Alexander Benzion
Der blinde Zeuge
Fräulein Alliot
Der Handelsvertrag mit Gott
Der blaue Reiter
Ein Italiener aus Lucca hatte als Kaufmann in England sein Glück gemacht. Er wollte sich zur Ruhe setzen und den Rest seiner Tage im Vaterlande verbringen. Deshalb hatte er nach Lucca geschrieben, daß man ihm ein Haus einrichte; sechs Monate nach dem Datum des Briefes wollte er in der Heimat eintreffen.
In Begleitung eines französischen Dieners reiste er wirklich aus England ab, seine wertvollsten Sachen und viele Wechselbriefe mit sich führend.
Er nahm den Weg über Frankreich, verweilte mehrere Tage in Rouen und wollte von dort aus nach Paris.
Hier kam er nicht an; er blieb spurlos verschwunden. Man erinnerte sich, daß an dem Tage, da er Rouen verlassen hatte, ein furchtbares Gewitter losgebrochen war. Den Reisenden konnte es vielleicht auf einem Berge in der Nähe des Ortes Argentevil überrascht haben.
Doch kümmerte sich eigentlich niemand weiter um seinen Verbleib; denn der Italiener war in Rouen und Paris unbekannt. Erst nachdem die sechs Monate längst abgelaufen waren, und er in Lucca nicht eintraf, auch keine schriftlichen Nachrichten von sich gab, wurden seine Verwandten unruhig und schickten endlich einen Bevollmächtigten ab, um sich nach ihm zu erkundigen. Dieser verfolgte die Spuren des Verschollenen in Rouen. Sie wiesen ihn nach Paris. Dort fand er zwar, daß die Londoner Wechsel des Kaufmanns vorgewiesen und ausbezahlt waren, von ihm selbst ließ sich aber nichts entdecken, und es sprach die höchste Wahrscheinlichkeit dafür, daß nicht der Italiener, sondern ein Dritter das Geld erhoben habe.
Also mußte man vermuten, daß er von Räubern überfallen und beiseite geschafft worden war.
Der Bevollmächtigte machte beim Parlamente der Normandie eine förmliche Anzeige, und dasselbe trug dem Kriminalleutnant von Rouen auf, die nötigen Nachforschungen vornehmen zu lassen.
Der Kriminalleutnant ließ über alle Personen, die seit der Zeit des mutmaßlichen Mordes nach Rouen gekommen waren und sich dort niedergelassen hatten, genaue Erkundigungen einziehen. Ein fremder Kaufmann, von dem niemand wußte, wer er war und woher er kam, erregte den Verdacht des Beamten.
Aber er konnte ohne weiteres nicht gegen den Fremden vorgehen. Er griff deshalb zu einer etwas anrüchigen List. Er ließ eine Schuldverschreibung aufsetzen, in welcher sich der fremde Kaufmann verbindlich machte, bis zu einem gewissen Termin die Summe von 200 Kronentalern zu zahlen, widrigenfalls er sofortiger Schuldhaft sich unterwerfen wollte. Die fingierte Frist war abgelaufen, die Schuldverschreibung wurde dem angeblichen Aussteller präsentiert, der in Feuer und Flamme geriet, jede Verbindlichkeit bestritt, Schrift und Unterschrift ableugnete, aber auf Drängen des vorgeschobenen Gläubigers sofort ins Gefängnis gebracht wurde.
Bei der Verhaftnahme zeigte der Kaufmann eine befremdende Unruhe. Er bat mit ängstlicher Stimme die Gerichtsdiener, ihm zu sagen, ob die vorgebliche Schuldverschreibung die einzige Ursache sei, weshalb man ihn gefangen nehme.
Der Verdacht des Kriminalleutnants wuchs dadurch. Er ließ den Häftling vor sich führen und unterhielt sich mit ihm ohne Zeugen, ohne Beisein eines Gerichtsschreibers. Er war die Freundlichkeit selbst; und plötzlich, im vertraulichen Gespräche, sagte er dem Gefangenen: um die Schuldverschreibung solle er sich keine Sorgen machen. Er gestand ihm, daß dieselbe nur fingiert und ein Mittel gewesen sei, ihn in Haft zu bringen: Es unterliege keinem Zweifel, daß er den Italiener aus Lucca umgebracht und beraubt habe, Beweise seien vorhanden, und die Verurteilung wäre durchaus gewiß. Indessen, fügte der Beamte freundlich hinzu, solle er den Mut nicht sinken lassen, ans Leben werde es ihm nicht gehen, wenn er bereitwillig mit einem offenen Geständnis ihm entgegenkomme. Der Ermordete sei ein Ausländer gewesen, ohne Anhang in Rouen; bei gutem gegenseitigen Willen werde sich die Sache schon mit Geld schlichten lassen.
Der Gefangene war überrascht; eine solche Wendung hatte er nicht erwartet. Der Kriminalleutnant lächelte ihn so schlau und gutmütig an, die Tat war zwar entdeckt, aber er sah, es galt hier nur eine Erpressung. Mit Geld konnte er loskommen, diesen Augenblick noch; wahrscheinlich waren damit alle Weiterungen vermieden: er gestand also, daß er wirklich den Italiener ermordet habe.
In demselben Augenblick ließ der Kriminalleutnant seinen Schreiber eintreten. Er ermahnte mit gleichbleibender freundlicher Miene den Kaufmann, weiter bei der Wahrheit zu verharren, und hob ihm sanft den Arm in die Höhe, damit er den nach dem alten Gerichtsverfahren üblichen Eid schwöre, daß er nur Wahres vorbringen wolle. Aber schnell genug war dem Verhafteten die Besinnung zurückgekehrt, er erkannte die Schlinge, die man ihm gelegt. Er weigerte sich zu antworten, er erklärte, was er vorhin dem Leutnant gesagt, für falsch, durch Drohungen und Versprechungen erpreßt, er schrie, man tue ihm Gewalt an, und sagte dem Richter ins Gesicht: daß er betrügerisch und ehrenschänderisch verführe.
Da der Kriminalleutnant weder mit Güte noch durch Strenge etwas aus ihm herausbringen konnte, mußte er ihn wieder in das Gefängnis zurückschaffen lassen. Jetzt wuchs der Mut des Angeschuldigten. Seine Mitgefangenen rieten ihm, an das Parlament zu appellieren. Er legte denn auch Verwahrung gegen die ungerechte Haft ein und verklagte zugleich den Kriminalleutnant und den Gerichtsdiener wegen Fälschung, ehrenrührigen Vorgehens und willkürlicher Verhaftnahme.
Der Leutnant mußte sich vor dem Parlamente verantworten. Er konnte seine Handlungsweise weder abstreiten noch rechtfertigen, nur mit seinem guten Glauben und dem dringenden Verdachte entschuldigen. Er erhielt einen Verweis, daß er sich einer so niedrigen und einer obrigkeitlichen Person unanständigen List bedient, und den Befehl, von dem Verfahren gegen den Kaufmann abzustehen.
Indessen befahl das Parlament nicht ausdrücklich, den Verhafteten freizulassen. Infolgedessen setzte jetzt der Generaladvokat Bigot die Untersuchung fort. Er reiste von Rouen nach Paris und zog an jedem Orte, in jedem Wirtshause Erkundigungen ein. In Argentevil berichtete ihm der Richter des Dorfes, daß vor so und so viel Monaten in den Weinbergen ein menschlicher Leichnam, schon in Fäulnis übergegangen, gefunden worden sei.
Während Bigot noch in dem Wirtshause des Ortes verweilte, wo die anderen Gäste sich laut über den Vorfall unterhielten, trat ein blinder Bettler mit seinem Hunde herein, um Almosen einzusammeln. Er hörte von der Anwesenheit des Generalprokurators und den Grund derselben. Er ward nachdenkend, fragte nach einigen Umständen und erklärte dann, es werde wohl so sein, daß er von der Tat wisse und – auch den Mörder kenne.
Seine Aussage lief darauf hinaus: An dem Tage, an welchem wahrscheinlich der Italiener verschwunden, war der blinde Bettler unter Leitung seines Hundes auf der großen Straße gegangen. Eben als ein Gewitter sich entladen hatte, erreichte er die Höhe des Berges bei Argentevil. Sein Hund ward unruhig und stieß ein heiseres Bellen aus. Darauf hörte er unfern ein schwaches Ächzen. Es mußte noch jemand in der Nähe sein. Er fragte: »Was geht denn hier vor?« Eine Stimme in der Nähe antwortete: »Ich habe einen Reisegefährten bei mir, der unwohl geworden ist!« – Beruhigt war der Bettler seines Weges weiter gegangen und hatte sich nicht mehr um die Sache bekümmert.
Aber es war nur zu wahrscheinlich, daß er den Mörder auf frischer Tat betroffen hatte. Der Ort auf der Straße, welche der Italiener gezogen, das Gewitter, das Ächzen, das ängstliche Bellen des Hundes, endlich die Auffindung eines menschlichen Leichnams erhoben die Vermutung fast zur Gewißheit.
Allein der Zeuge, der den Mörder wieder erkennen sollte, war blind; er hatte ihn nie gesehen, nur ein Mal seine Stimme gehört!
Dennoch entschloß sich der Generalprokurator, den Blinden als Zeugen zu laden. Aber um die Aussage des Blinden vertrauenswürdig zu machen, mußte behutsam vorgegangen werden:
Der Zeuge ward dem Gerichte vorgeführt, und nach und nach mußten an zwanzig Personen erscheinen und in seiner Gegenwart einige Worte sagen. Sobald ein jeder gesprochen, schüttelte der Blinde den Kopf und versicherte, das sei nicht die Stimme des Mannes auf dem Berge bei Argentevil. Zuletzt ward der Angeklagte vorgeführt. Sobald er den Mund geöffnet und die ersten Worte vorgebracht, rief der Blinde aus, das sei der Rechte!
Man begnügte sich aber nicht mit der einen Probe, man stellte sie noch zweimal an, indem man andere Personen einführte, aber jedesmal erkannte der Bettler, wenn der Gefangene sprach. Diese Beweise genügten dem Parlament. Der Angeklagte ward zur Räderung verurteilt. In seiner Todesstunde legte er ein vollständiges Bekenntnis ab.
Er war der französische Diener, welcher den Italiener von London aus begleitet hatte. Das furchtbare Gewitter überraschte sie bei Argentevil; die Straße war verlassen; so weit das Auge reichte, kein Mensch zu sehen. Der Diener versetzte seinem Herrn plötzlich mehrere tödliche Stiche und plünderte ihn in aller Geschwindigkeit aus. Nachdem es geschehen, schleppte er den mit dem Tode Ringenden in die Weinberge und warf ihn dort hin. Dann kam der Blinde und fragte. Der konnte dem Mörder nicht gefährlich werden, drum schickte er ihn auch dem ersten Opfer nicht nach. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß dieser Armselige, dem der wichtigste Sinn fehlte, der Zeuge sein würde, dessen Aussage ihn zum Tod verdammte!
Zu der Zeit, da der Polenkönig Stanislaus Leszinski in Luneville residierte, trug sich eine Geschichte zu, die unterschiedlichen Gerichten Gelegenheit gab, ein wundernswertes Zeugnis von Scharfsinn abzulegen.
Der Haushofmeister des Königs nämlich, Alliot, ein aus Luneville gebürtiger, sehr angesehener aber nicht besonders begüterter Mann, war Vater von sechs Söhnen und zwei Töchtern; die ältere war dreiundzwanzig Jahre alt, aber trotz ihrer Anmut und Liebenswürdigkeit noch nicht verheiratet. Ein Freund der Familie, der sich eifrig für ihr Wohl mühte, suchte für Fräulein Alliot eine vorteilhafte Verbindung. Er wandte sich an Herrn de Pont, Rat am obersten Gerichtshof von Nancy, und schlug ihm die junge Schöne für seinen Sohn vor. De Pont war aber nicht geneigt, darauf einzugehen: das Fräulein war ihm nicht reich genug.
Bald darauf starb der Rat. Der eifrige Freund machte nun einen Versuch bei dem Sohne selbst, der noch nicht zwanzig Jahre alt war; doch auch dieser bezeugte keine Lust, die ihm vorgeschlagene Ehe einzugehen. Aber seine Angehörigen ließen es sich angelegen sein, den jungen Mann zu anderer Gesinnung zu bringen: Seiner Mutter, seinem Oheim und seinem Schwager hätte die Verbindung mit der angesehenen Familie Alliot geschmeichelt. Ihren Anstrengungen gelang es endlich, den jungen Menschen zu bewegen, nach Luneville zu gehen, um Fräulein Alliot wenigstens kennen zu lernen.
Aber auch Fräulein Alliot empfand durchaus kein Vergnügen bei dem Gedanken an eine Verbindung mit einem jungen Mann, den sie nicht kannte und nie gesehen hatte. Als sie hörte, daß de Pont ihretwegen nach Luneville kommen werde, machte sie ihrem Vater aus ihren Empfindungen keinen Hehl; der aber erklärte ihr, sie müsse den Freier sehen und, wenn er um sie anhalte, die Seine werden. Als sie sich weiterhin widerspenstig zeigte, drohte er ihr mit seinem Zorn und sperrte sie in ihr Zimmer und von der Außenwelt ab. Auch die Mutter war durchaus auf seiten des Herrn Alliot, sie sparte keine Liebkosung, um die Tochter zur Vernunft zu bringen, und drohte ihr am Ende, sie zu enterben und sie ihr ganzes Leben lang eingesperrt zu lassen. Aber die Tochter beharrte bei ihrem Widerstand.
Der betrübte Vater teilte dem König seinen Kummer mit. Stanislaus ließ die junge Dame zu sich kommen, hörte sie zuerst gütig an und versuchte sie dann zu trösten und zu überreden. Aber auch er vermochte nichts über die Eigensinnige, am Ende wurde er empfindlich und schickte sie mit den Worten fort: »Es gibt für Sie keinen anderen Ausweg, mein Fräulein, als Ihren Eltern zu gehorchen.«
Die Schöne brachte mit Tränen zehn weitere Tage in ihrer Haft zu, da fand endlich die gefürchtete Zusammenkunft statt. Der Anblick des jungen Mannes machte auf ihren stolzen Sinn keinen Eindruck, er entzündete keine Liebe, und dem unfreiwilligen Freier ging es mit ihr nicht besser. Sie schien niedergeschlagen und nahm eine geringschätzige Miene an; er blieb kühl und gleichgültig.
