Worte begleitete er mit einem vielsagenden Blick auf Bingley, der mit Johannen im tiefen Gespräch verloren stand. »Doch,« so schloß er seine Rede – »ich muß um Entschuldigung bitten, Sie so lange der geistreichen Unterhaltung Ihrer schönen Tänzerin entzogen zu haben, die mir diese Unterbrechung ebenfalls nicht danken wird.« –Hiermit ging er weiter.
Darcy hatte die letzten Worte kaum gehört, Sir William's Anspielung und Blick auf seinen Freund hingegen schienen großen Eindruck gemacht zu haben, und sein Auge wandte sich mit einem ernsten Ausdruck zu Bingley und Johannen, welche eben wieder zu tanzen begannen. Doch faßte er sich bald und sagte, sich zu Elisen wendend –
»Ueber Sir Williams Dazwischenkunft habe ich ganz vergessen, wovon wir sprachen.«
»So viel ich weiß, von nichts, Sir William hätte kein Paar im ganzen Saal unterbrechen können, welches weniger mit einander zu reden gewußt, wie wir. Wir haben bereits zwei bis drei vergebliche Unterhaltungsversuche gemacht, und wovon wir nun sprechen werden, kann ich nicht errathen.«
»Was halten Sie von Büchern?«, fragte er lächelnd.
»Bücher!« wiederholte sie »Wir lesen gewiß nie dieselben, wenigstens nicht mit demselben Gefühl.«
»Es thut mir leid, daß Sie so denken; aber wenn dieß der Fall ist, kann es uns wenigstens nicht an Stoff zur Unterhaltung fehlen. Wir können nun unsre verschiedenen Meinungen vergleichen.«
»Nein – in einem Tanzsaal kann ich nicht über Bücher sprechen; mein Kopf ist dann immer mit andern Dingen angefüllt.«
»Die Gegenwart beschäfftigt Sie wohl allzusehr?« fragte er mit zweifelhaftem Blick.
»Ja, immer,« entgegnete sie, ohne zu wissen, was sie sagte; denn ihre Gedanken hatten einen weiten Flug genommen, wie sich gleich darauf aus ihrem plötzlichen Ausruf ergab. »Herr Darcy, ich erinnere mich, Sie einst sagen gehört zu haben, daß Sie nicht leicht vergeben könnten, und in Ihrem Zorn unversöhnlich wären. Deshalb sind Sie vermuthlich auch sehr vorsichtig, ihn nicht ungerechter Weise auf einen Gegenstand fallen zu lassen.«
»So bin ich«, erwiederte er mit fester Stimme.
»Und lassen sich nie durch Vorurtheile irre leiten?«
»Ich hoffe nicht.«
»Für diejenigen Menschen, welche eine vorgefaßte Meinung nie ändern, ist es hauptsächlich Pflicht, sie nicht ohne reife Ueberlegung zu fassen.«
»,Darf ich fragen, worauf diese Fragen abzwecken?«
»Bloß zur bessern Erkenntniß Ihres Charakters,« sagte sie, indem sie sich bemühte weniger ernst zu scheinen. »Ich versuche Sie zu durchschauen.«
»Und gelingt Ihnen dieser Versuch?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich komme nicht aufs Reine. Man hört so viele verschiedene Urtheile über Sie, daß man nicht klug daraus wird.«
»Ich kann mir leicht vorstellen,« sagte er sehr ernsthaft, »daß das Gerücht sich verschieden über mich ausspricht; und ich wünschte, daß Miß Bennet Zu dieser Anrede s. Anm. 2. nicht gerade den gegenwärtigen Augenblick erwählte, sich ein richtiges Bild von mir zu entwerfen, da ich hinreichenden Grund zu der Vermuthung habe, daß es nicht sehr vortheilhaft ausfallen wird.«
»Aber wenn ich es jetzt nicht thue, finde ich vielleicht nie wieder die Gelegenheit dazu.«
»Ich will Ihr Vergnügen keineswegs stören,« entgegnete er kalt.
Hierauf schwiegen sie beide während des folgenden Tanzes und trennten sich, ohne etwas zu sagen, gegenseitig unzufrieden mit einander, wenn gleich nicht in demselben Grade: denn in Darcy's Brust erhob sich eine laute Stimme für sie, die ihr bald Verzeihung erwarb, und seinen Unwillen auf einen Andern lenkte.
Gleich darauf kam Miß Bingley auf sie zu, und sagte mit dem Ausdruck höflicher Geringschätzung –
»Miß Elise, wie ich so eben höre, sind Sie ganz entzückt von Georg Wickham! Ihre Schwester hat mir von ihm erzählt und tausend Fragen über ihn gethan. Der junge Mann scheint einen Umstand unerwähnt gelassen zu haben, nämlich daß er der Sohn des Verwalters des verstorbenen Herrn Darcy ist. Uebrigens möchte ich Ihnen als Freundin rathen, seinen Versicherungen nicht unbedingt zu vertrauen; denn wenn er sagt, daß ihn Herr Darcy schlecht behandelt hat, so ist das eine Unwahrheit, da er im Gegentheil sehr gütig gegen ihn gewesen ist, trotz dem, daß Wickham sich auf eine abscheuliche Weise gegen ihn benommen hat. Ich weiß die Details nicht genau; nur so viel, daß Darcy durchaus nicht zu tadeln ist, wenn er Wickham's Namen nicht ohne Zorn aussprechen hören kann. Mein Bruder glaubte ihn nicht ausschließen zu können, da er die übrigen Officiere einlud, war aber sehr froh, daß er selbst dem Ball aus dem Wege gegangen. Sein Auftreten in hiesiger Gegend zeugt schon von seiner Insolenz, und es ist unbegreiflich, wie er es wagen konnte. Ich bedauere Sie, Miß Elise! es ist sehr niederschlagend, solche Fehler an seinen Lieblingen entdecken zu müssen; aber wenn man seine Herkunft bedenkt, ist nichts anderes zu erwarten.«
»Sein Vergehen und seine Herkunft scheinen in Ihrem Bericht über ihn eins zu sein, erwiederte Elisabeth erzürnt, »denn ich habe Sie ihn nichts Schlimmeres beschuldigen hören, als daß er der Sohn des Verwalters des Herrn Darcy ist, und davon hat er mich selbst unterrichtet.«
»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Miß Bingley, sich mit spöttischer Miene abwendend. »Entschuldigen Sie meine Einmischung, – Es war gut gemeint.«
»Unverschämtes Mädchen!« sagte Elisabeth zu sich selbst, als die falsche Freundin sie verlassen. »Dieß ist nicht die rechte Weise, mich andrer Meinung zu machen, und ich ersehe daraus nichts als vorsätzliche Unwissenheit von ihrer, und Bosheit von Darcy's Seite.«
Sie suchte nun ihre älteste Schwester auf, um zu hören, was diese über denselben Gegenstand von Bingley erfahren. Johanne sah so fröhlich und glücklich aus, daß Elisabeth die eben erlittene Kränkung vergessend mit lächelndem Munde fragte, was sie über Wickham gehört?
Johanne berichtete, daß Bingley nicht mit den nähern Umständen bekannt sei, und nicht wisse, wodurch Wickham seinen Freund beleidigt habe; daß er aber für dessen untadeliges Betragen hafte, und fest überzeugt sei, daß Wickham sich sehr gröblich gegen Darcy vergangen haben müsse. – »Und,« fügte sie hinzu – »nach dem, was ich sowohl von ihm als von seiner Schwester erfahren habe, scheint Wickham unsre Vorliebe keineswegs zu verdienen, vielmehr ein sehr leichtsinniger, unbesonnener junger Mann zu sein, der Herrn Darcy's Unwillen reichlich verdient hat.«
»Sagtest Du nicht, daß Bingley Wickham nicht persönlich kennt?«
»Ja, er sah ihn an jenem Morgen in Meryton zum ersten Mal.«
»So weiß er also nur, was ihm Darcy gesagt. Dann bin ich zufrieden.«
Johanne bemühte sich, ihrer Schwester eine bessere Meinung von Bingley's Freund beizubringen; aber vergebens. Und da Bingley jetzt selbst hinzutrat, setzte sich Elise zu Miß Lukas, deren Fragen über ihren letzten Tänzer sie noch nicht beantwortet hatte, als Collins sich ihr näherte und mit großer Freude berichtete, daß er so eben eine wichtige Entdeckung gemacht.
»Ich habe durch einen sonderbaren Zufall erfahren, daß sich in diesem Zimmer ein naher Verwandter, vielleicht ein Neffe von Lady Katharine von Bourgh befinden soll, und ich eile nun, ihm meine Hochachtung zu bezeigen. Er wird verzeihen, daß es nicht schon früher geschehen ist; aber meine gänzliche Unkenntniß dieses Umstands muß mir zur Entschuldigung dienen.«
»Sie werden sich Herrn Darcy doch nicht selbst vorstellen wollen?«
»Dazu bin ich entschlossen. Lady Katharinens Neffe wird es hoffentlich nicht übel deuten, daß ich es bis jetzt versäumt.«
Elisabeth versuchte ihn von diesem Vorhaben abzubringen; sie versicherte, daß Herr Darcy diese Selbstintroduction eher als eine unziemliche Freiheit als ein, seiner Tante erwiesenes Compliment betrachten würde; daß es durchaus nicht nöthig sei, und daß, falls es wirklich nöthig sein sollte, Herr Darcy als der Vornehmere die Bekanntschaft anknüpfen müßte. Collins hörte ihre Auseinandersetzungen mit der Miene eines Mannes, welcher entschlossen ist, seinem eignen Rath zu folgen, an, und erwiederte: ›daß er zwar die höchste Achtung für ihre Meinung hegte, in diesem Fall aber dennoch seinem eignen Urtheil folgen müßte.‹ Und mit einer tiefen Verbeugung verließ er sie, seinen Angriff auf Darcy zu wagen.
Elisabeth verfolgte ihn mit den Augen und bemerkte des stolzen Mannes Erstaunen, als er sich so unerwartet aus seinen Träumereien gerissen sah. Ihr Vetter eröffnete die Unterhaltung mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung, und obgleich sie von dem darauf folgenden Gespräch kein Wort verstehen konnte, glaubte, sie doch in seinen Mienen die Ausdrücke »Entschuldigung,« »Hunsford,« »Lady Katharine von Bourgh« zu lesen. Darcy betrachtete ihn mit augenscheinlicher Verwundrung, und erwiederte seine lange Rede mit kalter Höflichkeit. Dadurch ließ sich Collins jedoch nicht abschrecken, einen zweiten Angriff zu riskiren, der indessen Darcy's Geduld zu übersteigen schien: denn nachdem er die abermalige Rede mit dem Ausdruck zunehmender Verachtung angehört, machte er ihm eine leichte Verbeugung und ging dann weiter. Collins kehrte zu Elisabeth zurück, und sagte –
»Ich habe die größte Ursache, mit meiner Aufnahme zufrieden zu sein; Herr Darcy schien die Aufmerksamkeit wohl aufzunehmen. Er antwortete mir mit äußerster Höflichkeit und schloß mit dem Compliment, daß er fest überzeugt sei, Lady Katharine besitze zu viel Scharfsinn, um ihre Gunst an einen Unwürdigen zu verschwenden. Ein allerliebster Gedanke. Ich bin sehr erfreut über diese Bekanntschaft!«
Elisabeth wandte jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit Johannen und Bingley'n zu, und verlor sich in glücklichen Voraussetzungen für deren Zukunft. Die Mienen ihrer Mutter verriethen einen ähnlichen Gedankenflug, und sie vermied dieselbe deshalb so viel als möglich, um nur keine laute Aeußerung zu hören. Aber das Schicksal hatte ihr an diesem Abend noch harte Prüfungen vorbehalten. Ein unglücklicher Zufall führte sie beim Souper der Mutter gegenüber, und dieser zur Seite Lady Lukas. Herzlich froh, ihre mütterlichen Erwartungen aussprechen zu können, begann sie ihrer Nachbarin die beglückende Hoffnung, Johannen bald glänzend versorgt zu sehen, mitzutheilen. Es war ein unerschöpflicher Gegenstand, und sie erschöpfte ihn bis auf den Grund. Vergebens beschwor Elise sie, etwas leiser zu sprechen, indem Herr Darcy, der nicht weit von ihnen saß, alles hören konnte. Mrß. Bennet versicherte, daß sie auf ihn durchaus keine Rücksicht zu nehmen brauchte, und fuhr unbarmherzig fort, ihr Glück zu preisen. Elisabeth erröthete zu wiederholten Malen, und hätte vor Schaam in die Erde sinken mögen. Dann und wann wagte sie einen Blick auf Darcy zu werfen; aber ein jeder bestätigte nur ihre Furcht: denn obgleich er ihre Mutter nicht zu beobachten schien, bemerkte sie doch, daß ihm kein Wort entging. Der Ausdruck seiner Züge zeugte von Unwillen und Verachtung und verlor sich endlich in unerschütterlichen Ernst.
Endlich wußte Mrß. Bennet nichts mehr zu sagen; und Lady Lukas, die ihren steten Wiederholungen nichts als ein Gähnen entgegengesetzt, fand nun Muße, sich an dem Souper zu erholen.
Elisabeth schöpfte wieder Athem. Doch nicht lange sollte sie das Glück der Ruhe genießen. Denn kaum war das Mahl beendet, als sie zu ihren größten Schrecken gewahrte, daß Marie auf die leicht hingeworfene Bitte, etwas zu singen, aufstand und sich darauf vorbereitete. Durch bittende Blicke und Zeichen suchte sie sie davon zurück zu halten – aber vergebens. Marie wollte sie nicht verstehen; eine solche Gelegenheit sich zu zeigen durfte nicht unbenutzt vorüber gehen, und sie begann ihren Gesang. Elisabeths Augen ruhten mit dem Ausdruck innerer Angst auf der Sängerin, und ihre Ungeduld nahm mit jeder Strophe zu. Endlich war das Lied zu Ende, aber Mariens Athem nicht; denn kaum hörte sie den Wunsch aussprechen, die Gesellschaft noch durch ein zweites Lied zu erfreuen, als sie auch mit der größten Bereitwilligkeit wieder anhub. Ihre schwache Stimme war keineswegs geeignet, sich vor einem so großen Publikum hören zu lassen, und ihre Manier verrieth weit mehr Affektation als Kunst.
Elisabeth saß in Todesangst. Ihre Blicke suchten Johannen, um zu sehen, wie diese das Schreckliche ertrug; aber mit Bingley im eifrigen Gespräch begriffen, schien sie nicht auf ihre Umgebung zu achten. Seine Schwestern hingegen waren aufmerksamer, und sie bemerkte, daß sie sich spöttische Blicke zuwarfen und auch Darcy'n dazu aufforderten, der jedoch unerschütterlich ernst blieb. Jetzt trug sie die Qual nicht länger, und gab ihrem Vater einen Wink, welcher ihn auch verstand und laut sagte, nachdem Marie zum zweiten Male geendet – »Nun laß es gut sein, liebes Kind! Das längere Singen nach dem Tanzen möchte Deiner Gesundheit schaden; auch ist es jetzt Zeit, andere junge Damen auftreten zu lassen.«
Marie wurde etwas verlegen, und obgleich sie nicht that, als ob sie des Vaters Ermahnung vernommen, hörte sie doch auf, und andere wurden nun aufgefordert. Collins benutzte die günstige Gelegenheit, seine Meinung über die Musik, über die Wirkung, die sie auf das menschliche Herz hervorzubringen im Stande u. d. m. auszusprechen, und äußerte sein Bedauern, nicht selbst musikalisch zu sein, da es auch ihm als Geistlichen sehr wohl anstehen würde, die Gesellschaft durch einen Gesang zu erfreuen, so wie sich durch dieses Talent solchen Personen angenehm zu machen, die ihm vom Schicksal als Gönner und Beschützer angewiesen, indem es eines jeden Menschen Pflicht sei, sich dankbar gegen diejenigen zu beweisen, denen man sein Glück und seine Anstellung verdankte.
»Ich wenigstens« – so schloß er seine Rede – »halte mich dazu verpflichtet, und werde keine Gelegenheit versäumen, meiner hohen Gebieterin, so wie allen mit dieser edlen Familie verwandten Personen meinen tiefen Respekt auf jede nur mögliche Weise an den Tag zu legen.«
Die letzten Worte wurden mit einem Seitenblick auf Darcy und einer ehrfurchtsvollen Verbeugung begleitet. – Alle Anwesenden staunten; einige lächelten, andere sahen sich verwundert an; doch Niemand ergötzte sich mehr an Herrn Collins Lächerlichkeiten, als sein eigner Vetter, Herr Bennet; während dessen Frau dem Sprecher beifällig zunickte, und ihn laut als einen sehr vernünftigen, gebildeten Mann pries.
Elisabeth allein empfand das Peinliche, ein Glied ihrer Familie nach dem andern sich selbst Preis geben zu sehen. Und wenn auch Bingley, zu sehr mit Johannen beschäftigt, nicht alles bemerkt hatte, so war sie doch fest überzeugt, daß seine Schwestern und Darcy nicht versäumen würden, jede kleine Lächerlichkeit herauszuheben, und ihre Angehörigen zum Ziel ihres Witzes und Spottes zu machen. Im gegenwärtigen Augenblicke wurde es ihr schwer, zu entscheiden, ob sie mehr durch das ungezogene Lächeln der Damen, oder durch die schweigende Verachtung Darcy's litt.
Der übrige Theil des Abends gewährte ihr wenig Freude. Collins quälte und langweilte sie durch seine beharrliche Ausdauer. Er wich nicht von ihrer Seite, und wenn es ihm gleich nicht gelang, sie zu bewegen, noch ein Mal mit ihm zu tanzen, so machte er es ihr doch unmöglich, mit einem Andern zu tanzen. Vergebens bat sie ihn, dem Vergnügen des Balls nicht zu entsagen, und erbot sich, ihn zu diesem Zweck einigen jungen Damen vorzustellen. Er versicherte, daß der Tanz als Tanz kein Interesse für ihn hätte, daß er sich ihr nur angenehm zu machen wünschte, und deshalb den ganzen Abend an ihrer Seite bleiben würde. Ein solcher Vorsatz war nicht durch Gegenreden umzustoßen. Es mußte ausgehalten werden, und Elisabeth erkannte es dankbar, daß Charlotte Lukas sich oft zu ihr setzte und sie auf Augenblicke von des Vetters Unterhaltung erlößte. Fühlte sie sich doch einiger Maaßen erleichtert, Darcy's forschenden und beobachtenden Blicken entgangen zu sein, denn obgleich er, völlig unbeschäftigt, nicht sehr weit von ihr stand, schien er sie doch nicht zu beachten, und machte keinen Versuch, eine zweite Unterhaltung mit ihr anzuknüpfen. Sie erkannte darin die Folgen ihrer Anspielungen auf Wickham, und freute sich derselben.