Kaum nach Nancy zurückgekehrt, ohne eine Werbung vorgebracht zu haben, wurde er aufs neue von seinen Verwandten gedrängt; voller Verdruß wollte er Lothringen ganz verlassen, um der verwünschten Heirat zu entgehen. Man gab sich alle Mühe, ihn von seinem Vorsatz abzubringen. Seine Mutter teilte ihm im Auftrage des Königs mit: wenn er in seinem Ungehorsam beharre, solle er das Amt seines Vaters verlieren und keine Hoffnung haben, ein anderes zu erhalten; ja, mit ewiger Verbannung und Entziehung der väterlichen Erbschaft wurde ihm gedroht. Der junge de Pont wurde am Ende mürbe und ließ sich bewegen, nach Luneville zurückzukehren. Fräulein Alliot geriet in Verzweiflung. Sie machte einen Selbstmordversuch, was ihre Familie nicht daran hinderte, auf der Verbindung mit dem reichen Werber zu bestehen. Einem Geistlichen gelang es endlich, das junge Mädchen zu überreden, so daß es sich in sein Geschick fügte.
Der Tag der Trauung kam heran. Der Erzbischof von Besançon, der König Stanislaus selbst beehrten das Fest mit ihrer Gegenwart. De Pont trat mit Fassung in die Kirche, Fräulein Alliot dagegen schwach und zitternd; kaum vermochte sie ein »Ja« zu stammeln. Die Hochzeit wurde mit königlichem Prunk auf dem Schlosse gefeiert; um Mitternacht kehrte man in das Alliot'sche Haus zurück. Man ließ, trotz allen Weinens der jungen Frau, das Ehepaar im Schlafgemach allein. Es war die seltsamste Brautnacht, die man sich denken kann. Die jungen Eheleute blieben sich fern, seufzten, klagten über die Tyrannei ihrer Eltern und Verwandten, am Ende verließ de Pont Zimmer und Haus und kam erst am nächsten Mittag wieder.
Alles was die beiderseitigen Familien auch versuchten, um die jungen Leute zu veranlassen, die Ehe wirklich zu vollziehen, schlug fehl; es ward auch nicht anders, als die junge Frau oder richtiger: Fräulein Alliot ihrem Gatten nach Nancy folgen mußte. Um dem Zusammenleben zu entgehen, entfloh sie am Ende zur Superiorin der Predigernonnen von Nancy und bat sie, sich ihrer zu erbarmen und sie ins Kloster aufzunehmen. Die Superiorin frug bei Herrn Alliot an, ob er seine Erlaubnis dazu gäbe, und am Ende entschloß sich dieser, seine Tochter wieder nach Hause zu nehmen.
Von dem Augenblick an hörte jede Verbindung zwischen ihr und ihrem Ehemann auf. Sie sah ihn nicht mehr, sie hörte nichts mehr von ihm – bis zum 3. Januar 1760, an welchem Tage Frau de Pont vor die Behörde von Toul zitiert wurde, weil ihr Gatte beantragt hatte, die Ehe für nichtig zu erklären. Nichts konnte ihr willkommener sein; sie unterstützte ihrerseits das Gesuch de Ponts. Beide erklärten eidlich, daß die Ehe nicht vollzogen sei, – wodurch allein eine Nichtigkeitserklärung möglich gemacht wurde – und da endlich die Familien müde geworden waren, den Bund erzwingen zu wollen, ging der Prozeß, so rasch es bei dem damaligen Gerichtsverfahren möglich war, seinem Ende entgegen. Da trat ein Umstand ein, der ihn sehr in die Länge ziehen sollte.
Frau de Pont, die spröde Schöne, verliebte sich zum erstenmal.
Bei einem der Feste, die König Stanislaus gab, sah sie den jungen, ritterlichen Chevalier de Beauveau. Die Blicke trafen sich, und die Herzen schlossen einen Bund. Die Familie der jungen Frau hatte gegen den Chevalier nicht das mindeste einzuwenden: sobald die Ehetrennung verkündet worden war, sollte die neue Heirat stattfinden.
Aber die Liebenden wurden des Harrens müde. Sie betrachteten sich schon als Eheleute: ihre Heirat war ja gewiß! – Das frühere Fräulein Alliot bewahrte nicht den keuschen Stolz, den sie de Pont gegenüber bewiesen hatte.
Nach einigen Monaten mußte die junge Frau ihrem Vater das Geständnis ablegen, daß sie sich Mutter fühle. Herr Alliot war vernünftig genug, jetzt nicht mehr mit Enterbung und Vaterfluch zu drohen; er empfahl die größte Vorsicht, um jedes Aufsehen zu vermeiden. Drum trieb er seine Tochter an, unter irgendeinem Vorwand nach Paris zu reisen, um dort ihre Stunde zu erwarten. Es geschah; sie mietete sich in einem stillen Quartier ein. Beauveau, davon unterrichtet und mit allem einverstanden, folgte ihr heimlich und wurde ihr Tröster und Schützer in der Hauptstadt.
Sie gebar einen Knaben, der in das Pfarregister der Madelaine unter dem Namen Basile Aimable, unehelicher Sohn von Ferdinand Jérôme de Beauveau und von Fräulein Marie Louise Alliot eingetragen wurde. Der Chevalier unterzeichnete den Taufschein als Vater.
Beauveau war offenbar nicht so vorsichtig gewesen wie der alte Alliot. Man entdeckte den Aufenthalt der jungen Frau, und kurze Zeit schon nach ihrer Niederkunft drang um Mitternacht ein Gerichtsbeamter bei ihr ein, welcher sie – trotz allen Protestierens von seiten Beauveaus – zu Protokoll vernahm und folgende Erklärung von ihr unterschreiben ließ:
Ich heiße Louise Marie Alliot und bin die Tochter des Herrn Alliot, welcher der Oberhaushofmeister des Königs Stanislaus ist. Ich bin nicht die wahre Ehegattin des Herrn de Pont, denn uns hat nichts als die Heiratszeremonie verbunden. Diese Ehe ist keine Ehe; übrigens schwebt in bezug auf sie ein Prozeß vor den Behörden von Toul.
Der Beamte entfernte sich, und Beauveau, der ahnte, was diese Protokollierung bedeuten solle, schrieb sofort folgende Urkunde:
Ich, Ferdinand Jérôme de Beauveau, verspreche vor Gott und den Menschen, und bei allem, was einem Menschen von Religion und Ehre heilig ist, daß ich Fräulein Marie Louise Alliot heiraten will, sobald die Behörden, wie rechtens, ihre angebliche Ehe mit dem Herrn de Pont für nichtig und ungültig erklärt haben. In der innigsten Überzeugung, der wir beide sind, daß sie frei ist, und nach der genausten Wahrheit haben wir in der Kirche der heiligen Maria Magdalena zu Paris unter meinem und ihrem Namen ein Kind männlichen Geschlechts taufen lassen, dem der Name Basile Aimable beigelegt wurde. Ich erkläre, daß dieses Kind das meine ist, so wie ich es auch in den Registern der Pfarrei habe verzeichnen lassen. Ich nehme noch einmal Gott zum Zeugen und alle, welche diese Urkunde lesen werden, daß es mein Wille ist, durch die Verheiratung mit der Mutter dieses Kind zu legitimieren und ihm den ihm gebührenden Stand in der Welt zu geben, wie die Gesetze der Ehre es mir gebieten, die Religion, und meine Liebe für die Mutter und für den Sohn.
So geschehen zu Paris, am 24. Januar 1760.
Der Chevalier de Beauveau.
Die Familie Beauveaus hatte aber alles Interesse daran, zu verhindern, daß Basile Aimable als eheliches Kind des Chevalier anerkannt würde. Im Hause Beauveau gab es nämlich ein Majorat, das von Sohn auf Sohn überging. War Basile Aimable legitimiert, so hatte er Anspruch auf ein sehr beträchtliches Vermögen. Drum gaben sich die Verwandten des Chevalier alle Mühe, sein Kind einer fremden Familie aufzuhalsen. Sie selbst traten nicht hervor, aber sie wußten sich zuverlässige Helfer zu verschaffen:
Larralde, ein Bürger von Paris, hatte sechs Freunde, bieder wie er selbst. Diese sechs und ihn kränkte es tief, daß ein armes, heimlich einer Ehefrau geborenes Kind der Rechte, die seine Abstammung ihm gab, verlustig gehen sollte. Sie wandten sich daher schon am Tage nach der Taufe Basiles an einen Notar und gaben vor demselben zu Protokoll: Sie hielten es für ihre Christenpflicht, sich eines armen, bei Abwesenheit des Vaters zur Welt gekommenen Knaben anzunehmen; man habe Basile Aimable fälschlich als uneheliches Kind in das Taufregister eingetragen, in Wirklichkeit sei er der Sproß einer kirchlich eingesegneten Ehe. Sie stellten darum den Antrag, daß der Bürger Larralde zum Vormund des Minderjährigen bestellt werde und den Auftrag erhielte, dem Kinde die Rechte, auf die ihm seine Geburt Anspruch gebe, zu erstreiten.
Und Larralde wurde wirklich vom Gerichte zum Vormund ernannt. Als er die Bestallung in der Tasche hatte, kümmerte er sich keinen Augenblick um seinen Schutzbefohlenen, er ließ ihn nicht in sein Haus bringen, sich ihn nicht einmal zeigen; er lernte ihn überhaupt nicht kennen. Er flog nach Toul, wo eben die letzten Verhandlungen in dem Prozeß des jungen de Pont und seiner Gattin stattgefunden hatten. In einigen Tagen sollte das Urteil erfolgen.
Larralde ließ sich vernehmen und erklärte vor Gericht, Herr de Pont und seine Frau hätten mit dem Tribunale ihr Spiel getrieben und trieben es noch: Ihre Ehe wäre in Wirklichkeit vollzogen worden, und sie hätten nur bei der Taufe ihres Kindes nicht den Namen des wirklichen Vaters angegeben, und so das Gericht betrogen.
Das geistliche Gericht von Toul, das über die Ehetrennung zu entscheiden hatte, frug bei dem Zivilgericht an, wie es mit Larraldes Berechtigung als Vormund stünde, und welches die gesetzmäßige Stellung des Kindes sei.
Larralde spielte nun ein doppeltes Spiel. Den geistlichen Richtern, die über die Gültigkeit der Ehe zu entscheiden hatten, sagte er: »Ihr müßt erklären, Herr de Pont sei nach Gesetz und Recht der Ehemann, weil er Vater ist: die Prüfung der Paterschaft steht euch ja nicht zu.«
Zu den bürgerlichen Richtern aber sprach er: »Ihr müßt Herrn de Pont für den Vater des Kindes erklären: er ist ja der Ehemann; und das Kind Basile Aimable ist sein Sohn, weil es während der Ehe geboren wurde.«
De Pont sowohl als die Geliebte Beauveaus erhoben nun, da sie beide bezweifelten, sich vor den Gerichten in Toul ein günstiges Urteil erstreiten zu können, beim Parlament in Nancy Klage gegen Larralde und verlangten, daß ihm die Eigenschaft und die Rechte eines Vormunds entzogen würden. Der Gerichtshof daselbst willfahrte ihrem Antrag; ferner verbot er dem ehemaligen Fräulein Alliot und dem Herrn de Pont, den Vorladungen des Pariser Gerichtes zu folgen, an das Larralde seinerseits sich nun gewandt hatte. So waren jetzt vier verschiedene Gerichtshöfe mit einer und derselben Angelegenheit befaßt.
Das Gericht in Paris nun, um sicher zu gehen, daß die weiteren Verhandlungen vor ihm geführt würden, ordnete die Verhaftnahme der Frau de Ponts an. Diese hörte noch zu rechter Zeit, was ihr bevorstand: sie floh in die Schweiz. Von dort aus richtete sie ein schriftliches Gesuch an den obersten Gerichtshof von Paris: man möge sie doch vor den Nachstellungen Larraldes sichern.
Nun zog das oberste Gericht die Untersuchung der ganzen Angelegenheit an sich und lud sämtliche Beteiligte vor seine Schranken. Beredt trugen der Chevalier de Beauveau und seine Geliebte den Richtern ihre Geschichte vor, sie deckten die geheimen Motive Larraldes und seiner Hintermänner auf und baten, der Gerichtshof möge der Wahrheit und dem gesunden Menschenverstand zum Siege verhelfen und zwei Menschen, die sich innig liebten, eine dauernde Verbindung ermöglichen.
Am 17. Juni 1761 wurde das Urteil gefällt. Larralde wurde seiner Stellung als Vormund enthoben und zu einer Geldstrafe verurteilt; über die Gültigkeit der Ehe aber sollte das geistliche Gericht von Toul, das zuerst mit der Sache befaßt gewesen war, entscheiden.
Dieses nun erklärte die Ehe zwischen Herrn de Pont und Fräulein Alliot für zu Recht bestehend: es sei den beiden ein Kind geboren worden, was beweise, daß die Vermählung wirklich vollzogen worden sei.
Also blieb Basile der Sohn, die Geliebte Beauveaus die Frau des Herrn de Pont.
Der Respekt vor dem Gerichtshofe ging jedoch bei dem Chevalier sowohl als bei Frau de Pont bedauerlicherweise nicht so weit, daß sie auch ihr privates Leben diesem weisen Urteil gemäß einrichteten: sie blieben zusammen, und Herr de Pont trat ihnen willig den Sohn ab, auf den er so wenig Anspruch machen konnte.
Als Paul Duhalde, der Sohn eines Juweliers zu Paris, sechzehn Jahre alt war, verlor er seinen Vater. Die Mutter ließ ihn in allem, was zur Handelswissenschaft gehört, sorgsam unterrichten. Sobald er imstande war, das Geschäft seines Vaters zu betreiben, machte er eine Reise nach Amerika.
Schon damals führte er ein Tagebuch über alles, was er vornahm: man ersah später daraus, daß er ein Gelübde getan hatte, die Hälfte des Gewinnes, den er auf der Reise machen würde, den Armen zu geben. Allein er hatte keinen Erfolg, und sein Gelübde war also nichtig.