Der Ball war zu Ende, und die ganze Gesellschaft fort; nur die Bennet'sche Familie wartete noch auf die Ankunft ihrer Wägen, die durch Mrß. Bennets Veranstaltung eine Viertelstunde später erschienen. Mrß. Hurst und ihre Schwester konnten ihren Verdruß über diese Verzögerung kaum verbergen, und öffneten den Mund nur, um über grenzenlose Müdigkeit zu klagen. Mrß. Bennets Versuche, eine allgemeine Unterhaltung anzuknüpfen, blieben ganz ohne Aufmunterung, und es entstanden daher peinliche Pausen, nur durch Collins Ausrufungen der Bewunderung über die Eleganz der Gemächer, über die geschmackvolle Einrichtung des Festes u. d. m. unterbrochen. Darcy sagte gar nichts, Bennet ergötzte sich ebenfalls schweigend an der Scene. Bingley und Johanne standen seitwärts und sprachen halb leise mit einander. Elisabeth verhielt sich nicht minder stumm, als Mrß. Hurst und Miß Bingley, und selbst Lydia fühlte sich zu erschöpft, um mehr als ein – »Ach Gott! wie bin ich so müde!« unter lautem Gähnen hervorzubringen.
Endlich wurden die Wägen gemeldet, und Mrß. Bennet erhob sich, um Abschied zu nehmen. Mit einem Schwall höflicher Worte sprach sie den Wunsch, die ganze Familie recht bald bei sich in Longbourn zu sehen, aus, und versicherte besonders Bingley'n, daß sie sich sehr glücklich fühlen würde, wenn er, ohne eine förmliche Einladung abzuwarten, ihr die Ehre erzeigen wollte, ein frugales Mittagsessen in ihrem Hause einzunehmen.
Hierzu äußerte er sich sehr bereit, und versprach, sich einzustellen, sobald er von London, wohin er den folgenden Tag zu reisen genöthigt, zurückgekehrt sein würde.
Mrß. Bennet verließ Netherfield in der heitersten Laune, vollkommen überzeugt, ihre älteste Tochter sehr bald daselbst als Gebieterin begrüssen zu können, und im Geiste die nöthigen Anstalten zur Anschaffung der Equipagen, hochzeitlichen Kleider und dergleichen Nebendingen treffend. Die Verheirathung ihrer zweiten Tochter mit dem Vetter Collins betrachtete sie als eine eben so ausgemachte Sache, die ihr jedoch weniger Freude machte. Elisabeth war das am wenigsten geliebte Kind, und dieser Mann für sie deshalb gut genug.
Den folgenden Tag eröffnete sich eine neue Scene in Longbourn; Herr Collins machte seinen Antrag in aller Form. Nachdem sein Entschluß fest geworden, sah er kein Hinderniß, ihn auszusprechen, und bereitete sich dazu vor, wie es ein so wichtiges Geschäfft erforderte. Nach eingenommenem Frühstück, als er sich mit Mrß. Bennet, Elisabeth und einer der jüngern Schwestern allein im Zimmer befand, redete er die Mutter folgender Maßen an:
»Madam, darf ich auf Ihre Einwilligung hoffen, wenn ich um eine Privataudienz bei Miß Elisabeth bitte?«
Ehe diese Zeit hatte, durch etwas anderes als ein Erröthen des Erstaunens zu antworten, erwiederte Mrß. Bennet:
»O, sehr gern. – Ich bin überzeugt, Lizzy wird sich glücklich fühlen – sie kann nichts dagegen einzuwenden haben. Komm, Kitty! ich brauche Dich im obern Stock.« Hiermit raffte sie ihre Arbeit zusammen und wollte eiligst das Zimmer verlassen, als Elisabeth ausrief:
»Liebe Mutter, gehen Sie nicht! ich bitte Sie darum. Herr Collins wird mich entschuldigen. Er kann mir nichts zu sagen haben, was Sie nicht Alle hören dürften. Ich gehe selbst.«
»Nein, nein, Lizzy! – Ich wünsche, daß Du da bleibst!« – Und als sie sah, daß Elisabeth mit Blicken der höchsten Verzweiflung wirklich Anstalt zur Flucht machte, fügte sie hinzu:
»Lizzy! ich befehle Dir, dazubleiben, und Herrn Collins anzuhören.«
Solch einem Machtspruch durfte Elisabeth nicht entgegen handeln – und eine augenblickliche Ueberlegung machte ihr begreiflich, daß es am Besten sein würde, die Sache auf diese Weise abzumachen, jetzt, wo es in ihrer Macht stand, sie mit einem Mal zu beendigen. Sie ergab sich deshalb in das Unabänderliche, und Collins begann, sobald die Mutter und Schwester das Zimmer verlassen hatten:
»Seien Sie versichert, theure Miß Elisabeth! daß Ihre Bescheidenheit, weit davon entfernt, Ihnen in meinen Augen Nachtheil zu bringen, Ihre Vorzüge nur noch vermehrt. Ich würde Sie ohne diese kleine Abgeneigtheit minder liebenswürdig gefunden haben. Doch bevor ich mit der Hauptsache beginne, sei es mir vergönnt, Ihnen zu versichern, das ich zu meinem Vorhaben die Einwilligung Ihrer geehrten Frau Mutter habe. Ueber meine Gesinnungen können Sie nicht länger in Zweifel sein, indem ich sie Ihnen bereits durch unzählige kleine Aufmerksamkeiten verrathen. Der erste Eintritt in dieses Haus entschied mein Schicksal, und bestimmte mir Sie als die auserwählte Gefährtin meiner Zukunft. Doch ehe ich mich von meinem Gefühl hinreißen lasse, wird es angemessen sein, Ihnen die Gründe, weshalb ich mich zu verheirathen gedenke, auseinander zu setzen, so wie warum ich in dieser Absicht nach Longbourn gekommen.«
Die Idee, daß sich Herr Collins mit aller ihm eigenthümlichen Ruhe und Feierlichkeit von seinen Gefühlen hinreißen lassen sollte, erschien Elfen so lächerlich, daß sie nicht im Stande war, die kurze, zum Athemholen nöthige Pause dazu anzuwenden, den Lauf seiner Rede zu unterbrechen, und so fuhr er fort –
»Die Gründe, die mich zum Heirathen bestimmen, sind erstlich: weil ich es für Pflicht eines jeden Geistlichen, der, wie ich, sich in guten Umständen befindet, halte, seiner Gemeinde auch in diesem Punkt mit gutem Beispiel vorzugehen. Zweitens, weil ich überzeugt bin, durch diesen Schritt an Glückseligkeit zu gewinnen; und drittens endlich, welchen Umstand ich eigentlich zuerst hätte anführen müssen, weil es der Rath meiner erhabenen Gönnerin und Gebieterin ist. Zwei Mal hat sie sich herabgelassen, unaufgefordert ihre Meinung über diesen Gegenstand auszusprechen; und erst noch am letzten Sonntag, bevor sie Hunsford verließ, sagte sie: ›Herr Collins, Sie müssen heirathen. Ein Geistlicher in Ihren Umständen muß heirathen. Wählen Sie vernünftig; ein gebildetes Frauenzimmer in Rücksicht auf mich, aber zugleich Ihren eigenen Verhältnissen angemessen. Ihre künftige Frau muß thätig, verständig, sparsam und wirthschaftlich sein. Dieß ist mein Rath. Und haben Sie eine solche gefunden, so bringen Sie sie, sobald es geht, nach Hunsford, und ich will sie besuchen.‹ – Erlauben Sie mir, meine schöne Cousine, beiläufig zu bemerken, daß ich die mir von Lady Katharine bewiesene Güte und Auszeichnung als einen der größten Vorzüge meiner Lage betrachte. Sie werden ihr Betragen noch weit liebenswürdiger und herablassender finden, als ich es zu beschreiben im Stande bin; und meiner theuren Elisabeth Witz und Lebhaftigkeit wird ihrem Wesen sehr zusagen, besonders wenn diese angenehmen Eigenschaften etwas gemildert werden durch den Respekt, den Ihrer Herrlichkeit Nähe einem Jeden unwillkührlich einflößt. So viel im Allgemeinen über meine Ansichten in Bezug auf die Ehe; es bleibt mir nun nur noch zu sagen übrig, weshalb ich mich in dieser Absicht nach Longbourn gewendet anstatt in meiner Nachbarschaft eine Wahl zu treffen, woselbst, wie ich Ihnen versichern kann, sehr viel hübsche, junge und liebenswürdige Mädchen zu finden sind. Da mir aber nach dem Tode Ihres verehrten Herrn Vaters (Gott erhalte ihn noch manches Jahr!) sein Gut als rechtmäßigem Erben zufällt, konnte ich nicht umhin, die künftige Lebensgefährtin unter seinen Töchtern zu erwählen, um den Uebrigbleibenden den Verlust weniger schmerzlich zu machen. Dieß, schönste Cousine! mein Beweggrund, der mich hoffentlich in Ihrer Achtung noch mehr befestigen wird. Und nun die Versicherung, daß mein Herz Ihnen mit heißer Liebe zugethan ist, und nur für Sie schlägt. Auf Vermögen mache ich durchaus keine Ansprüche, wohl wissend, daß Ihr Herr Vater nicht in der Lage ist, Ihnen solches mitzugeben, und daß Sie auf den geringen Antheil des Unvermögens Ihrer Frau Mutter erst nach deren Tode rechnen können. Deshalb bescheide ich mich über diesen Punkt und versichere im Voraus, daß kein unzarter Vorwurf deshalb während unseres Ehestandes über meine Lippen kommen soll.«
Jetzt war es die höchste Zeit, ihn zu unterbrochen, und Elisabeth sagte: »Sie sind zu rasch Herr Collins! Sie vergessen, daß Sie mir noch gar nicht Zeit gelassen haben, Ihnen zu antworten. Empfangen Sie meinen Dank für ihre gute Meinung. Ich erkenne den vollen Werth der mir zugedachten Ehre, fühle mich aber unfähig, sie anzunehmen.«
»Ich sehe,« entgegnete Collins mit einer feierlichen Bewegung, der rechten Hand, »daß auch Sie das gewöhnliche Herkommen beobachten, und die Anträge, welche Sie im Stillen entschlossen sind anzunehmen, das erste Mal ablehnen. Ich weiß die Fälle, wo es einer zwei und dreimaligen Wiederholung bedurfte; deshalb fühle ich mich durch Ihre eben ausgesprochenen Worte keineswegs abgeschreckt, hoffe vielmehr Sie in Kurzem zum Altar führen zu dürfen.«
»Sie mißverstehen mich, Sir!« rief Elisabeth entsetzt, nach meiner deutlichen Erklärung kann keine Hoffnung mehr Statt finden. Ich gehöre nicht zu den jungen Damen (wenn es wirklich solche geben sollte), welche so kühn sind, ihre Glückseligkeit von einer zweiten Anfrage abhängig zu machen. Meine Verweigerung ist ernstlich gemeint. Ich bin fest überzeuge, daß Sie mich nicht glücklich machen werden, und daß ich die letzte Person auf der Welt bin, Sie zu beglücken. Und, wenn Lady Katharine mich kennte, würde sie mich in jeder Hinsicht unpassend für die mir zugedachte Lage erklären.«
»Sollte Lady Katharine wirklich so denken!« sagte Collins mit bedächtigem Ernst – »nein! ich kann es nicht glauben! Seien Sie auch versichert, daß ich nicht versäumen werde, in den höchsten Ausdrücken von Ihrer Bescheidenheit, Wirtschaftlichkeit und von Ihren andern liebenswürdigen Eigenschaften zu sprechen.«
»Herr Collins! Ich muß nochmals versichern, daß alle Ihre Lobsprüche vergeblich sein würden. Ertauben Sie mir die Bitte, über mich selbst zu entscheiden, und meinem Ausspruch Glauben beizumessen. Durch das Anerbieten Ihrer Hand haben Sie Ihr Zartgefühl hinsichtlich unsrer Familie beruhigt, und können ohne Gewissensbisse Besitz von Longbourn nehmen, so bald es Ihnen zufällt. Diese Sache wäre also abgemacht.«
Bei den letzten Worten war sie aufgestanden und wollte das Zimmer verlassen, als Collins sie zurückhielt.