Auf einer weiteren Reise, die er nach Madrid machte, um dort in seinem und zweier anderer Kaufleute Namen eine Anzahl Edelsteine zu verhandeln, hatte er auch kein Glück. Er kam nach Paris zurück, ohne den geringsten Gewinn erzielt zu haben. »Seit ich wieder in Paris bin«, schrieb er um diese Zeit in sein Tagebuch, »muß ich alle möglichen Widerwärtigkeiten erdulden; Freunde und Verwandte scheinen sich ein Vergnügen daraus zu machen, mich zu quälen. Ich gestehe, daß ich mir jetzt weder zu raten noch zu helfen weiß.«
In dieser melancholischen Stimmung entstand bei ihm eine der sonderbarsten Ideen, die je ein Mensch gehabt hat; er entschloß sich, einen Handelsvertrag mit dem lieben Gott abzuschließen. Er schrieb am 24. September 1719 darüber eine ordentliche Bescheinigung in seinem Tagebuch nieder: »Da ich entschlossen bin, eine Handelsgesellschaft mit Gott zu errichten, so verspreche und gelobe ich, alle die Artikel, welche hier unten folgen, aufs genaueste zu erfüllen; und zugleich verpflichte ich meine Erben, wer sie auch seien, alle diese Dinge in Erfüllung zu bringen, wenn ich sterben sollte, ehe ich selbst sie vollziehen kann.«
Das Kompagniegeschäft mit Gott, welches den Handel mit Edelsteinen bezweckte, sollte fünf Jahre dauern, vom 1. Oktober 1719 bis zum letzten September 1724.
Duhalde gab sein Vermögen auf 15 000 Livres an. Dies ganze Kapital übermachte er der Handelsgesellschaft.
Ferner begab er sich der Befugnis, während dieser fünf Jahre in eine andere Gesellschaft einzutreten, doch behielt er sich vor, sich verheiraten zu dürfen. – Aus einigen Stellen seines Tagebuchs kann man schließen, daß er damals schon Absichten auf das Mädchen hatte, das nachher seine Gattin wurde.
Endlich machte er sich verbindlich, nach Verlauf von fünf Jahren eine richtige Bilanz zu ziehen. Er wollte sein Vermögen genau berechnen, alsdann von der ganzen Summe 1) die 15 000 Livres, die er zur Eröffnung des Handels vorgeschossen habe, 2) das Vermögen seiner Frau, wenn er heiraten würde, und 3) alles, was ihm während dieser fünf Jahre durch Erbschaften zufallen würde, abziehen; »und der Überschuß,« schließt er, »wird zwischen Gott und mir geteilt.«
Nachdem er diesen Vertrag entworfen hatte, reiste er noch einmal nach Spanien. Anfangs zeigten sich für seine Geschäfte wieder keine günstigen Aussichten. Der Kardinal Alberoni, an dem er einen Beschützer gefunden hatte, fiel kurz darauf in Ungnade, und so waren auch Duhaldes Hoffnungen zunichte gemacht. Der Marquis Scotti, bei dem er nun Unterstützung suchte, verschaffte ihm den Titel eines Juweliers des Königs und der Königin.
Einige Jahre darauf eröffneten sich ihm unvermutet bessere Aussichten. Eine Doppelehe, die zwischen Gliedern der königlichen Häuser Frankreichs und Spaniens bevorstand, gab ihm Hoffnung, einen ansehnlichen Gewinn zu erzielen. Er wandte alle Mühe auf, um es dahin zu bringen, daß die Lieferung der Edelsteine und Juwelen zu diesen zwei glänzenden Vermählungen ihm übertragen würde. Weil aber zugleich ein spanischer Juwelier namens Alfuzo als sein Konkurrent auftrat, und Duhalde fürchten mußte, daß ihm dieser den Rang ablaufen möchte, so blieb ihm kein anderes Mittel, als sich mit dem Spanier zu vergleichen und mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen. Nun reiste er im Oktober 1721 mit dem erhaltenen Gelde nach Paris zurück und besorgte den Ankauf der erforderlichen Juwelen. Der Gewinn überstieg seine Erwartung.
Jetzt beschloß er, Paris nie wieder zu verlassen, und verheiratete sich im Januar 1722 mit Marie Anne von Hansy, der Tochter eines Buchhändlers. Sein Vermögen war damals auf 86 000 Livres gestiegen, abgesehen von dem Kapital, mit welchem er den Handel angefangen hatte. Die Mitgift seiner Gattin bestand aus 30 000 Livres, wovon die Hälfte zu dem gemeinschaftlichen Vermögen geschlagen wurde. In dem Ehekontrakt befand sich die Klausel, daß keines von beiden Ehegatten gehalten sein solle, für die Schulden zu stehen, die der eine oder der andere von ihnen vor der Eheschließung gemacht hätte.
Seine Mutter, die um diese Zeit starb, hinterließ Duhalde überdies eine Summe von mehr als 70 000 Livres.
Am 1. Oktober 1724 hatte – nach der Bestimmung im Tagebuch – die Handelsgesellschaft mit Gott ihr Ende erreicht. Duhalde schloß nun seine Bücher ab, machte eine genaue Inventur, zog dann eine Bilanz und berechnete den Gewinn der Gesellschaft gewissenhaft nach den bei dem Handelsvertrage aufgestellten Grundsätzen.
In dem Vermerk, den er dieser Berechnung beifügte, erklärte er, daß ein Teil von den Edelsteinen, in denen der Reingewinn der Gesellschaft angelegt wäre, in Amsterdam, der andere in Madrid liege, und nur die übrigen in seinem Hause zu finden seien. Da der Gewinn, den Gott, und in dessen Namen die Armen erhielten, zum Teil auch in den Edelsteinen bestand, die ins Ausland verschickt und eben jetzt im Preise gefallen waren, so veranschlagte er ihren Wert nicht in Geld, sondern zeigte durch eine genaue Beschreibung an, welche von diesen Juwelen den Armen gehörten. Die Edelsteine aber, die er zu Paris hatte, verteilte er in verschiedene Pakete und schrieb auf jedes derselben: »Hiervon gehört die Hälfte den Armen.« Er trug die Rechnung über den Anteil, den er Gott zugeteilt hatte, in sein Handelsbuch ein und schrieb darunter: »Unglück und Fluch komme über meine Erben – sie mögen sein, wer sie wollen – wenn sie sich unter irgend einem Vorwande weigern, die Hälfte von dem Gelde, das aus den oben angezeigten Edelsteinen gelöst werden wird, den Armen zu geben, falls Gott über mich gebieten sollte, ehe ich noch selbst mein Gelübde eingelöst habe. Sollte sich aber mein Vermögen durch außerordentliche Vorfälle so verringern, daß ich nichts als die besagte, den Armen gehörige Summe hinterließe, so soll diese doch an die Armen gezahlt werden: denn es ist fremdes anvertrautes Gut, das unter keinerlei Vorwand zurückbehalten werden darf.«
Inzwischen traf Duhalde selbst Anstalten, um den Anteil, den Gott an dem Gewinn der Handelsgesellschaft zu beanspruchen hatte, nach und nach an die Armen zu überführen. Die Almosen, welche er auf diese Art unter sie verteilte, machten eine Summe von 13 684 Livres aus, wie sich aus den Rechnungen ergab, die er aufs genauste führte. Einer armen alten Jungfer sicherte er eine Leibrente von 150 Livres zu. Das betreffende Kapital von 2400 Livres trug er in seinen Büchern so ein, als hätte die Jungfer es wirklich an ihn bezahlt; in einem Revers aber, der von ihr ausgestellt und der Almosenrechnung beigelegt worden war, fand man, daß er kein Geld von ihr empfangen, sondern ihr die Rente aus seiner Armenkasse zugeteilt hatte.
Im Januar 1725 stellte er acht Wechsel aus, jeden von 1000 Livres, die nacheinander von Jahr zu Jahr – von 1725 bis 1732 – zahlbar waren. Diese Wechsel übergab er dem Vikar seines Kirchspiels mit dem Auftrag, zur jedesmaligen Verfallzeit das Geld von ihm oder seinen Erben zu fordern und zu Almosen zu verwenden.
Noch im Jahre 1725 fiel Duhalde in eine gefährliche Krankheit. Er machte sein Testament und bemerkte darin unter anderem: man werde in seinen Büchern verschiedene Rechnungen und Nachrichten finden, welche die Armen beträfen; er bitte den Vollstrecker seines Testaments, alle diese auf die Armen bezüglichen Artikel mit der größten Peinlichkeit zu beachten und sie in ihrem ganzen Umfange auszuführen. Zwei Monate darauf starb Duhalde und hinterließ eine minderjährige Witwe und einen Sohn von dreieinhalb Jahren. Man untersuchte hierauf seine Bücher. Der Testamentsvollstrecker ließ die Vorsteher des großen Hospitals von dem Vorfall benachrichtigen und in ihrem Beisein ein Inventar über den Nachlaß aufnehmen. Man fand alles in der schönsten Ordnung. Die Summe, die Duhalde noch an die Armen zu entrichten hatte, war in seinen Büchern unter seinen Schulden eingetragen worden.
Die Vorsteher des Hospitals verlangten, Herr de la Planche, der Vormund des Kindes und der Witwe, solle die den Armen gehörige Hälfte der Edelsteine, deren Wert nach der Taxe 18 828 Livres betrug, an das Hospital ausliefern.
Der Vormund trug anfänglich bloß auf eine Ermäßigung dieser Forderung an und schloß einen Vergleich: 15 000 Livres sollte das Hospital noch erhalten; zu seiner Sicherstellung verlangte er, daß man diesen Vertrag durch einen Gerichtsbeschluß genehmigen lassen solle.
Sobald aber die Sache bei dem Gerichtsparlament anhängig war, änderte er auf einmal seine Absicht, wollte von keinem Vergleiche mehr etwas hören, sondern verlangte, daß alle von Duhalde zum Besten der Armen getroffenen Verfügungen für null und nichtig erklärt werden sollten. Zuerst machte er den Einwand: die Sache gehe überhaupt die Vorsteher nichts an, denn die Verfügung des Verstorbenen spreche nicht vom großen Hospital, sondern von den Armen überhaupt, und man müsse vermuten, Duhalde habe vorzüglich die Armen seines Kirchspiels gemeint, weil er für diese dem Vikar bereits jene acht Wechsel ausgehändigt habe. Allein der Einwand war dadurch hinfällig, daß die Gesetze des Königreichs bestimmt verordneten, jedes Vermächtnis zum Besten der Armen – wobei nicht gewisse Arme ausdrücklich genannt seien – wäre auf das große Hospital zu beziehen.
Nunmehr entwarf der Vormund eine ausführliche Denkschrift, in welcher er die Forderung der Hospitalvorsteher bestritt:
»Einen Handelsvertrag mit Gott errichten,« sagte er, »ist ein Gedanke, der schwerlich zum zweitenmal in eines Menschen Kopf entstanden ist. Man mag sich noch so sehr bemühen, dieser Idee einen religiösen Anstrich zu geben, so bleibt es doch ein wunderlicher Einfall, dessen Beweggründe der Richter zwar entschuldigen kann, aber dessen Ausführung er doch hindern muß, weil es ein Vertrag ist, den ein Vater, ein Ehemann zum offenbaren Nachteil seiner minderjährigen Gattin und seines unmündigen Kindes abgeschlossen hat.
Es sind verschiedene Gründe, um derentwillen dem Hospital jeder Anteil am Erbe abgesprochen werden muß. Fürs erste ist diese seltsame und einzigartige Verfügung ihrer selbst wegen ungültig. Fürs zweite, wenn sie auch nicht an sich schon unmöglich wäre, so war doch Duhalde nicht befugt, sie zum Nachteil seiner rechtmäßigen Erben zu treffen.
Was den ersten Punkt anlangt, so läßt sich leicht dartun, daß die Verfügung, von der die Rede ist, schon an sich nicht gültig sein kann. Soll sie als ein Vertrag mit Gott angesehen werden? Offenbar kann man mit Gott keinen Vertrag schließen; Gott kann sich zu keiner Gegenleistung verbindlich machen. Dies folgt aus dem Wesen der Gottheit selbst, deren Freiheit durch nichts eingeschränkt zu werden vermag. Jeder Vertrag muß aber gegenseitig sein, das heißt, er setzt voraus, daß eine wechselseitige Verbindlichkeit zwischen den kontrahierenden Teilen stattfinde. Aber auch Duhalde selbst ist nicht einmal zur Erfüllung einer Verbindlichkeit verpflichtet. Er hat keine formelle Vertragsurkunde unterzeichnet, und hätte er das selbst getan, so würde auch dieser Umstand dem Vertrag keine Kraft geben können, weil es überhaupt nicht in Duhaldes Macht stand, einen Vertrag mit einem Wesen einzugehen, das sich zu keiner Gegenleistung verbindlich machen kann.
Oder soll man des Testators Absicht als ein Gelübde ansehen? – Es gibt nur zwei Arten von Gelübden, das einfache und das feierliche. Ein feierliches Gelübde muß öffentlich in die Hände des geistlichen Oberen abgelegt und in einer Urkunde niedergeschrieben werden, die der Gelobende selbst unterzeichnet. Alle unsere Rechtsverordnungen fordern dies und erklären jedes Gelübde für nichtig, dem diese Sanktionierung fehlt. Das einfache Gelübde bedarf zwar dieser Formalitäten nicht; allein es muß doch auch zu Papier gebracht und von dem Gelobenden unterschrieben werden, zum Unterschied von einem bloß in Gedanken abgelegten Gelübde, welches gesetzlich zu nichts verpflichtet, weil es im Grunde weiter nichts als ein Entschluß ist, den man nach Belieben zurücknehmen kann. Das kanonische Recht sagt: Angenommen, du hättest den Vorsatz gehabt, einst das Klostergewand zu tragen, hättest aber diesen Vorsatz nicht ausgeführt, so bist du deshalb noch nicht als ein Übertreter eines Gelübdes anzusehen, sobald nur jener Vorsatz bloßer Vorsatz geblieben ist.
Überdies ist es Grundsatz, daß jedes widerrechtliche und unbesonnene Gelübde an und für sich nichtig ist, wenn es auch förmlich zu Papier gebracht und unterschrieben wäre. Das Gelübde aber, von welchem hier die Rede ist, ist offenbar widerrechtlich, denn es enthält im Grunde eine gänzliche Beraubung der rechtmäßigen Erben. »Auch dann,« sagte Duhalde, »wenn mein Vermögen durch außerordentliche Vorfälle so verringert werden sollte, daß ich nichts weiter als die besagte Summe hinterließe, soll diese doch an die Armen bezahlt werden.«
Angenommen also, Duhalde hätte, seitdem er mit Gott geteilt, durch irgend ein Unglück sein Vermögen verloren, und es wären ihm nichts als die Kleinodien übriggeblieben, die er als Eigentum der Armen ansah, so würden die letzteren den ganzen Nachlaß weggenommen haben, und Duhaldes Kind würde ohne Vermögen geblieben sein. Kann ein solches Gelübde Verbindlichkeit haben?
Ein anderer ganz unumstößlicher Grundsatz besagt, daß ein Gelübde ungültig ist, wenn die Erfüllung desselben von dem Willen eines Dritten abhängt, der berechtigt ist, sich zu widersetzen. Nach diesem Grundsatze heißt es in dem kanonischen Recht ausdrücklich: daß der Sklave ohne Erlaubnis seines Herrn, die Frau ohne Einwilligung ihres Mannes, und der Mann ohne Mitwissen seiner Gattin kein Gelübde tun könne. Duhalde gelobt den Armen die Hälfte des Gewinns, den eine Handelsgesellschaft, die er mit Gott errichtet hatte, erzielen würde. Während diese Gesellschaft noch fortbesteht, verheiratet er sich; ob sein Gelübde Bestand haben sollte, das war also von der Entscheidung der Frau abhängig.
Duhaldes Verfügung ist also, man mag sie als Vertrag oder als Gelübde ansehen, ungültig. Aber vielleicht hat sie Berechtigung, wenn sie als Legat anzusehen ist? – Man muß nur die Klausel des Testaments, die als Legat allenfalls anzusehen wäre, aufmerksam betrachten. Der Testator bezieht sich darin auf einen Handelsvertrag, dessen genaue Vollziehung er anordnet. Er verweist also den Testamentsvollstrecker an die Artikel jenes Vertrags und trägt ihm auf, sich nach ihnen zu richten. Kann nun jener erste Handelsvertrag, der, wie wir erwiesen haben, an sich ungültig und nichtig war, durch eine andere spätere Urkunde, nämlich durch das Testament, bestätigt und gültig gemacht werden? Nach der Meinung der Rechtsgelehrten ist das unmöglich: kein Mensch kann etwas bestätigen, was an sich null und nichtig ist.
Wollte man aber auch alles bis jetzt Vorgebrachte nicht anerkennen, so wäre darum die Forderung der Armen hinfällig. Duhaldes Nachlaß beträgt 150 000 Livres. Davon muß man zuerst 70 226 Livres abziehen, die er von seiner Mutter geerbt hat, und 30 000 Livres, aus welchen die Mitgift seiner Frau besteht. Von den 49 774 Livres, die nach diesem Abzug übrigbleiben, müssen wieder zwei Fünfteile abgerechnet werden, da die Edelsteine nach dem Anschlag, den Duhalde im Jahre 1724 gemacht hat, jetzt um so viel an Wert gefallen sind. Es bleiben also nur noch 29 865 Livres. Von dieser Summe gehen nun ab die sämtlichen Schulden: 8000 Livres für jene acht ausgestellten Wechselbriefe, das für die Leibrente von 150 Livres zu gunsten der alten Jungfer ausgesetzte Kapital von 2400 Livres, ferner die übrigen in den Büchern noch stehenden Schulden, die Begräbniskosten, die Ausgaben wegen Berichtigung der Erbschaftsangelegenheiten, das, was die Witwe für die Trauerkleidung und für andere Bedürfnisse nach dem Rechte vorauserhält usw. Auf diese Art geht der ganze Nachlaß auf, ohne daß etwas an das Hospital kommen kann.
Vergleicht man überdies die Forderung der Armen mit den Gesetzen der Ehe und mit den Pflichten des Ehemannes und Vaters und bedenkt man, daß Duhalde bereits 25 000 Livres an die Armen verteilt hat, so wird man gestehen müssen, daß das Opfer groß genug ist, welches der Erblasser schon gebracht hat; man wird überzeugt sein, daß Gott kein Opfer zum Nachteil der Witwe und des unmündigen Kindes verlange; und die Richter werden nicht länger anstehen, jene Verfügung für ungültig zu erklären. Wenn mehrere unserer Pflichten in Widerstreit geraten, so müssen wir diejenigen erfüllen, die uns zunächst obliegen. Liebeswerke gegen Fremde müssen allzeit den Verbindlichkeiten nachstehen, die dem Vater gegen seine Kinder und dem Ehemann gegen seine Gattin auferlegt sind.«
Dieser gründlichen Erörterung der Sache setzten die Vorsteher des Hospitals eine ebenso eingehende entgegen:
»Man findet,« sagen sie, »worauf es wesentlich ankommt, an der Person des Duhalde nicht das geringste, was ihn der freien Befugnis, über sein Vermögen zu verfügen, hätte unwürdig machen können. Er war ein Mann von gesundem Verstande, der sehr richtig urteilte, wie man aus den Eintragungen in seinem Tagebuch deutlich ersieht. Er hat seine Geschäfte immer mit großer Vorsicht und Klugheit geführt. Er war religiös, ohne ein Frömmling zu sein, dessen Schwäche gewisse Personen mißbrauchen konnten, um ihn zu übelangebrachten Liebeswerken zu bereden. In seiner Liebhaberei zu den Wissenschaften scheint er zwar veränderlich gewesen zu sein, denn er erzählt selbst in seinem Tagebuch von sich: »Ich legte mich auf das Studium der heiligen Schrift, verfaßte eine Erklärung der fünf Bücher Mosis und entwarf nach der Bibel einen Grundriß der alten Geschichte, zu dem ich Anmerkungen machte. Ich verfertigte auch ein kleines geographisches Lexikon. Endlich fing ich an, Musik zu treiben.«
Allein um dieser Veränderlichkeit willen kann man doch nicht auf Schwäche des Charakters schließen, oder man müßte denselben Vorwurf auch allen anderen machen, die sich mit mehreren Wissenschaften beschäftigen und über ganz verschiedene Materien Bücher geschrieben haben.
Wir haben berühmte und allgemein geschätzte Schriftsteller, die lateinische Klassiker übersetzt, theologische und moralische Abhandlungen geschrieben, und zugleich griechische und lateinische Grammatiken verfaßt haben.
Mit einem Wort, es findet sich kein Zug in Duhaldes ganzer Lebensgeschichte, wegen dessen man ihm die Befugnis absprechen könnte, über sein Vermögen zu verfügen, eine Befugnis, die das Gesetz jedem Bürger zugesteht, der sie vernünftig gebrauchen kann.
Der Gegenstand seiner Verfügung ist das Beste der Armen oder – was auf dasselbe herauskommt, da das Gemeinwesen die Armen zu versorgen hat – das Beste des Gemeinwesens. Eine Bestimmung mit so edlem Ziele ist unstreitig nicht nur erlaubt, sondern aller Förderung würdig. Auch verdient eine Verfügung für die Armen aus dem Grunde begünstigt zu werden, weil sie ohnehin mehr die Bezahlung einer Schuld, als ein freiwilliges Geschenk darstellt. Wir sind nur die Verwalter des Vermögens, das die Vorsehung in unsere Hände gelegt hat; die Armen haben einen Anteil daran, der ihnen von Rechtswegen zukommt. Ihnen diesen Anteil ausliefern, heißt viel eher eine Schuld abtragen, als etwas von unserem Eigentum verschenken. Die Armen sind unsere Gläubiger.
Zudem, worüber hat eigentlich Duhalde verfügt? – Nicht über sein ursprüngliches Eigentum, sondern bloß über einen erworbenen Gewinn. Er hat seinen Erben das Vermögen ganz unversehrt übermacht, das von seinen Eltern auf ihn gekommen war; seine Verfügung betraf bloß dasjenige, was er durch seinen eigenen Fleiß erworben hatte: Die Armen verlangen nur hiervon den Anteil, den ihnen der Erwerber selbst zugewiesen hat, die Erben hingegen wollen diesen Gewinn ganz behalten, obwohl doch entschieden mehr zu gunsten der Armen, als zu gunsten der Erben spricht.
Die Beweggründe, welche Duhalde zu seiner Verfügung bestimmten, sind gerecht und vernünftig. Er versprach die Hälfte des Gewinns den Armen, um sich des göttlichen Segens bei seinen Geschäften zu versichern. Und in der Tat scheint die Vorsehung selbst den Armen diese unverhoffte Hilfe zugewendet zu haben, da in den gegenwärtigen trübseligen Zeiten ihr Elend und ihre Anzahl in eben dem Verhältnis wächst, als die Zahl und die Mildtätigkeit ihrer Wohltäter abnimmt.
Unser Prozeßgegner macht darauf aufmerksam, daß Duhaldes Verfügung gesetzlich weder als Gelübde, noch als Legat, noch als irgend eine Art Vertrag Gültigkeit hat. In Wahrheit aber ist Duhaldes Wille nichts als eine Schenkung zum Besten des Gemeinwohls. Um dessentwillen ist sie nach rechtens auf alle Art zu begünstigen. Zu ihrer Gültigkeit wird nicht gefordert, daß sie schriftlich abgefaßt sei. Sie ist an keine Form gebunden; ihre Verbindlichkeit besteht, sobald der Wille dessen, der sich zu einer solchen Leistung verpflichtet, bekannt ist.
Die schlechten Zeiten, der Geldmangel, der Verfall so mancher wohlhabender Häuser waren wohl hinlängliche Veranlassungen und gewiß auch die wahren Beweggründe, durch welche Herr Duhalde zu seiner Verfügung bestimmt wurde.
Vergebens wird eingewendet, der Ursprung des den Armen zugedachten Geldes: die Handelsgesellschaft mit Gott sei ein Nichts, ein leerer Gedanke gewesen. Diese Gesellschaft bestand tatsächlich, und aus ihrer Existenz leitete ja Duhalde seine Erfolge ab!«
Mit allgemeinster Spannung wurde das Urteil erwartet, das diesen seltsamen, einzigartigen Streit schlichten sollte.
Es lautete:
»Das Testament des Duhalde und die übrigen Verfügungen desselben, auf die er sich in dem Testamente bezieht, sind nach ihrem wörtlichen Inhalt zu vollziehen. De La Planche als Vormund der Witwe und des Kindes ist also schuldig und gehalten, die von Duhalde durch ein Legat den Armen bestimmten Edelsteine den Vorstehern des großen Hospitals auszuliefern oder ihnen den wahren Wert derselben nach dem Anschlag zu bezahlen. Doch soll es statt alles dessen besagtem De La Planche, wenn er dies zuträglicher finden sollte, auch gestattet sein, durch eine Summe von 18 000 Livres, die er im Namen der Erben an das Hospital bezahlt, die Forderung zu tilgen.«
Also kam die Partei des lieben Gott zu ihrem Rechte.
In dem holländischen Städtchen M... lebte zu Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts eine bejahrte Bürgerwitwe, Frau Andrecht, in ihrem eigenen Hause, das sie mit einer Magd allein bewohnte. An Glücksgütern fehlte es ihr nicht, die sie indes mit holländischer Genauigkeit verwaltete. Während sie in der Stille die Kirche und die Armen bedachte, ging es in ihrer kleinen Wirtschaft sehr genau zu, und Gesellschaft kam in das altertümliche, behaglich ausgestattete und stets äußerst sauber gehaltene Haus wenig oder gar nicht. Durch einen Schlaganfall an der Hälfte des Körpers gelähmt, ging die Matrone auch selten aus und verließ oft wochenlang nicht ihr Zimmer. Ihre einzige Erholung war, im Frühling, wenn das Wetter beständiger wurde, in einer Kutsche nach einem vier Meilen entfernten Dorfe zu fahren, zum Besuch ihres Sohnes, der als Wundarzt daselbst wohnte. Bei diesen Ausflügen nahm sie die Magd stets mit, da sie, Anfällen unterworfen, fortwährend weiblicher Hilfsleistung bedurfte, und niemand so gut mit ihr umzugehen wußte als die treue Dienerin. Während ihrer Abwesenheit blieb das Haus verschlossen aber unbewohnt und auch nicht weiter bewacht.
Von einer solchen kleinen Reise kehrte die Witwe am 30. Juni des Jahres 17.. nach M ... zurück. Sie fand ihr Haus erbrochen, es zeigte sich gleich, daß Diebe darin gewirtschaftet, und daß mit anderen wertvollen Sachen alle ihre Kleinodien und Kostbarkeiten verschwunden waren.
Die Obrigkeit wurde sogleich in Kenntnis gesetzt, und Bürgermeister und Gericht unterzogen auf der Stelle den Tatbestand der sorgsamsten Untersuchung.
Die Frau war mit der Magd über drei Wochen fort gewesen, hatte vor der Abreise Türen und Fenster vorsichtig verschlossen, aber sich weiter um nichts gekümmert und auch ihre Nachbarn nicht gebeten, auf das Haus acht zu haben. Die Diebe hatten also anscheinend mit voller Muße an ihr Geschäft gehen können.
Auf den ersten Blick stellte sich heraus, wie die Einbrecher ins Haus gekommen waren. Aus einem hinteren Zimmer ging ein Fenster in den Garten. Es war, nach der in England und in einem Teil von Niederdeutschland üblichen Art, ein Schiebefenster, das zwei Messingstäbe von innen verschlossen hatten. Eine Glasscheibe war eingestoßen worden, die Diebe hatten so Zugang zu den Stiften gefunden, diese ausgezogen, das Fenster geöffnet und waren eingestiegen; mit den geraubten Sachen konnten sie dann durch die nach dem Garten führende Tür bequem das Haus verlassen: man fand die zwei Riegel, durch welche diese Hintertür verschlossen worden, zurückgezogen. Alle übrigen Türen und Fenster waren wohlverschlossen und so, wie man sie verlassen hatte. Die Diebe mußten mit großer Überlegung zu Werk gegangen und vor einer Überraschung nicht besorgt gewesen sein.