»Sobald ich wieder die Ehre haben werde, über diesen Gegenstand mit Ihnen zu sprechen, hoffe ich eine günstigere Antwort zu erhalten, als mir jetzt zu Theil geworden, obgleich ich weit davon entfernt bin, Sie der Grausamkeit zu beschuldigen. Ich weiß, daß es bei Ihrem Geschlecht zur festen Regel geworden ist, die Anträge eines annehmlichen Mannes zum ersten Mal abzuweisen, und erkenne, daß Ihre Antwort so viel Hoffnung enthalten hat, als der weiblichen Delikatesse zu geben erlaubt ist.«
»In der That, Herr Collins!« rief Elisabeth mit einiger Wärme, »Sie quälen mich unbeschreiblich. Wenn meine Antwort Ihnen als Aufmunterung erschienen ist, weiß ich warlich nicht, wie ich mich ausdrücken soll, um Ihnen meine Gesinnungen begreiflich zu machen.«
»Ich schmeichele mir, verehrte Cousine! daß Ihre Verweigerung nur pro forma gewesen ist, und das aus folgenden Gründen. Erstlich halte ich das Anerbieten meiner Hand und meines Herzens Ihrer Annahme nicht unwürdig, indem ich mir bewußt bin, Ihnen dadurch ein wünschenswerthes Loos zu bereiten. Meine Verhältnisse, meine Verbindungen mit der Familie von Bourgh und meine Verwandscht mit der Ihrigen sind Umstände, die sehr zu meinem Gunsten sprechen. Zweitens muß ich bemerken, daß Sie, trotz Ihrer mannigfachen Vorzüge, wegen des mangelnden Vermögens, vielleicht nicht oft Gelegenheit haben werden, den ernstlichen Absichten eines heiratsfähigen Mannes zu begegnen. Deshalb habe ich Grund zu vermuthen, daß Ihre erste Verweigerung meiner Hand nicht wörtlich genommen werden darf, und daß Sie, dem Gebrauch junger eleganter Damen zu Folge, meine Liebe nur durch Hindernisse zu steigern gesonnen sind.«
»Ich aber versichere auf mein Wort,« erwiederte Elisabeth, »daß ich nicht gesonnen bin, den Gebrauch junger eleganter Damen nachzuahmen und einen rechtschaffenen Mann zu quälen. Ich danke Ihnen nochmals, und recht von Herzen für die mir zugedachte Ehre, die ich aber unmöglich annehmen kann, da sie meinen Gefühlen in jeder Hinsicht widerspricht. Kann ich mich deutlicher ausdrücken? Betrachten Sie mich nicht als eines jener eleganten weiblichen Wesen, die nur darauf ausgehen, einen ehrlichen Mann zu plagen, vielmehr als ein bloß vernünftiges Geschöpf, das Ihnen die Wahrheit so schonend wie möglich zu sagen wünscht.«
»Sie sind unwiderstehlich!« rief er mit dem Ausdruck unbeholfener Galanterie; »und ich bin überzeugt, daß mein Antrag seine Wirkung nicht verfehlen wird, sobald ich erst die ausdrückliche Einwilligung Ihrer verehrten Eltern dazu erhalten habe.«
Einer solchen beharrlichen Selbsttäuschung wußte Elisabeth nichts mehr entgegen zu setzen. Sie schwieg und verließ das Zimmer, fest entschlossen sich an ihren Vater zu wenden, falls Collins fortfahren sollte, ihre wiederholte Verneinung als schmeichelhafte Aufmunterung zu betrachten. Das kräftige, bestimmte Nein des Vaters konnte wenigstens nicht für weibliche Affektation und Coquetterie gehalten werden.
Mrß. Bennet ließ dem Bewerber nicht lange Zeit, über den glücklichen Erfolg seines Antrages nachzudenken: denn kaum hörte sie Elisen die Thüre öffnen und raschen Schritts die Treppe hinanlaufen, als sie wieder in das Zimmer trat und sich und Herrn Collins in den wärmsten Ausdrücken Glück zu der erfreulichen Aussicht ihrer nähern Verwandschaft wünschte. Der Vetter empfing und erwiederte die Glückwünsche mit selbstgefälliger Freude, und berichtete, dann die Details der Unterhaltung, mit welchen er sehr zufrieden zu sein versicherte, indem er die abschlägige Antwort seiner schönen Cousine einzig und allein auf Rechnung weiblicher Bescheidenheit und Delikatesse setzte.
Diese Nachricht erschreckte Mrß. Bennet; sie kannte ihre Tochter zu gut, um an der Wahrheit ihrer Versicherung zu zweifeln, und konnte nicht umhin, den Bewerber darüber aufzuklären. »Aber verlassen Sie sich auf mich Herr Collins,« fügte sie hinzu, »daß Lizzy zur Vernunft gebracht werden soll. Ich werde gleich selbst mit ihr sprechen. Sie ist ein halsstarriges, albernes Mädchen, das seinen eignen Vortheil nicht kennt; aber ich will ihr ihn schon begreiflich machen.«
»Verzeihen Sie mir die Unterbrechung, Madame!« rief Collins in einiger Angst; »aber wenn Miß Elisabeth wirklich so halsstarrig und albern ist, wie Sie sie schildern, möchte ich es selbst bezweifeln, ob sie eine wünschenswerthe Gefährtin für einen Mann in meinen Verhältnissen ist. Sollte sie deshalb fortfahren, meinen Antrag zu verwerfen, so halte ich es für rathsam, sie nicht zur Annahme desselben zu zwingen, indem sie bei solchen Fehlern des Charakters keineswegs geeignet sein würde, meine Glückseligkeit zu erhöhen.«
»Sie mißverstehen mich gänzlich,« rief Mrß. Bennet alarmirt. »Lizzy ist bloß halsstarrig in solchen Dingen, sonst aber das gutmüthigste Geschöpf auf Erden. Ich gehe sogleich zu meinem Mann, die Sache abzumachen.«
Ehe Collins hierauf erwiedern konnte, hatte sie schon das Zimmer verlassen.
»Ach, liebster Bennet!« rief sie beim Eintreten in sein Heiligthum, »wir bedürfen Deines Beistandes. Du mußt Elisen sagen, daß sie Herrn Collins heirathet; sie besteht darauf, ihn nicht zu nehmen, und wenn sie sich noch lange besinnt, möchte der Umstand eintreten, daß er sie nicht will.«
Bennet erhob den Blick von seinem Buch, als sie hereintrat, und hörte ihr mit dem Ausdruck der höchsten Gemüthsruhe zu. »Ich habe nicht das Vergnügen, Dich zu verstehen,« sagte er, nachdem sie geendet. »wovon sprichst Du eigentlich?«
»Von Herrn Collins und von unsrer Elisabeth. Lizzy erklärt, daß sie Herrn Collins nicht haben will, und Herr Collins fängt jetzt auch an zu sagen, daß er Lizzy nicht haben will.«
»Und was kann ich dazu thun? es scheint mir eine hoffnungslose Sache zu sein.«
»Sprich mit Lizzy. Sage ihr, daß sie ihn heirathen soll.«
»Sie soll kommen; ich werde ihr meine Meinung sagen.«
Mrß. Bennet zog die Klingel, und Elisabeth ward in die Bibliothek zu ihrem Vater beschieden.