Ein Schrank und zwei Koffer waren erbrochen, und Gold, Silber und Kleidungsstücke entwendet. Der Gesamtwert der vermißten Gegenstände wurde auf ungefähr zweitausend holländische Gulden geschätzt.
Die Witwe war durch den Diebstahl nicht verarmt. Der größte Teil ihres Vermögens bestand – was zu jener Zeit bei Bürgersleuten wohl nur in England und Holland vorkam – in Staatspapieren, und diese wichtigen Dokumente verwahrte sie in einer besonderen eisernen Kiste. Letztere stand gewöhnlich in ihrem Schlafzimmer. Zufällig hatte sie ihr aber vor der Abreise einen andern Platz in einer abgelegenen Kammer angewiesen. Hier war sie den Blicken der Diebe glücklicherweise entgangen.
Mutmaßlich war der Diebstahl von mehreren Personen ausgeführt worden, und zwar von solchen, die im Hause und mit den Umständen der Witwe nicht unbekannt waren. Auf bestimmte Täter führte keine Spur, doch nahm man an, daß sie nicht allzu entfernt wohnen müßten. Das Haus der Witwe, in einer abgelegenen Straße befindlich, war das einzige ansehnlichere des Viertels. Ringsumher wohnten nur ärmere Leute, auch viel verdächtiges Volk – der Janhagel der Stadt.
An dem Garten hinter dem Hause, von wo aus die Diebe eingebrochen sein mußten, floß, gleichwie an den Gärten der Nachbarhäuser, der innere Stadtgraben, der schiffbar war, vorbei; nur eine dünne Dornenhecke trennte ihn vom Garten. Das nächste Haus war ein Eckhaus: eine schmale Gasse führte an ihm vorbei zu einem über das Wasser gelegten Steg. Von dem Gäßchen konnte man in den Hof des Eckhauses und von da durch Übersteigen eines Zaunes in den Garten der Witwe gelangen. Näher lag aber die Vermutung, daß die Diebe mit einem Kahne vom Wasser her gekommen waren. Dann brauchten sie nur eine kleine Leiter an das Fenster setzen und die Scheibe einzudrücken.
Die Entdeckung hatte sogleich großes Aufsehen gemacht; die ganze Nachbarschaft war auf den Beinen, und eine Menge Neugieriger stand um das Haus versammelt. Es bedurfte aller Anstrengung der Gerichtsdiener, um das Volk abzuhalten, in die Wohnung einzudringen. Dennoch war es einem aus dem Haufen, einem Bäcker, welcher der Witwe gerade gegenüber wohnte, geglückt, mit den Leuten vom Gericht hineinzugelangen, um seine Neugier zu befriedigen. Seine Bekannten erwarteten mit Ungeduld seine Rückkehr, um von ihm das zu erfahren, worüber die Gerichtsdiener, ihrer Pflicht gemäß, ein tiefes Schweigen beobachten mußten. Aber ihre Hoffnung ward getäuscht, er tat beim Herauskommen sehr geheimnisvoll, zuckte die Achseln und gab zweideutige Antworten.
Desto redseliger war ein Wollspinner, Leendert van N ..., welcher in dem erwähnten Eckhause, zunächst dem der bestohlenen Witwe, wohnte. Wo die Leute die Köpfe zusammensteckten, drängte er sich hinzu, horchte auf ihre Vermutungen und gab seine eigenen zum besten; und gar nicht undeutlich stichelte er auf gewisse Personen und Dinge. Dasselbe tat sein Weib unter ihren Nachbarinnen; ihre Stimme war noch lauter. Sie schüttelte den Kopf, nickte bedeutungsvoll dem und jenem zu und wiederholte öfters: sie werde es nicht wundernehmen, wenn die Diebe noch vor Abend ins Gefängnis gebracht würden.
Unter dem Haufen, dem ihr Mann seine Weisheit kund tat, befand sich auch ein Porzellanjude, der mit seinem Kram beständig auf den Straßen zu sehen war. Ein Bekannter zupfte den Wollspinner am Arm und flüsterte ihm zu, er möge vorsichtiger sein, der Jude sei ein Polizeispion. Aber die Warnung kam zu spät. Der Jude hinterbrachte wirklich, was er gehört, und noch am selben Vormittag wurde der redselige Wollspinner auf das Rathaus beschieden und sollte dem Bürgermeister über seine Andeutungen Rede stehen. Er zauderte, stockte, leugnete, wollte sich hinter allgemeine Vermutungen verschanzen, die er nur, wie alle seine Nachbarn, so obenhin geäußert. Der Bürgermeister ging ihm indessen scharf zu Leibe, und so entschloß er sich zu sprechen, obwohl, wie er versicherte, er gern Leute geschont hätte, die ihm nichts zuleide getan. Der Himmel sollte ihn bewahren, seine Nebenmenschen zu verleumden, und wenn er voraus gewußt, daß er vernommen würde, so hätte er lieber ganz geschwiegen. Aber er redete.
Am Ende der Gasse, in welcher der Wollspinner wohnte, war dem deutschen Posthause gegenüber, vor einigen Jahren eine kleine Schenkwirtschaft entstanden. Nikolas D ... war der Wirt. Bei den Leuten umher wurde er aber gewöhnlich nicht nach seinem Namen, sondern nur »der blaue Reiter« genannt, weil er ehemals in dem Reiterregiment des Obersten von Wackerbarth gedient, dessen Mannschaften im Volksmunde diesen Namen führten. Als er vor zwei Jahren mit seinem Regimente im Städtchen in Garnison lag, machte er die Bekanntschaft der damaligen Magd der Frau Andrecht, namens Hanne. Er heiratete sie, als die Folgen des Umgangs nicht mehr zu verbergen waren. Die Magd hatte sechs Jahre bei der alten Dame gedient und deren ganzes Zutrauen besessen. Soviel man wußte, hatte dieses Verhältnis zwischen Magd und Herrin für das Ehepaar die glückliche Folge, daß die gütige Dame ihm die Mittel gab, sich die Wirtschaft einzurichten; denn beide hatten nichts.
Es war bekannt, daß Hanne und ihr blauer Reiter, solange sie noch ein Liebespaar waren, wenig Gelegenheit hatten, sich zu sprechen. Deshalb lauerte Hanne des Abends, wenn ihre Herrin zu Bette gegangen war, an der Türe, und der blaue Reiter pflegte nie zur bestimmten Stunde zu fehlen. Zuweilen machten die Liebenden dann einen gemeinschaftlichen Spaziergang und kümmerten sich nicht sehr um das offene Haus. War das Wetter schlecht, so nahm Hanne sich wohl die Freiheit, ihren Liebhaber in die Wohnung zu führen.
Der alten Dame konnte dies nicht verborgen bleiben, und es war ihr nicht lieb. Sie ließ daher jeden Abend vor dem Zubettgehen die Haustür schließen und nahm den Schlüssel zu sich. Die Liebenden wollten natürlich auf ihre nächtlichen Zusammenkünfte nicht verzichten, und der blaue Reiter nahm nun seinen Weg durch den Hof des Wollspinners. Eines Abends hörte dieser das Klirren von Sporen; er trat eilig mit Licht an seine Hintertür und war Zeuge, wie Nikolas gerade über den Zaun in den Andrechtschen Garten stieg. Er hatte kein Arg bei dem unschuldigen Vergnügen, da er von dem Liebesverhältnis wußte. Deshalb sah er der Sache durch die Finger. Aber als die Geschichte kein Ende nehmen wollte, und der blaue Reiter Nacht für Nacht seinen Weg über den Zaun nahm, sagte er ihm geradezu: »Freund, ich habe nichts dagegen, daß Ihr eure Liebste besucht, aber ich will dadurch nicht in Angelegenheiten mit meiner Nachbarin kommen. Also laßt das Übersteigen, oder ich muß es Hannes Herrschaft sagen!«
Der blaue Reiter ging nicht mehr durch des Wollspinners Hof, und dennoch sah dieser und seine Frau bald darauf wieder die Liebenden vertraulich miteinander im Garten. Wie kamen sie zusammen? – Von der anderen Seite des Andrechtschen Hauses war der Zugang nicht möglich. Das Rätsel löste sich, als der Wollspinner entdeckte, daß bei der Witwe Garten ein Kahn anlag. Es war ein solcher, wie ihn die Reiter gewöhnlich benutzten, um Heu und Stroh aus dem Magazin zu holen; und der blaue Reiter diente damals als Bursche bei seinem Rittmeister und besorgte dessen Pferd. Mann und Frau lachten herzlich darüber, daß Liebe immer einen Weg finde, und sahen noch oft den Kahn abends an der Hecke liegen.
Der Wollspinner wußte aber noch mehr vorzubringen, das geeignet war, den blauen Reiter in verdächtigem Licht erscheinen zu lassen.
Zehn Tage etwa vor der Entdeckung des Einbruchs, als die Witwe noch auf dem Lande war, fand er eines Morgens früh an der Böschung, gerade vor seiner Nachbarin Garten, ein buntes Taschentuch. Er nahm es auf und steckte es ein, ohne sich etwas dabei zu denken. Mittags bei Tisch erinnerte er sich daran, zeigte seiner Frau das Tuch und sagte ohne Arg: »Wenn Frau Andrecht in der Stadt wäre, und Hanne noch bei ihr diente, so wüßten wir, was das zu bedeuten hat! Der blaue Reiter wäre die Nacht wieder auf Freierei gewesen und hätte sein Taschentuch verloren!« Die Frau nahm das Tuch, besah es und rief: »Potztausend, heißt Hannes Mann nicht Nikolas D...?« Der Wollspinner bejahte es. Sie wies auf das Tuch, in dessen einer Ecke die Buchstaben N. D. eingezeichnet waren. Beide dachten in den folgenden Tagen nicht an den Vorfall, bis die Entdeckung des Einbruchs natürlicherweise ihre Gedanken wieder darauf brachte.
Die Erzählung des Wollspinners, eines unbescholtenen Mannes, war schlicht und ungekünstelt. Seine Verdachtgründe, die an sich schon Eindruck auf das Gericht machten, sollten durch einen stummen Zeugen nachdrückliche Bekräftigung finden.
Bei der Untersuchung im Andrechtschen Hause hatte man auf dem Boden neben dem erbrochenen Schranke einen halbverkohlten Fidibus gefunden. Weder Frau Andrecht noch ihre Magd rauchten; und hätten sie das Papier zum Anzünden eines Lichtes gebraucht, so würde es in dem äußerst reinlichen Haushalt nimmermehr auf die Diele geworfen worden sein. Die Gerichtspersonen waren nicht mit Pfeifen gekommen, also konnten nur die Diebe den Fidibus an der Stelle haben fallen lassen.
Beim Auffalten des Papieres fand man, daß es eine Quittung über bezahlten städtischen Zoll für geistige Getränke war. Wenn ein Schenkwirt in M... solche Getränke von außerhalb empfangen wollte, war er verpflichtet, dies vorher anzumelden und den Zoll, welcher von der Stadt erhoben wurde, im voraus zu entrichten. Dafür erhielt er eine Quittung, welche ihm als Geleitschein diente. Wenn er den Vorrat im Hause hatte, so brauchte er den Schein nicht weiter, da er nötigenfalls auf die Bücher des Zollamtes Bezug nehmen konnte. Diese Zettel wurden daher von den Empfängern in der Regel nicht besonders verwahrt.
Der vorgefundene Schein war zum größeren Teile verbrannt, auch der Namen dessen, welcher den Genèvre empfangen, fehlte, aber der untere Teil des Zettels war erhalten, und darauf die Unterschrift des Zollbeamten und das Datum, wann der Schein ausgestellt worden: der 16. März des Jahres. Es war ein leichtes, mit Hilfe von Datum und Namen in den Büchern nachzuschlagen, welcher Schenkwirt an jenem Tage geistige Getränke deklariert hatte. Aus den Registern ergab sich, daß es Nikolas D ... war.
Nach einer kurzen Beratung schritt das Gericht sofort zur Verhaftung des Wirtes. Man hoffte, die Überraschung werde auf den noch jungen Mann wirken und ihn vielleicht auf der Stelle zum Geständnis bringen. Zugleich wurden seine Hausgenossen mit verhaftet, nämlich seine Frau, deren Vater – ein Mann in hohen Jahren – und deren Bruder, ein Schuhmachergesell.
Man nahm sogleich die genaueste Nachsuchung im Hause des Wirts vor. Von den gestohlenen Sachen ließ sich nichts auffinden, auch anfänglich nichts Verdächtiges. Nur fand man mehr Barschaft, als Nikolas D... in der kurzen Zeit, in der er sein Gewerbe betrieb, wohl hatte erübrigen können. Schon waren alle Winkel vergeblich durchstöbert, als ein Gerichtsdiener zwischen ein paar Schubladen eingeklemmt etwas entdeckte, was offenbar in keine Schenkwirtschaft gehörte. Es war ein feines Gedenkbüchlein. Ein solches war unter den der Witwe Andrecht entwendeten Sachen verzeichnet; und in der Tat waren mehrere Blätter mit der bekannten Handschrift der Witwe beschrieben; außerdem fand man in einer Seitentasche zwei Briefe mit ihrer Adresse. Der Fund war ungemein wichtig, aber merkwürdig erschien es, daß man außer diesem Buche nichts weiter vom Raube fand.
Die Verhafteten wurden einzeln nach der Reihe vernommen. Nikolas D... stand dem Richter mit der größten Gelassenheit Rede. Er gab zu, daß die vom Wollspinner vorgebrachte Geschichte von seiner Liebschaft ganz der Wahrheit gemäß sei, desgleichen erkannte er das gefundene Taschentuch für das seine an. Er habe dasselbe vor längerer Zeit verloren, wo, wisse er nicht; es sei ihm fortgekommen, und er habe nicht weiter danach gesucht. Als man ihm das aufgefundene Buch vorlegte, gab er es ganz unbefangen zurück und erklärte, es nicht zu kennen, es nie in Besitz gehabt zu haben, und er schüttelte ungläubig und voll Verwunderung den Kopf, als man ihm sagte, wo es gefunden worden. Wieso die zum Fidibus benützte Quittung an den Ort des Diebstahls gekommen, wußte er auch nicht zu erklären.
Seine Hausgenossen erschienen mit ebenso ruhiger Miene vor Gericht und antworteten ähnlich wie Nikolas, soweit ihre eigene Kenntnis ging. Alle drückten ihr Erstaunen darüber aus, daß jenes ihnen unbekannte Büchlein an der angegebenen Stelle sollte gelegen haben. Die junge Frau geriet in Zorn. Sie beteuerte, das sei ganz unmöglich. Noch letzten Sonnabend – ihre Verhaftung fand am Dienstag statt – habe sie das Schenkzimmer von oben bis unten gescheuert und gekehrt; alles Hausgerät sei da von der Stelle gerückt worden, und sie habe nichts diesem Buche Ähnliches gefunden. Wenn man es also wirklich dort entdeckt, so müsse es nachher hingekommen sein.
Das Verhalten der Eheleute und ihrer Hausgenossen machte im ganzen einen günstigen Eindruck auf die Richter. Ihre Ruhe schien von wirklicher Unbefangenheit, für ein gutes Gewissen zu sprechen. Dazu kam, daß man bisher von ihnen nichts Schlimmes wußte; im Gegenteil, alle vier standen im besten Rufe bei ihren Nachbarn, und in ihrer Schenke ging es ordentlich zu. Und von den eigentlich wertvollen Sachen hatte man ja nichts entdeckt. Man konnte sie allerdings in der Zwischenzeit beiseite gebracht haben; aber es waren deren viele, und solche darunter, welche leicht zum Verräter werden konnten. Wo waren sie geblieben? Es fehlte jede Spur. Und weshalb hätte der blaue Reiter gerade einen solchen Gegenstand zurückbehalten, der ihm zu nichts nützte? weshalb ihn nicht vernichtet, verbrannt?
Man hatte Indizien – noch keinen Beweis. Aber während die ganze Stadt sich mit dem Vorfall beschäftigte und in Vermutungen erging, erschien ein angesehener Bürger vor Gericht und gab folgendes zu Protokoll: Sein Gewissen dränge ihn, nicht länger etwas Wichtiges zu verschweigen. Ungern mache er Anzeige, da möglicherweise eine Person belastet scheine, die unschuldig wäre; deshalb habe er gewartet, daß die Wahrheit auf andere Weise, und ohne daß er als Denunziant auftreten müsse, an den Tag komme; da es indessen nicht geschehen, sei er gekommen, seine Bürgerpflicht zu erfüllen.
Der so sprach, war ein wohlhabender Holzhändler. Unter seinen Kunden befand sich der bekannte Zimmermann Isaak van C..., der immer mit der Zahlung warten ließ. Die Rückstände mehrten sich. Der Kaufmann drängte. Da er sich nicht länger mit leeren Versprechungen hinhalten lassen wollte, machte er Ernst und schritt zur gerichtlichen Verfolgung. Da stürzte einige Tage vor der Entdeckung des großen Diebstahls der Zimmermann zu ihm ins Haus und bat ihn, um Gottes willen nicht weiter zu gehen, sonst wecke er seine übrigen Gläubiger, und er wäre ein ruinierter Mann. »Sehet, wie man mich selbst bezahlt!« rief er, indem er einen Korb auf den Tisch setzte und ein Paar silberne Leuchter und eine silberne Kaffeekanne herausholte. »Da müßte ich, wenn es nach Recht ginge, von jemand über sechzig Gulden bekommen; aber er hat mich so lange gequält, bis ich dies Silber von ihm als Abschlag auf die Schuld angenommen habe; ich sah ein, auf andere Weise konnte ich keinen Pfennig erhalten. Nun wollte ich es bei dem Silberschmiede hier in der Stadt nicht veräußern, weil ich dann kaum halb so viel, als die Sachen wert sind, gelöst hätte, sondern warten, bis ich einmal nach Amsterdam reise. Ich will Euch das Silber so lange als Pfand lassen, bis ich mein Geld in Händen habe.«
Der Holzhändler zauderte anfänglich, das Silber statt des Geldes zu nehmen. Endlich ließ er es sich gefallen, um wenigstens einige Sicherheit für seine Forderung zu haben. Seit er nun von dem Diebstahl bei der Witwe Andrecht erfahren und die Liste der dort entwendeten Gegenstände gesehen, sei ihm ganz klar geworden, daß die Leuchter und die Kaffeekanne von dem Einbruch herrührten. Er erklärte, daß die Gegenstände zur Verfügung des Gerichts ständen. Diesem müsse er das Weitere überlassen. Er jedoch wolle keinen Verdacht gegen seinen Schuldner, den Zimmermann, ausgesprochen haben; aus dem Munde desselben werde man ja leicht vernehmen, von wem er das Silbergeschirr erhalten.
Das Gericht ließ sogleich den Korb mit dem Gerät abholen, ihn verdeckt auf den Tisch stellen und den Zimmermann Isaak van C... vorfordern.
Der kam eiligst angelaufen, und ehe man ihn noch fragte, brachte er schon seine Erklärung vor.
»Ich habe längst erwartet, meine Herren, daß man mich zitieren würde. Ich weiß auch, warum. Es tut mir wahrhaftig leid, um der Leute willen, gegen die ich zeugen muß, aber es kann nicht anders sein, und so werde ich nach Pflicht und Gewissen die Wahrheit sprechen.«
Seine Aussage ging nun dahin: Von dem Holzlieferanten gemahnt, hatte er sich genötigt gesehen, wiederum seine eigenen Schuldner zu drängen. Unter diesen stand obenan – der Schenkwirt Nikolas D..., der blaue Reiter, welcher ihm sechzig Gulden für Zimmerarbeit in seinem Laden zu zahlen hatte. Nikolas D... war vor etwa zwölf Tagen zu ihm gekommen und hatte ihn dringend gebeten, noch eine Zeitlang auf sein Geld zu warten. Als aber der Zimmermann erklärte, er könne unmöglich die Sache länger anstehen lassen, hatte er ihm auf Abschlag etwas altes Silbergerät angeboten. Der Zimmermann dachte gerade nichts Arges, aber er fragte ihn doch, wie er denn dazu käme? Der blaue Reiter erwiderte: das Silber gehöre eigentlich seinem Schwiegervater, der es vor langen Jahren aus dem Nachlaß einer alten Dame ererbt, bei welcher er lange Zeit als Kutscher gedient hatte. – Sie kamen daraufhin überein, daß der Zimmermann das Silbergeschirr für einen gewissen Preis übernehmen solle, und der Schenkwirt brachte es ihm noch denselben Abend in einem Korbe. Dabei riet er ihm, wenn er die Sachen zu Gelde machen wolle, damit nach Amsterdam zu gehen; hier am Orte wären nur Schacherer, die ihm kaum die Hälfte des Wertes bezahlen würden. Der Zimmermann fragte ihn: warum er denn nicht selbst nach Amsterdam ginge, um es dort zu verkaufen, wenn er darin Vorteil sähe? Worauf Nikolas erwiderte: »Hättet Ihr mir Zeit gelassen, würde ich es gewiß auch getan haben. Aber versprecht mir nur, daß Ihr das Silber nicht hier verhandeln wollt, ich habe dabei meine besonderen Gründe.«
Der Zimmermann war ein ebenso glaubhafter Zeuge wie der Holzhändler. Würde Nikolas D... nun noch immer zu leugnen wagen?
Neu vernommen gab er zu, daß der Zimmermann für ihn gearbeitet hätte, und daß er ihm sechzig Gulden schuldig sei. Auf die Frage, ob er eine Abschlagszahlung geleistet, antwortete er, er sei dazu noch nicht imstande gewesen. Man zeigte ihm das Silbergerät, man hielt ihm des Zimmermanns Aussage vor. Er verstummte, wurde blaß und beteuerte, von dem Silberzeug nichts zu wissen. Dabei verblieb er auch in Gegenwart des Zeugen. Man fragte ihn, warum er nicht schon längst eine Abschlagszahlung gemacht, da der Zimmermann ihn schon vor zwei Jahren dringend gemahnt habe? Er zuckte die Achseln, es sei ihm nicht möglich gewesen. Man legte ihm die Summe Geldes vor, welche bei Durchsuchung seiner Wohnung gefunden worden. Er antwortete, das Geld gehöre nicht ihm, sondern seinem Schwiegervater.
Letzteres wurde zwar durch die Aussagen seiner Mitgefangenen bestätigt; aber sie konnten auf sein Anstiften und um ihm zu helfen, sich früher schon zu dieser Angabe verständigt haben. Als man seine Verwandten einzeln vornahm, erfuhr man aber etwas Merkwürdiges: Nikolas, sagten sie, hatte vor kaum einem Vierteljahre vor ihren Augen eine Summe von zwanzig Gulden bereit gelegt und mitgeteilt, er wolle dieses Geld an den Zimmermann Isaak van C... als Abschlag zahlen. Nikolas geriet sichtlich in Verwirrung, als ihm dies seinen eigenen Worten widersprechende Zeugnis seiner Hausgenossen vorgehalten wurde. Er verlor zum ersten Male die Fassung: Ja, er müsse das zugeben; er habe die zwanzig Gulden abgezählt und seinen Hausgenossen gesagt, daß er sie dem Zimmermann bringen wolle, aber er habe es nicht getan. Er habe vielmehr das Geld gebraucht, um alte Spielschulden abzuzahlen, was seine Frau nicht hätte wissen dürfen. – Auf einer ersten wissentlichen Unwahrheit war somit der Schenkwirt ertappt. Wie wenig er aber auch in wichtigeren Dingen Glauben verdiente, sollte gar schnell vor aller Augen klar werden.
Der Zimmermann ruhte nicht, bis er den Vorwurf der Lüge, den der Angeschuldigte gegen ihn geschleudert, von sich gewälzt hatte. Er legte den Richtern ein Schuldbuch vor, von ihm selbst geführt, worin unterm 23. Juni vermerkt stand: »Der Schenkwirt Nikolas D ... hat mir dato als Abschlag die Summe von zwanzig Gulden in etwas übernommenem alten Silber gezahlt.« – Noch mehr: Die Haushälterin und der Geselle des Zimmermanns legten, vorgefordert, Zeugnis ab, daß sie zugegen gewesen, als der blaue Reiter mit dem Meister wegen Übernahme des Silberzeugs gesprochen. Und sie bekräftigten ihre Aussage durch einen feierlichen Eid.
War es denkbar, daß der Zimmermann, selbst von seinen Gläubigern aufs äußerste gedrängt, seinen Schuldner zwei Jahre lang in Ruhe gelassen haben sollte? – Zwar hatte Nikolas angegeben, daß er schon bei Eingehen des Schuldverhältnisses die Bedingung gestellt habe, daß er erst nach zwei Jahren zu zahlen brauche; aber welches Motiv sollte den Zimmermann bewegen, vorzugeben, daß er bereits zur Hälfte von seinem Schuldner befriedigt worden, während dieser leugnete, auch nur einen Pfennig gezahlt zu haben?
Gegen den Schenkwirt sprach alles, sein Leugnen hatte allen Schein wider sich. Seine eigene Frau, sein Schwiegervater, sein Schwager bekundeten, daß er von einer Abzahlung zu ihnen gesprochen. Er selbst mußte es eingestehen. Und zwanzig Gulden Spielschulden von einem gemeinen Reiter gemacht, der überdies nicht einmal die Leute bei Namen kennen wollte, denen er das viele Geld gezahlt! Er habe sie, sagte er, im Freien oder in Bierhäusern getroffen. Er konnte keinen einzigen zitieren lassen, auf daß sie die Richtigkeit seiner Angaben bekundeten.
Der blaue Reiter ward aus der Bürgerhaft in das Kriminalgefängnis gebracht. Da er trotz der eingehendsten Befragung nicht bekennen wollte, trug der Bürgermeister als öffentlicher Anwalt darauf an, daß er »vermittelst Pein und Banden zum Bekenntnis seiner mutmaßlichen Missetat zu bringen sei«: er sollte auf die Folter gestreckt werden. Die Richter berieten noch einmal und entschieden einstimmig nach dem Antrage.
Die ganze Stadt war in lebhafter Spannung. Bei weichen Seelen regte sich das Mitleid. Doch war man allgemein der Ansicht, der Schenkwirt werde die Qualen nicht überstehen und schon beim ersten Grade der Folterung bekennen.
Alle Vorbereitungen zur Tortur waren für den nächsten Tag getroffen, als mit der Post von Rotterdam folgender Brief an das Gericht einlief:
»Bevor ich vom Lande abfahre und mich dahin begebe, wo weder das Gericht in M ... noch das Kriegsgericht der Garnison mich einholen können, will ich die vier Unschuldigen retten, welche jetzt in M... in Verhaft sitzen. Man hüte sich, die vier Personen – den Schenkwirt, seine Frau, deren Vater und Bruder – wegen eines Verbrechens zu bestrafen, dessen sie nicht schuldig sein können. Wie die Sache des Zimmermanns mit der ihrigen zusammenhängt, kann ich nicht erraten. Ich habe davon zu meiner großen Verwunderung gehört. Indessen mag letzterer selbst nicht ganz unschuldig sein. Möge der Richter doch diesen Wink wohl beherzigen! Es könnte ihn nachher gereuen, denselben in den Wind geschlagen zu haben! Man kann die Mühe sparen, meine Spur aufzusuchen. Ist der Wind zu unserem Vorteil, so sitze ich bereits, wenn dieser Brief gelesen wird, wohlbehalten in England.
Joseph Christian Rühler,
gewesener Korporal bei der Kompagnie von Le Long.«
Das Gericht nahm gern die Gelegenheit wahr, die Folterung aufzuschieben. Der Brief konnte auf Wahrheit beruhen. Eine Kompagnie unter dem Kapitain Le Long lag als Garnison im Städtchen; in derselben hatte wirklich ein Korporal jenes Namens gedient, war aber schon seit einigen Wochen aus seinem Quartier verschwunden und desertiert. Bis jetzt waren alle Nachforschungen vergeblich gewesen. Das Gericht ermittelte, daß der Korporal Rühler gerade seit dem Abend vor Ermittelung des Diebstahls vermißt wurde; am Mittag war er noch gesehen worden.