»Komm näher, Kind!« sagte er, als sie hereintrat. »Ich habe über wichtige Gegenstände mit Dir zu sprechen. Ist es wahr, daß Herr Collins Dir einen Heirathsantrag gemacht?« Elisabeth bejahte – »und daß Du diesen Antrag abgewiesen?«
»So ist es, mein Vater!«
»Sehr wohl. Wir kommen nun zu dem Hauptpunkt. Deine Mutter besteht darauf, daß Du Herrn Collins heirathen sollst.«
»Ja, oder ich will Dich nie wieder sehen.«
»Eine unglückliche Alternative steht Dir, meine arme Elisabeth! bevor. Von diesem Tage an wirst Du einem Deiner Eltern entsagen müssen; – Deine Mutter will Dich nie wieder sehen, wenn Du Herrn Collins nicht heirathest, und ich verbanne Dich aus meinem Angesicht, wenn Du ihn heirathest.«
Elisabeth konnte ein Lächeln über diesen Schluß der Verhandlung nicht unterdrücken; Mrß. Bennet aber, die fest auf den Beistand ihres Gatten gerechnet hatte, rief im Gefühl bitterer Täuschung:
»Was sollen diese Reden bedeuten? Du versprachst mir ja, darauf zu bestehen, daß Lizzy den Vetter heirathen sollte.«
»Meine Liebe,« entgegnete Herr Bennet ruhig, »ich muß Dich um zwei Gefälligkeiten ersuchen. Erstlich daß Du mir bei dieser Gelegenheit den freien Gebrauch meines Verstandes, und zweitens den ungestörten Besitz meiner Stube erlauben mögest. Ich wünsche mein Studirzimmer so bald als möglich wieder für mich allein zu haben.«
Mrß. Bennet konnte sich, trotz des verweigerten Beistandes ihres Gatten, doch noch nicht entschließen, die Sache aufzugeben. Sie wendete bei Elisen abwechselnd Bitten und Drohungen an, suchte Johannen für ihr Interesse zu gewinnen; aber alles vergebens. Lizzy blieb fest bei ihrem Vorsatz, und Johanne verweigerte mit der größten Freundlichkeit ihre Einmischung.
Herr Collins stellte unterdessen in der Einsamkeit Betrachtungen über das so eben Vorgefallene an. Er hatte eine zu gute Meinung von sich selbst, um den wahren Grund, weshalb ihn seine Cousine verworfen, zu ahnen; und obgleich sein Stolz etwas beleidigt war, litt er doch übrigens nicht. Seine Neigung bestand nur in der Einbildung, und die Möglichkeit, daß Elise der Mutter Vorwürfe verdienen könnte, ließ kein Bedauern in ihm aufkommen.
In diesem Augenblick allgemeiner Verwirrung betrat Charlotte Lukas das Haus, um den Tag bei ihrer Freundin zuzubringen. Lydia begegnete ihr auf dem Vorsaal, und flüsterte ihr zu:
»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Hier giebts nichts als Spektakel! Stellen Sie Sich vor, daß Herr Collins Elisen einen Heirathsantrag gemacht, und daß sie ihn nicht angenommen hat!«
Ehe Charlotte noch darauf antworten konnte, kam Kitty und erzählte dieselbe Neuigkeit; und beim Eintreten in das Frühstückszimmer, woselbst sich Mrß. Bennet allein befand, ward sie mit Klagen über Elisens Eigensinn empfangen. Nachdem das Mutterherz sich entledigt, forderte sie die Freundschaft auf, ihre Rechte geltend zu machen, und beschwor Charlotten, alles zu versuchen, um Lizzy ihren Wünschen willfährig zu machen.
Die ältern Schwestern traten so eben herein und ersparten der Freundin die Antwort. Nochmals versuchte die Mutter auf gutem und bösem Wege ihren Zweck zu erreichen; Elisabeth erwiederte nur wenig, erklärte sich aber so bestimmt, daß selbst Herrn Collins der letzte Hoffnungsstrahl geschwunden sein würde, wenn er die Unterredung mit angehört hätte. Aber er kam erst nach dem Schluß derselben und Lizzy eilte, der letzten mütterlichen Erklärung aus dem Wege zu gehen. Johanne und Kitty folgten ihr bald nach; Lydia aber war entschlossen, die Sache mir anzuhören, und schien deshalb Mrß. Bennets Blicke und Winke nicht zu verstehen. Charlotte sah sich noch durch Herrn Collins zurückgehalten, dessen höfliche Fragen nach jedem einzelnen Gliede ihrer Familie sie erst beantworten mußte. Nachdem dieß geschehen, zog sie sich mit Lydien in eine Fenstervertiefung zurück, und Mrß. Bennet begann im klagenden Ton:
»Ach! Herr Collins!«
»Lassen Sie uns, verehrte Mr. Bennet! für immer über diesen Gegenstand schweigen. Fern sei es von mir, mich durch das Betragen Ihrer Tochter beleidigt zu fühlen. Ergebung in unvermeidliche Uebel ist unsrer Aller Pflicht; und vor allen die Pflicht eines jungen Mannes, der wie ich so glücklich gewesen ist, früh ein Amt zu erhalten. Auch hat der Zweifel, ob ich durch die Hand meiner schönen Cousine an häuslicher Glückseligkeit gewonnen haben würde, vielleicht etwas dazu beigetragen, mir das Entsagen leichter zu machen. daß ich meine Ansprüche an Miß Elisabeths Hand zurücknehme, ohne vorher um Ihre und Herrn Bennets Fürsprache gebeten zu haben, werden Sie hoffentlich nicht als Mangel an Respekt betrachten. Ich habe allerdings darin gefehlt, die abschlägige Antwort von Ihrer Tochter Lippen, anstatt von den Ihrigen zu empfangen. Aber als Menschen sind wir alle des Irrthums fähig, und ich kann mich nur mit der guten Absicht entschuldigen. Ich hatte gehofft, mir eine liebenswürdige Lebensgefährtin zu sichern, indem ich durch diese Wahl zu gleicher Zeit der übrigen Familie einen Ersatz für die zukünftige Beschränkung ihrer Umstände zu geben gedachte. Wenn meine Verfahrungsweise hierbei tadelhaft gewesen sein sollte, bitte ich mir zu verzeihen. Der Wille war gut.«
So weit war die Verhandlung über Herrn Collins Antrag zu Ende, und Elisabeth hatte nur noch durch seine Gegenwart und durch die häufigen Anspielungen ihrer Mutter zu leiden. Er selbst drückte seine Gefühle weder durch Verlegenheit oder Niedergeschlagenheit, noch durch Vermeidung ihrer Gesellschaft aus; sondern einzig durch vermehrte Steifheit und Schweigen gegen sie. Er sprach gar nicht mehr mit ihr; und alle die kleinen zarten Aufmerksamkeiten, die er ihr bis jetzt zu beweisen bemüht gewesen, wurden nun Miß Lukas zugewendet, deren Höflichkeit und geduldiges Anhören seiner langen Reden der ganzen Familie, und besonders Elisen große Erleichterung gewährte. Man hatte gehofft, ihn nach dieser Katastrophe früher scheiden zu sehen, aber er war entschlossen bis zum Sonnabend zu bleiben, wie es gleich anfänglich bestimmt gewesen.
Nach dem Frühstück schlug Lydia einen Spaziergang nach Meryton vor, um Erkundigungen über Herrn Wickham's Zurückkunft einzuziehen und ihm, falls sie ihn sehen sollte, ihr Bedauern über seine Abwesenheit vom letzten Ball zu erkennen zu geben. Er begegnete den Damen am Eingang des Städtchens und begleitete sie zu ihrer Tante, woselbst der Ball und alles was dahin gehört, ausführlich besprochen wurde. Gegen Elisen äußerte er halb laut, ›daß er sich die Entsagung selbst aufgelegt, indem er es für besser gehalten, Herrn Darcy nicht in dem engen Raum eines Ballsaals zu begegnen, da er nicht für sich einstehen könne, und doch um keinen Preis eine unangenehme Scene hätte herbeiführen mögen.‹
Sie pries seine Vorsicht und fand auf dem Rückweg Gelegenheit, die Sache weitläuftiger mit ihm zu besprechen, da er, nebst noch einem andern Officier, die Damen nach Longbourn zurückbegleitete. Diese Artigkeit gewährte, außer der Annehmlichkeit seiner Unterhaltung, noch den Vortheil, ihn ihren Eltern vorstellen, und dadurch im Hause einführen zu können.
Gleich nach ihrer Zurückkunft bekam Johanne einen Brief aus Netherfield. Der Umschlag enthielt einen zierlich gepreßten, von einer leichten Damenhand beschriebenen Briefbogen. Elisabeth bemerkte, daß ihre Schwester beim Durchlesen desselben die Farbe wechselte, und mit besonderer Aufmerksamkeit auf einigen Zeilen ruhte; und obgleich Johanne sich bald wieder faßte, und mit ihrer gewohnten Heiterkeit an dem allgemeinen Gespräch Theil zu nehmen versuchte, konnte Elisabeth dennoch ihre Angst nicht bemeistern, so daß selbst Wickham keine aufmerksame Zuhörerin mehr an ihr fand. Kaum hatten sich die Herren entfernt, als die Schwestern hinauf in ihr Zimmer eilten.
»Der Brief ist von Caroline Bingley,« sagte Johanne, »sein Inhalt hat mich sehr in Erstaunen gesetzt. Die ganze Gesellschaft hat Netherfield verlassen und ist jetzt auf dem Weg nach London. Von Wiederkommen ist nicht die Rede. Doch Du sollst selbst hören.«
Der Anfang enthielt die Nachricht ihrer schleunigen Abreise, dann hieß es:
»Außer Ihrer Gesellschaft, meine theuerste Freundin! lasse ich nichts in Hertfordshire zurück, woran ich mit Bedauern und Sehnsucht denken werde. Und bis ein günstiges Geschick uns wieder zusammenführt, und uns Gelegenheit giebt, jene schönen Stunden des Beisammenseins noch ein Mal zu wiederholen, möge eine ununterbrochene Correspondenz den Schmerz der Trennung versüßen.«
Diese hochtrabenden Versicherungen entlockten Elisen ein spöttisches Lächeln, und wenn gleich durch die unerwartete und schnelle Abreise der Bingley'schen Gesellschaft nicht minder in Erstaunen gesetzt wie ihre Schwester, sah sie doch in diesem Vorfall nichts Beklagenswerthes. daß der Bruder sich durch die Abwesenheit seiner Schwestern abhalten lassen sollte, nach Netherfield zurückzukehren, schien ihr nicht wahrscheinlich; und die Entbehrung ihrer Gesellschaft würde Johanne in der Seinigen minder schmerzlich empfinden.
»Es ist allerdings zu bedauern«, sagte sie nach einer kurzen Pause, »daß Du Deine Freunde nicht noch ein Mal hast sehen können, bevor sie diese Gegend verließen. Wir wollen uns indessen mit der Hoffnung trösten, daß die schöne Zeit des Beisammenseins, welche Miß Bingley in der Ferne sucht, früher, als sie erwartet, zurückkehren, und daß ein günstiges Geschick Euch bald als Schwestern zusammenführen möge. Bingley wird sich gewiß nicht durch seine Schwestern in London zurückhalten lassen.«
»Caroline erklärt aber ganz bestimmt, daß Keiner von ihnen diesen Winter nach Hertfordshire zurückkehren wird. Höre was sie darüber schreibt:
›Als mein Bruder uns gestern verließ, meinte er, das Geschäft, welches ihn in die Stadt berief, in drei bis vier Tagen beendigen zu können; da wir aber überzeugt sind, daß er hierzu eine längere Zeit bedarf, haben wir beschlossen, ihm dorthin nachzufolgen, um ihm die Unannehmlichkeit zu ersparen, seine freien Stunden allein in seiner Wohnung zubringen zu müssen. Viele meiner Bekannten sind schon nach London zurückgekehrt; ich wünschte Sie, meine theure Freundin, unter diese Zahl rechnen zu können, sehe aber leider keine Aussicht dazu. Ich hoffe, daß Sie Ihre Weihnachten in Hertfordshire fröhlich begehen werden, und daß die Anzahl Ihrer beaux hinreichend genug ist, Sie über den Verlust der drei, die wir Ihnen entzogen haben, zu trösten.‹
Du siehst daraus«, sagte Johanne »daß er diesen Winter nicht hieher zurück kommen wird.«
»Ich sehe nur daraus, daß Miß Bingley sein Zurückkommen nicht wünscht.«
»Was könnte ihr dieser Wunsch helfen? Er ist ja sein eigner Herr und Herr seiner Handlungen. Aber Du weißt noch nicht alles; ich will kein Geheimniß vor Dir haben, und Dir auch die Stelle vorlesen, die mich am tiefsten gekränkt hat.
Herr Darcy brennt vor Begierde, seine Schwester wieder zu sehen, und auch wir verlangen sehr nach ihrer Gesellschaft. Georgine Darcy findet nirgends ihres Gleichen an Schönheit, Zierlichkeit und Bildung; sie ist wahrhaft liebenswürdig, und Louise und ich schmeicheln uns mit der angenehmen Hoffnung, sie bald als Schwester begrüssen zu können. Ich weiß nicht, ob ich schon früher über diesen, für mich so wichtigen Gegenstand mit Ihnen gesprochen habe; auf jeden Fall will ich diese Gegend nicht verlassen, ohne Sie darüber zur Vertrauten gemacht zu haben, und Sie werden meine Wünsche begreiflich finden. Mein Bruder verehrt Georginen außerordentlich, und die häufige Gelegenheit, sie im häuslichen Kreise zu sehen, wird diese Verehrung sehr bald in Liebe verwandeln. Was Carl betrifft, so hoffe ich nicht bloß die Partheilichkeit einer Schwester zu verrathen, wenn ich behaupte, daß er ganz dazu gemacht ist, ein weibliches Herz zu fesseln. Bei allen diesen günstigen Umständen und fehlenden Hindernissen werden Sie, meine theure Johanne! mir gewiß vollkommen Recht geben, wenn ich mich zu den schönsten Hoffnungen berechtigt halte.
Was sagst Du zu dieser Nachricht, meine liebste Lizzy?« fragte Johanne, nachdem sie mit Lesen geendet. »Ist sie nicht deutlich genug? Spricht sie es nicht unumwunden aus, daß sie weder wünscht noch hofft, mich je als Schwester zu begrüssen; daß sie von ihres Bruders Gleichgültigkeit gegen mich vollkommen überzeugt ist, und dieß alles vielleicht nur gesagt hat, um mich zu warnen, mein Gefühl für ihn nicht allzu mächtig werden zu lassen. Kannst Du ihre Worte anders deuten?«
»Sie wünscht sie allerdings auf diese Weise von Dir gedeutet zu wissen; doch wenn Du meine Meinung hören willst, sollst Du gleich eines Andern belehrt werden. Miß Bingley sieht, daß ihr Bruder auf dem besten Wege ist, sein Herz in Longbourn zu verlieren und dieß kann sie nicht zugeben, weil sie ihn für Miß Darcy bestimmt hat. Sie folgt ihm in die Stadt nach um ihn dort festzuhalten, und versucht unterdessen, Dich davon zu überzeugen, daß Du ihm ganz gleichgültig seist.«
Johanne schüttelte schweigend den Kopf.
»Ja, so ist es,« fuhr Elisabeth fort. »Wer Euch zusammen gesehen hat, kann an seiner Meinung nicht zweifeln; und Miß Bingley ist klug genug, dieß zu bemerken. Hätte sich Darcy ihr nur halb so viel genähert, wie Bingley Dir, so würde sie die hochzeitlichen Gewänder schon bestellt haben. Aber wir sind ihr nicht reich und vornehm genug; und sie hofft, wenn nur erst die Heirath mit ihrem Bruder und Miß Darcy zu Stande gebracht ist, die zweite alsdenn weit leichter bewerkstelligen zu können – was vielleicht auch möglich wäre, wenn Miß von Bourgh ihr nicht im Wege stünde. Doch weil Miß Bingley Dir erzählt, daß ihr Bruder Miß Darcy höchlichst bewundert und sie nächstens lieben wird, kannst Du Doch unmöglich glauben, daß seine Gesinnungen sich seit vorigen Dienstag so urplötzlich verändert haben sollten?«
»Wenn ich Carolinen so beurtheilte, wie Du,« entgegnete Johanne, »würde mich Deine Ansicht sehr beruhigen; aber ich weiß, daß Du ihr unrecht thust. Caroline ist nicht fähig, irgend Jemand geflissentlich zu betrügen, und so muß ich eher glauben, daß sie in dieser Sache selbst betrogen worden ist.«
»Ganz recht. Du hättest keinen glücklichern Gedanken fassen können, da Du nun ein Mal entschlossen bist, meine Ansicht zu verwerfen. Halte Miß Bingley immerhin für den betrogenen Theil; so hast Du Dein Gewissen beruhigt und kannst sie ohne Bedenken fortlieben, wie Du es bisher gethan.«
Johanne äußerte noch manche Besorgnis über das Unerklärliche der schnellen Abreise Bingley's ohne vorhergegangenen Abschied; über die Ungewißheit seiner Zurückkunft, und über die mögliche Erfüllung des Wunsches seiner Schwestern; doch Elisabeth kannte das gläubige Gemüth Johannens, und wußte es durch mancherlei Trostgründe zu beruhigen. Sie kamen darin überein, die Mutter nur von der Abreise der Familie, und nicht von den übrigen Mittheilungen in Kenntniß zu setzen. Mrß. Bennet bedauerte es unendlich, daß die Damen jetzt gerade hätten Netherfield verlassen müssen, wo sie alle auf dem besten Wege gewesen wären, genauer mit einander bekannt zu werden. Nachdem sie ihren Klagen freien Lauf gelassen, suchte sie sich mit der Versicherung zu trösten, daß Bingley doch wenigstens allein zurückkehren und dann eine Mittagsmahlzeit in Longbourn einnehmen würde – das bewußte Familienmahl, wozu sie ihn schon früher eingeladen hatte und welches sie in Gedanken höchst splendid und reich einrichtete.
Die Familie Bennet folgte den nächsten Tage einer Einladung des Sir William Lukas; und Charlotte bezeigte sich abermals so gefällig und aufmerksam gegen Herrn Collins, daß Elisabeth ihr herzlich dafür dankte. Charlotte versicherte der Freundin, dieses kleine Opfer gern zu bringen, und Elisens argloses Gemüth war weit davon entfernt, den wahren Grund ihrer zuvorkommenden Freundlichkeit zu ahnen. Wie hätte sie es auch nur für möglich halten können, daß sie damit umging, Herrn Collins in ihren eigenen Netzen zu fangen! Und wirklich waren alle Anzeichen so günstig, daß Miß Lukas, als die Gesellschaft am Abend auseinanderging, völlig überzeugt war, daß es nur eines längern Aufenthaltes in Hertfordshire bedürft hätte, um seinen Entschluß zur Reife zu bringen. Aber hierin that sie ihm unrecht: denn schon am folgenden Morgen trieb ihn das mächtig lodernde Feuer seiner Liebe nach Lukas-Lodge, um sich ihr zu Füßen zu werfen. Er hatte seine Flucht von Longbourn mit schlauer Vorsicht ausgeführt, um seinen Cousinen keinen Grund zum Verdacht zu geben. Der Vorsatz sollte nicht eher bekannt werden, als bis er ihn zugleich mit dem glücklichen Erfolg anzeigen konnte; und obgleich ihn Charlottens Betragen Veranlassung gegeben hatte, das Beste zu hoffen, so war er doch seit der Verhandlung am Freitag etwas vorsichtiger geworden. Der Empfang war höchst schmeichelhaft. Miß Lukas hatte ihn von fern kommen sehen und trat ihm jetzt, wie zufällig, vor dem Hause entgegen, nicht ahnend, welch eine Fluth von Liebe athmender Beredsamkeit ihrer wartete. –
In so kurzer Zeit, als es die langen Reden des Herrn Collins gestatteten, ward alles zur vollkommensten Zufriedenheit beider Theile abgemacht; und beim Eintreten in das Haus bat er sie dringend, den Tag zu bestimmen, der ihn zum glücklichsten Sterblichen machen sollte. Charlotten, die bei dieser Verbindung einzig und allein eine gute Versorgung vor Augen gehabt, war es ziemlich gleichgültig, wie früh oder wie spät sie dieses Ziel erreichte. So eilig, wie der Bräutigam wünschte, konnte es jedoch nicht geschehen, doch ward ihm der süße Trost gegeben, daß sein Glück nicht muthwillig oder grundlos hinausgeschoben werden sollte. Sie fühlte selbst, daß ein längerer Brautstand nur dazu dienen würde, sein einfältig linkisches Wesen in das hellste Licht zu stellen, und ihm Veranlassung zu geben, sich noch lächerlicher zu machen.