Aber eine neue Entdeckung machte plötzlich alle Vermutungen hinfällig, zu denen der Brief Anlaß gegeben: Dieser ward dem kommandierenden Offizier der Besatzung vorgelegt: der Oberst erklärte auf den ersten Anblick den Brief für untergeschoben. Die Handschrift war nicht die wohlbekannte des Rühler, sie hatte gar nichts mit derselben gemein. Alle ehemaligen Kameraden des Rühler bekräftigten das; mehrere ältere Kompagnielisten, welche Rühler bestimmt geschrieben, bestätigten es auch dem Richter. So war dieser aus Rotterdam eingegangene Brief nichts weiter, als der Versuch eines unbekannten Freundes oder Komplizen der Verhafteten, die Folter von ihnen abzuwenden. Wie wäre auch Rühler, wenn er wirklich an dem Diebstahl teilgenommen, dazu gekommen, sich selbst zu verdächtigen? Wollte er den blauen Reiter und die anderen vor der Folter bewahren, würde er wohl einen falschen Namen angegeben haben. Irgendein dritter, noch unbekannter Mitschuldiger hatte also wahrscheinlich den zufälligen Umstand des Verschwindens jenes Korporals benutzt, um in seinem Namen zu schreiben und den Verdacht von den wirklich Schuldigen abzulenken, damit diese nicht gefoltert würden und im Schmerz ihre Komplizen verrieten.
Diese Ansicht war die vorherrschende. Während man sich aber mühte, dem unbekannten Briefschreiber auf die Spur zu kommen, trat unerwartet ein neuer Zeuge auf, dessen Aussage, falls sie sich als Wahrheit herausstellte, die Untersuchung in ganz andere Bahnen leiten mußte. Ein Kaufmann aus der Stadt, der mit verschiedenen Waren handelte und in der Nachbarschaft der Witwe Andrecht wohnte, war während des ganzen Prozesses auf einer Geschäftsreise in Süddeutschland gewesen. Kaum war er zurückgekehrt und hatte von der Diebstahlsgeschichte gehört, als er sich freiwillig vor Gericht meldete, um, wie er versicherte, die wichtigsten Aufschlüsse zu geben und Gefahr und Verderben von den Häuptern gewiß ganz Unschuldiger abzuwenden.
Er behauptete nun folgendes:
Ungefähr zur Zeit, da der Diebstahl bei der Witwe Andrecht geschehen sein mußte, befand er sich noch in der Stadt. Der Zimmermann Isaak van C ... ließ sich bei ihm anmelden. Er bat den Kaufmann, ihm den Kahn zu leihen, mit welchem er gewöhnlich Ballen und andere schwere Packwaren verladen lasse. Der Kaufmann hatte damals eine ansehnliche Lieferung von Fässern zu machen, sodaß er den Kahn für den Augenblick nicht gut entbehren konnte. Indessen bat Isaak sehr dringend: er brauche den Kahn nur für ein paar Nächte und wolle ihn des Morgens vor Tag und Tau prompt wieder an seinen Platz fahren. Auf die Frage, weshalb er denn den Kahn gerade des Nachts brauche? bedachte sich der Zimmermann einige Augenblicke und antwortete nach einer Pause, er müsse die Habschaft einiger Leute fortbringen, die auszögen. »Des Nachts?« fragte der Kaufmann. »Wer zieht denn des Nachts aus einer Wohnung in die andere?« – Der Zimmermann lächelte verschmitzt: »Es sind solche, die mit der ›nördlichen Sonne‹ ziehen, wie man zu sagen pflegt.« Er deutete an, daß er Leuten, die Bankrott gemacht, verhelfen wolle, fortzukommen. »Und dazu gebet Ihr Euch her?« rief der Kaufmann und verweigerte nunmehr entschieden den Kahn. Der Zimmermann lenkte schnell ein, erklärte, er habe nur gescherzt, und seine wirkliche Absicht wäre, mit seinem Gesellen in der Nacht zum Fischen auszufahren. Er habe mit seinem wahren Vorsatz nicht herausgewollt, weil er sich wohl denken könne, daß der Kaufmann nicht darauf eingehen würde, da das Fischen den Kahn immer etwas beschmutze. Auf seine fortgesetzten Bitten gestand ihm der Kaufmann endlich den Kahn zu, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß dieser des Morgens wieder an seinem Platze sei. Der Zimmermann hielt auch getreu Wort. Als der Kaufmann zu früher Stunde in sein Packhaus ging, sah er noch, wie der Zimmermann und sein Geselle den Kahn eben gebracht hatten. Sie gingen fort, ohne den Kaufmann zu bemerken. Aber es fiel diesem auf, daß sie weder Reusen noch anderes Fischergerät trugen. Er besichtigte den Kahn und mußte sich wundern, daß er inwendig ganz rein und trocken war. Wenn jemand ihn zum Fischen brauchte, was wohl vorkam, so wurde er gewöhnlich halb voll Wasser und sehr beschmutzt zurückgegeben. – Die Zimmerleute hatten den Kahn nicht an der rechten Stelle angelegt. Der Kaufmann sprang darum hinein, da entdeckte er in einer Fuge des Kahnes ein paar silberne Gabeln in Papier gewickelt. So war also doch die erste Angabe des Zimmermanns die richtige gewesen, er hatte sich dazu verstanden, bankrotten Leuten beim Wegführen ihrer Sachen zu helfen! Ärgerlich steckte der Kaufmann die Gabeln zu sich und machte sich sogleich auf den Weg nach der Wohnung Isaaks. Der Zimmermann, der Geselle und seine Haushälterin waren in der Werkstatt. Er hielt ihnen die Gabeln hin: »Das habt ihr in meiner Schute liegen lassen! Ihr habt mit den Gabeln wohl die gefangenen Fische gegessen? Wenn sie euch nur gut bekommen!«
Die drei waren sichtlich bestürzt. Sie warfen sich verstohlene Blicke zu, aber keiner vermochte eine Antwort zu geben. Die Haushälterin faßte sich zuerst. Sie stotterte: er solle nichts Böses denken, ihr Herr habe in der Nacht die Sachen von gewissen Leuten fortbringen helfen. Die Verwirrung der drei konnte sich der Kaufmann gut erklären: sie schämten sich. Aber doch wollte er wenigstens den Namen der Flüchtigen wissen. Der Zimmermann sagte, jetzt könne er sie ihm nicht nennen, späterhin solle er alles erfahren. Alle drei baten ihn flehentlich über den Vorfall zu schweigen. Er tat's, indes erkundigte er sich heimlich doch, wer wohl unter solchen Umständen aus der Stadt entwichen sein könne, ohne etwas zu erfahren. Seine Reise nach Deutschland kam dazwischen; er hatte die Sache vergessen, als er bei seiner Rückkehr den ganzen Verlauf der Diebstahlsgeschichte erzählen hörte und nun nicht daran zweifeln konnte, daß hier ein schändliches Komplott bestehe, Unschuldige anzuklagen, während die wahrscheinlich Schuldigen wohl der Zimmermann Isaak, sein Geselle und seine Haushälterin wären, dieselben, welche als Hauptzeugen gegen den blauen Reiter aufträten.
Der Kaufmann war ein unverdächtiger Zeuge, aber der Zimmermann galt bisher auch als solcher. Aussage stand gegen Aussage. Immerhin wollten die Richter nichts versäumen, um der Wahrheit zu ihrem Recht zu verhelfen. Ehe noch etwas von der Verdächtigung des Kaufmanns ins Publikum dringen konnte, wurden der Zimmermann, seine Haushälterin und sein Geselle verhaftet. Zugleich schritt man zur Haussuchung bei ihnen. Die Maßregel hatte den vollständigsten Erfolg. Man fand in dem Hause, bis auf einige Kleinigkeiten, noch sämtliche Gegenstände vor, welche gestohlen worden waren. Die Verhöre mit den drei neuen Verhafteten fielen anders aus als die mit dem blauen Reiter und den Seinen. Zwar leugneten auch sie, aber es geschah auf trotzige und verzagte Weise zugleich. Sie waren sichtlich befangen; nichts von dem edlen Freimut, welchen der Schenkwirt an den Tag gelegt. Schon im ersten Verhör kamen die grellsten Widersprüche vor. Es dauerte nicht lange, so wurden sie in ihren Antworten so verwirrt, daß sie den Faden ihrer Aussage ganz verloren und sich gegenseitig anzuklagen und zu verraten anfingen. Man drohte mit der Tortur, und sie rückten mit einigen Geständnissen heraus. Endlich gelang es den Richtern, ohne Folter ein vollständiges Bekenntnis zu erpressen.
Isaak van C..., sein Geselle und seine Haushälterin hatten den Diebstahl bei der Witwe Andrecht begangen. Mit dem Hause und dessen Einrichtung waren sie ebenso vertraut wie der blaue Reiter: Der Geselle, früher in Diensten eines anderen Meisters, hatte in dem Hause gearbeitet und kannte alle Gelegenheiten. An dem Morgen, da der Einbruch ans Licht kam, hatten Meister und Geselle sich unter die neugierige Menge gemischt, um zu vernehmen, welche Gerüchte sich wohl verbreiteten. Der Geselle hatte unter anderem gehört, wie des Wollspinners Frau unverhohlen ihren Verdacht gegen den blauen Reiter aussprach und geradezu sagte: ehe ihr Mann noch vom Rathause zurück wäre, würde man sehen, daß die Gerichtsdiener den blauen Reiter holen gingen. Er berichtete das hocherfreut seinen Mitschuldigen, und die drei faßten den Plan, alles zu tun, um den Verdacht gegen den Schenkwirt zu steigern.
Der Geselle war gleich darauf in den Laden des blauen Reiters getreten, um einen Schnaps zu trinken. Er forderte Feuer, seine Pfeife anzuzünden. Als der Wirt ging, um das Kohlenbecken zu holen, nahm er die Gelegenheit wahr, um das Büchlein der Witwe Andrecht, welches er zu dem Zwecke bei sich trug, zwischen zwei Schubladen zu klemmen. Es gelang, und die Folgen stellten sich ganz so ein, wie die Bösewichter erwartet; das Haus ward untersucht, das Buch gefunden, und in den Augen der Leute mußte des blauen Reiters Schuld dadurch für erwiesen gelten.
So war denn jeder Anlaß behoben, Nikolas D ... und die Seinen noch länger im Gefängnis schmachten zu lassen; sie wurden in Freiheit gesetzt.
Aber völlig aufgeklärt war der Fall damit und mit der Verurteilung des Zimmermanns und seiner Mitschuldigen noch immer nicht. Wie kam der Fidibus in das ausgeraubte Zimmer? Wie das Taschentuch auf die Böschung vor dem Garten? Wer endlich hatte den Brief geschrieben? – Die drei neuen Gefangenen behaupteten hartnäckig, nichts von alledem zu wissen; und da sie mit ihren sonstigen Geständnissen durchaus nicht zurückhielten, auch wußten, daß sie der Strafe nicht entgehen konnten, so hätten sie keine Veranlassung gehabt, diese nebensächlichen Dinge nicht auch einzuräumen. Das Gericht tappte in einem neuen Dunkel – da kam Aufklärung fürchterlicher Art.
Es meldete sich wieder ein Zeuge, der Schullehrer aus einem Dorfe, etwa eine Stunde Weges von M... Er zeigte den Richtern ein Stück Papier, worauf nur der Name »Joseph Christian Rühler« stand, und fragte, ob nicht vor kurzem von dieser Hand und mit diesem Namen unterzeichnet ein Brief an das Gericht eingelaufen sei? Bei einer Vergleichung der Schriftzüge mit denen des Schreibens aus Rotterdam fand sich, daß beide von derselben Hand herrührten. Wer war der Schreiber?
Im Wohnort des Schulmeisters befand sich ein taubstummer Jüngling, Heinrich Hechtingh, welchen die Gemeinde dem Lehrer in Pflege gegeben hatte. Es war ihm gelungen, dem Unglücklichen die Schreibkunst beizubringen, in welcher es derselbe zu einer solchen Fertigkeit gebracht hatte, daß er mittelst einer Schiefertafel, die er beständig bei sich führte, sich leicht und gut mit allen Personen unterhalten konnte. Auch schrieb er bald so schön, daß er von vielen Personen, selbst von den Ortsbehörden, zum Abschreiben gebraucht wurde. Vor einiger Zeit war ein Unbekannter ins Dorf gekommen, hatte während der Abwesenheit des Schullehrers nach dem Taubstummen gefragt – was öfters vorkam – und denselben mit sich ins Wirtshaus genommen, um sich von ihm etwas schreiben zu lassen. Der Unbekannte ließ sich ein besonderes Zimmer geben und setzte dem jungen Menschen eine Flasche Wein vor. Darauf bat er ihn vermittelst der Schiefertafel, einen Brief, den er aus der Tasche zog, in Reinschrift zu bringen. Heinrich Hechtingh tat es anfänglich ohne Arg. Indessen kam ihm doch der Inhalt des Briefes bedenklich vor, auch verriet die ganze Haltung des Unbekannten Unsicherheit und Angst. Als Hechtingh dann die Adresse auf den Brief schreiben sollte: »An den Herrn von der R., Bürgermeister von M...« weigerte er sich, und ließ sich dazu erst durch langes und dringendes Bitten des Fremden bewegen, welcher ihm darauf einen Gulden gab und ihm anempfahl, ein tiefes Schweigen zu beobachten.