Sir William und Lady Lukas ertheilten ihre Zustimmung zu der schnell geschlossenen Verbindung mit der größten Bereitwilligkeit. Da sie ihrer Tochter nur ein geringes Vermögen mitgeben konnten, war Herr Collins schon für den gegenwärtigen Augenblick eine wünschenswerthe Parthie; und seine Aussichten auf zukünftigen Wohlstand machten sie noch annehmlicher. Lady Lukas überrechnete, wie lange Herr Bennet möglicher und wahrscheinlicher Weise noch unter den Lebenden wandeln könnte; und Sir William erklärte seinen Entschluß, sobald Herr Collins im Besitz des Longbournschen Gutes sein würde, keinen Augenblick anzustehen, sich samt seiner Gemahlin zu St. James vorstellen zu lassen. Freude herrschte in der ganzen Familie. Die jüngern Töchter schmeichelten sich mit der Hoffnung, jetzt nun ein oder zwei Jahre früher in die Welt zu treten, und die Sohne fühlten sich von der Angst, Charlotten als alte Jungfer sterben zu sehen, befreit.
Sie selbst war sehr ruhig; sie hatte ihren Zwecke erreicht, und konnte mit Muße über ihre Zukunft nachdenken. Und diese Betrachtungen fielen im Allgemeinen ziemlich befriedigend aus. Herr Collins war zwar weder geistreich noch angenehm, seine Unterhaltung langweilig und seine Liebe konnte nur in der Einbildung bestehen. Aber sein Charakter war gutmüthig, und er bot ihr eine sorgenfreie Existenz. Ohne hübsch oder reich zu sein, glaubte sie in einem Alter von sieben und zwanzig Jahren keine höhern Ansprüche machen zu dürfen.
Der schwierigste Punkt war jetzt ihrer Freundin Elisabeth, deren Urtheil und Meinung ihr über alles galt, den gefaßten Entschluß mitzutheilen. Sie fühlte, daß diese sich höchlich darüber verwundern, ja sie wahrscheinlich deshalb tadeln würde; und obgleich fest entschlossen, sich dadurch nicht in ihrem Vorhaben irre machen zu lassen, litt ihr Gefühl doch sehr durch diese vorausgesetzte Mißbilligung. Sie beschloß, Elisen selbst davon in Kenntniß zu setzen, und bat daher Herrn Collins, in Longbourn nicht zu verrathen, was sich unterdessen hier zugetragen. Mit großer Feierlichkeit legte er das Versprechen eines pflichtvollen Schweigens ab, was ihm jedoch schwer zu halten wurde, indem seine lange Abwesenheit die Neugier des weiblichen Theils der Familie im höchsten Grade erregt hatte. Er ward mit offnen Fragen über sein heimliches Entweichen und langes Außenbleiben von allen Seiten bestürmt, und mußte seine ganze Schlauheit zusammennehmen, um sich nicht zu verrathen. Doppelt schwer, da seine Eitelkeit sich nach dem Triumph sehnte, die schnelle Erwiederung seiner Liebe auszuposaunen.
Mit Anbruch des folgenden Tages wollte er die Rückreise antreten und fand denn die Ceremonie des Abschiednehmens noch am selbigen Abend Statt. Mrß. Bennet versicherte ihm mit vieler Höflichkeit, daß sich die Familie sehr freuen würde, ihn in Longbourn wieder zu sehen, sobald ihm seine Verhältnisse erlaubten, dahin zurück zu kehren.
»Ihre gütig ertheilte Erlaubniß,« entgegnete er mit einer tiefen Verbeugung, »entspricht meiner Erwartung vollkommen. Ich lebte der schönen Hoffnung, eine solche von Ihnen zu erhalten, und Sie können überzeugt sein, daß ich sobald als möglich Gebrauch davon machen werde.«
Alle sahen sich erstaunt an, und Herr Bennet, der keineswegs eine so schnelle Wiederholung des Besuchs wünschte, erwiederte:
»Nur nicht auf die Gefahr, Lady Katharine dadurch zu beleidigen. Nein, verehrtester Herr Vetter! Lieber, ihre Verwandten vernachlässigt, als ihre Gönnerin und Gebieterin.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden für diese freundschaftliche Warnung; und Sie können sich darauf verlassen, daß ich keinen so wichtigen Schritt ohne Ihrer Herrlichkeit Zustimmung thun werde.«
»Sie müssen auch sehr vorsichtig in diesem Punkt sein, und dürfen alles andere eher riskiren, als sich ihr Mißfallen zuzuziehen. Sollte sie es deshalb nicht gern sehen, wenn Sie Ihre Besuche bei uns wiederholen, so bitte ich Sie, ruhig zu Hause zu bleiben, und überzeugt zu sein, daß wir uns dadurch nicht beleidigt fühlen werden.«
»Ihre Güte und Sorgfalt, bester Herr Bennet! heischt meine wärmste Dankbarkeit, die ich Ihnen auch gleich nach meiner Zurückkunft in einem Brief auszudrücken entschlossen bin. Meinen schönen Cousinen, Miß Elisabeth nicht ausgenommen, wünsche ich von ganzem Herzen viel Gesundheit und Glück, obgleich meine Abwesenheit nicht lang genug sein wird, solche Wünsche nöthig zu machen.«
Nach gehöriger Erwiederung dieser Höflichkeit entfernten sich die Damen, nicht wenig erstaunt über die beabsichtigte Wiederholung seines Besuchs. Mrß. Bennet konnte sie nur dadurch erklären, daß sie ihn gesonnen glaubte, eine ihrer jüngern Töchter zu erwählen, von denen Marie wohl zu bereden gewesen wäre, ihn zu heirathen. Sie erkannte seine guten Eigenschaften und wußte sie zu würdigen; die Gründlichkeit seiner Betrachtungen gefiel ihr, und obgleich fest überzeugt, ihm in geistiger Hinsicht weit überlegen zu sein, glaubte sie ihn doch durch ihr Beispiel und ihre Aufmunterung zu einem angenehmen Lebensgefährten umwandeln zu können. Doch schon am andern Morgen sollten Mutter und Tochter jede Hoffnung dieser Art aufgeben; denn gleich nach dem Frühstück erschien Miß Lukas, um Elisen in einer geheimen Unterredung die Begebenheit des gestrigen Tages mitzutheilen.
Die Idee, daß Collins sich einbilden konnte, in ihre Freundin verliebt zu sein, war ihr zwar in den letzten beiden Tagen manchmal als möglich erschienen; daß aber Charlotte ihn aufmuntern sollte, kam ihr eben so unwahrscheinlich vor, als ob sie selbst ihn aufgemuntert hätte. Ihr Erstaunen deshalb bei dieser Nachricht war so groß, daß sie, die Grenzen des Dekorums überschreitend, laut ausrief:
»Versprochen mit Herrn Collins! unmöglich, liebste Charlotte – rein unmöglich!«
Die erkünstelte Ruhe, mit welcher Miß Lukas ihrer Freundin den Vorfall mitgetheilt hatte, machte durch diesen unverholenen Vorwurf einer augenblicklichen Verwirrung Platz; aber sie hatte von Elisen nicht viel weniger erwartet, und sich schnell wieder fassend erwiederte sie mit Ruhe:
»Warum so erstaunt, liebste Elisabeth? – Hältst Du Herrn Collins für unfähig, ein weibliches Herz zu besiegen, weil er nicht so glücklich war, das Deinige zu erobern?«
Elisabeth hatte sich unterdessen von ihrem Erstaunen erholt, und ihre ganze Selbstbeherrschung aufbietend, fühlte sie sich stark genug, ihr von Herzen Glück zu wünschen, und sich über die Aussicht ihrer künftigen Verwandscht zu freuen.
»Ich kann Deine Gefühle erkennen,« entgegnete Charlotte – »diese Nachricht mußte Dich nothwendig in Verwundrung setzen, da Herr Collins erst noch so kürzlich den Wunsch, Dich zu heirathen, ausgesprochen. Wenn Du aber alle Umstände genau erwogen haben wirst, hoffe ich, auf Deine Zustimmung rechnen zu dürfen. Ich gehöre und gehörte nie zu den romantischen Gemüthern, und strebe nur nach einer behaglichen Existenz. Diese hoffe ich zu erlangen; und Herrn Collins Charakter, so wie seine Verbindungen und seine Stellung im Leben gewähren mir eine so zuversichtliche Aussicht auf Glück, wie es wenige andere Heirathen thun.«
Elisabeth konnte hierauf nichts anders antworten, als: »ohne Zweifel;« - und nach einer verlegenen Pause kehrten sie zu der Familie zurück. Charlotte entfernte sich sehr bald, und Elise hatte nun Zeit über das Gehörte nachzudenken. Es dauerte lange, bis sie sich mit dem Gedanken dieser unpassenden Verbindung vertraut machen konnte. daß Collins zwei Heirathsanträge binnen drei Tagen zu machen im Stande gewesen, erschien ihr weniger wunderbar, als daß der zweite angenommen worden war. In ihren und Charlottens Ansichten über den Ehestand hatte sich immer eine große Verschiedenheit geäußert; demohngeachtet hatte sie nicht geglaubt, daß ihre Freundin in dem entscheidenden Augenblick fähig sein würde, ihr besseres Gefühl dem irdischen Vortheil aufzuopfern. Charlotte als Collins Frau war in ihren Augen ein höchst erniedrigendes Bild! – Und zu dem Gram, die theure Freundin nach dieser Handlung nicht mehr so achten zu können, wie vorher, gesellte sich die trostlose Ueberzeugung, daß sie unmöglich glücklich in der selbsterwählten Lage werden würde.