Der Taubstumme fühlte sich um so mehr hierzu genötigt, als er sich wohl bewußt war, etwas Unrechtes getan zu haben. Endlich gestand er die Sache aber doch seinem Erzieher, und dieser erkannte sogleich, daß der geheimnisvolle Vorgang in Beziehung zu dem in der ganzen Gegend vielbesprochenen Kriminalfall stehen müsse. Jener Brief des Korporals war in Abschriften in der Gegend herumgegangen. Es war bestimmt derselbe, welchen sein Zögling hatte kopieren müssen. Der Schullehrer stellte auf eigene Hand eine kleine Voruntersuchung an. Er eilte zum Wirt und fragte ihn, ob er sich des Fremden entsinne, welcher vor einigen Tagen ein Zimmer und eine Flasche Wein gefordert und sich darauf mit dem Taubstummen abgeschlossen habe? Der Wirt erinnerte sich des Vorfalls, hatte aber den Mann nicht gekannt. Seine Frau kannte ihn ebensowenig, besann sich aber darauf, daß der Fremde vertraulich mit einem anderen bekannten Manne, dem Kornmüller Overblink aus der Stadt, gesprochen habe, während dieser gerade mit seinem Karren vor dem Wirtshause gehalten. Sie hatten sich beim Abschied die Hand geschüttelt und sich auch, soviel sie wußte, bei Namen genannt. Der Schulmeister begab sich auf der Stelle zum Müller Overblink und fragte ihn nach dem Manne, dem er an dem und dem Tage in seinem Dorfe vor dem Wirtshause »Zur Krone« die Hand geschüttelt; der Müller, ohne viel Bedenken, erwiderte, daß er sich des Tages, der Begegnung und des Mannes sehr wohl entsinne, und daß letzterer kein anderer als sein guter alter Bekannter, der Bäcker H ... aus der Stadt M ... sei. Der Schulmeister hatte sich augenblicklich nach dieser Auskunft, nachdem er dem Müller die tiefste Verschwiegenheit anempfohlen, vor Gericht verfügt, um diesem Meldung zu erstatten.
Welchen Beweggrund konnte der Bäcker haben, da er nicht Teil an der Sache selbst hatte, sich damit zu befassen und Briefe schreiben zu lassen, um den Verdacht von den zuerst Angeschuldigten abzulenken? War es nur Mitleid? Wußte er vielleicht um den wahren Zusammenhang der Angelegenheit? Kannte er die Unschuld des blauen Reiters? Aber weshalb ihm dann auf diese geheimnisvolle Weise helfen wollen? Wenn er selbst ohne alle Schuld war, weshalb wählte er nicht einfachere Wege? Weshalb hatte er die ängstliche Vorsicht beobachtet, einen Taubstummen als Mittler zu gebrauchen? Weshalb hatte er so große Angst dabei gezeigt? Ihm tiefe Verschwiegenheit anempfohlen? – Der Bäcker war nicht ohne Schuld, diese Überzeugung war den Richtern sogleich nach der Vernehmung des Schulmeisters und des herbeigeholten Kornmüllers Overblink geworden. Man erinnerte sich jetzt auch, daß es sich um denselben Bäcker handle, welcher an dem Morgen, da der Einbruch entdeckt wurde, mit dem Gericht in das Haus eingedrungen war. Kein anderer als er hatte ja den aus dem Zollschein gedrehten Fidibus vom Boden aufgerafft und dem Gerichtsbeamten übergeben! Sein sonderbarer Eifer war schon damals aufgefallen. War auch er in das Haus eingebrochen, unabhängig vom Zimmermann? Hatte auch er gestohlen und war von der Angst des Entdecktwerdens geplagt? – Aber alle gestohlenen Sachen waren genau aufgezeichnet und hatten sich beim Zimmermann vorgefunden!
Das Dunkel ward immer größer.
Man ließ, während noch der Schullehrer und der Müller Overblink auf dem Rathause zurückgehalten wurden, den Bäcker H ... verhaften. Auf Grund dessen, was man aus ihm herauspreßte, wurde sofort ein Verhaftsbefehl auch gegen den Wollspinner Leendert van N ... und seine Frau erlassen, dieselben, welche zuerst den Verdacht gegen den blauen Reiter ausgesprengt und dann vor Gericht eine so wohlgegründete Aussage gegen ihn abgegeben hatten. Beide mußten aber Wind bekommen haben: sie waren entflohen. Man ließ ihnen nachsetzen, und noch am selben Abend wurden sie zurückgebracht und gefänglich eingezogen.
An dem Diebstahl waren sie und der Bäcker freilich unbeteiligt; sie hatten ebensowenig eine Gemeinschaft mit dem Zimmermann und seinem Gesellen, als diese beiden mit dem blauen Reiter und dessen Verwandten. Wäre aber nicht im Andrechtschen Hause eingebrochen worden, so würde das eigene Verbrechen der neu Verhafteten wohl unentdeckt geblieben sein. Was von diesen der eine verschwieg, räumte der andere ein: in kurzem gewann so das Gericht Klarheit über die Tat, welche der Bäcker, der Wollspinner und dessen Frau verübt hatten.
Der Bäcker war ein recht guter Bekannter des nun verschwundenen Korporal Rühler gewesen; er buk das Kommisbrot für die Garnison, das Rühler von ihm in Empfang zu nehmen hatte. Der Bäcker brauchte die Künste, welche den Armeelieferanten häufig vorgeworfen wurden. Er wußte dem Teig durch fremde und schädliche Beimischungen das Gewicht zu geben, welches kontraktlich gefordert war. Der Korporal war hinter des Bäckers Schliche gekommen; statt ihn gleich zur Meldung zu bringen, hatte er ihn vor die Wahl gestellt, angezeigt zu werden oder einen guten Anteil vom Gewinst ihm selber zukommen zu lassen. Der Bäcker hatte das letztere gewählt. Aber Rühler ließ sich nicht wenig für sein Schweigen bezahlen, und der Bäcker haßte den Korporal eben so sehr, wie er ihn fürchtete. Und Rühler ließ ihn dazu noch bei jeder Begegnung das ganze Gewicht, die Macht seiner Wissenschaft fühlen. Er behandelte den Bäcker herrisch und verächtlich, er konnte ihm ja jederzeit beweisen, daß sein Brot verfälscht sei, vielleicht Giftteile enthalte, während es dem Bäcker schwer geworden wäre, glaublich darzutun, daß der Korporal von ihm Geld genommen habe und nehme.
Noch heftigere Feindschaft bestand zwischen dem Korporal und dem Wollspinner und seiner Frau. Diese letzteren hatten bis dahin für die Garnison die Lieferung von Gamaschen und anderen Kleidungsstücken gehabt, und der Korporal Rühler war Anlaß gewesen, daß ihnen dieser Verdienst entzogen wurde. Sie hatten sehr viel dadurch verloren, ein stiller Grimm kochte in ihnen, der bei Rühlers Anblick schon aufloderte. Aber der Korporal besaß die Macht, ihnen noch andere Vorteile, welche sie von der Garnison hatten, aus den Händen zu winden. Sie mußten ihre Wut unterdrücken, seine herrische Laune dulden, lächeln, freundlich scheinen, sich geehrt fühlen, wenn er zu ihnen kam.
Mit solchen Gefühlen saßen sie eines Abends – es war am 29. Juni – mit dem Korporal in ihrer niedrigen, schmutzigen Stube beim Kartenspiel. Der Bäcker war auch anwesend. Sie gerieten dabei in Streit mit Rühler. Man ward mit jedem Worte heftiger. Der lang verbissene Groll bei den Eheleuten, beim Bäcker machte sich Luft. Der Korporal erwiderte mit bitterem Hohn. Auch er ward wütend. Sie nannten sich bei den Namen, welche sie verdienten. Von Worten kam es zu Tätlichkeiten. Man schlug sich, man griff zu gefährlichen Werkzeugen. Drei Feinde für einen Gegner waren zu viel. Von hinten von dem Weibe untergefaßt, stürzte er unter den Schlägen des Wollspinners zu Boden. Der Bäcker hatte bis da mehr angehetzt, als selbst tätlich eingegriffen. Aber als zähneknirschend der blutende Rühler gräßliche Verwünschungen und Flüche gegen das ganze Pack ausstieß und schwor, er wolle sie alle schon treffen, es solle ihm keiner entkommen, am wenigsten der heimtückische Hund, der Bäcker, da trat auch dieser aus seiner Ecke hervor. Er flüsterte dem ingrimmigen Wollspinner und seinem fürchterlichen Weibe zu, jetzt sei es Zeit, dem Kerl den Garaus zu machen. An einem Soldaten mehr oder weniger sei nichts gelegen; wenn sie ihn nicht kalt machten, wären sie alle verloren!
Sie schlugen ihn tot. Aber dem noch rauchenden Leichnam gelobten sie sich, die Sache geheim zu halten und die Spuren, die zu ihrer Entdeckung führen könnten, nach Kräften zu verlöschen.
In der Mordnacht selbst hatten sie noch keinen Plan entworfen, wie sie den Leichnam fortschaffen wollten, was man aussprengen müsse, damit das Verschwinden des Korporals keinen Verdacht errege. Sie standen zu sehr noch im Banne des Geschehenen.
Am frühen Morgen waren sie wieder im Hause des Wollspinners versammelt. Da entstand Lärm auf der Straße in der nächsten Nachbarschaft. Die alte Andrecht war von ihrer Reise zurückgekehrt, sie hatte ihr Haus erbrochen gefunden, die Nachricht von dem großen Diebstahl verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Die Übeltäter standen blaß und entsetzt. Was war natürlicher, was lag näher, als daß das Gericht sofort Haussuchung in allen Nachbarhäusern dieses verdächtigen, nur von gemeinen Leuten bewohnten Winkels anstellen würde? – Des Wollspinners Haus war das allernächste, und noch waren die Dielen feucht vom Blut, und im Keller lag die Leiche des erschlagenen Korporals! Der Haussuchung mußte vorgebeugt, sie mußte zumindest so lange verzögert werden, bis man Gelegenheit gefunden, den toten Körper fortzuschaffen.
Wenn man die Untersuchung auf irgendeine Fährte brächte, damit sie am Mordhause vorüberginge? – Das Weib des Wollspinners hatte einen teuflischen Einfall, welcher sie alle zu retten schien. Zwei Dinge standen ihr vor der Seele: Der blaue Reiter war ja so oft heimlich in den Andrechtschen Garten übergestiegen, als er um die Hanne freite! Er konnte leicht verdächtigt werden! Zudem hatte er vor langer Zeit bei ihnen ein Taschentuch vergessen, welches die Frau ihm zurückzugeben nicht für nötig erachtet hatte. Beide Umstände trafen gut zusammen. Man konnte das Tuch irgendwohin legen, es – womöglich in Gegenwart von Zeugen – auffinden, und der Verdacht entstand von selbst.
Der erfinderische Geist des Bäckers kam der Frau zu Hilfe. An alledem war es nicht genug, es mußte noch ein anderes, untrügliches Zeichen die Anwesenheit des blauen Reiters im Hause der Witwe bekunden. An einem Markttage hatte der Bäcker einen Vertrag mit einem Bauer gerade vor der Schenke von Nikolas D... abgeschlossen. Er mußte mit dem Bauern abrechnen und bat den Wirt um ein Stückchen Papier. Dieser gab ihm einen alten Zollschein, auf dem noch etwas Platz war. Den Zettel hatte der Bäcker noch. Unzweifelhaft bezog er sich auf den blauen Reiter; aber unten stand nun auch der Name des Bäckers. Er ward deshalb so weit verbrannt, daß nur noch der Namen des Zollbeamten und das Datum erkenntlich blieb. Zu einem Fidibus gefalzt, warf der Bäcker, der mit Ungestüm den Gerichtspersonen in das Andrechtsche Haus folgte, den Zettel in der Stube nieder, fand ihn selbst zuerst und händigte ihn den Beamten ein. Unterdessen ließen der Wollspinner und seine Frau in der Volksmenge ihre auf den blauen Reiter zielenden Sticheleien hörbar werden, die dann dem Zimmermann so sehr zustatten kommen sollten.
So wurde das Ziel, das Wollspinner und Bäcker sich vorgesetzt, durch das Eingreifen Meister Isaaks nur zu gut erreicht.
Das Spiel ging aber weiter, als die Mörder beabsichtigt hatten. Ihr Plan war ja lediglich, die gefürchtete Haussuchung von sich abzuwenden, bis sie den Leichnam beiseite geschafft, die Blutspuren ausgewaschen hatten. Dies war geschehen; mehr verlangten sie nicht; am wenigsten, daß ein Unschuldiger, der ihnen nie etwas zuleide getan, gegen den sie keinen Groll hegten, ins Verderben gerissen werde. Das wunderbare Einwirken des Zufalls, die Auffindung des Taschentuches, die Anzeige des Zimmermannes, erfüllte sie mit einer abergläubischen Scheu, wie wenn sie finstere Mächte aufgerufen hätten, welche ihr gefährliches Spiel nun selbständig weiter fortsetzten. Der Gedanke an die Folter, welche dem blauen Reiter bevorstand, erfüllte sie mit Unruhe und Entsetzen. Sie kamen aufs neue zusammen und berieten, auf welche Weise dem Fürchterlichen am besten vorgebeugt, wie der blaue Reiter mit seinen Verwandten vor der Tortur bewahrt werden könne. Sie fielen auf das Auskunftsmittel mit dem Brief. Die Klugheit sprach dabei mit. Dadurch, daß sie den Korporal sich selbst des Diebstahls beschuldigen ließen, erweckten sie ihn von den Toten, machten ihn zum Deserteur und sicherten sich selbst vor weiteren Nachforschungen über sein Verschwinden.
Aber sie hatten zu klug gehandelt; durch zu große Vorsicht führten sie selbst die Entdeckung herbei. Hätten sie den Brief an den Bürgermeister von der Frau des Wollspinners abschreiben lassen, wozu diese sich erbot – sie reiste später selbst nach Rotterdam, um ihn dort auf die Post zu geben – so wäre schwerlich ein Verdacht gegen sie aufgekommen; die Handschrift der Bürgersfrau wäre dem Gericht kaum bekannt gewesen; aber der mit kluger Überlegung aufgesuchte Taubstumme brachte das Verbrechen ans Licht.
Der doppelte Kriminalprozeß ging nun rasch zu Ende. Das Todesurteil wurde sowohl gegen die Teilnehmer am Einbruch als gegen die Mörder ausgesprochen. So konnte die teuflische Verleumdung des blauen Reiters eine besondere Sühne nicht mehr finden. An demselben Tage, da der Zimmermann Isaak van C... nebst seinem Gesellen und seiner Haushälterin öffentlich hingerichtet wurden, erlitten auch der Bäcker H... und der Wollspinner Leendert van N... die Todesstrafe. Die Frau des letzteren war schon während der Haft gestorben. Der Wollspinner endete bußfertig, der Bäcker in völliger Verstocktheit.