Elisabeth saß bei ihrer Mutter und ihren Schwestern in stillen Betrachtungen verloren, nicht wissend, ob sie berechtigt sei, das mitgetheilte Geheimniß weiter zu verbreiten, als Sir William als Abgesandter seiner Tochter erschien, der versa?nmelten Familie die bevorstehende Verbindung anzukündigen. Mit vielen Complimenten, und sich selbst Glück wünschend zu der erfreulichen Aussicht einer nähern Verwandscht mit dem Hause Bennet, entledigte er sich des Auftrags, und fand nicht allein ein höchst erstauntes, sondern auch ein sehr ungläubiges Publikum. Mrß. Bennet, mit mehr Beharrlichkeit als Höflichkeit, behauptete wiederholt, daß er sich hierin irre und Lydia rief in ihrer gewohnten und unüberlegten Weise:
»Großer Gott! Sir William, wie können Sie uns nur so etwas weiß machen wollen? Wissen Sie denn nicht, daß Herr Collins um Lizzy angehalten hat?«
Nur die Artigkeit eines Hofmanns vermochte ohne Zorn eine solche Behandlung zu ertragen; Sir William's feine Lebensart führte ihn aber über alles hinweg, und nachdem er dringend gebeten, seiner Nachricht Glauben beizumessen, hörte er alle ihre Unarten mit äußerster Verbindlichkeit an.
Elisabeth fühlte, daß es jetzt an ihr sei, ihn aus dieser unangenehmen Lage zu reißen; sie bestätigte daher Sir Williams Bericht durch Erzählung dessen, was ihr Charlotte selbst darüber mitgetheilt hatte, und suchte den Ausrufungen des Erstaunens ihrer Mutter und jüngern Schwestern durch den Ernst ihrer Glückwünsche ein Ende zu machen, in welche Johanne mit einstimmte. Sie fügten noch einige Bemerkungen über das in dieser Ehe zu erwartende Glück, über Herrn Collins vortrefflichen Charakter, und über die angenehme Lage Hunsfords, so wie die Nähe von London hinzu. Mrß. Bennet fühlte sich zu sehr durch diese Neuigkeit überwältigt, um viel sagen zu können, so lange Sir William noch da war; aber kaum hatte er das Zimmer verlassen, als sie ihren Gefühlen freien Lauf ließ. Zuerst beharrte sie in ihrer frühern Ungläubigkeit; dann war sie fest überzeugt, daß Herr Collins überlistet worden sei; hierauf versicherte sie, daß sie nie glücklich zusammen werden konnten, und endlich daß die Heirath schwerlich zu Stande kommen würde. Zweierlei Folgerungen zog sie aus dem Ganzen; erstlich daß Elisabeth die einzige Ursache alle dieses Unglücks sei, und zweitens daß man sie selbst sehr schlecht behandelt habe, auf welchen Behauptungen sie den Rest des Tages fest beharrte. Nichts vermochte sie zu trösten oder zu beruhigen; auch endigte ihr Unwillen nicht mit diesem einen Tage. Eine Woche verstrich, ehe sie Elisen sehen konnte, ohne sie auszuzanken; ein Monat, ehe sie wieder artig mit Sir William oder Lady Lukas reden, und mehrere Monate, ehe sie Charlotten alles vergeben konnte.
Herrn Bennets Empfindungen bei dieser Gelegenheit waren minder stürmisch und beunruhigten ihn auf keine Weise. Er freute sich vielmehr; eine neue Erfahrung gemacht zu haben, die in der Entdeckung bestand, daß Charlotte Lukas, die er bisher für eine ziemlich vernünftige Person gehalten, eben so einfältig wie seine Frau, und noch einfältiger wie seine Töchter sei!
Johanne konnte ihr Erstaunen über diese Heirath nicht ganz verbergen; doch sprach sie es nicht laut aus. Kitty und Lydia waren weit entfernt, Miß Lukas zu beneiden; denn Herr Collins war nur ein Geistlicher, und so diente ihnen diese Neuigkeit bloß als Gegenstand der Unterhaltung in Meryton.
Zwischen Elisabeth und Charlotte trat eine gewisse Zurückhaltung ein, die Beiden Schweigen über diesen Gegenstand auflegte, und Erstere fühlte, daß kein wahres Vertrauen je wieder zwischen ihnen Statt finden könnte. Sie sah sich in ihren Erwartungen von der Freundin getäuscht, und wandte sich nun mit vermehrter Zärtlichkeit ihrer Schwester zu, von deren richtigem Gefühl und Urtheil sie keine Täuschung dieser Art zu befürchten hatte. Bange Sorge für das Glück dieser geliebten Schwester erfüllte ihr Herz, da Bingley, nun bereits eine ganze Woche fort war, ohne daß man das Geringste von seiner Zurückkunft gehört hatte. Sie befürchtete keine Gleichgültigkeit von seiner Seite; wohl aber daß die vereinten Bemühungen seiner gefühllosen Schwestern und seines allmächtigen Freundes, in Verbindung mit Miß Darcy's Vollkommenheit und den verführerischen Freuden der großen Stadt, ihn in London zurückzuhalten, und seine Neigung zu schwächen im Stande sein würden.
Johanne hatte Carolinens Brief sogleich beantwortet, und zählte nun die Tage, bis sie wieder auf Nachricht von ihr hoffen konnte. Diese blieb aus; dahingegen langte der verheißene Danksagungsbrief von Herrn Collins an Herrn Bennet an, und enthielt eine so überschwengliche Fülle von Erkenntlichkeit, als ob er wenigstens ein ganzes Jahr als Gast in Longbourn gelebt hätte. Nachdem er sich dieser Pflicht entledigt, ging er auf seinen Bräutigamstand über, und sprach in Ausdrücken des Entzückens von dem Glück, Miß Charlottens Liebe gewonnen zu haben. Schließlich versicherte er, daß er hauptsächlich in Rücksicht auf die erfreuliche Aussicht, die geliebte Braut bald wieder zu sehen, Mr. Bennets gütige Einladung, nächstens zurückzukehren, angenommen hätte; und daß er Montag über 14 Tage in Longbourn eintreffen würde, da Lady Katharine nicht allein seine Wahl gebilligt, sondern auch den Wunsch, daß die Verbindung so bald als möglich stattfinden möchte, gnädigst ausgesprochen hatte, welcher Umstand seine liebenswürdige Charlotte ohne Zweifel bestimmen würde, seinen glücklichsten Tag zu beschleunigen.
Der schnell wiederholte Besuch des Vetters gewährte selbst Mrß. Bennet keine Freude mehr; im Gegentheil klagte sie jetzt lauter darüber als ihr Mann, und versicherte, daß sie es sehr sonderbar von ihm fände, nach Longbourn statt nach Lukas-Lodge zu kommen, daß alle Gäste im Hause ihr bei dem schwachen Zustand ihrer Gesundheit beschwerlich fielen, und daß besonders Liebhaber die unerträglichsten Gäste wären. Solche Klagen wechselten mit lautem Jammer über Bingley's Ausbleiben ab; und die arme Johanne, deren Herz im Stillen schon mehr litt, als irgend Jemand, Elisabeth ausgenommen, ahnete, mußte noch die unzarten Aeußerungen und Vermuthungen ihrer heftigen Mutter ertragen.
Herr Collins traf pünktlich zur bestimmten Stunde in Longbourn ein, ward jedoch dieses Mal nicht so gnädig empfangen, wie bei seinem ersten Erscheinen. Doch zu glücklich, um fremder Aufmerksamkeit zu bedürfen, schien er den Mangel derselben nicht zu empfinden; auch blieb ihm dazu wenig Zeit, indem er zur großen Erleichterung seiner Wirthe fast den ganzen Tag in Lukas-Lodge zubrachte, und oft so spät nach Longbourn zurückkehrte, daß er kaum noch seine Entschuldigung deshalb machen konnte, ehe die Familie sich zur Ruhe verfügte.
Mrß. Bennet befand sich in einem wahrhaft bejammernswerthen Zustand. Die bloße Erwähnung der Heirath oder eines dahin gehörigen Umstandes versetzte sie in die übelste Laune; und wohin sie sich wendete, hörte sie von nichts anderm sprechen. Charlottens Anblick war ihr höchst zuwider; als Nachfolgerin in ihrem Hause betrachtete sie sie mit Eifersucht und Abscheu. Jeder ihrer Besuche ward als Anmaaßung oder Hohn betrachtet; und bemerkte sie vollends, daß sie ein Paar Worte leise mit Herrn Collins sprach, so konnten diese nur den Wunsch, recht bald Besitz von Longbourn zu nehmen, enthalten. Alle ihre eigenen sanguinischen Aussichten auf künftigen Glanz und Herrlichkeit zerstört zu sehen, während ihre, sonst von der Höhe herab betrachtete Nachbarin Lady Lukas mit geschäfftiger Eile die nöthigen Vorkehrungen zu ihrer Tochter Verbindung traf, war mehr, als Mrß. Bennet mit Anstand zu ertragen vermochte, und ihre ältesten Töchter mußten es leider mit ansehen und anhören, wie sie es ohne Anstand that.
Ende des ersten Theils.